XLVIII. BOSO (I.)
Ein Boso comes begleitete
im Jahre 844 mit vielen anderen Grafen und Bischöfen LUDWIG
II. auf seinem Romzug, bei dem LUDWIG
zum König für das Reich Italien gekrönt und den Römern
noch einmal die künftige Beachtung der bei der Erhebung Papst Sergius
II. unbeachtet gebliebene kaiserliche Rechte eingeschärft wurde.
Daß man in diesem Manne jenen unglücklichen
oberitalienischen
Grafen Boso vor sich
hat, dem seine Gemahlin Engeltrud
ca. 856/57 [Das Datum ergibt sich daraus, daß
Engeltrud im
Herbst 860 in aliis regnis circiter per triennium verweilte (MG
Epist. VIII, 1 Seite 83, nr. 135 - Gutachten Hinkmars) und 863 Bosone
proprio viro relicto ecce iam per septem circiter annos hac atque illac
vagabundunda discurrit
(MG Epist. VI Seite 286, br. 18 c 4 - Mitteilung
von Nikolaus I. = Ann. Fuldens. ad 863, Seite 59 und Ann. Bertin.
ad 863, Seite 65)] die eheliche Treue brach und mit einem ihrer Vasallen,
Wangar [Der Name wird allein von Regino, Chron. ad 866, Seite 84 überliefert.],
aus Italien zuerst nach W-Franken, dann nach O-Franken entfloh, um schließlich
im Reiche Lothars
II. im Sprengel des Kölner Erzbischofs Zuflucht zu
finden, ist bereits in einer gründlichen Studie von R. Poupardin festgestellt
worden. Bosos Versuche, seine Gemahlin
zur Rückkher zu bewegen, blieben trotz der Zusicherung voller Vergebung
für den Fall der Rückkehr umsonst, ebenso auch die Vermittlungsversuche
des Papstes Benedikt III., an den sich Boso
gewendet hatte [Die Einschaltung des Papstes Benedikt ergibt sich
aus: Jaffe nr. 2673. - Vgl. MG Epist. VI Seite 295, nr. 29 und Seite 341,
nr. 53. Bosos
Zusicherung der Vergebung ist ersichtlich aus dem Gutachten Hinkmars von
Reims für die Synode von Thousey - MG Epist. VIII, 1 Seite 83, nr.
135 und aus Hincmar, De divortio Lotharii, Migne PL 125, Seite 743 f.].
Unbeachtet von Engeltrud blieb aber auch eine Vorladung vor eine
vom Erzbischof Tado in Mailand abgehaltene Synode. Als Abwesende wurde
sie deshalb mit dem Kirchenbann belegt. Boso
suchte darauf sein Glück in Gallien. Er erschien persönlich,
nachdem diese Angelegenheit 859 zu Savonnieres und im Frebruar 860 in Aachen
schon verhandelt worden war, im Sommer 860 auf einer Synode in Koblenz
und trug hier seine Beschwerde vor. Doch Lothar
II., der damals seine rechtmäßige Gattin Thietberga
verstoßen und die Konkubine
Waldrada zur Gemahlin erheben wollte, nahm sich Engeltruds
an - vielleicht um in dieser Angelegenheit durch Erwirkung einer Ehescheidung
einen Präzedenzfall für seinen Ehestreit schaffen zu können
- und lehnte die Auslieferung ab. Es gezieme sich für ihn nicht, eine
fränkische Frau und dazu noch eine Verwandte, welche sich ihm anvertraut,
preiszugeben, zumal Engeltrud für den Fall der Gewaltanwendung
mit ihrer Flucht zu den Normannen gedroht habe. Hinkmar von Reims und Papst
Nikoluas I. setzten sich dagegen besonders für Boso
ein. 860 wandte sich Nikolaus I. an Hinkmar, damit dieser
bei allen Erzbischöfen und Bischöfen im Reich KARLS
DES KAHLEN auf die Rückführung Engeltruds hinwirke,
und hat auch
KARL DEN KAHLEN selbst,
von seinem Neffen Lothar II. die Ausweisung
als Flüchtigen zu verlangen. Zu seiner Synode in Thousey im Reichsteil
KARLS
DES KAHLEN im Herbst des gleichen Jahres sandte Nikolaus
ein Mahnschreibern, das Boso selbst
überbrachte, und schickte Hinkmar ein eherechtliches Gutachten. Im
Jahre 862 machte
KARL DER KAHLE Lothar
nicht allein wegen der Verstoßung Thietbergas
heftige Vorwürfe, sondern auch wegen der Aufnahme Engeltruds.
Aber 863 befand sich
Engeltrud noch immer unter dem Schutze
Lothars II. Auf einem Konzil zu Metz, dem die Bischöfe
Radoald von Porto und Johann von Cervia beiwohnten (- diese ließen
sich bestechen und legten unter anderem die auf Engeltrud bezüglichen
Anweisungen gar nicht vor -), kann Lothar II.
in seine eigenen Ehescheidungsbestrebungen, die bei all diesen Synoden
mit verhandelt wurden, einen Schritt vorwärts. Jedoch kassierte Nikolaus
I. sogleich die Akten, erklärte das Konzil für unrechtmäßig
und erneuerte den Bann über Engeltrud. 865 stellte sich dann
Engeltrud
- wohl mehr unter dem Zwang der politischen Situation, denn aus innerer
Reue - dem päpstlichen Legaten Arsenius von Orta in Worms, schwor
diesem einen Eid, daß sie die an ihrem Manne geübte Boshaftigkeit
nunmehr aufgeben werde et in Italico regno aut vobiscum aut ante vos
zurückkehren
werde. Bei der Überquerung der Donau entfloh sie jedoch dem Gefolge
des Arsenius, so daß dieser in einem Schreiben an alle westfränkischen,
lothringischen und ostfränkischen Bischöfe die Exkommunikation
erneut wiederholen mußte. Nach Italien ist Engeltrud nie mehr
zurückgekehrt.
Über Engeltruds Herkunft und Familie werden
mehrfach Angaben gemacht. Sie war - wie sie 865 bei ihrem Eid bekannte
und wie Papst Nikolaus I. in dem öffentlich bekanntgemachten
römischen Synodalbeschluß über die Nichtigkeitserklärung
der Metzer Synode von 863 betonte - eine filia quondam Matfridi comitis.
In diesem Matfrid wird man, was schon Poupardin als sehr wahrscheinlich
angenommen hat, den 834 nach Italien gekommenen und 836 dort verstorbenen
ehemaligen Grafen von Orleans (oder dessen gleichnamigen Sohn) erblicken
dürfen.
Engeltrud soll sogar auch
Lothars II. propinqua gewesen sein. Da von einer Verwandtschaft
des alten Matfrid mit dem Kaiserhause nichts bekannt ist, wird man
andere Wege zur Erklärung dieser propinquitas
Engeltruds
mit Lothar II. einschlagen müssen.
Man muß dabei von der Verwandtschaft und Herkunft Bosos
ausgehen.
Boso scheint, obwohl
das in keiner Quelle ausdrücklich gesagt wird, der Bruder des Abtes
Hukbert von St. Maurice und der unglücklichen Königin
und Gemahlin
Lothars II.,
Thietberga,
gewesen zu sein. Denn erstens kommt der Name Boso in der Familie
Thietbergas und Hukberts häufig
vor, auch ihr Vater trug diesen Namen; zweitens spricht Regino von Prüm
davon, daß sich die Brüder der
Thietberga
in Rom bei Papst Nikolaus für sie eingesetzt hätten (agentibus
fratribus
Thietbergae reginae),
was klar bezeugt, daß Hukbert und Thietberga
zumindest einen weiteren Bruder hatten, und was sich gut außer auf
den zu KARL DEM KAHLEN geflohenen Hukbert
auf den sowieso wegen seiner eigenen Angelegenheit mit dem Papst eng zusammenarbeitenden
Boso
beziehen könnte; und schließlich schreibt Nikolaus im
Mai 863 an Hukbert, daß er sich immer seiner und seiner Schwester
Sache angenommen habe und fügt hinzu: et quid de fratre tuo egerimus,
ipse poterit enarrare.
Ein Bruder Hukberts hatte also des Papstes
Fürsprache nötig und auch erhalten, - und das dürfte bei
der Übereinstimmung des Namens Boso
mit der Namengebung in der Familie Hukberts und Thietbergas
und bei unserem Wissen darum, für wen sich der Papst damals besonders
einsetzte, der "italienische" Graf Boso
gewesen sein. - Über diese Beziehungen konnte
Engeltrud dann
auch als
propinqua Lothars II. bezeichnet
werden.
Somit ist aber auch schon, was für unseren allgemeinen
Überblick über die Grafen wichtig ist, für Boso
und seine Gemahlin Engeltrud
die fränkische Abkunft gesichert.
Boso war 865 bei
der Eidleistung der Engeltrud an den Bischof Arsenius von Orta das
letzte Mal genannt worden. Daß er auch 867 seine Frau noch nicht
zurückerhalten hatte, beweist ein Brief Papst Nikolaus I. Er
wird dann auch noch für die Zeit von 871/72 erwähnt. Damals waren
die Sarazenen in Benevent eingefallen, und Kaiser
LUDWIG II. mußte mehrere Grafen zu ihrer Vertreibung einsetzen.
Neben Unruoch
von Friaul und den Grafen Egifred, Arding und Remedius wird auch
Boso genannt. Auch mit dem kaiserlichen
missus
et comes Boso, der am 28. Dezember
874 in Mailand ein Placitum abhalten ließ, wird man ihn ohne weiteres
identifizieren dürfern. Das aber ist die letze Nachricht über
ihn. Im August 878 setzt sich Papst Johannes VIII. bereits pro
filiabus
Bosonis dudum comitis et Ingeltrudis
coniugis ein und versucht, diesen Nachkommen, die bei ihrem Vater in
Italien erzogen worden zu sein scheinen, den im Reichsteil Ludwigs
III., Sohn Ludwigs des Deutschen,
liegenden Erbbesitz der Engeltrud zu sichern. Zumal neben einem
proximus, einem cognatischen Verwandten der Engeltrud namens
Matfrid, und neben König Ludwig III.
auch der Erzbischof von Mainz mit einem Mahnschreiben bedacht wurde, darf
angenommen werden, daß dieses alodum der Engeltrud,
das nun ein
spurius Godefredus aut alii, quibus mechans Ingiltrudis
sine viri consensu quoque modo donaverit, innehatten, in der Erzdiözese
Mainz lagen.