Hlawitschka, Eduard: Seite 158-162
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"Franken, Alemannen, Bayern und Burgunder in Oberitalien (774-962)"
 

XLVIII.                               BOSO (I.)

Ein Boso comes begleitete im Jahre 844 mit vielen anderen Grafen und Bischöfen LUDWIG II. auf seinem Romzug, bei dem LUDWIG zum König für das Reich Italien gekrönt und den Römern noch einmal die künftige Beachtung der bei der Erhebung Papst Sergius II. unbeachtet gebliebene kaiserliche Rechte eingeschärft wurde.
Daß man in diesem Manne jenen unglücklichen oberitalienischen Grafen Boso vor sich hat, dem seine Gemahlin Engeltrud ca. 856/57 [Das Datum ergibt sich daraus, daß Engeltrud im Herbst 860 in aliis regnis circiter per triennium verweilte (MG Epist. VIII, 1 Seite 83, nr. 135 - Gutachten Hinkmars) und 863 Bosone proprio viro relicto ecce iam per septem circiter annos hac atque illac vagabundunda discurrit (MG Epist. VI Seite 286, br. 18 c 4 - Mitteilung von Nikolaus I. = Ann. Fuldens. ad 863, Seite 59 und Ann. Bertin. ad 863, Seite 65)] die eheliche Treue brach und mit einem ihrer Vasallen, Wangar [Der Name wird allein von Regino, Chron. ad 866, Seite 84 überliefert.], aus Italien zuerst nach W-Franken, dann nach O-Franken entfloh, um schließlich im Reiche Lothars II. im Sprengel des Kölner Erzbischofs Zuflucht zu finden, ist bereits in einer gründlichen Studie von R. Poupardin festgestellt worden. Bosos Versuche, seine Gemahlin zur Rückkher zu bewegen, blieben trotz der Zusicherung voller Vergebung für den Fall der Rückkehr umsonst, ebenso auch die Vermittlungsversuche des Papstes Benedikt III., an den sich Boso gewendet hatte [Die Einschaltung des Papstes Benedikt ergibt sich aus: Jaffe nr. 2673. - Vgl. MG Epist. VI Seite 295, nr. 29 und Seite 341, nr. 53. Bosos Zusicherung der Vergebung ist ersichtlich aus dem Gutachten Hinkmars von Reims für die Synode von Thousey - MG Epist. VIII, 1 Seite 83, nr. 135 und aus Hincmar, De divortio Lotharii, Migne PL 125, Seite 743 f.]. Unbeachtet von Engeltrud blieb aber auch eine Vorladung vor eine vom Erzbischof Tado in Mailand abgehaltene Synode. Als Abwesende wurde sie deshalb mit dem Kirchenbann belegt. Boso suchte darauf sein Glück in Gallien. Er erschien persönlich, nachdem diese Angelegenheit 859 zu Savonnieres und im Frebruar 860 in Aachen schon verhandelt worden war, im Sommer 860 auf einer Synode in Koblenz und trug hier seine Beschwerde vor. Doch Lothar II., der damals seine rechtmäßige Gattin Thietberga verstoßen und die Konkubine Waldrada zur Gemahlin erheben wollte, nahm sich Engeltruds an - vielleicht um in dieser Angelegenheit durch Erwirkung einer Ehescheidung einen Präzedenzfall für seinen Ehestreit schaffen zu können - und lehnte die Auslieferung ab. Es gezieme sich für ihn nicht, eine fränkische Frau und dazu noch eine Verwandte, welche sich ihm anvertraut, preiszugeben, zumal Engeltrud für den Fall der Gewaltanwendung mit ihrer Flucht zu den Normannen gedroht habe. Hinkmar von Reims und Papst Nikoluas I. setzten sich dagegen besonders für Boso ein. 860 wandte sich Nikolaus I. an Hinkmar, damit dieser bei allen Erzbischöfen und Bischöfen im Reich KARLS DES KAHLEN auf die Rückführung Engeltruds hinwirke, und hat auch KARL DEN KAHLEN selbst, von seinem Neffen Lothar II. die Ausweisung als Flüchtigen zu verlangen. Zu seiner Synode in Thousey im Reichsteil KARLS DES KAHLEN im Herbst des gleichen Jahres sandte Nikolaus ein Mahnschreibern, das Boso selbst überbrachte, und schickte Hinkmar ein eherechtliches Gutachten. Im Jahre 862 machte KARL DER KAHLE Lothar nicht allein wegen der Verstoßung Thietbergas heftige Vorwürfe, sondern auch wegen der Aufnahme Engeltruds. Aber 863 befand sich Engeltrud noch immer unter dem Schutze Lothars II. Auf einem Konzil zu Metz, dem die Bischöfe Radoald von Porto und Johann von Cervia beiwohnten (- diese ließen sich bestechen und legten unter anderem die auf Engeltrud bezüglichen Anweisungen gar nicht vor -), kann Lothar II. in seine eigenen Ehescheidungsbestrebungen, die bei all diesen Synoden mit verhandelt wurden, einen Schritt vorwärts. Jedoch kassierte Nikolaus I. sogleich die Akten, erklärte das Konzil für unrechtmäßig und erneuerte den Bann über Engeltrud. 865 stellte sich dann Engeltrud - wohl mehr unter dem Zwang der politischen Situation, denn aus innerer Reue - dem päpstlichen Legaten Arsenius von Orta in Worms, schwor diesem einen Eid, daß sie die an ihrem Manne geübte Boshaftigkeit nunmehr aufgeben werde et in Italico regno aut vobiscum aut ante vos zurückkehren werde. Bei der Überquerung der Donau entfloh sie jedoch dem Gefolge des Arsenius, so daß dieser in einem Schreiben an alle westfränkischen, lothringischen und ostfränkischen Bischöfe die Exkommunikation erneut wiederholen mußte. Nach Italien ist Engeltrud nie mehr zurückgekehrt.
Über Engeltruds Herkunft und Familie werden mehrfach Angaben gemacht. Sie war - wie sie 865 bei ihrem Eid bekannte und wie Papst Nikolaus I. in dem öffentlich bekanntgemachten römischen Synodalbeschluß über die Nichtigkeitserklärung der Metzer Synode von 863 betonte - eine filia quondam Matfridi comitis. In diesem Matfrid wird man, was schon Poupardin als sehr wahrscheinlich angenommen hat, den 834 nach Italien gekommenen und 836 dort verstorbenen ehemaligen Grafen von Orleans (oder dessen gleichnamigen Sohn) erblicken dürfen. Engeltrud soll sogar auch Lothars II. propinqua gewesen sein. Da von einer Verwandtschaft des alten Matfrid mit dem Kaiserhause nichts bekannt ist, wird man andere Wege zur Erklärung dieser propinquitas Engeltruds mit Lothar II. einschlagen müssen. Man muß dabei von der Verwandtschaft und Herkunft Bosos ausgehen.
Boso scheint, obwohl das in keiner Quelle ausdrücklich gesagt wird, der Bruder des Abtes Hukbert von St. Maurice und der unglücklichen Königin und Gemahlin Lothars II., Thietberga, gewesen zu sein. Denn erstens kommt der Name Boso in der Familie Thietbergas und Hukberts häufig vor, auch ihr Vater trug diesen Namen; zweitens spricht Regino von Prüm davon, daß sich die Brüder der Thietberga in Rom bei Papst Nikolaus für sie eingesetzt hätten (agentibus fratribus Thietbergae reginae), was klar bezeugt, daß Hukbert und Thietberga zumindest einen weiteren Bruder hatten, und was sich gut außer auf den zu KARL DEM KAHLEN geflohenen Hukbert auf den sowieso wegen seiner eigenen Angelegenheit mit dem Papst eng zusammenarbeitenden Boso beziehen könnte; und schließlich schreibt Nikolaus im Mai 863 an Hukbert, daß er sich immer seiner und seiner Schwester Sache angenommen habe und fügt hinzu: et quid de fratre tuo egerimus, ipse poterit enarrare. Ein Bruder Hukberts hatte also des Papstes Fürsprache nötig und auch erhalten, - und das dürfte bei der Übereinstimmung des Namens Boso mit der Namengebung in der Familie Hukberts und Thietbergas und bei unserem Wissen darum, für wen sich der Papst damals besonders einsetzte, der "italienische" Graf Boso gewesen sein. - Über diese Beziehungen konnte Engeltrud dann auch als propinqua Lothars II. bezeichnet werden.
Somit ist aber auch schon, was für unseren allgemeinen Überblick über die Grafen wichtig ist, für Boso und seine Gemahlin Engeltrud die fränkische Abkunft gesichert.
Boso war 865 bei der Eidleistung der Engeltrud an den Bischof Arsenius von Orta das letzte Mal genannt worden. Daß er auch 867 seine Frau noch nicht zurückerhalten hatte, beweist ein Brief Papst Nikolaus I. Er wird dann auch noch für die Zeit von 871/72 erwähnt. Damals waren die Sarazenen in Benevent eingefallen, und Kaiser LUDWIG II. mußte mehrere Grafen zu ihrer Vertreibung einsetzen. Neben Unruoch von Friaul und den Grafen Egifred, Arding und Remedius wird auch Boso genannt. Auch mit dem kaiserlichen missus et comes Boso, der am 28. Dezember 874 in Mailand ein Placitum abhalten ließ, wird man ihn ohne weiteres identifizieren dürfern. Das aber ist die letze Nachricht über ihn. Im August 878 setzt sich Papst Johannes VIII. bereits pro filiabus Bosonis dudum comitis et Ingeltrudis coniugis ein und versucht, diesen Nachkommen, die bei ihrem Vater in Italien erzogen  worden zu sein scheinen, den im Reichsteil Ludwigs III., Sohn Ludwigs des Deutschen, liegenden Erbbesitz der Engeltrud zu sichern. Zumal neben einem proximus, einem cognatischen Verwandten der Engeltrud namens Matfrid, und neben König Ludwig III. auch der Erzbischof von Mainz mit einem Mahnschreiben bedacht wurde, darf angenommen werden, daß dieses alodum der Engeltrud, das nun ein spurius Godefredus aut alii, quibus mechans Ingiltrudis sine viri consensu quoque modo donaverit, innehatten, in der Erzdiözese Mainz lagen.