Begraben: Notre-ame-de-Clery
Ältester Sohn des Königs
Karl VII. der Siegreiche von Frankreich und der Marie
von Anjou-Neapel, Tochter von Titular-König
Ludwig II.
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 2183
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Ludwig XI., König von Frankreich 1461-1483
----------------
* 3. Juli 1423, + 30. August 1483
Loches
Plessis-du-Parc bei Tours
Begraben: Notre-ame-de-Clery (von ihm gefördertes Marienheiligtum in der Touraine)
Ältester Sohn von König
Karl VII. und Maria von Anjou,
erhielt Ludwig die im französischen
Königshause übliche sorgfältige sowohl klerikale wie militärische
Erziehung. Die 1436 geschlossene, aber erst später vollzogene Ehe
mit Margarete
(+ 1445), Tochter König Jakobs
I. von Schottland, war unglücklich und kinderlos.
Ludwig
durfte
seit 1436 den Vater auf seinen Reisen begleiten. 1440 ließ sich der
frühreife Dauphin in den Fürstenaufstand der Praguerie hineinziehen,
mit dem Ziel einer Entmachtung des Vaters; die darauffolgende Versöhnung
zwischen Vater und Sohn gelang nur unter Schmerzen.
1443 zwang er die Engländer zur Aufhebung der Belagerung
von Dieppe. Tatendurstig übernahm er die Führung des Truppenverbandes
der Ecorcheurs, die 1444 als Verbündete FRIEDRICHS
III. einen verheerenden Krieg gegen die Eidgenossen führten
(Alter Zürichkrieg). Nach Beendigung eines Teils seiner Mission begab
er sich zum Vater nach Lothringen. Wegen neuer Intrigen verbannte ihn der
König ins Dauphine. Als Fürst des Dauphine ereichte
Ludwig in ausdauernden Bemühungen eine staatliche und administrative
Reorganisation, die - in ihrer zugleich autoritären wie aufgeklärten
Haltung - seine spätere Regierungsweise im Königreich Frankreich
vorwegnahm. Zur Bekräftigung seines Bündnisses mit Herzog Ludwig
von Savoyen heiratete er 1451 dessen Tochter Charlotte,
gegen den erbitterten Widerstand Karls VII. Ludwig,
der Freiheit und Leben durch den Vater bedroht sah, floh zum Herzog von
Burgund, Philipp dem Guten 1456). Auf
dem Brabanter Schloß Genappe erwartete er ungeduldig den Tod des
Vaters, der 1461 eintrat.
Ludwigs Befürchtungen
eines schwierigen Regierungsantritts erfüllten sich nicht. Er konnte
sich aus der Abhängigkeit von Burgund lösen und durch Auswechslung
eines großen Teils des politischen, militärischen und administrativen
Personals die Voraussetzungen für eine Neuordnung in seinem Sinne
schaffen. 1462 besetzte er das zur Krone Aragon gehörende Roussillon.
Im folgenden Jahr erreichte er den Rückerwerb der an Philipp
den Guten verpfändeten Sommestädte. Die Klerus
und Adel beunruhigenden Maßnahmen zur Straffung der Königsgewalt,
der lastende Steuerdruck (hohe Militärausgaben) und die brüske
Ausschaltung der alten Räte Karls VII. führten
zu tiefer Unzufriedenheit, die sich in der Ligue du Bien public artikulierte
(1465).
Nur unter großen Zugeständnissen lonnte Ludwig
XI. dieser Revolte von Adel und Fürsten Herr werden. 1468
billigten die Etats generaux von Tours seine Politik; unter anderem erhielt
Ludwig
XI. die Zustimmung zur Ständeversammlung zur Deklarierung
des Herzogtums Normandie, das er seinem aufständischen Bruder Charles
de France entzogen hatte, als unveräußerliches
Krongut. Doch türmten sich im gleichen Jahr mit der Heirat Herzog
Karls des Kühnen von Burgund und Margarete
von York vor ihm die Gefahr eines burgundisch-englischen Bündnisses
auf. Ludwig XI. suchte die Begegnung
mit Herzog Karl; das Treffen von Peronne
(14. Oktober 1468), nach Commynes "la grande folie de P.", erwies sich
als krassser, lebensbedrohlicher Mißgriff, der die Autonomie Burgunds
stärkte und es dem Herzog erlaubte, unbehelligt das mit Frankreich
verbündete Lüttich zu zerstören.
1470 kam es zum offenen Bruch mit Burgund: Der König
sagte sich, gestützt auf eine Notabelnversammlung in Tours, von seinen
Verpflichtungen gegenüber dem Herzog los, der als rebellischer Vasall
bezeichnet wurde. Als Rückendeckung konnte Ludwig
XI. damals auf die Hilfe, zumindest aber wohlwollende Neutralität
Englands unter Heinrich VI. zählen,
der allerdings bereits 1471 Eduard IV.,
dem Bundesgenossen Karls des Kühnen,
unterlag und ermordet wurde.
Ein Vorstoß der burgundischen Armee in das Gebiet
südlich der Somme wurde durch den tapferen Widerstand der Stadt Beauvais
(1472) gebrochen. Roussillon und Cerdagne erhoben sich gegen die französische
Präsenz. Der Tod Charles' (+ 1472),
der von Ludwig XI. mit dem Herzogtum
Guyenne abgefunden worden war, befreite den König von der Bedrohung
eines unberechenbaren Thronprätendenten, die sich aber durch die Geburt
des Dauphins
Karl VIII. (* 1470) verringert hatte.
Es waren in erster Linie die politischen Fehlgriffe Karls
des Kühnen, die Ludwig XI.
aus seiner prekären Lage befreiten: das Scheitern der Begegnung Karls
mit
FRIEDRICH
III. (Trier, 1473) und die fehlgeschagene Belagerung von Neuss.
Eduard
IV., der in der Hoffnung auf burgundische Unterstützung
in Frankreich eingefallen war, schloß - isoliert - den Waffenstillstand
von Picquincy (1475). Im selben Jahr konnte auch die französische
Herrschaft über das Roussillon wiederhergestellt werden. Ein Waffenstillstand
mit Karl dem Kühnen lenkte diesen
auf den Südwesten des Reiches ab (Lothringen, Oberrhein, Eidgenossenschaft).
Nachdem Karl bei
Nancy gefallen war (1477), gelang es Ludwig XI.,
um den Preis eines bis dahin ungekannten Steuerdrucks ein Heer von beachtlicher
Größe aufzustellen und - trotz mancher militärischer Mißerfolge
- einen Teil der burgundischen Länder in seinen Hand zu bekommen.
Im Vertrag von Arras (1482), den Ludwig XI.
mit MAXIMILIAN abschloß, erhielt
Frankreich das Herzogtum Burgund und die Grafschaft Boulogne,
während die Grafschaften Artois und Burgund von Margarete,
der Tochter der Maria von Burgund,
in ihre Ehe mit dem Dauphin als Mitgift einebracht werden sollten. Nach
dem Tode des kinderlsoen Karl von Anjou zog
Ludwig
XI. die (dem Reich unterstehende)
Grafschaft Provence
und die (zum Königreich Frankreich gehörenden ) Grafschaften
Anjou und Maine an sich. Ludwig XI.
hat die Grenzen Frankreichs vorgeschoben und innerhalb des Königreiches
die Domäne - zum Nachteil der großen Fürstenhäuser
- in einzigartiger Weise erweitert. Er verheiratete seine ältere Tochter
Anna
mit
Peter
von Beaujeu, dem künftigen Herzog von Bourbon; seine verwachsene
jüngere Tochter Johanna
nötigte er dem Herzog Ludwig von
Orleans (Ludwig XII.) als Gattin auf, in Erwartung der Kinderlosigkeit
dieser Ehe, um so den Heimfall der Länder des Hauses
ORLEANS an die Krone herbeizuführen.
Ludwig XI., dessen
Tod von seinen Untertanen nicht betrauert wurde und dem die öffentliche
Meinung keinerlei Ehrungen bereitete, war ein mißtrauischer und
realistisch-berechnender Charakter, Verächter allen Herrscherprunks,
von
grausamer Entschlossenheit, passionierter Jäger und von
einer an Aberglauben grenzenden Frömigkeit, zugleich hochgebildet,
von scharfer Menschen- und Sachkenntnis und starker Wißbegierde
geprägt. Er hatte enen hohen Begriff von seinen intellektuellen Fähigkeiten
und den Pflichten und Rechten des Königs. Seine von den Zeitgenossen
als Tyrannei verachteten Methoden der Machterweiterung und Herrschaftssicherung
umfaßten nicht zuletzt den massiven Einsatz von Geldmitteln, mit
denen er systematisch seine Gegner und deren Ratgeber kaufte, andererseits
seine Getreuen verschwenderisch belohnte.
Ludwigs XI. Ziel
bestand darin, sich eine ergebene Kirche (möglichst mit Unerstützung
des Papstums), einen gebändigten Adel und eine lenksame Untertanenschaft
heranzuziehen, die den fiskalischen Forderungen pünktlich nachkam.
Sein politisches Handeln wurde durch eine insgesamt günstige Konjunkturentwicklung,
vor allem seit 1470, erleichtert. Gegen Ende seiner Regierung kam es jedoch
im nördlichen Frankreich zu einer schweren Hungersnot.
Ludwig XI. wünschte
den Wohlstand seines Landes und betrieb aktive Förderung des Handels.
Erfolgreich war seine Belebung der Messen von Lyon, die diejenigen von
Genf überflügelten, weniger glücklich sein Kampf gegen den
Messeplatz Antwerpen. Die Vorstellung eines in sich geschlossenen Wirtschaftsraums
war ihm nicht fremd. Er war in geweissem Sinne ein König der Kaufleute,
de er surch seine Initiativen allerdings oft abstieß. Auch wollte
er den französischen Adel, nach dem Vorbild Italiens, zur Handelstätigkeit
anregen. Er strebte offensichtlich nach einer für Verdienst und Begabungen
offeneren Gesellschaft. Seine Regierung ist, bei allen Fehlgriffen, die
er jedoch oft in flexibler Weise auszugleichen verstand, durch einen unübersehbaren
Fortschritt der monarchischen Institutionen geprägt.
Haus VALOIS
Sohn von Karl VII.
Sein Lebenswerk ist die weitgehende politische Einigung
Frankreichs und die Schaffung von Voraussetzungen für den Absolutismus
durch verwaltungspolitische Maßnahmen. Ludwig
XI. kam zugute, daß sich die französische Wirtschaft
unter seinem Vatetr, Karl VII. (regiert
1422/61), von den Schrecken des Hundertjährigen Krieges erholt hatte,
wodurch das Stadtbürgertum zum natürlichen Bündnispartner
Ludwigs
wurde.
Dies begünstigte
Ludwig XI. durch
Förderung des Handels, der Seidenmanufaktur, des Bergbaus, von Messen
und Märkten sowie durch zentraliserende Maßnahmen (Grand Conseil)
weiter. Ludwig XI., der mit seinem
Vater zerstritten, 1456/61 bei Herzog Philipp
III., dem Guten von Burgund (1419/67) gelebt hatte und dort
mit der Renaissance in Berührung gekommen war, besaß Verständnis
für den Wert der humanistischen Wissenschaft, Staatskunst und schönen
Künste: er förderte unter anderem Chirurgie, Jurisprudenz, Druckereien,
Dichtkunst, Historiographie und politische Publizistik, die in 'Placards'
(politische Flugschriften) den Sinn wichtiger politischer Entscheidungen
Ludwigs
XI. der Mitwelt verkündeten.
Ludwig
XI. war ein bewußter Schüler der von italienischen
Schülern praktizierten, auf Vernunft und realpolitischer Diplomatie
gegrüdeten Staatskunst, deren Zweck die Vergrößerung der
Macht des Fürsten mit wirtschaftlichen, politischen und diplomatischen
Mitteln war. Ludwig XI. verstand daher,
daß Geld Macht bedeutet, das durch die Stärkung der Steuerkraft
des Landes gewonnen werden konnte. Ludwig XI.
sah
sich bald der Koalition der großen Feudalvasallen in der Liga du
Bien Public (1464; Liga des öffentlichen Wohls) gegenüber, an
deren Spitze sein eigener Bruder, Karl von Berry,
Herzog
Franz II. von Bretagne und Karl der
Kühne von Burgund standen. Die gefährliche Einkreisung
durch diese drei Territorien, die dem alten Gegner England eine territoriale
Operationsbasis gegen ihn geboten hätte, zersprengte Ludwig
XI. durch Korrumpierung einzelner seiner Gegner. Das Karl
von Berry auf Druck der Liga du Bien Public zugefallene Herzogtum
Normandie riß er unter Bruch des eben geschlossenen Friedens von
Conflans/St. Maur (Oktober 1465) mit militärisdchen Mitteln wieder
an sich. Den sich lange sträubenden Karl
von Berry zwang Ludwig XI.,
1469 statt der Normandie Guyenne als Apanage anzunehmen. Nach dessen plötzlichem
Tod 1472, von den Zeitgenossen als von Ludwig
XI. angestifteter Giftmord ausgelegt, besetzte der König
Guyenne blitzartig und brach den wiederaufgeflammten Widerstand der Feudalherren.
Am 15.10.1472 zwang Ludwig XI. Herzog Franz II.
von Bretagne zum Waffenstillstand. Mit diplomatischen Mitteln
stachelte Ludwig XI. gegen seinen Hauptgegner,
Karl
den Kühnen von Burgund, immer neue Feinde auf, besonders
die Schweiz, die er zu diesem Zweck mit Österreich versöhnte.
Der Bedrohung durch Eduard IV. von England,
der im Juli 1475 in Calais gelandet war, setzte
Ludwig
XI. mit der Zusammenkunft von Pequigny (bei Amiens) am 29.8.1475
ein Ende, indem er sich zur Zahlung von Kriegsentschädigung und Jahrgeldern
an Eduard IV. verpflichtete. Nach dem
Untergang Karls des Kühnen (1477)
konnte Ludwig XI. das Herzogtum
Burgund (Dijon) als erledigtes Lehen einziehen und sich der burgundischen
Städte in der Picardie (an der Somme) bemächtigen. Verzichten
mußte er allerdings auf seinen ursprünglichen Plan, auch die
niederländischen Provinzen und die Freigrafschaft (Franche-Come) Burgund
(Besancon) aus dem Nachlaß Karls des Kühnen
zu
gewinnen: 1479 unterlag Ludwigs Armee
bei Guinegate
Erzherzog MAXIMILIAN,
der die Erb-Tochter Karls des Kühnen,
Maria,
geheiratet hatte. Gegen Ende seines Lebens gelang Ludwig
XI. noch die wichtige Erwerbung der Provence, Anjou
und Maine für die königliche Domäne. Kurz vor seinem
Tode gab Ludwig XI. seinem Sohn und
Nachfolger Karl VIII. drei wichtige
Ratschläge:
1. mindestens fünf Jahre mit dem verwaltungsmäßig
festgefügten Herzogtum der Bretagne Frieden zu halten,
2. keine Wiedereroberung von Calais zu versuchen,
3. die Ratgeber seines Vaters nicht zu entlassen
und somit nicht einen Fehler zu wiederholen, den Ludwig
XI. zu Beginn seiner eigenen Regierung begangen hatte.
Die Briefe Ludwigs XI.
("Lettres de Louis XI") wurden in 11 Bänden 1883-1907 von J. Vaesen
und J. Charavay herausgegeben.
Pernoud Regine: Seite 11-29
**************
"Die Kapetinger" in: Die großen Dynastien
Ludwig XI. (1461-1483)
ist die interessanteste Gestalt unter den Königen aus dem Hause
VALOIS. Über ihn sind harte Urteile gefällt worden,
doch die Kritik ist berechtigt. Er war ein gewalttätiger, rachsüchtiger
und grausamer Mensch, seinen Unternehmungen fehlte jedes Maß.
Doch durch seine Beharrlichkeit erzielte er große Erfolge. Er gehört
zu den Herrschern, die Frankreich den größten Gebietszuwachs
verschafft haben. Zunächst maß Ludwig
XI. den religiösen Belangen große Bedeutung bei.
Er mißbilligte das Vorgehen des Vaters, des Urhebers der Pragmatischen
Sanktion von Bourges, mit der 1438 die französischen Bistümer
durch Wahl besetzt wurden, und erreichte durch ein Konkordat mit Sixtus
IV., dass er die Bischöfe selbst bestimmte. Er entließ alle
Ratgeber seines Vaters und ersetzte sie durch Leute von niederer Herkunft
wie seinen Barbier Olivier le Daim, seinen Arzt Coicxtier und La Balue,
den er zum Bischof und Kardinal machte, bevor er ihn später in einen
eisernen Käfig sperrte.
Er begann die Steuern zu erhöhen, um seine Schulden
bei Philipp dem Guten, Herzog von Burgund,
zu bezahlen, den er dazu gebracht hatte, ihm die Städte der Picardie
zu verkaufen. Diese Maßnahmen machte ihn so unbeliebt, dass die großen
Vasallen sich unter Führung seines eigenen Bruders, des Herzogs von
Berry, und mit der Unterstützung des burgundischen Thronerben, Karls
des Kühnen, gegen ihn verbündeten. Nach einer unentschiedenen
Schlacht bei Montlhery wurde Ludwig XI.
zum Einlenken gezwungen und erhielt mit den Verträgen von Conflans
und Saint-Maur die Auflage, Karl dem Kühnen
die von seinem Vater erworbenen Städte entschädigungslos zurückzugeben.
Um dies zu umgehen, berief er 1468 die Generalstände ein. Da sie ihre
Zustimmung zu den Verträgen verweigerten, begannen die Konflikte mit
dem Herzog von Burgund von neuem. Der König inszenierte in Lüttich
einen Aufstand gegen ihn, schlug aber gleichzeitig, um ihn in Sicherheit
zu wiegen, eine Konferenz in Peronne vor. Während dieser Konferenz
erfuhr Karl der Kühne von dem
Aufstand in Lüttich. Um Ludwig XI. für
seinen Verrat zu bestrafen, nahm er ihn gefangen und zwang ihn, ihm bei
der Niederschlagung des Aufstandes zu helfen. Aus dieser starken Position
heraus begann der Herzog von Burgund mit der Ausführung der umstrittenen
Verträge.
Ludwig XI. ging entschieden
geschwächt aus diesem Abenteuer hervor; wäre er zu diesem Zeitpunkt
gestorben, so hätte sich seine Regierung ebenso verheerend ausgewirkt
wie die Karls VII. Doch er war nicht
der Mann, sich entmutigen zu lassen. Die 1470 in Tours zusammengetretenen
Generalstände sprachen sich erneut gegen die Durchführung der
Verträge aus. Er machte sich den Streit um die englische Thronfolge
zunutze und erkaufte die Dienste Warwicks, des Königsmachers. Das
Manöver scheiterte jedoch, als Eduard IV.
wieder
auf den englischen Thron gelangte und sich anschickte, seinem Schwager
Karl
dem Kühnen in seinem geplanten Krieg gegen Frankreich beizustehen.
Das Glück wollte es, dass Ludwig
XI., als Karl der Kühne
durch die Belagerung der Stadt Neuß abgelenkt war, von dieser Situation
profitieren konnte, um Eduard IV. ein
finanzielles Arrangement vorzuschlagen. Dieser erklärte sich bereit,
gegen eine Entschädigung und eine Rente am 29. August 1475 den Vertrag
von Picquigny zu unterzeichnen, der das eigentliche Ende des Hundertjährigen
Krieges bedeutete. Nachdem somit der englische König ausgeschaltet
war, knüpfte Ludwig die Fäden
einer Koalition gegen den Herzog von Burgund, der dadurch in eine Zwangslage
geriet und erstmals seine Angriffe gegen Osten richtete. Er wurde bei Grandson
(2. März 1476) und Murten (2. Juni 1476) von den Schweizern geschlagen
und erlitt nach seinem Angriff auf Lothringen eine dritte Niederlage in
der Schlacht bei Nancy (5. Januar 1477), in der er den Tod fand.
Da Karl der Kühne
keinen Sohn hinterließ, fiel Burgund an Frankreich zurück; Ludwig
XI. triumphierte. Unglücklicherweise wollte er seinen Erfolg
noch weiter treiben und erhob Anspruch auf das Erbteil der Tochter des
Verstorbenen, Maria von Burgund. Die
Folge war ein fünfjähriger Krieg, der mit einem Vergleich endete,
demzufolge die Tochter Marias von Burgund
mit dem Dauphin Karl verlobt werden
sollte. Dies war ein langfristiges Vorhaben, das erst nach dem Tode des
Königs realisiert werden konnte. Ludwig XI.
blieb nicht mehr die Zeit, die Konsequenzen dieser Transaktion abzusehen.
Selbst wenn er sie vorausgeahnt hätte, so wären sie durch seine
Erfolge zu Ende seiner Regierung überlagert worden, denn der Annexion
Burgunds und der Option auf den Artois fügte er noch weitere umfangreiche
Gebietserwerbungen hinzu.
Der Herzog von Berry, ein Bruder des Königs, hatte
seine Apanage, die Champagne, gegen Guyenne tauschen müssen. Dieses
ausgedehnte Gebiet fiel an die Krone zurück, als der Fürst starb,
ohne einen Erben zu hinterlassen. Durch den Tod König
Renes, des letzten Erben des von Johann
dem Guten abstammenden Hauses ANJOU,
fiel außer Maine und Anjou auch die Provence an Frankreich. Damit
konnte der französische König endgültig am Mittelmeer Fuß
fassen. Diese enorme Erweiterung der Krondomäne war definitiv, denn
das Beispiel Burgunds hatte den Herrschern Frankreichs endlich vor Augen
geführt, welche Gefahr mit der Ausgabe von Apanagen verbunden war.
Im Innern war Ludwig XI.
auf die Stärkung der von Karl VII. geschaffenen
Institutionen bedacht. Durch seine Versammlungen der Generalstände
stand er in ständigem Kontakt mit dem Volk und verfügte damit
über eine Quelle persönlicher Macht, die es ihm ermöglichte,
die Steuern zu erhöhen und ein stehendes Heer mit einer starken Artillerie
zu unterhalten. Sein Ende verlief in düsterer Trostlosigkeit, denn
er hatte offenkundig große Angst vor dem Tode. Die letzten Jahre
seines Lebens vergrub er sich mit seinem Beichtvater Saint-Francois de
Paul in frommer Andacht in seinem Schloß in Plessis-lez-Tours.
24.6.1436
1. oo Margarete von Schottland, Tochter des Königs
Jakob I.
x 1422-16.8.1445
28.2.1457
2. oo Charlotte von Savoyen, Tochter des Herzogs
Ludwig I.
vor 11.3.1443-1.12.1483
Kinder:
2. Ehe
Joachim
27.7.-29.11.1459
Luise
5.1460- 1460
Anna
4.1461-14.11.1522
8.11.1473
oo Peter II. Herzog von Bourbon-Beaujeu
1.12.1438-10.10.1503
Cousin
Johanna die Heilige
23.4.1464-4.2.1505
8.9.1476
oo 1. Ludwig XII. König von Frankreich
-1498 27.6.1462-1.1.1515
Franz
4.12.1466-4.12.1466
Kendall Seite 234
Karl VIII. der Leutselige
30.6.1470-7.4.1498
Franz
3.9.1472- 8.1473
Illegitim
Johanna "de Valois"
-
1519
1466
oo Ludwig von Bourbon
- 1519
Guyotte
-
oo Karl Sire du Sillon
-
Isabella
-
oo Louis Seigneur von St.-Priest
-
Marie
-
1469
oo Aymar Graf von Poitiers-Valentinois
- um 1510
Literatur:
-----------
Calmette, Joseph: Die großen Herzöge
von Burgund. Eugen Diederichs Verlag München 1996 Seite 190,196,199,201,207,210,213-218,
220,223-226,229,247,273,278,281,284-288,290,309,311-321,323-327,330,333,336-340,343-349,351-
Ehlers
Joachim: Geschichte Frankreichs im Mittelalter. W. Kohlhammer GmbH 1987
Seite 147,333-335,344,354-359,361-384 - Ehlers Joachim/Müller
Heribert/ Schneidmüller Bernd: Die französischen Könige
des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888-1498. Verlag C. H. Beck München
1996 Seite 11,167,321,334,337-361,363,367,371,373,377,381 - Favier,
Jean: Frankreich im Zeitalter der Landesherrschaft 1000-1515. Deutsche
Verlagsanstalt Stuttgart 1989 Seite 298,407,409,419,428,433-446,448-454,456,460-463
- Hartmann P.C.: Französische Könige und Kaiser der Neuzeit.
Von Ludwig XII. bis Napoleon III. 1498-1870. Verlag C. H. Beck München
1994 Seite 10,24,27-29,38,54,156 - Hoensch, Jörg K.: Die Luxemburger.
Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung
1308-1437. Verlag W. Kohlhammer 2000 Seite 311,317 - Horst, Eberhard:
Die spanische Trilogie Isabella-Johanna-Teresa Claasen Verlag GmbH Düsseldorf,
1989 Seite 66,74,99,121 - Hundt, Barbara: Ludwig der Bayer. Der
Kaiser aus dem Hause Wittelsbach Bechtle Verlag Esslingen München
1989 Seite 17 - Jurewitz-Freischmidt Sylvia: Die Herrinnen der Loire-Schlösser.
Königinnen und Mätressen um den Lilienthron. Casimir Katz Verlag,
Gernsbach 1996 Seite 60-458 - Kendall Paul Murray: Ludwig XI. König
von Frankreich 1423-1483 Verlag Callway München 1979 - Kendall
Paul Murray: Richard III. König von England Mythos und Wirklichkeit,
Eugen Diederichs Verlag München 1995 Seite 47-428 - Le Goff
Jacques: Ludwig der Heilige, Klett-Cotta Stuttgart 2000 Seite 246,915 -
Leicht
Hans: Isabella von Kastilien. Königin am Vorabend der spanischen Weltmacht.
Verlag Friedrich Pustet Regensburg 1994 Seite 36,50,58,75,76, 102,106,107,219
-
Lexikon der Renaissance, VEB Bibliographisches Institut Leipzig
1989 Seite 428 - Perez Joseph: Ferdinand und Isabella: Spaniens
Katholische Könige. Eugen Diederichs Verlag München 1995 Seite
22,97,252 - Schelle, Klaus: Karl der Kühne. Burgund zwischen
Lilienbanner und Reichsadler. Magnus Verlag Essen Seite 9-237 - Schnith
Karl: Frauen des Mittelalters in Lebensbildern. Verlag Styria Graz Wien
Köln 1997 Seite 426,451 - Tamussino Ursula: Margarete von Österreich.
Diplomatin der Renaissance. Verlag Styria Graz Wien Köln 1995 Seite
16,21,25-30,37,39, 41,46,58,79,83 - Tamussino Ursula: Maria von
Ungarn. Ein Leben im Dienst der Casa de Austria. Verlag Styria Graz Wien
Köln 1998 Seite 179 - Treffer Gerd A.: Johanna von Valois begegnen.
Sankt Ulrich Verlag Augsburg 2000 - Treffer Gerd: Die französischen
Königinnen. Von Bertrada bis Marie Antoinette (8.-18. Jahrhundert)
Verlag Friedrich Pustet Regensburg 1996 Seite 211,222,243,268 - Treffer
Gerd: Franz I. von Frankreich. Herrscher und Mäzen. Verlag Friedrich
Pustet Regensburg 1993 Seite 14,16,21,107,128 - Vones Ludwig: Geschichte
der Iberischen Halbinsel im Mittelalter 711-1480. Reiche - Kronen - Regionen.
Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1993 Seite 218,222,227 - Vossen
Carl: Maria von Burgund. Des Hauses Habsburg Kronjuwel. Seewald Verlag
Stuttgart 1982 Seite 11-171 -
Holger Kruse
LUDWIG XI., König vo Frankreich
------------------
* 3. Juli 1423, + 30. August 1483
Bourges
Plessis-de-Parc bei Tours
Begraben: Notre-Dame de Clery (Clery-Saint-Andre an der Loire, 15 km westlich von Orleans)
Vater:
-------
Karl VII., König von Frankreich
Mutter:
---------
Maria von Anjou, Tochter des sizilischen Titular-Königs
Ludwig II. von Anjou und der Yolande von Aragon
13 Geschwister: darunter
-------------------
Karl von Frankreich, Herzog von Berry, Normandie, Champagne
und Guyenne (* 28.12.1446, + 12.5.1472)
Radegunde (* 1425, + 19.3.1444), Verlobte des Herzogs
Sigmund des Münzreichen von Österreich
Katharina (* 1428, + 13.9.1446), Gemahlin des Herzogs
Karl der Kühne von Burgund
Yolande (* 23.9.1434, + 29.8.1478), Gemahlin des Herzogs
Amadeus IX. von Savoyen
Johanna (* 1430, + 4.5.1482), Gemahlin des Herzogs Johann
II. von Bourbon
Magdalena (* 1.12.1443, + 1486), Gemahlin des Grafen
Gaston IV. von Foix, Principe de Viana
1. oo 25.6.1436 in Tours
MARGARETE VON SCHOTTLAND
* 1422, + 16.8.1445
Tochter des Königs Jakob I. von Schottland
Ehe blieb kinderlos.
2. oo 9.3.1451 in Chambery
CHARLOTTE VON SAVOYEN
* vor 11.3.1443, + 1.12.1483
Tochter Herzog Ludwigs von Savoyen
Kinder:
---------
Anne (* 4.1461, + 14.11.1522), Gemahlin von Pierre
de Beaujeu, ab 1488 Herzog von Bourbon
Johanna (* 23.4.1464, + 4.2.1505), Gemahlin von Ludwig,
Herzog von Orleans und 1498 als Ludwig XII. König von Frankreich
Karl VIII., König von Franreich (* 30.6.1470, +
7.4.1498)
I. Der Dauphin
Die Kindheit
---------------
Die Macht seines Vaters stand auf ihrem Tiefpunkt, als
Ludwig
am 3. Juli 1423 geboren wurde. Zwei Jahre später trennte man ihn angesichts
der englischen Erfolge, aber auch wegen der Intrigen der rivalisierenden
Faktionen am Hof Karls VII. aus Sicherheitsgründen
von seinen Eltern und brachte ihn auf die Burg von Loches, etwa 35 km südöstlich
von Tours. Über die folgenden Jahre berichteten die Quellen wenig
mehr, als dass Ludwig 1429 mit Jeanne
d'Arc zusammentraf und dass im selben Jahr seine schulische Erziehung begann.
Unter der Leitung des Reimser Kanonikers Magister Jean Majoris wurde
Ludwig nach einem von dem berühmten Theologen und Humanisten
Jean Gerson, Kanzler der Universität von Paris ausgearbeiteten Erziehungsprogramm
unterrichtet, das darauf zielte, die natürlichen Anlagen des Dauphins
zu unterstützen und ein gutes Lernklima zu schaffen, während
er als künftiger Herrscher gleichzeitig die Tugenden der Milde und
der Demut verinnerlichen sollte. Daneben stand die militärische Ausbildung,
die zwar sorgfältig, aber ohne den einem Königssohn geziemende
Glanz war. Als Junge lernte Ludwig die
Welt der Turniere, der Feste, der höfischen Pracht nicht kennen, als
Erwachsener sollte er sie verachten. Statt dessen lebte der Knabe weitab
vom Hof unter einfachen Leuten. Er lernte, mit diesen zu fühlen, war
oft einsam und wandte seine Zuneigung den Tieren zu. Seine Eltern sah er
in dieser Zeit nur selten. Das sollte sich erst 1433 ändern, als
Ludwig Loches verlassen konnte, um künftig mit seiner Mutter
und seinen Schwestern im Schloß von Amboise an der Loire zu leben,
wo er nun erstmals wie ein Thronfolger behandelt wurde.
Inzwischen hatte sich die französische Lage im Hundertjährigen
Krieg etwas gebessert. 1429 konnte Jeanne d'Arc Karl
VII. zur Krönung nach Reims führen. Den entscheidenden
Einschnitt bildete dann 1435 der Vertrag von Arras, der Seperatfrieden
zwischen Karl VII. und Herzog
Philipp dem Guten von Burgund, dem mächtigen Verbündeten
der Engländer. Eine Ludwig direkt
betreffende Folge dieses Vertrages war, dass durch die mit ihm verbundene
Stärkung des Ansehens Frankreichs der 12-jährige Thronfolger
plötzlich als eine interessante Heiratspartie galt: Am 25. Juni 1436
wurde Ludwig in Tours mit der 11-jährigen
Margarete
von Schottland vermählt. Bei dieser Hochzeit zeigte sich
nun deutlich, dass das Verhältnis zwischen Karl
VII. und seinem Sohn, der seinen Vater nur ferne kannte, nicht
gut war. Karl VII. ließ eine
für einen Dauphin skandalös schlichte Hochzeit ausrichten und
erschien erst im allerletzten Moment am Ort der Trauung. Auch wenn Ludwig
in
der folgenden Zeit erstmals seinen Vater auf Reisen begleiten durfte, sollte
sich das Verhältnis zwischen ihnen nie bessern. Ludwig
verachtete
seinen Vater, weil er ihn für schwach und ausschweifend hielt. Karl
VII. hatte kein Verständnis für seinen ernsten, oft
finsteren, aber tatkräftigen Sohn.
Am Hof und im Heer
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Nach der Hochzeit nahm Ludwig
seinen Platz als Dauphin am königlichen Hof ein und erhielt einen
eigenen, noch unselbständigen Hofstaat. Im Gefolge Karls
VII. lernte er nun die von marodierenden Banden verwüsteten
südlichen Provinzen kennen, hörten die Klagen des Volkes und
sah, dass die Männer um den König viel versprachen, aber wenig
taten.
Im Sommer 1437 nahm Ludwig an
seinem ersten Kriegszug teil, einem kleinen Unternehmen gegen die Engländer
an der oberen Seine. Gegen Ende des folgenden Jahres, das von Mißernte,
Hungersnot und Seuchen gekennzeichnet war, zog der König ins Languedoc,
das unter Banden marodierender Söldner litt, reiste aber im Frühling
1439 wieder ab, ohne dass sich die Lage wesentlich gebessert hätte.
Er ließ zwar seinen Sohn zurück und ernannte ihn zum Generalstatthalter,
doch erhielt dieser weder Geld noch Truppen. Völlig auf sich gestellt,
konnte Ludwig nun seine Fähigkeiten unter Beweis stellen. Am 25. Mai
zog er in Toulouse ein, versicherte sich der Hilfe des Grafen von Foix
und bedrängte Stände und Städte um Geld, mit dem er schließlich
die Söldner aus der Gegend herauskaufen konnte. Dann wandte er sich
den inneren Verhältnissen der Provinz zu: Während er Streitigkeiten
schlichtete, Beschwerden hörte und Unterschlagungen untersuchen ließ,
entdeckte er seine Berufung zum Herrschen.
Doch sein Glück sollte nicht von langer Dauer sein,
denn als der König von den Erfolgen seines Sohnes hörte, rief
er diesen an den Hof zurück. Ludwigs Forderung, den Dauphine als Apanage
zu erhalten, wurrde ebenso abgelehnt wie diejenige nach Geld für einen
vom königlichen finanziell unabhängigen Hofstaat. In dieser Situation
ließ sich der Dauphin 1440 in den Fürstenaufstand der sogenannten
Praguerie hineinziehen. Das Unternehmen schlug fehl, und
Ludwig mußte bald erfahren, dass er von den Fürsten
in ihre Verhandlungen mit dem König über Frieden und Unterwerfung
nicht einbezogen worden war. Er zog für sich zwei Lehren aus dem gescheiterten
Aufstand: Frankreich hatte von den großen Herren nichts zu erwarten,
da diese nur ihre eigenen Interessen verfolgten, und: Er selber hatte mit
ihnen und ihrer Welt nichts gemein.
In den nächsten Jahren folgte der Dauphin dem Hof,
demonstrierte Anpassung an die Wünsche seines Vaters und nahm als
nachgeordneter Befehlshaber an verschiedenen Kriegszügen teil. Die
Früchte dieses Wohlverhaltens sollte er 1443 ernten. Der König
ernannte ihn zu seinem Stellvertreter zwischen Seine und Somme und
beauftragte ihn mit der Entsetzung der von den Engländern belagerten
Stadt Dieppe. Nun zeigte Ludwig eine
Fähigkeit, die zeitlebens einen Teil seines Erfolges ausmachen sollte.
Er verstand es, die richtigen, die besten Leute um sich zu versammeln.
1443 gehörten hierzu besonders der Graf von Dunois, berühmt als
Waffengefährte der Jungfrau von Orleans, und Antoine de Chabannes,
Graf von Dammertin, ein mächtiger Söldnerführer. Mit ihrer
Hilfe trug Ludwig den Sieg davon. Anschließend
pilgerte er barfuß zur Jacobikirche von Dieppe, um dort der von ihm
so außerordentlich verehrten Heiligen Jungfrau von Clery zu danken.
Er folgte hier wie stets in seinem Leben seiner oft bis zur Bigotterie,
ja zum Aberglauben reichenden Frömmigkeit, einer seltsamen Mischung,
die er sich in seinen Kinderjahren unter einfachen Leuten mit einfachem
Glauben zu eigen gemacht hatte.
Nach einem weiteren erfolgreichen Zug, diesmal gegen
den Grafen von Armagnac, traf Ludwig Ende
1444 wieder am Hofe seines Vaters in Tours ein. Dort fand er Karl
VII. mit einem Problem konfrontiert, das geradezu charakteristisch
ist für Kriege mit Söldnerheeren: Mit England war ein zweijähriger
Waffenstillstand geschlossen worden. Die geworbenen Söldner waren
zwar überflüssig, aber nicht aus dem Land zu vertreiben, für
das sie jetzt ohne Sold eine Bedrohung darstellten. Eine günstige
Gelegenheit, sich ihrer zu entledigen, ergab sich, als Kaiser
FRIEDRICH III. Frankreich um Hilfe gegen die Eidgenossen bat.
Man entschloß sich, die mörderische Energie der Söldner
zu bündeln und außer Landes zu führen. Die Leitung des
Unternehmens wurde dem Dauphin anvertraut, der am 5. August mit 25.000
Mann von Langres aus ostwärts zog. Die Truppe schlug eine Schneise
der Verwüstung durch das Land. In der Nähe von Basel traf man
auf den Feind. Zwar wurde das weit unterlegene eidgenössische Heer
bei St. Jakob an der Birs aufgerieben, doch Ludwig
war vom Kampfesmut der Eidgenossen so beeindruckt, dass er schon wenige
Wochen später, am 28. September, einen Freundschafts- und Wirtschaftsvertrag
mit ihnen schloß. Gleichzeitig plünderten seine Truppen das
Elsaß, das Ludwig wegen gebrochener
habsburgischer
Versprechungen
in den kommenden Wochen großteils besetzte. Doch bald wurde er an
den Hof zurückgerufen, denn Karl VII.
sah die Aufgabe seines Sohnes mit der Herausführung der Söldner
aus seinem Reich als erledigt an. Weitere Erfolge waren nicht unbedingt
erwünscht, zumal der König wenig begeistert davon war, dass sich
das Hauptquartier des Dauphins in Ensisheim binnen kurzem zu einem wichtigen
Ort europäischer Politik entwickelt hatte, an dem eine fremde Gesandtschaft
der anderen folgte.
Obwohl Ludwig bereits
im November aus dem Elsaß abreiste, erschien er erst Ende Januar
1445 am Hof seines Vaters, der sich als Gast des "guten Königs" Rene
in Nancy aufhielt. Hier fand er Karl VII. umgeben
von höfischer Lustbarkeit; der Herrscher erlebte, Agnes Sorel
an seiner Seite, eine zweite Jugend. Auch Margarete
von Schottland, Ludwigs Frau,
genoß die Freuden des Hoflebens. Der Dauphin selbst blieb dem Milieu
fremd. Er liebte seine Mutter und verachtete die Mätresse seines Vaters.
Er fühlte sich am Hof, wo er keinen Einfluß erlangen konnte,
unwohl und unterbeschäftigt. Am 16. August starb seine Gemahlin; ein
Tod, der ihn nicht in Trauer stürzte. Für den ganzen Rest des
Jahres 1445 und während des gesamten folgenden Jahres vernimmt man
wenig vom Dauphin. 1446 versuchte er zweimal, konspirativ die Machtverhältnisse
am Hof zu seinen Gunsten zu ändern, doch fand er, beim Hofadel isoliert,
nicht die nötige Unterstützung. Ebenso wie er selbst empfand
auch die Hofgesellschaft, dass er ein Fremdkörper war. Mehr um Ludwig
vom
Hof zu entfernen als um ihm eine Möglichkeit zur Bewährung zu
geben, schickte ihn der König schließlich in den Dauphine. Er
erhielt praktisch keine Machtbefugnisse und sollte nach vier Monaten zu
seinem Vater zurückkehren. Doch Ludwigs
Aufbruch war ein Abschied für immer. Am 1. Januar 1447 reiste er ab.
Seinen Vater, der noch fast 15 Jahre regierte, sah er nie wieder.
Dauphine und Genappe
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Am 13. Januar betrat Ludwig
den
Dauphine. Er begann das herrschaftlich zersplitterte Gebiet, in dem weite
Teile der Lehnshoheit mächtiger Prälaten unterstanden, wie ein
Reich zu regieren. Zunächst hielt er Anfang Februar in Romans einen
Ständetag ab, dann bereiste er das Land, hörte Beschwerden, sprach
Recht und begann durchgreifende Reformen, die seine spätere Regierungsweise
vorwegnahmen. Im Mai brachte er sich durch Tausch in den Besitz der päpstlichen
Hälfte der Stadt Montelimar. Im Juli wurde die Provinz in zwei Baillages
und eine Senechaussee gegliedert. Es folgten die Errichtung eines Parlaments
und die Reorganisation des Rates. Das Rechtswesen wurde verbessert, ein
offizielles Urkundenregister erstellt. Ludwig
richtete den ersten Postdienst des mittelalterlichen Europa ein. Gekrönt
wurden diese Maßnahmen durch die Gründung der Universität
von Valence im Jahre 1452.
Der Dauphin stützte sich in diesen Jahren, wie auch
später, auf die Städte. Die Rechte des Adels und des Klerus schränkte
er hingegen zusehends ein. Im Jahre 1450 war seine Autorität etabliert.
Von den Fesseln des Hofes seines Vaters befreit, hatte Ludwig
seine
Fähigkeiten unter Beweis stellen können.
Doch nicht nur Ludwig war
in diesen Jahren erfolgreich, mehr noch war dies Karl
VII., dem es gelang, die Engländer aus der Normandie und
der Guyenne zu vertreiben, so dass ihnen schließlich auf französischem
Boden nur Calais blieb. Vater und Sohn gaben sich zu dieser Zeit einträchtig.
Doch dieser Zustand sollte nicht lange währen. Den Vorwand für
den endgültigen Bruch lieferte Ludwig selbst.
Zur Sicherung seiner Verbindung mit Herzog Ludwig von Savoyen bat er seit
1450 seinen Vater mehrfach vergeblich, in eine Ehe mit dessen Tochter Charlotte
einzuwilligen. Zunächst gab der König überhaupt keine Antwort,
dann lehnte er Ende Februar 1451 definitiv ab. Ludwig
aber hatte in der Zwischenzeit Tatsachen geschaffen, indem er Mitte Februar
einen Ehevertrag geschlossen hatte: Am 9. März fand die Hochzeit statt.
Der König reagierte nicht sofort, er war mit anderen
Dingen beschäftigt, aber ab Anfang 1452 wurden dem Dauphin nach und
nach alle Einkünfte gestrichen. Im Sommer zogen französische
Truppen gegen Savoyen, um den Herzog zu zwingen, seine enge Verbindung
zum Dauphin zu lösen. Gerüchte, der König wolle Ludwig
zugunsten
seines Bruders Karl von Frankreich
enterben,
liefen um. Im September und Oktober bot der Dauphin durch Gesandte Gehorsam
an. Der König aber forderte zusätzlich die Auslieferung einiger
"böser" Räte seines Sohnes. Dies lehnte
Ludwig
ab. Als sich am 27. Oktober der Herzog von Savoyen dem König unterwarf,
war zu befürchten, dass dieser sich nun gegen den Dauphine wenden
werde. Aber da lenkte ein Einfall der Engländer in die Guyenne die
Aufmerksamkeit des Königs nach Westen. Der Dauphin war zunächst
einmal gerettet. Doch als die Feinde Anfang 1454 wieder vertrieben waren,
wandte sich Karl VII. erneut gegen
seinen Sohn. Letzte Versöhnungsversuche scheiterten im Frühjahr
1456. Im August stand ein königliches Heer an der Grenze zum Dauphine.
Am 30. August floh Ludwig in die Länder
Philipps
des Guten von Burgund, des am Hofe des Königs am meisten
gehaßten Mannes. Der Dauphin hatte sich für diesen Schritt in
keiner Weise abgesichert; der Herzog ahnte nichts von seinem Kommen.
Ludwig trat nun vorübergehend
in eine für ihn fremde Welt ein. Der burgundische Hof, der reichste
Europas, nahm ihn auf. Trotz der Umstände seines Eintreffens wurde
er nicht als mittelloser Flüchtling, sondern als künftiger König
Frankreichs behandelt. Zunächst sah er sich am Hof und in den Ländern
des Herzogs um. Ludwig bemerkte bald,
dass es hier zwei Faktionen gab, die um die Macht rangen. An der Spitze
der einen stand der alternde Kanzler Nicolas Rolin, an der anderen Antoine
de Croy und sein Bruder Jean - zwei Aufsteiger, die den Herzog bald beherrschen
sollten. Die Croy waren frankreichfreundlich, schon deshalb, weil viele
ihrer Besitzungen im Grenzgebiet lagen. Die Herzogin und der Erb-Prinz,
die zum Kanzler hielten, tendierten eher zur englischen Seite. Ludwig
beobachtete
die Vorgänge genau und knüpfte Kontakte zu den Croy. Er wurde
auch Zeuge des Bruchs zwischen dem Herzog und seinem Sohn Karl,
dem Grafen von Charolois, im Januar 1457. Ludwig
versuchte vergeblich zu vermitteln. Karl
zog sich für einige Jahre nach Holland zurück. Der Generationskonflikt
hatte auch die burgundische Linie des Hauses
VALOIS nicht verschont.
Auf Anraten des Herzogs ließ Ludwig
im
späten Frühjahr des Jahres 1457 seine Gemahlin, die sich noch
in Grenoble aufhielt, in die burgundischen Länder holen. Bald danach
brach das Paar zum Jagdschloß Genappe in Brabant auf, das ihnen als
Wohnsitz zugewiesen worden war. Es lebte in den folgenden Jahren zumeist
hier und selten am herzoglichen Hof. Nachdem ein letzter Versuch Herzog
Philipps, König und Dauphin zu versöhnen, gescheitert
war, blieb diesem wenig anderes zu tun als auf den Tod seines Vaters zu
warten. Ludwig führte nun das
beschauliche Leben eines Landedelmannes: Er jagte, machte Wallfahrten,
sammelte seltene Tiere; überdies verbesserte er sein Italienisch,
bildete sich in Geschichte und Astrologie, ja er schrieb sich an der Universität
in Löwen ein.
Doch diese scheinbare Idylle trog; alsbald traten Verstimmungen
zwischen Ludwig und Herzog
Philipp auf. Am herzoglichen Hof war die Ansicht verbreitet,
dass Ludwigs Anwesenheit auf bugundischem
Gebiet die Spannungen innerhalb der Hofgesellschaft zumindest verschärft,
wenn nicht gar erst wirklich hervorgerufen habe. Auch war Philipp
indigniert, weil der Dauphin seine Residenz Genappe zu einem kleinen Zentrum
der europäischen Diplomatie ausgebaut hatte, wo er Gesandtschaften
empfing und ausschickte, ohne den Herzog über seine Aktivitäten
zu unterrichten. Die Diplomatie des Dauphins brachte diesem zwar keine
unmittelbaren Erfolge, aber er konnte sich die Sympathie zweier der fähigsten
Politiker seiner Zeit sichern, die des Francesco Sforza, Herzogs von Mailand,
und die von Richard Neville, Earl of Warwick, der mit dem Beinamen "the
kingmaker" in die Geschichte eingehen sollte.
Ebensowenig einverstanden wie mit diesen Aktivitäten
war der Herzog damit, dass Ludwig wiederholt
den Grafen von Charolais, mit dem der Herzog noch nicht versöhnt war,
zur Jagd empfing. Ludwig, der gleichzeitig
engen Kontakt zu den Gegnern des Grafen am Hof, den Croy, hielt, bemühte
sich ebenso jetzt wie auch später noch gelegentlich um bessere Beziehungen
zu diesem künftigen Herzog. Aber die kurzen Augenblicke, in denen
eine Verständigung gelang, in denen das Verhältnis fast freundschaftlich
war, wechselten stets mit langen Zeiten der Feindschaft, des Hasses. Zwischen
dem praktischen, nüchternen, aber gerissenen Ludwig
und dem hochmütigen, jähzornigen Karl
konnten
Verständnis und Vertrauen nicht reifen.
II. Der König
Reorganisation und erste Erfolge
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Für Ludwig muß
es eine Erlösung gewesen sein, als er am 25. Juli 1461 erfuhr, dass
Karl
VII. drei Tage zuvor verstorben war. Er verbot seinem Hof, Trauer
zu tragen, und ging demonstrativ auf die Jagd. Entgegen seinen Befürchtungen
verlief der Regierungsantritt ohne Probleme. Am 26. Juli reiste er nach
Avesnes im Hennegau, um dort auf den Herzog von Burgund zu warten, der
ihn mit großem Gefolge zur Krönung nach Reims begleiten wollte.
Sofort begab sich aus ganz Frankreich eine große Zahl an Personen
dorthin; die einen, um sich ihr Amt bestätigen zu lassen, die anderen,
um eins zu erhalten. Ludwig
wechselte
fast das ganze politische, militärische und administrative Personal
seines Vaters aus. Treue Anhänger wurden jetzt belohnt.
Am 4. August, dem Tag nach der Totenmesse für den
verstorbenen König, brach Ludwig,
dem sich inzwischen Herzog Philipp
mit Eskorte beigesellt hatte, nach Reims auf. Am 15. August, Mariae Himmelfahrt,
setzte ihm der Burgunder-Herzog in der Kathedrale die Krone Frankreichs
auf das Haupt. Seinem Naturell entsprechend entzog sich Ludwig
dem
Zeremoniell so schnell dies ging. Am 31. des Monats hielt er feierlichen
Einzug in Paris. Seine Eskorte bildeten immer noch burgundische Adlige,
die in Gold, Purpur und Damast bekleidet waren. Am 23. September aber verließ
der neue König plötzlich die Stadt, um sich nach der Loire zu
wenden. Hier, wo er aufgewachsen war, fühlte er sich wohl. Hier war
er zudem weit genug entfernt von der auch seinem Vater nicht geheuren Hauptstadt
und vor allem weit genug vom Herzog von Burgund, der jetzt schwer enttäuscht
darüber war, dass Ludwig XI. sich
seinem Einfluß entzog und dass es ihm nicht gelungen war, eigene
Leute in wichtige Positionen des Königreichs zu bringen.
Wie einst im Dauphine machte sich Ludwig
jetzt in seinem Reich an Reformen. Der Austausch des Personals seines Vaters
war dabei nur eine Maßnahme von vielen. Er zog Finanzexperten heran,
um die Einnahmen zu erhöhen. Darunter befanden sich Leute ohne Rang,
aber mit Talent. Ludwig adelte zahlreiche
Bürgerliche, auch um die Landwirtschaft zu stimulieren. Denn adlige
Güter durften Bürger nicht erwerben, doch waren gerade sie es,
die das nötige Wissen um bessere Erträge mitbrachten. Andererseits
wurde Adligen erlaubt, Gewerbe zu treiben, ohne deshalb ihre Privilegien
zu verlieren. Hier wurden also bewußt Standesgrenzen verwischt -
eine Tendenz, die der im Heiligen Römischen Reich diametral entgegenlief,
versuchte doch dort im ausgehenden 15. Jahrhundert der Adel, die Abgrenzung
zum Bürgertum zu zementieren.
Parlament und Rechenkammer hielt
Ludwig zu einer effizienten Arbeitsweise an. Überall wurde
die Zahl der Ämter reduziert. Er selbst demonstrierte Sparsamkeit,
indem er noch ein Jahr nur jenen kleinen Hofstaat mit sich führte,
der ihn schon in Genappe umgeben hatte. Im ganzen Reich wurden Baillis
und Seneschälle angewiesen, darauf zu achten, dass die Rechte des
Königs nicht geschmälert würden, alle zweifelhaften Privilegien
zu überprüfen und sich den Forderungen des Adels energisch entgegenzustellen.
Den Fürsten wurden ihre Pensionen gestrichen, keiner der Großen
erhielt eine wichtige Position im Heer oder im Rat des Königs, statt
dessen umgab Ludwig sich mit Fachleuten.
Auch außenpolitische Erfolge waren zu verzeichnen.
Durch geschicktes Lavieren in den Streitigkeiten zwischen Aragon und Kastilien
bekam er 1462/63 die zur aragonesischen Krone gehörenden Grafschaften
Roussilon und Cerdagne in seine Hand. Ende 1463 wurde eine Allianz
mit Mailand erneuert, die Ludwig schon
als Dauphin in Genappe geschlossen hatte. Ludwigverhandelte
dabei so geschickt, dass die hartgesottenen italienischen Diplomaten überaus
beeindruckt waren. Auch in die englischen Angelegenheiten mischte er sich
ein. Die inneren Unruhen dort, die Rosenkriege, waren die beste Gewähr
dafür, dass Frankreich nicht angegriffen würde.
Ludwig
XI. schickte deshalb eine kleine Truppe zur Unterstützung
der Partei der LANCASTER, um die herrschenden
Yorkisten zu beschäftigen. Andererseits hielt
Ludwig
auch weiter Kontakt zum Yorkisten Warwick. In England sollte man wissen,
dass es keine innere Ruhe ohne den Willen des französischen Königs
geben würde. Das Ergebnis dieses Vorgehens war ein einjähriger
Waffenstillstand, der im Oktober 1463 unter Vermittlung des burgundischen
Herzogs zustande kam. Schließlich konnte Ludwig
auch in seinen Beziehungen zu diesem Fürsten einen Erfolg verbuchen.
Es gelang ihm, die seit dem Frieden von Arras (1435) an Burgund verpfändeten
Sommestädte auszulösen. Er brachte nicht nur die dafür nötige
ungeheure Summe auf, sondern erlangte unter Vermittlung der Croy auch das
nötige Einverständnis des Herzogs.
Am Ende des Jahres 1463 konnte Ludwig
auf einen überaus erfolgreichen Beginn seiner Regierungszeit zurückblicken.
Doch er hatte sich mit seinen Maßnahmen Feinde gemacht, die sich
jetzt gegen ihn sammelten.
Die Guerre du Bien public
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Zentrum des Widerstandes war zunächst der bretonische
Hof, wohin sich nach dem Tode Karls VII. eine
Reihe ehemaliger königlicher Amtsträger geflüchtet hatte.
Zwischen Herzog Franz II. und Ludwig XI. gab
es Streit über die Besetzung geistlicher Ämter und die Gerichtsbarkeit
über geistliche Lehen. Eine Annäherung der Standpunkte war nicht
möglich, der Herzog der Bretagne sammelte schließlich im Juli
1464 offen Truppen. Er nahm Kontakt mit den Engländern auf und versprach
diesen Hilfe für den Fall, dass sie Normandie zurückerobern wollten,
Warwick informierte von diesem Angebot sofort den französischen König,
der es umgehend publik werden ließ. Der Bretone antwortete seinerseits
mit Propagandabriefen an die Fürsten. Und unter diesen hatten einige
ihre Gründe, sich gegen den König zu stellen. War der alte Burgunder-Herzog
nur enttäuscht, dass ihm seine freundliche Aufnahme des geflohenen
Dauphin so wenig vergolten worden war und dass Ludwig
zudem
die verpfändeten Sommestädte ausgelöst hatte, so war sein
Sohn, der Graf von Charolais, darüber außer sich. Er sollte
dann auch der informelle Führer des Widerstandes werden. Im Hause
ORLEANS waren der Herzog und Dunois, sein Bastard-Bruder, verstimmt,
weil
Ludwig
sich mit den SFORZA in Mailand
verbündet und dadurch ihre eigenen Ansprüche auf dieses Herzogtum
ignoriert hatte. Der Herzog von Bourbon trug dem König nach, dass
ihm die Verwaltung der Guyenne entzogen worden war. Die ANJOU
schließlich
waren enttäuscht, dass der Herrscher die Kinder des Königs
Rene nicht stärker unterstütze, weder Johann
bei dem Versuch, Neapel zu erobern, noch Margarete,
die Frau des abgesetzten Heinrichs VI. von England.
In diese Zeit fiel ein Skandal, dessen Wirkung Ludwig
wohl zunächst unterschätzte. Ein Neffe von Antoine und Jean de
Croy, der Bastard von Rubempre, versuchte angeblich, den Grafen von Charolais
zu ermorden. Diese Tat wurde dem König angelastet, der auf die Beschuldigungen
aber nicht reagierte. Dies schmälerte nicht nur sein Ansehen, sondern
gab dem Herzog von Burgund auch einen Anlaß, sich mit seinem Sohn
zu versöhnen. Als Ludwig endlich
eine Gesandtschaft zum Herzog schickte, war es zu spät, denn dieser
befand sich bereits auf dem Weg zu seinem Sohn.
Der König steckte in einer schwierigen Lage. Um
sich im bevorstehenden Kampf mit seinen nicht zu unterschätzenden
Gegnern den Rücken freizuhalten, hatte er im August und September
wochenlang vergeblich auf eine englische Gesandtschaft zur Aufnahme von
Friedensverhandlungen gewartet. Er war in der Bretagne ohne Erfolg geblieben,
und nun hatte sich der Herzog von Burgund demonstrativ von ihm abgewandt.
Dem unberechenbaren Grafen von Charolais würden zudem nach der Versöhnung
mit seinem Vater die unermeßlichen burgundischen Ressourcen zur Verfügung
stehen, die gegen Frankreich einzusetzen er nicht zögern würde.
Ludwig XI. spürte
die Gefahr und reagierte, indem er versuchte, den Adel, den er bisher oft
verprellt hatte, stärker an sich zu binden. Im Streit mit der Bretagne
berief er eine Versammlung großer Herren auf den 18. Dezember 1464
nach Tours. Hier gelang es ihm in einer glänzenden Rede, seine Sorgen
und Verdienste um Frankreich so geschickt darzulegen und die Rolle des
Adels als Stütze der Monarchie so hervorzuheben, dass die Versammlung
sich auf die Seite des Königs stellte. Indes konnte diese äußerliche
Annäherung nicht dauerhaft sein, dafür hatte der König zu
viele Veränderungen vorgenommen und dadurch zu viele Leute vor den
Kopf gestoßen.
Dennoch verbrachte Ludwig XI.
einen scheinbar unbeschwerten Winter an der Loire. Doch am 4. März
1465 war die vermeintliche Idylle plötzlich vorüber: Sein Bruder,
Karl
von Frankreich, war heimlich mit einer abreisenden Gesandtschaft
in die Bretagne geflohen. Ludwig XI.
verstand das Zeichen sofort: Die Fürsten hatten sich erhoben. Es ist
unklar, ob der König von den Vorgängen wirklich überrascht
wurde, oder ob er die Flucht seines Bruders billigend in Kauf nahm, um
sich endlich der latent drohenden Gefahr einer Fürstenrevolte zu stellen.
Jedenfalls wandelte er seinen Hof sofort in ein militärisches Hauptquartier
um und forderte die Städte, seine wichtigste Stütze, zu Wachsamkeit
und Treue auf. Bald erschien ein Manifest, das die Revolte öffentlich
machte. Der Herzog von Bourbon erklärte darin, er habe sich mit König
Rene, den Herzögen von Berry, Bretagne, Nemours und Kalabrien
(Johann von Anjou, Sohn König
Renes), den Grafen von Charolais, Armagnac, St-Pol, Dunois und
vielen anderen zusammengeschlossen, um das öffentliche Wohl, den Bien
public, wiederherzustellen und zu erhalten. In der Nacht vom 9. auf den
10. März gelang Antoine de Chabannes, Graf von Dammartin, dem fähigen
Kriegsführer, welchen Ludwig
wegen
Majestätsbeleidigung hatte einkerkern lassen, die Flucht aus der Bastille.
Er begab sich nach Moulins, in die Hauptstadt Bourbons.
Die Gefahr schien groß, aber die Koalition gegen
den König war nicht so geschlossen, wie sie erscheinen wollte. Ein
kleiner militärischer Schlag genügte, um Rene
zu unterwerfen. Aus dem Süden bekundeten Foix, Armagnac und Nemours
ihre Treue. Der König wußte, was er davon zu halten hatte. Die
eigentliche Gefahr aber drohte aus dem Norden. Dort hatte der Graf von
Charolais nach schwerer Krankheit seines Vaters die Regierung an sich gerissen.
Ludwig
entschloß
sich, nicht sofort gegen ihn vorzugehen, sondern zunächst einen weiteren
schwächeren Gegner aus der Koalition herauszubrechen: Am 17. April
zogen seine Truppen gegen den Herzog von Bourbon. Ludwigs
diszipliniert und schnell vorrückende Armee hatte zunächst großen
Erfolg. Doch dann stockte Ende Mai der Vorstoß, während gleichzeitig
von Norden Nachrichten kamen, dass der Graf von Charolais Truppen aufgestellt
habe und sich anschickte, nicht nur die Pikardie und die Sommestädte
zu besetzen, sondern auf Paris zu marschieren. Der Herzog von Bourbon hielt
den König inzwischen mit Verhandlungen hin.
Erst Anfang Juli brach Ludwig
XI. nach Norden auf. Die burgundische Armee stand bereits in
der Ile-de-France, dem Herzen des französischen Kronlandes. Gleichzeitig
rückten von Westen die Bretonen heran, von Osten Herzog
Johann, der Sohn des Königs Rene.
Am 5. Juli erschien die burgundische Armee mit 25.000 Mann und der besten
Artillerie Europas vor Paris. Der König hatte seiner Hauptstadt Hilfe
versprochen und führte seine Armee in Eilmärschen heran. Das
burgundische Heer überschritt die Seine, den bretonischen Verbündeten,
aber auch dem König entgegen. Dieser schien in der Falle zu sitzen,
denn nun rückten von Süden Bourbon, Nemours und Armagnac nach,
während von Südosten der Marschall von Burgund Truppen heranführte.
In Ludwigs Umgebung breiteten sich
Angst und Schrecken aus. In dieser Situation zögerten jedoch die Bretonen,
sich mit den burgundischen Truppen zu vereinen. Sie überließen
den Burgundern den Kampf gegen den König. Dieser aber war entschlossen,
nach Paris durchzubrechen, auch wenn sich ihm die Truppen des Grafen von
Charolais dabei in den Weg stellen sollten. Die Befehlshaber der Hauptstadt
forderte er auf, dem Grafen gegebenenfalls in den Rücken zu fallen.
Am 16. Juli standen sich die Heere bei Montlhery südlich von Paris
gegenüber. Zunächst schien der Sieg der disziplinierten Truppen
des Königs sicher, doch dann floh der kampfesunwillige und mit den
Fürsten in Kontakt stehende Graf von Maine, der den linken Flügel
des französischen Heeres kommandierte. Hilfe aus Paris blieb aus.
Es entstand ein wildes Gemetzel, die Schlacht blieb unentschieden. Der
König zog weiter nach Paris, während der Graf von Charolais auf
dem Schlachtfeld lagerte. Damit hatte er nach seinem eigenen Verständnis
und dem seiner Zeit das Feld behauptet und konnte sich als Sieger feiern
lassen. Aber der König hatte sein Ziel erreicht: Er gelangte nach
Paris.
War Ludwig zunächst
optimistisch gewesen, so sollten sich die Nachrichten bald verschlechtern.
Nach und nach vereinigten sich die Heere seiner Feinde, eine Belagerung
von Paris drohte. Viele rieten Ludwig
zum Nachgeben. Doch diesem gelang es in einem kühnen Unternehmen,
frische Truppen, Artillerie und Lebensmittel aus der Normandie heranzuführen.
Inzwischen arbeitete die Zeit für den König, denn im Heer der
Feinde brach Mangel aus. Herbst und Winter standen bevor. Am 3. September
1465 schlugen die Fürsten einen Waffenstillstand vor: Man begann Verhandlungen.
Der König bemerkte, dass den Fürsten ein gemeinsames Programm
fehlte und dass jeder vor allem seine eigenen Ansprüche durchsetzen
wollte. Als wenig später die Stadt Pontoise den Fürsten die Tore
öffnete und diese damit den Schlüssel zur Normandie in der Hand
hielten, entschloß er sich, das Lager seiner Feinde zu spalten, indem
er einigen die Erfüllung ihrer Forderungen anbot. Er wußte,
dass nur zwei seiner Gegner wirklich entscheidend waren, der Herzog von
Bretagne und der Graf von Charolais. Ersterer aber forderte die Normandie
als Apanage für Ludwigs Bruder
Karl
-
eine Forderung, die Ludwig XI. nicht
erfüllen konnte, wollte er nicht auf seine reichste Provinz verzichten.
Er traf sich deshalb mit dem Grafen von Charolais und
dessen Freund, dem Grafen von St-Pol. Diplomatisch umschmeichelte er den
eitlen Grafen und stellte ihm die Erfüllung seiner Wünsche in
Aussicht, St-Pol sollte zudem Konnetabel, oberster Feldherr der Krone Frankreichs,
werden. Charolais, der sich seiner Bedeutung im Lager der Fürsten
bewußt war, fand es durchaus angemessen, dass seine Wünsche
als die des stärksten Verbündeten zuerst erfüllt würden.
Das Mißtrauen im Lager der Gegner des Königs wuchs. Ludwig
sah sich schon am Ziel, als plötzlich die Nachricht eintraf, dass
Rouen seinen Gegnern die Tore geöffnet hatte. Damit war die Normandie
in deren Händen. Zugleich hatten sie damit eine Möglichkeit zum
Überwintern ihres Heeres gewonnen. Die Lage war für den König
verzweifelt. Er handelte umgehend, indem er sich bereit erklärte,
zugunsten seines Bruders auf die Normandie zu verzichten. Dem Grafen von
Charolais bot er allen französischen Besitz nördlich der Somme
an, ja zusätzlich eine Ehe mit der erst 4-jährigen Königs-Tochter
Anne, wodurch er zum potentiellem Thronfolger werden würde.
Der Graf, der sich seit Montlhery als den eigentlichen Träger des
Kampfes gegen den König ansah und der fand, dass die Forderungen einiger
seiner Verbündeten in keinem rechten Verhältnis zu ihrem bisherigen
Anteil am Kampf standen, willigte ein. Am 5. Oktober wurde der Vertrag
von Conflans geschlossen, in dem der König seine Versprechen an seinen
Bruder sowie die Grafen von Charolais und St-Pol bekräftigte. Die
anderen Verbündeten, mit denen Ludwig XI.
nun
einzeln verhandeln konnte, mußten sich mit Vergebung, hohen Pensionen,
ein wenig Einfluß in der Armee und einigen anderen Privilegien bescheiden.
Mit dem Vertrag von St-Maur-des-Fosses wurde die Guerre du Bien public
am 29. Oktober endgültig angeschlossen. Der König hatte große
Zugeständnisse machen müssen, aber er hatte sich gegen die Fürsten
behauptet, ihre Allianz zerbrochen und Zwietracht unter ihnen gesät.
Den Herzog von Bourbon hatte er sogar als treuen Diener gewonnen.
Von Conflans nach Peronne
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War die unmittelbare Gefahr damit auch vorerst vorüber,
so kam Ludwig XI. noch nicht zur Ruhe,
denn ihn schmerzte der Verlust der Normandie. Er gedachte nicht lange auf
diese Provinz zu verzichten: Als Spannungen zwischen dem neuen Herzog der
Normandie und Franz II. von Bretagne auftraten, gelang es dem König,
der gleichzeitig Intrigen am Hofe seines Bruders kräftig schürte,
einen Hilferuf des letzteren zu provozieren. Binnen weniger Wochen besetzte
er dann die Normandie, die am 16. Januar 1466 wieder vollständig in
seiner Hand war. Der Herzog der Bretagne und der Bruder des Königs
mußten erkennen, dass sie sich hatten ausmanövrieren lassen.
Sie versöhnten sich, und der völlig verängstigte Karl
von Frankreich suchte in der Bretagne Zuflucht. Ludwig
hatte nicht nur seine ertragreichste Provinz zurückgewonnen, sondern
auch wichtiges Personal. Er nahm während des Feldzuges einige ehemalige
Diener seines Vaters wieder in Gnaden auf und gab ihnen wichtige Positionen,
unter ihnen auch Antoine de Chabannes, den er einst in der Bastille hatte
einkerkern lassen und der der beste Soldat seiner Gegner in der Guerre
du Bien public gewesen war.
Nach einem ruhigen einjährigen Aufenthalt an der
Loire stand der Sommer des Jahres 1467 für Ludwig
XI. außenpolitisch ganz im Zeichen des Versuchs einer
endgültigen Aussöhnung mit England. Zwar war er darüber
informiert, dass Eduard IV. und der
Graf von Charolais im Oktober 1466 einen Vertrag geschlossen hatten, doch
setzte er nach wie vor große Hoffnung auf seinen Freund Warwick,
dem er in Rouen einen fürstlichen Empfang bereiten ließ. Ludwig
wußte, dass Warwicks Stern in England am Sinken war und regte deshalb
erstmals dessen Frontwechsel zum Haus LANCASTER
an. Doch dieser glaubte sich seiner Macht in England weiter sicher. Am
16. Juni reiste dann eine englische Gesandtschaft zu Eduard
IV., um einen von Ludwig und
Warwick ausgehandelten Vertrag ratifizieren zu lassen, der unter anderem
einen gemeinsamen Angriff auf Burgund vorsah. Doch dazu kam es nicht, denn
am 15. Juni war Philipp, den die Nachwelt
den
Guten nennen sollte, gestorben. Der Graf von Charolais wurde jetzt
Herzog von Burgund. Ihn würde man einst als Karl
den Kühnen bezeichnen.
Ludwig mußte
erleben, dass dieser die Allianz mit England erneuerte und dass eine Ehe
zwischen dem Burgunder-Herzog und Margarete,
der Schwester des englischen Königs, beschlossen wurde. Den von Ludwig
und Warwick ausgehandelten Vertrag unterschrieb Eduard
IV. dagegen nicht. Als dann im Mai 1468 ein Waffenstillstand
mit Frankreich auslief, erklärte der englische Kanzler, man sei mit
Burgund und der Bretagne verbündet und werde Ludwig
XI. von seinem Thron vertreiben. Doch diesem gelang es,
England mit geringem Einsatz an anderen Orten zu fesseln. Warwick und seine
Anhänger im Rat verwickelten Eduard IV.
in einen kostspieligen Seekrieg mit der Hanse, während Ludwig
XI. dem Halbbruder des angesetzten Heinrich
VI., Jasper Tudor, ein Seeunternehmen gegen England finanzierte.
Mit Burgund, das auf England jetzt nicht rechnen konnte, verlängerte
er einen Waffenstillstand, in den Herzog Karl
ausdrücklich
Franz II. von Bretagne einschloß. Als dieser aber seine Einbeziehung
dem König nicht ordnungsgemäß anzeigte, rückte der
König kurzerhand in das Land ein, während Burgund sich mit Verhandlungen
hinhalten ließ. Am 10. September unterzeichneten Franz II. und der
Bruder des Königs den Vertrag von Ancenis, in dem der Herzog dem König
Gehorsam schwor und seine Verträge mit England und Burgund widerrief,
während Karl von Frankreich auf
alle Ansprüche auf die Normandie verzichtete. Der Burgunder-Herzog
tobte.
Aus nicht ganz verständlichen Gründen versteifte
sich Ludwig XI. jetzt auf ein persönliches
Treffen mit Herzog Karl, den er wohl
wie einst vor Paris durch seine persönliche Art zu gewinnen hoffte.
Er zog mit seiner Armee nach Norden. Als er die Grenze zur Pikardie erreichte,
vernahm er, dass das Lager der Armee des Herzogs, die bei Peronne gelegen
hatte, von einem Hochwasser der Somme derart verwüstet worden war,
dass die Einheiten jetzt über das ganze Land verstreut überwinterten.
Die militärischen Ratgeber des Königs wollten diese günstige
Lage nutzen und sofort angreifen. Aber Ludwig
XI., der seit dem Gemetzel von Montlhery eine große Abneigung
gegen offene Feldschlachten hatte und Diplomatie bevorzugte, willigte nicht
ein. Er beging la grande folie de Peronne (Philippe de Commynes). Nachdem
seit dem 21. September geführte Verhandlungen von Gesandten keine
Resultate erbracht hatten, ritt der König mit kleiner Begleitung nach
Peronne und begab sich so im Oktober 1468 in die Hand seines mächtigsten
Feindes, geschützt nur durch dessen Geleitversprechen. Welcher Wind
im burgundischen Lager wehte, sollte er bald bemerken, als demonstrativ
eine Gruppe geschworener Feinde des Königs an dessen Unterkunft vorbeiritt.
Alle trugen das burgundische Andreaskreuz. Sie waren Führer von Truppen,
die aus dem Herzogtum und der Freigrafschaft Burgund gegen die Stadt Lüttich
aufgeboten worden waren. Diese Stadt versuchte seit längerem, sich
gegen ihren vertriebenen Bischof und den Herzog, der diesen unterstützte,
zu behaupten. Sie erhielt dabei heimlich Hilfe vom französischen König.
Obwohl Ludwig XI. bereit
war, auf Karls des Kühen Forderungen
- vor allem Garantie des Besitzes der Pikardie und eine fast souveräne
Jurisdiktion über seine französischen Lehen - einzugehen, wenn
der Herzog dafür sein Bündnis mit Eduard
IV. aufgebe und dem König verspreche, ihm gegen jedermann
zu helfen, kamen die Verhandlungen nicht voran. Als dann bekannt wurde,
dass Lütticher Truppen den Bischof der Stadt und den burgundischen
Gouverneur, Guy de Brimeu, ausgerechnet am Tag von Ludwigs
Eintreffen
in Peronne in der Stadt Tongern gefangengenommen hatten, und dass unter
den Lüttichern zwei französische Gesandte erkannt worden waren,
mußte Ludwig XI. sich eingestehen,
dass er in großer Gefahr schwebte. Dem König gab man eine zusätzliche
Wache burgundischer Bogenschützen bei: Er saß in der Falle.
Notgedrungen erklärte er sich bereit, Herzog
Karl bei seiner Strafexpedition gegen Lüttich zu begleiten.
In dieser prekären Lage erhielt Ludwig XI.
weisen Rat von Philippe de Commynes, den er darob zu schätzen lernte
und der später einer seiner wichtigsten Räte werden sollte.
Um den Herzog zu beruhigen, schloß der König
mit ihm am 14. Oktober 1468 einen Friedensvertrag, den Vertrag von Peronne.
Am 30. Oktober wurde die Stadt Lüttich, die soviel Hoffnung auf den
König gesetzt hatte, in dessen Anwesenheit gestürmt und bis auf
die Kirchen dem Erdboden gleichgemacht. Am 2. November verließen
König und Herzog die verwüstete Stadt, am nächsten Tag trennten
sich ihre Wege. Sie sollten sich nie wiedersehen.
Von Lüttich nach Beauvais
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Im September des folgenden Jahres erreichte der König
endlich eine Aussöhnung mit seinem Bruder, der in seiner ständigen
Unzufriedenheit seit Jahren eine Gefahr dargestellt hatte. Im Frieden mit
Burgund war diesem die Champagne zugesprochen worden. Nun gab ihm Ludwig
XI. statt dessen die Guyenne, eine ungleich bedeutendere Provinz.
In England geriet etwa zur gleichen Zeit König
Eduard IV. in die Hände Warwicks, der seine Tochter Isabel
mit George, Duke of Clarence und Bruder
des Königs, verheiratet hatte und diesen nun offenbar auf den Thron
bringen wollte. Doch der König konnte entkommen, und im März
1470 mußten Warwick und Clarence ihrerseits
fliehen. Im Mai lag ihre Flotte vor der Seinemündung. Warwick wollte
sich mit seinem langjährigen Verbündeten, dem französischen
König, treffen und war jetzt bereit, auf dessen Vorschlag einzugehen,
die Seiten zu wechseln und das Haus LANCASTER
zurück auf den Thron zu bringen. Ludwig XI.
zögerte, denn Warwicks Erscheinen brachte ihn in eine schwierige Lage.
Der Burgunder-Herzog forderte dessen sofortige Gefangennahme und konnte
ein Treffen als Bruch des Vertrages von Peronne auslegen. Schließlich
nahm der König dies aber billigend in Kauf und lud Warwick im Juni
nach Amboise. Nur mühsam gelang dann im Juli dessen Aussöhnung
mit Margarete von Anjou, der Gemahlin
des abgesetzten Heinrich VI., der im
Londoner Tower schmachtete und dieses Schicksal vor allem Warwick selbst
zu verdanken hatte.
Der Herzog von Burgund erklärte derweil den Vertrag
von Peronne für gebrochen, da der König sich mit seinem ärgsten
Feind verbündet habe, und ließ die nordfranzösische Küste
unter Blockade stellen, um Warwick an der Rückkehr nach England zu
hindern. Doch als diese Blockade Anfang September durch einen gewaltigen
Sturm gebrochen wurde, konnte Warwick, von Ludwig
XI. mit Geld, Lebensmitteln und Schiffen unterstützt, über
den Kanal setzen, und bereits einen Monat später war England in seiner
Hand. Eduard IV. mußte zum Burgunder-Herzog
fliehen. Warwick machte Heinrich VI.,
den er einst selbst abgesetzt hatte, wieder zum König.
Ludwig XI. schickte
sofort Gesandte, um eine Militärallianz gegen Burgund zu schließen.
Auch öffentlich suchte er jetzt den Bruch mit Karl.
Dem Herzog wurde vorgeworfen, den König gezwungen zu haben, den Vertrag
von Peronne zu unterzeichnen, diesen dann aber selbst durch die Blockade
der Küste gebrochen zu haben. Auf eine Notabelnversammlung in Tours
gestützt, sagte sich Ludwig XI. von
allen Verpflichtungen gegen Karl den Kühnen
los
und ließ am 3. Dezember dessen Güter und Titel für eingezogen
erklären. Der Graf von St-Pol, einst ein enger Freund des Herzogs,
jetzt aber Konnetabel von Frankreich, und der Bruder des Königs sagten
diesem jede Unterstützung zu. Anfang Januar 1471 begab sich der König
zu seinen Truppen, die schon an der Grenze zum burgundischen Machtbereich
standen. Der Graf von St-Pol erreichte, dass St-Quentin, eine der Sommestädte,
die Tore öffnete. Wenig später stellte sich auch Amiens, die
Hauptstadt der Pikardie, auf die Seite des Königs. Doch nun beging
dieser einen Fehler, denn anstatt mit seinen überlegenen Truppen anzugreifen,
wartete er auf Warwicks Unterstützung. In dieser Situation machte
Herzog
Karl ihn auf ein Komplott in seiner Umgebung aufmerksam: St-Pol
und der Herzog von Guyenne, der Bruder des Königs, hatten einen Seitenwechsel
angeboten, wenn letzterer dafür die Hand der burgundischen
Erb-Tochter Marie erhielte. Der König akzeptierte daraufhin
Anfang April einen dreimonatigen Waffenstillstand.
Nur wenige Tage später sollte die Lage in England
eine für Ludwig XI. ungünstige
Entwicklung nehmen. Der im März nach England zurückgekehrte Eduard
IV. siegte bei Barnet über die Anhänger des Hauses
LANCASTER. Warwick verlor das Leben. Wenige Wochen später
wurden die Reste der LANCASTER-Partei
bei Tewkesbury vernichtet. Heinrich VI.,
inzwischen wieder im Tower, wurde in der Nacht vom 21. auf den 22. Mai
1471 ermordet. Nun saß auf dem englischen Thron wieder der Verbündete
des Burgunders. Ludwig XI. schloß
mit Herzog Karl einen Waffenstillstand
bis zum 30. April 1472. Hatte der König noch eben gehofft, sich seines
ärgsten Feindes endlich entledigen zu können, so war er durch
sein eigenes Zögern und die Vorgänge in England gescheitert.
Ludwig zog wieder
an die Loire. Sein Bruder, unfähig aus seinem ständigen Scheitern
zu lernen, machte sich weiter Hoffnung auf die Hand der burgundischen Erbin.
Er begann erneut zu konspirieren. Doch er kränkelte schon seit längerem,
und als sich sein Zustand im März 1472 ernsthaft verschlimmerte, setzte
der König auf Zeit, indem er vor allem erfolgreich versuchte, den
Waffenstillstand mit Burgund zu verlängern. Als sein Bruder am 24.
Mai starb, stand er sofort bereit, die Guyenne in Besitz zu nehmen.
Die Herzöge von Burgund und Bretagne bezichtigten
den König umgehend, er habe seinen Bruder vergiften lassen, und setzen
ihre Armeen in Bewegung. Karl der Kühne
griff am 4. Juni unter Bruch des Waffenstillstandes an. Der König
wandte sich zunächst gegen den schwächeren Gegner, die Bretagne.
Er hatte sogleich Erfolg, am 7. Juni kapitulierte Ancenis nach nur eintägiger
Belagerung. Doch nun wollte Ludwig XI.,
der das Blutvergießen in der Schlacht verabscheute, wieder einmal
verhandeln. Franz II. aber ging nicht darauf ein, denn der Burgunder-Herzog
eilte heran und hinterließ eine Spur der Verwüstung. Am 27.
Juni stand er völlig unerwartet vor Beauvais, und diese Stadt wurde
allein von den Einwohnern, die erst nach und nach Hilfe von außen
bekamen, unter Mitwirkung von Frauen und Kindern so tapfer verteidigt,
dass er am 22. Juli unverrichteter Dinge abziehen mußte. Der Herzog
führte sein Heer jetzt in Richtung Normandie und verwüstete das
Land. Doch mit seinen schlecht versorgten Truppen konnte er weder die Stadt
Rouen angreifen noch einen Seineübergang gewinnen, um dem Herzog der
Bretagne zuzuziehen. Zähneknirschend mußte er am 3. November
1472 einen neuen Waffenstillstand akzeptieren.
Das Ende der burgundischen Bedrohung
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Von nun an stellte der Burgunder-Herzog nie mehr eine
wirkliche Bedrohung für Ludwig XI.
dar, denn Karl der Kühne, dessen
Herrschaft sowohl Gebiete des Heiligen Römischen Reiches als auch
Frankreichs unterstanden, sollte sich im Osten festrennen und Herrschaft
und Leben verlieren.
1473 erlangte er die Kontrolle über Lothringen,
das die Verbindung zwischen seinen nördlichen und südlichen Territorien
herstellte. Rene von Vaudemont, der
neue Herzog, wurde von seinem burgundisch gesinnten Adel gezwungen, einen
entsprechenden Vertrag mit dem Burgunder zu schließen. Im Herbst
verhandelte Karl dann in Trier erfolglos
mit dem Kaiser über seine Erhebung zum König. Offenbar entschlossen,
sich ein Königreich zu schaffen und das alte Lotharingien, das karolingische
Mittelreich, wiederherzustellen, mischte er sich in den Streit der Stadt
Köln mit ihrem Bischof ein. Am 30. Juni 1474 begann er die Belagerung
von Neuss, einem Kölner Vorposten.
Kurz zuvor hatte der Burgunder in einer anderen Region
einen schweren Rückschlag hinnehmen müssen. Seit dem Vertrag
von St-Omer vom 9. Mai 1469 waren ihm habsburgische
Gebiete im Elsaß verpfändet gewesen. Als Landvogt war Peter
von Hagenbach eingesetzt worden, der es verstanden hatte, sich im Land
binnen kurzer Zeit verhaßt zu machen. 1473 schlossen sich gegen seine
ständigen Übergriffe einige elsässische Städte und
Basel zur "Niederen Vereinigung" zusammen. Wenig später trat diese
mit der "Oberen Vereinigung", den Eidgenossen, in Verhandlungen. Zu letzteren
hatte Ludwig XI. seine Kontakte seit
der Schlacht von St. Jakob an der Birs (1444) nie abreißen lassen.
Jetzt suchten sie die Hilfe des französischen Königs gegen den
Herzog von Burgund. Ludwig XI. aber
hielt sich im Hintergrund. Er vermittelte jedoch eine Verständigung
der Eidgenossen mit ihrem alten Feind Sigmund
von Tirol. Dieser selbst hatte die oberrheinischen Gebiete in
der Hoffnung auf tatkräftige Unterstützung gegen die Eidgenossen,
die aber ausgeblieben war, an Karl den Kühnen
verpfändet. Enttäuscht suchte er einen Weg, die Pfandschaft auslösen
zu können. Gleichzeitig waren die Eidgenossen bereit, sich dem HABSBURGER
anzunähern, weil dieser ihnen als Nachbar wesentlich lieber war als
der aggressive Burgunder-Herzog. Am 30. März 1474 schlossen die Obere
und die Niedere Vereinigung im Beisein französischer Gesandter eine
10-jährige Allianz mit Herzog Sigmund.
Dieser erhielt dabei das Geld, um seine verpfändeten Gebiete auszulösen.
Als der Herzog von Burgund diese Auslösung nicht akzeptieren wollte,
besetzten die Verbündeten binnen weniger Wochen die Pfandlande. Der
Landvogt Peter von Hagenbach wurde am 9. Mai 1474, auf den Tag fünf
Jahre nach dem Vertrag von St-Omer, in Breisach hingerichtet.
Geschickt hatte Ludwig XI.
die Feinde seines Feindes vereint. Er selbst hielt sich zurück und
verlängerte den auslaufenden Waffenstillstand mit Burgund bis zum
1. Mai 1475. Herzog Karl war dies sehr
recht, lagen seine Interessen doch augenblicklich auf der anderen Seite
des Rheins. Zudem verbündete er sich am 25. Juli 1474 mit Eduard
IV., der sich verpflichtete, im folgenden Jahr Frankreich anzugreifen.
Bis dahin war Ruhe an dieser Front somit erwünscht. Ludwig
erfuhr
dies jedoch bald und schloß am 26. Oktober 1474 mit den Eidgenossen
einen Vertrag, in dem er ihnen die Zahlung großer Summen für
den Fall versprach, dass sie Burgund angriffen. Die Eidgenossen, die den
Krieg ohnehin für unvermeidlich hielten, da der Herzog irgendwann
für die Besetzung der Pfandlande und die Hinrichtung Hagenbachs Rache
nehmen würde, fielen sofort in die Freigrafschaft Burgund ein und
schlugen am 13. November ein burgundisches Heer bei Hericourt. Etwa zur
selben Zeit schwor der Herzog von Lothringen, empört über die
burgundische Okkupation seines Landes, Ludwig
XI. die Treue.
Am 25. April 1475 - der Herzog von Burgund lag trotz
der Mahnungen seiner englischen Verbündeten, das fruchtlose Unternehmen
abzubrechen, noch immer vor Neuss - zog der König mit dem größten
Heer, das er je aufgestellt hatte, von Paris nach Norden, wo er nach Ablauf
des Waffenstillstandes mit Burgund am 1. Mai den Angriff der Engländer
erwartete. Trotz der Probleme, die Karl der Kühne
vor Neuss hatte, unterschätzte der König die Gefahr für
sich selbst nicht, denn er kannte die riesigen Ressourcen des Burgunders.
Auch wußte er, dass Eduard IV. ein
erfahrener Feldherr war.
Für den Fall einer französischen Niederlage
mußte Ludwig XI. damit rechnen,
dass sich viele Fürsten wieder auf die Seite Karls
schlagen
würden. Er entschloß sich deshalb zu handeln. Nach Ablauf des
Waffenstillstandes drang er sofort in die Pikardie ein und verwüstete
das Land. Die Engländer ließen derweil weiter auf sich warten,
während Rene II. von Lothringen an der Spitze französischer Truppen
in Luxemburg einmarschierte und andere Heere das noch burgundisch beherrschte
Lothringen und das Herzogtum Burgund angriffen. Karl
der Kühne sah sich derweil vor Neuss einem Reichsheer gegenüber.
Erst jetzt, nachdem er in einem kleinen Geplänkel dem Kaiser hatte
widerstehen können, befand er in seiner Verblendung, dass ein Rückzug
ohne Gesichtsverlust möglich sei. Niemand konnte behaupten, er sei
geschlagen worden. Nach Ablauf eines Waffenstillstandes Mitte Juni zogen
der Kaiser und der Herzog vom Niederrhein ab. Karl
der Kühne schickte
seine Truppen zum Plündern nach Lothringen und begab sich selbst ohne
Heer nach Calais, wo inzwischen die Truppen seines englischen Verbündeten
eintrafen. Mitte Juli traf er sich dort mit Eduard
IV., seinem Schwager. Dieser war tief enttäuscht, als er
nun erfuhr, dass die burgundische Unterstützung viel geringer sein
würde, als er es sich erhofft hatte.
Zwar überschritt am 5. August die gewaltige englische
Armee bei Peronne die Somme, die Grenze zwischen Gebieten Karls
des Kühnen und denen des Königs von Frankreich, aber
bereits am 12. August ließ Eduard IV.
dem französischen König signalisieren, dass er einer Übereinkunft
nicht ganz abgeneigt sei. Ludwig XI. ergriff
das Angebot sofort, und am 29. August beeideten die beiden Könige
den sechs Tage zuvor endgültig ausgehandelten Vertrag auf einer Sommebrücke
bei Picquigny. Ludwig XI. verpflichtete
sich zu gewaltigen Zahlungen, zum Teil sofort, zum Teil in Form von "Pensionen"
(die Engländer sprachen von "Tributen"). Der fünfjährige
Dauphin wurde mit Eduards Tochter Elisabeth
verlobt. Der Waffenstillstand sollte zunächst sieben Jahre gelten.
Karl der Kühne lehnte
die ihm angebotene Einbeziehung in den Waffenstillstand zunächst ab,
doch König Ludwig drängt
trotz der für ihn günstigen militärischen Lage weiter auf
ein Übereinkommen, und am 13. September 1475 wurde der Vertrag von
Soleuvre unterzeichnet, der einen Waffenstillstand von neun Jahren vorsah
und dem Herzog freie Hand im Osten gab. Dort rannte dieser jetzt in sein
Verderben. Rachedurstig wandte er sich gegen die Eidgenossen, denen er
am 2. März 1476 bei Grandson, am 22. Juni bei Murten unterlag. Am
5. Januar 1477 fand der Herzog in der Schlacht von Nancy den Tod. Ludwig
XI. war seines größten Gegners ledig und beherrschte
sein Reich jetzt unangefochten.
Der Kampf um das burgundische Erbe
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Für den König waren nun die langen Jahre des
Abwartens und Verhandelns vorbei. Es galt, sich einen Teil des burgundischen
Erbes zu sichern, zumal viele Provinzen der französischen Krone unterstanden.
Sofort entsandte Ludwig XI. Boten,
um eine frankreichfreundliche Stimmung zu erzeugen. Und tatsächlich
öffneten jetzt viele Städte dem König die Tore, Provinzen
unterwarfen sich und Anhänger des Herzogs traten auf die Seite des
Königs. Wo Widerstand auftrat, wurde er gewaltsam gebrochen. Maria
von Burgund, die bedrängte Erbin Herzog
Karls, vollzog nun die Eheschließung mit dem Kaiser-Sohn
MAXIMILIAN, die schon ihr Vater angebahnt hatte. Nach großen
Landgewinnen zog sich der König über den Winter an die Loire
zurück. Hier faßte er den Entschluß, den Bogen nicht zu
überspannen. Er fühlte, dass er alterte. Sein Thronfolger aber
war noch ein Kind und zudem kränklich. Er konnte und wollte sein Lebenswerk
und das Erbe seines Sohnes nicht durch ein letztlich unkalkulierbares Abenteuer
gefährden. Dennoch zogen sich die Auseinandersetzungen um das burgundische
Erbe mit wechselnden, aber nie durchschlagenden Erfolgen, unterbrochen
von Waffenstillständen und Verhandlungen, bis zum Frieden von Arras
am 23. Dezember 1482 hin. Ludwig fielen
nun außer der Pikardie vor allem das Herzogtum Burgund und die Grafschaften
Boulougne und Ponthieu zu. Man deklarierte den endgültigen Frieden
und verbriefte, dass Margarete von Österreich,
Tochter MAXIMILIANS und der
Maria von Burgund, den französischen Dauphin heiraten und
ihm als Mitgift die Grafschaft Artois und die Freigrafschaft Burgund einbringen
sollte. Der englische König mußte erkennen, dass seine eigene
Tochter, die seit dem Vertrag von Picquigny mit dem Königssohn als
verlobt galt, verschmäht wurde. Aber er hatte ohne das frühere,
mächtige Burgund keine Möglichkeit, in Frankreich einzugreifen.
Kurz darauf starb er. Commynes glaubte, der Frieden von Arras habe ihn
umgebracht.
Noch während der Auseinandersetzungen um das burgundische
Erbe fielen weitere wichtige Provinzen an die Krone. Durch den Tod des
Königs
Rene 1480 und denjenigen
Karls, Grafen
von Maine, im folgenden Jahr erbte der König die Herzogtümer
Anjou und Bar, die
Grafschaft Maine und die formell zum Heiligen
Römischen Reich gehörende, aber praktisch autonome Grafschaft
Provence.
Ludwig hatte erreicht,
was er sich für den Regierungsantritt seines Sohnes wünschte:
Sein Reich war stark und unbedroht.
III. Lebenswerk und Tod
Der Blick zurück
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Am Ende seines Lebens konnte Ludwig
auf
eine stolze Bilanz zurückblicken. Er hatte die Macht der Fürsten
gebrochen und die Krondomäne außerordentlich vergrößert.
Nur die Bretagne vermochte sich noch einer gewissen Autonomie zu erfreuen,
doch sollte auch diese Provinz einige Jahre später an die Krone fallen.
Bourbon war dadurch an die Krone gebunden, dass der künftige Herzog,
Pierre
de Beaujeu, ein Schwiegersohn des Königs war. Eine geradezu
perfide Lösung hatte sich Ludwig
für das Haus ORLEANS ausgedacht.
Er zwang den jungen Herzog Ludwig,
die verkrüppelte Königs-Tochter Johanna
zu heiraten: So sollte verhindert werden, dass ein Erbe geboren würde.
Dass, eine Ironie des Schicksals, nicht der König das Herzogtum erben
sollte, sondern der Herzog das Königreich, war nicht vorauszusehen.
Aber nicht nur die weltlichen Fürsten hatte der
König gebändigt, auch die Geistlichkeit hatte er sich unterworfen,
indem er die Pragmatische Sanktion seines Vaters bald gegen den Papst,
bald gegen den französischen Klerus instrumentalisierte. Von den Bischöfen
und Äbten forderte er Gehorsam, sonst drohte der Entzug der weltlichen
Güter ihrer Kirchen, die Ludwig XI.
als königliche Lehen ansah. Bei der Besetzung von Bischofsstühlen
versuchte er sich fallweise mit dem Heiligen Stuhl zu einigen, um seinen
Kandidaten durchzusetzen, notfalls übte er Druck auf den Papst oder
das Domkapitel aus. Ludwig wünschte
eine loyale französische Staatskirche. Er kam diesen Ziel zumindest
nahe: Am Ende seiner Regierungszeit wurde man Bischof nicht mehr von Gottes
sondern von Königs Gnaden.
Sein Reich hatte der König mit einem Netz von Amtsträgern
überzogen. Dies kostete ebenso Geld wie die gewachsene Verwaltung,
sein Heer von Diplomaten und sein Netz von Spitzeln. Drückend für
die Finanzen waren weiter die Pensionen, durch die der König wichtige
fremde Herrschaftsträger, aber auch eigenes Personal an sich band.
Vor allem aber die enorme Vergrößerung der von seinem Vater
übernommenen stehenden Armee kostete riesige Summen. Es ist schwierig,
die Einnahmen in den letzten Jahren vor dem Tode
Ludwigs mit denen am Ende der Regierungszeit seines Vaters zu
vergleichen, weil der Teil des Reiches, aus dem der König Abgaben
und Beden beziehen konnte, jetzt unvergleichlich größer war.
Karl
VII. hatte insgesamt etwa 1,8 Millionen Livres jährlich
eingenommen. Ludwig
konnte nun über
mehr als 4,6 Millionen Livres verfügen. Doch reichten selbst diese
Beträge nicht hin, zumal Ludwig jetzt
riesige fromme Stiftungen machte: Die Steuerschraube mußte wiederholt
angezogen werden. Der König wußte um die Bedeutung der Städte
für seine Finanzen, deshalb förderte er Handwerk und Handel.
Mit Marseille, das mit dem provenzalischen Erbe an den König gefallen
war, besaß sein Reich endlich einen großen Mittelmeerhafen.
Hierher hoffte er Warenströme aus dem Orient umzulenken und damit
den Reichtum von Italien nach Frankreich zu führen.
Der Mensch
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In seinem Lebensstil wie in seiner Herrschaftsauffassung
war dieser König, der die Grundlagen für das Frankreich legte,
das bis zur französischen Revolution bestand, seiner Zeit fremd. Schon
zu Lebzeiten wurde Ludwig XI. höchst
unterschiedlich beurteilt. Die eine Seite, repräsentiert vor allem
durch das Bild, das Philipp de Commynes in seinen Memoiren zeichnet, sah
in Ludwig XI. einen durch seine Weisheit
und seine Kenntnisse von Menschen und Dingen unvergleichlichen Herrscher.
Seine Gegner aber hielten ihn für einen Despoten, und diese Ansicht
sollte lange vorherrschend bleiben.
Dies ist nicht verwunderlich, denn in vielen Bereichen
wirkt Ludwig XI. vom heutigen Standpunkt
aus modern; für seine Zeitgenossen, vor allem die Fürsten und
den Adel aber war er schlicht unköniglich. Er umgab sich nicht mit
Pomp, hatte kein Verständnis für die höfische Kultur, für
die Welt der Turniere, der adeligen Selbstdarstellung und -stilisierung,
die an den Höfen seiner Gegner, vor allem an denen des Herzogs von
Burgund und des Königs Rene, ihre höchste Blüte erlebten.
Als Ludwig 1475 den Engländern
seine Verhandlungsbereitschaft anzeigen wollte, mußte eilends aus
Fahnen eine Art Wappenrock geschneidert werden, in den man kurzerhand einen
Diener eines königlichen Mundschenken steckte, denn Ludwig
XI. hatte keinen Herold, diese für die höfische Welt
seiner Zeit so typische Figur. Die englischen Herolde mit ihrer sorgfältigen
und langjährigen Ausbildung dürften etwas indigniert gewesen
sein, als dieser "Kollege" in ihrem Lager erschien.
Der König kleidete sich selbst schlicht, am liebsten
trug er den Jagdrock. Die Jagd war das einzige Interesse, das er mit seinen
adligen Zeitgenossen teilte. Es muß ein merkwürdiges Bild gewesen
sein, als er eines Tages in dieser Aufmachung auf den herausgeputzten Burgunder-Herzog
traf.
Nach der Schlacht von Montlhery vermied der König
den offenen Krieg. Er war zwar jedes Jahr bei seinem Heer und unternahm
viele Feldzüge, doch wich er von jetzt an der Schlacht aus. Er bevorzugte
schnelle Vorstöße, um sein Heer dann als Faustpfand bei Verhandlungen
einzusetzen. Seine Feldherren hatten manches Mal wenig Verständnis
für dieses Verhalten. Doch Ludwig
war fest überzeugt von seinem diplomatischen Fähigkeiten. Er
muß einen gewissen Charme gehabt haben, auch wenn er diesen gelegentlich
überschätzte und ihn dies 1468 in Peronne in eine prekäre
Lage brachte. Trotz vieler Enttäuschungen glaubte der König fest
an die durch persönlichen Kontakt bewirkte Bindung. Er verstand es
oft, in entscheidenden Augenblicken die richtigen Leute an sich zu ziehen.
Vergangenen Verrat vergab er für künftige Loyalität, die
er aber auch unnachgiebig einforderte. Andererseits war er, aus schlechter
Erfahrung lernend, stets mißtrauisch und hatte ein langes Gedächtnis
für ihm angetane Schmach. Es ist bezeichnend, dass er einen Brief
Karls
des Kühnen, in dem dieser dem König die gebührende
Anrede verweigert hatte, in den Urkundenschatz legen ließ, um ihn
als Beweismittel notfalls zur Hand zu haben. Wer dem König aber treu
diente, konnte sich auf dessen schützende Hand und finanzielle Unterstützung
verlassen, ja konnte sich des leutseligen, vertraulichen Umgangs mit ihm
erfreuen.
Seine Frau, die meist in Amboise lebte, sah der König
oft lange Zeit nicht. Der Umgang miteinander war freundlich, aber nicht
übermäßig vertraut. In die Pläne ihres Mannes war
Charlotte
nie eingeweiht. Im Vergleich mit seinem Vater, dessen Mätresse Berühmtheit
erlangte, war Ludwig XI. recht keusch,
auch wenn einige wenige Bastarde des Königs bekannt sind. Nach dem
Tode eines Sohnes im Kindbett schwor der König 1473 gar, nie wieder
Beziehungen zu anderen Frauen als zu seiner eigenen haben zu wollen. Nach
Commynes hat er dieses Gelübde erfüllt.
Gelübde haben den König ohnehin sein Leben
lang begleitet. Am bedeutendsten war dasjenige, das er 1443 vor Dieppe
tat. Er flehte die Heilige Jungfrau von Clery um Hilfe an und gelobte für
den Sieg sein eigenes Gewicht in Gold für den Wiederaufbau ihrer von
den Engländern zerstörten Kirche. Nach seinem Erfolg sollte er
dieses Marienbild zeitlebens besonders ehren, am Ende vor ihm sein Grab
finden.
Der Tod
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Dem Tod Ludwigs XI. ging
ein langer physischer Verfall voraus. Schmerzen kannte der König schon
lange, denn ihn plagten seit vielen Jahren Hämmorrhoiden. Und
schon 1473 hatte der mailändische Gesandte Christophoro de Bollate
eine Erkrankung des Königs als Schlag gedeutet. Sicher belegt
sind zwei Apoplexien im März 1479 und im Jahre 1481. Blieb
der König schon nach dem Anfall von 1479 schwach, so war sein Zustand
nach dem zweiten bisweilen mitleiderregend. Er, der nach dem Urteil des
Philipps de Commynes den Tod mehr fürchtete als jeder andere Sterbliche,
änderte jetzt sein Verhalten, wurde wunderlich. Er gab für Kleidung
und exotische Tiere plötzlich immense Summen aus. Viele Staatsgeschäfte
konnten nicht mehr erledigt werden. Sein Mißtrauen gegen jedermann
wuchs. Selbst der Dauphin wurde isoliert, damit keine Konspiration entstehe.
Gleichzeitig leitete der zeitlebens bigotte König
Maßnahmen ein, von denen er ausdrücklich eine Verlängerung
seines Lebens erhoffte, die also nicht, wie man vermuten könnte, Vorsorge
für das Jenseits waren. "Man hat den Eindruck, dass er nur gesund
werden will, nicht selig" (Paravicini, 1993, Seite 113). Er machte jetzt
überaus reiche fromme Stiftungen, umgab sich mit Reliquien und hielt
sich mit Francesco di Paola einen "lebenden Heiligen". Daneben versuchte
er auch mit weltlichen Mitteln seinen Tod hinauszuzögern: Sein Leibarzt
wurde dabei ein reicher Mann. Seinen dritter Schlaganfall erlitt
Ludwig
XI. am 25. August 1483 auf Schloß Plessis-du-Parc bei
Tours. Sobald er konnte, leitete er jetzt die Machtübergabe an seinen
Sohn ein, den er praktisch nicht kannte. Am 30. August starb er
eines friedlichen Todes. Sein Grab fand er auf eigenen Wunsch in Notre-Dame
de Clery, nicht in St-Denis, noch hierin manifestierend, dass er sich als
Außenseiter unter den französischen Königen fühlte.
Sein Grabdenkmal, das in den Religionskriegen zerstört und unter Ludwig
XIII. durch ein neues ersetzt wurde, zeigte ihn als jugendlicher
Jäger, kniend, vertieft ins Gebet vor dem Standbild der Jungfrau von
Clery.