"Die sächsischen Grafen 919-1024" 1957
15. Die Grafen von Northeim
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Der Ort Northeim wurde schon im 9. Jahrhundert in den
Fuldaer Traditionen erwähnt. W. Lüders wies nach, dass das Kloster
Fulda hier aller Wahrscheinlichkeit nach der größte Grundherr
war. Trotz dieser Tatsache bleibt die Annahme von A. Hueg, der hier einen
altsächsischen Edelhof mit ausgedehntem Grundbesitz feststellte, durchaus
vertretbar. Ein Anschluß der Tradenten, die nachweisbar Besitz in
Northeim und dessen unmittelbarer Nähe Fulda übereigneten, an
die späteren
Grafen von Northeim
ist nicht möglich. Vielleicht waren die Besitzer auch fränkische
Adelige. Der dritte Besitzer in Northeim war der König selber. Möglicherweise
stammte das Fiskalgut der OTTONEN
in dieser Gegend noch aus karolingischer
Hinterlassenschaft. Es bleibt allerdings fraglich, ob sich die königliche
Tradition der villa Northeim in pago Salzgowe in comitatu Ottonis
comitis, fidelis nostri, die um die Mitte des 10. Jahrhunderts
an Fulda erfolgte, auf das schon erwähnte Northeim im Rittigau bezog,
was durch die Angabe des Gaues bedenklich wird. Nur der Name des Grafen
Otto verleiht einer Identität des Ortes eine gewisse Wahrscheinlichkeit.
Dieser
Graf Otto war vermutlich ein Mitglied der Grafenfamilie,
die sich später nach ihrem Eigengut in Northeim nannte. Er könnte
ein Nachkomme jenes Odo comes sein,
den Sabine Krüger erwähnte. Wir sind zu dieser Annahme umso mehr
berechtigt, als zu der Namensgleichheit beider eine Besitzlage in den selben
Gegenden tritt. Der um 822 bezeugte Graf Odo
verfügte über Besitz im Derlingau. Er trat mehrfach in der Zeugenliste
des Klosters Corvey und bei Schenkungen seiner Nachbarn im Rittigau und
im sächsischen Hessengau auf.
Vielleicht kommt als Zwischenglied ein weiterer Odo
comes in Betracht, der 877 durch ein Diplom Ludwigs
des Jüngeren bezeugt ist.
Die Ungunst der Quellenüberlieferung läßt
dann die genealogische Reihe abbrechen, bis sie Graf Otto, ein Zeitgenosse
OTTOS
DES GROSSEN, für mehrere Generationen weiterführte.
Im Jahre 982 wurde urkundlich ein Siegfried
comes im Rittigau erwähnt, in dessen Grafschaft der Ort Medenheim
(wüst bei Northeim) lag, für den Fulda bisher zinspflichtig war.
Dieser
Graf Siegfried
war 984 zusammen mit seinem gleichnamigen
Sohn auf der Versammlung der sächsischen Großen auf der Asselburg
anwesend. Der Besitz einer curtis in Northeim, die Thietmar als Wohnsitz
dieser Grafenfamilie angibt, berechtigt uns, Graf Siegfried als
Nachkommen des Grafen Otto zu betrachten. In Northeim war Graf
Siegfried 1002 Gastgeber des Markgrafen
Ekkehard I. von Meißen. Seine Gattin Ethelinde
warnte
den Markgrafen heimlich vor dem Mordanschlag, den Siegfried
und
Benno,
die Söhne ihres Gatten, gemeinsam mit den Brüdern Heinrich und
Udo von Katlenburg gegen ihn geplant hatten. Ekkehard schlug diese Warnung
in den Wind, und so führte der jüngere Siegfried in Pöhlde
die Untat in hinterhältiger Weise aus.
Der sächsische Annalist berichtete, dass der ältere
Graf
Siegfried in 1. Ehe mit einer Mathilde
aus unbekannter Familie verheiratet war. Sie schenkte ihm die beiden Söhne
Siegfried und Benno. Siegfried wurde vom Annalisten als
inter fectorem magni illius Eckehardi marchonis gebrandmarkt. Man
sah die Motive der Tat darin, dass der NORTHEIMER
selber Hoffnung auf den Thron hegte und deshalb seinen Rivalen umbrachte.
Dagegen ist einzuwenden, dass er damit auch seine eigenen Aussichten zerstörte.
Schließlich bleibt zu erwägen, dass die Northeimer Grafen
zu dieser Zeit keineswegs mit den mächtigen Markgrafen von Meißen
konkurrieren konnten.
Die zweite Gattin des älteren Grafen Siegfried
war die schon erwähnte domna Ethelind comitissa, wie sie Thietmar
nannte. Schrader und ihm nachfolgend verschiedene andere sahen in den genannten
Brüdern Udo und Heinrich Söhne der Ethelind, so dass demnach
Graf
Siegfried vier Söhne aus zwei Ehen gehabt hätte. Diese Ansicht
beruht auf einer falschen Textinterpretation. Thietmar führte aus:
Sigifrith et Benno, senioris suimet filii, cum confratibus
Heinrico et Udone. Das heißt nichts anderes als: "Die Söhne
ihres Gatten gemeinsam mit den beiden Brüdern Heinrich und Udo". Dem
Text läßt sich nicht erkennen, dass alle vier confratres und
damit Siegfrieds Söhne waren. Diese Auffassung wird durch eine
Parallelstelle des sächsischen Annalisten gestützt, der den zur
Unklarheit gebenden Ausdruck confratres durch fratres ersetzt: Sigefridus
et Benno, sui senioris filii, cim fratribus de Catelenburh Heinrico
et Udone. Die Chronica ducum de Brunswick verwechselt Heinrich mit
Dietrich von Katlenburg, gibt sonst jedoch keinen Anlaß, die genannten
als Halbbrüder zu betrachten. E. von Uslar-Gleichen stellte die falsche
Interpretation schon richtig. Er wies darauf hin, dass sie aus rein psychologischen
Gründen wenig Wahrscheinlichkeit für sich habe. Es wäre
schwer zu verstehen, dass eine Mutter zur Verräterin ihrer eigenen
Söhne würde.
Von den älteren Grafen Siegfried lassen sich
keine weiteren Nachrichten ermitteln. Vermutlich starb er 1004. Zu diesem
Jahr wurde in den Annales Necrol. Fuldenses der Tod eines Grafen Siegfried
verzeichnet, den wir mit gewisser Berechtigung für unseren Grafen
halten dürfen, da schon mehrfach auf Beziehungen zwischen Northeim
und Fulda verwiesen wurde.
Graf Siegfried, Ekkehards Mörder, hieß
1003 noch iuvenis. Das schließt keineswegs aus, dass er damals längst
erwachsen war. Er ging zu den Feinden des neugewählten Königs
über, vielleicht aus Erbitterung, dass ihm das Eintreten für
die Wahl HEINRICHS
so geringen Vorteil brachte. Bis zum Jahre 1007 verzieh ihm der König,
denn zu diesem Zeitpunkt trat er unter den Zeugen bei der Beilegung des
Gandersheimer Streites auf. Kein einziges Diplom ermöglicht uns, sein
Herrschaftsgebiet festzulegen, dass er trotz der Mordtat ein Grafenamt
bekleidete, gilt durch die Vita Meinwerci als gesichert, in der er häufig
als Zeuge geführt wurde. Es ist schwierig, ihn und den gleichzeitig
amtierenden Grafen Siegfried, den Sohn des Leinegaugrafen Hermann, auseinanderzuhalten.
Als einigermaßen gesichert lassen sich auf Grund der Anwesenheit
anderer Zeugen mehrere Testate auf ihn beziehen. Vielleicht stammte das
predium Wanfrid (Wanfrid, Kr. Eschwege), das sich im Besitz eines Sigefredus,
Sigefridi filius befand und das HEINRICH
II. dem Bamberger Bistum übereignete, aus dem Besitz der
NORTHEIMER. Allerdings wurden beide ohne Amtsbezeichnung aufgeführt.
Vielleicht starb Graf Siegfried im Jahre 1025. Das Datum entnehmen
wir dem Fuldaer Totenregister, da die Beziehungen des Northeimer Grafen
Siegfried mit Fulda enger waren als die des Grafen Siegfried vom Leinegau.
Nach diesem Datum ist Siegfried von Northeim jedenfalls nicht mehr nachweisbar.
Zahlreicher fließen die Nachrichten über seinen
jüngeren Bruder Graf Benno (Bernhard) von Northeim. Er ist
ab 1013 urkundlich faßbar. In diesem Jahre übertrug HEINRICH
II. den Hof Moringen (Kr. Northeim) im Moringau in Bennos
Grafschaft,
der ihm selber vom Erzbischof Unwan angefallen war, an das Bistum Paderborn.
Diese Güterschenkung bestätigte die Vita Meinwerci. 1016 wurde
eine Erneuerungsurkunde ausgefertigt, die den Tatbestand wiederholte. Aus
der Vita Meinwerci erfahren wir, dass Graf Benno ebenfalls im Augau
Grafenrechte wahrnahm. Hier unterstand Würgassen (Kr. Höxter)
seiner gräflichen Machtbefugnis. Er trat gleichfalls bei der Beilegung
des Gandersheimer Streites als Zeuge auf. Auch die Grafschaft im Rittigau
war in seinen Besitz übergegangen.1015 wurde der Hof Hohnstedt (Kr.
Northeim) im Rittigau in seiner Grafschaft ebenfalls an Paderborn vergabt.
Graf
Benno unterhielt ebenso wie sein Bruder Siegfried lebhafte Beziehungen
zu Paderborn, wofür zahlreiche Testate als Beweis dienen. Seine Tätigkeit
als Graf läßt sich bis in das Jahr 1024 verfolgen. Vielleicht
starb er nicht lange nach diesem Datum.
Der sächsische Annalist bezeugte als seine Gattin
eine Eilica
(Adelheid). Beider Sohn war der berühmte Otto
dux de Northeim - wie ihn der Annalist nannte - der seine Familie,
die sich bisher an Macht nicht vor anderen auszeichnete, zu ungewöhnlchem
Ansehen und Reichtum brachte. Weitere Kinder sind weder von Graf Benno
noch von seinem Bruder Siegfried bekannt.
Da die Northeimer Grafenfamilie als ihren großen
Sohn den Herzog von Sachsen und Bayern hervorbrachte, rückte sie ihn
in den Mittelpunkt des Interesses. An Hand der Quellen konnten wir sie
nur ein halbes Jahrhundert verfolgen. Ihre Stellung schien keinen überwältigenden
Aufstieg zu verheißen. Mit aus diesem Grunde war man bemüht,
die NORTHEIMER als Seitenzweige anderer berühmter und mächtiger
sächsischer Adelssippen nachzuweisen.
Die Origines Guelficae nennen als Stammvater der NORTHEIMER
Graf Otto aus dem Salzgau und führen die Familie dann mit den
Leinegaugrafen weiter. Der 982 als NORTHEIMER nachgewiesene
Graf
Siegfried aus dem Rittigau erhielt den Leinegaugraf Hermann
als Bruder zugeschrieben. Dieser wurde mit seinem Sohn Siegfried zum Vater
Siegfrieds und
Bennos von Northeim. Bedenklich stimmt an
dieser Ableitung, dass sich die NORTHEIMER Grafen weder früher
noch später im Leinegau nachweisen lassen. Nach Schrader stammten
die Grafen von Northeim von den Stader Grafen ab. Der 929 zusammen mit
Graf Lothar von Walbeck gefallene Graf Lothar von Stade soll einen Bruder
oder Sohn gehabt haben, der einer der nächsten Vorfahren des ersten
Grafen Siegfried von Northeim gewesen sein soll. Diese These stützt
sich auf eine Nachricht Lamberts, wonach Herzog Otto von Northeim
als propinquus des BILLUNGERS
Magnus
bezeichnet wurde. Nach Ansicht Schraders kam die Beziehung über Hildegard,
die Tochter des Stader Grafen Heinrich, zustande, die Herzog Bernhard,
der Sohn Hermann Billungs, heiratete. Schrader wies außerdem darauf
hin, dass die Namen Heinrich (von Katlenburg) und Siegfried für beide
Familien charakteristisch waren. Gerade diese beiden Namen besaßen
jedoch in Sachsen keinen Seltenheitswert. Schließlich machte Schrader
noch auf die Tatsache aufmerksam, dass die Söhne Ottos von Northeim
über Eigenbesitz in Harsefeld, dem Stammsitz der Stader Grafen, verfügten.
Eine Versippung der Grafen von Northeim sowohl mit den Stadern als auch
mit den BILLUNGERN wird wohl in irgendeiner Generation stattgefunden
haben, was sich auf Grund des späteren Besitzes nicht von der Hand
weisen läßt. Sicherlich hatten die NORTHEIMER zahlreichere
Kinder und damit mehr Möglichkeiten zu Ehebündnissen, als wir
nachweisen konnten. Das vorliegende Quellenmaterial reicht nicht aus, um
ohne weiteres eine Verpflanzung der Stader in einen weit von ihrem Ursprungsgebiet
entfernt liegende Teil Sachsens anzunehmen.
E. von Uslar-Gleichen wurde in seiner Abstammungstheorie
schon wesentlich spezieller. Für ihn stand fest, dass die NORTHEIMER
die unmittelbaren Nachkommen des ersten Grafen von Stade, eines Sohnes
des 929 gefallenen Grafen Lothar, waren. Siegfrieds Sohn soll der erste
Graf
Siegfried von Northeim gewesen sein. E. von Uslar-Gleichen gab als
Grund für die Verpflanzung an: entweder habe er die "Erbtochter des
Gaugrafen" im Ritigau geheiratet oder sich die Grafschaft durch persönliches
Verdienst erworben. Zugleich versuchte er nachzuweisen, dass Gerburg, eine
Nichte Siegfrieds von Stade und Tochter Heinrichs von Stade, in ihrer 2.
Ehe Graf
Bruno von Braunschweig heiratete. Beider Tochter soll Eilica,
Gattin Bennos von Northeim und Mutter Herzogs Otto, gewesen
sein. Gegen diese Verbindung wären wegen der nahen Verwandtschaft
(die Großväter waren Brüder) kirchlicherseits Bedenken
erhoben worden. Alle diese Theorien halten keiner kritischen Nachprüfung
stand. Wenn schon auffällig ist, dass sich in den Quellen kein Zeugnis
für eine solche Abstammung der NORTHEIMER von den Grafen von
Stade finden läßt, so stimmt erst recht bedenklich, dass Thietmar
von Merseburg die NORTHEIMER mit keinem Wort als seine Verwandten
kennzeichnete. Diese Verschweigen kann nicht durch ein bloßes Übergehen
erklärt werden. Ältere Genealogen, auf die nicht näher eingegangen
werden soll, lassen die
NORTHEIMER bedenkenlos von den BRUNONEN
abstammen. Otto von Northeim wird als Sohn Liudolfs
von Braunschweig angegeben. Das geschah unter völliger Mißachtung
der als gesichert geltenden Nachricht des sächsischen Annalisten,
der als avus Herzogs Otto von Northeim Graf Siegfried von Northeim
und als Vater
Graf Benno von Northeim bezeugte.
Es ergibt sich also, dass die NORTHEIMER im 10.
Jahrhundert über Grafschaften im Moringau, Rittigau und Suilbergi,
vielleicht auch im Augau verfügten. Als Eigenbesitz ließ nur
die curtis Northeim und möglicherweise Besitz im hessischen Wanfried
feststellen. Ob der große Allodialbesitz, der sich 1144 in Händen
des verstorbenen Grafen Siegfried von Northeim befand und dessen
Verzeichnis sich erhalten hat, schon in der hier besprochenen Zeit vorhanden
war oder erst im Laufe der späteren Generationen erworben wurde, bleibt
offen.