Begraben: St-Denis
Einziger Sohn des Königs
Ludwig XI. von Frankreich aus seiner 2. Ehe mit der Charlotte
von Savoyen, Tochter von Herzog Ludwig I.
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 980
********************
Karl VIII., König von Frankreich 1483-1498
-------------
* 1470, + 7. April 1498
oo Anna von Bretagne
Sohn:
-------
Karl Orland (+ 16. Dezember 1495)
Karl stand bis 1492
unter der Regentschaft seiner Schwester Anna
von Beaujeu und ihres Gatten Peter.
Schon frühzeitig bestanden Pläne, den von Neapel bedrohten Papsttum
durch einen Feldzug unter Führung des 1482 zum päpstlichen
Gonfaloniere erhobenen Dauphins beizustehen. Nachdem Karl
VIII. 1488 von vertriebenen neapolitanischen Großen zu
Hilfe gerufen worden war, bereitete er – vom Geist Ludwigs
des Heiligen durchdrungen – in den Jahren 1492-1493 seinen großen
Italienfeldzug vor, indem er dem Königreich inneren und äußeren
Frieden sicherte, durch Rückerstattung eroberter Gebiete (Verträge
von Etaples, Senlis und Barcelona) wie durch Begleichung der hohen Schulden.
Der plötzliche Tod König Ferdinands
I. (Ferrantes) von Neapel (+ 25. Januar 1494) ermöglichte
Karl
VIII. die Geltendmachung seiner Rechte, mit nur halbherziger
päpstlicher Unterstützung. Ein Hauptziel der königlichen
Politik war wohl die Gewinnung Neapels als Brückenlopf für einen
Kreuzzug. Nach der Härte des winterlichen Alpenübergangs wurde
die Fahrt durch Italien zum Triumphzug. Karl VIII.
ritt als 'rex pacificus' auf einem Esel in Neapel ein und bekundete
königliche Freigebigkeit durch großzügige Verteilung von
Kriegsbeute und eroberten Gebieten. Der Rückweg nach Frankreich wurde
ihm durch die von Spanien unterstützte Liga (Venedig, Mailand) versperrt.
Trotz seines mit persönlicher Tapferkeit bei Fornovo (5./6. Juli 1495)
erfochtenen Sieges erreichte er Lyon erst am 7. November 1495. Noch in
Oberitalien hatte er einen imerwährenden Vertrag mit den Eidgenossern
geschlossen.
Bald ging das eroberte Neapel an den spanischen Konkurrenten
verloren, wenngleich sich im Süden des Königreiches noch starke
französische Verbände unter dem Marschall d'Aubigny hielten.
Die zum Unterhalt dieser Truppen erforderlichen Geldmittel wurden vom König
war bewilligt, ihre Überweisung aber durch den mächtigen General
des fiances Guillaume Briconnet verschleppt.
Karl VIII., der in
Amboise als bedeutender Bauherr hervorgetreten war, starb in diesem Schloß
an einer Herzkrankheit. Der kleinwüchsige König, gerühmt
von Zeitgenossen (Sanudo) wegen seiner Begabung und Frömmigkeit (die
nach dem Bischof vo Arezzo nur mit erotischem Verlangen im Kampf lag),
zeichnete sich nach Commynes durch Mäzenatentum und christlichen Reformwillen
aus.
Haus VALOIS
Sohn von Ludwig XI.
Karl VIII. stand zeit
seines Lebens in Konfrontation zum deutschen König und Kaiser
MAXIMILIAN I., weil er dessen Tochter Margarete,
die ihm 1483 in kindlichem Alter angetraut worden war, verstieß und
statt ihrer die Erb-Tochter der Bretagne, Anna,
heiratete (6.12.1491), ohne sich darum zu kümmern, daß Anna
bereits
durch Prokuration mit MAXIMILIAN verheiratet
war.
Karl VIII. sicherte
durch diese Heirat mit Anna Frankreich
endgültig den Besitz der Bretagne, das aufhörte, ein Zentrum
aufsässiger Feudalvasallen und ein Brückenkopf Englands in Frankreich
zu sein. Karl VIII. geriet aber in
außenpolitische Isolierung, insbesondere gegenüber Deutschland,
Spanien und England. Den HABSBURGERN mußte
er nach einem kurzen Krieg im Frieden von Senlis die Mitgift Margaretes
(Artois und Freigrafschaft Burgund) abtreten. Gegenüber Spanien büßte
er Cerdagne und Rousillon ein und mußte England mit einer hohen Entschädigungssumme
vom Krieg gegen Frankreich abhalten. Seine Pläne, Neapel zu erobern,
versuchte er 1493 in einem Italienzug zu erreichen, scheiterte aber an
einer habsburgisch-venezianischen Koalition
und mußte 1495 überstürzt den Rückzug antreten.
Pernoud Regine: Seite 11-29
**************
"Die Kapetinger" in: Die großen Dynastien
Obwohl Karl VIII. das
für den Thron vorgeschriebene Alter der Volljährigkeit erreicht
hatte, hatte Ludwig
XI. Vorsorge für eine Regentschaft
getroffen, die er seiner Tochter Anna de Beaujeu,
der Gattin eines seiner Cousins aus dem Hause
BOURBON, übertrug. Eine Regentschaft war gerechtfertigt
durch die verzögerte geistige Entwicklung des neuen Königs, dessen
Pubertät verspätet und unter Schwierigkeiten eintrat. Diese Regentschaft
hätte die Dinge erleichtern können, in Wirklichkeit aber verschlimmerte
sie die Lage nur. Der Herzog von Orleans, Oberhaupt der jüngeren
Linie und Gatte Johannas von Frankreich,
der Schwester Annas von Beaujeu, war
unzufrieden mit seiner untergeordneten Stellung als General-Leutnant des
Reiches. In der Absicht, die Macht an sich zu reißen, berief er die
Landstände von Languedoil zusammen. Die Versammlung brachte zahlreiche
Unstimmigkeiten ans Tageslicht. Die Baujeus mußten
einlenken, stellten aber nach der Auflösung der Versammlung ihre Autorität
so weit wieder her, dass sie den Versuch wagen konnten, den Herzog von
Orleans gefangenzunehmen. Er entfloh jedoch und inszenierte zusammen mit
dem Herzog der Bretagne eine Revolte, die bei St. Aubin du Cormier niedergeschlagen
wurde (14. Juli 1488). Er geriet in eine qualvolle Gefangenschaft, wurde
aber von Karl VIII. (1483-1498) nach
dessen Regierungsantritt wieder befreit und mit Anna
von Beaujeu versöhnt.
Ludwig von Orleans
bot seine Dienste bei der Vermittlung der Heirat Karls
VIII. mit der Erb-Tochter der Bretagne, Herzogin
Anna, an. Sie war jedoch bereits MAXIMILIAN
von Österreich versprochen, mit dessen Tochter wiederum
der König verlobt war. Um die geplanten Verbindungen aufzuheben, war
Karl
VIII. gezwungen, den Artois und die Franche-Comte an das Reich
abzutreten. Man ging jedoch davon aus, dass der Besitz der Bretagne dieses
Opfer rechtfertigte und verfügte, um allen Evetualitäten vorzubeugen,
in einer Klausel, dass die Herzogin der Bretagne, falls
Karl VIII. kinderlos sterben sollte, seinen Nachfolger heiraten
solle.
Der König schien sehr verliebt in seine bretonische
Königin, obwohl sie auf einem Bein hinkte: Dennoch liebäugelte
er mit dem Gedanken eines Kreuzzuges, denn die übermäßige
Lektüre von Ritterromanen hatte ihm ein wenig den Kopf verdreht. Zur
Durchführung seines Planes gedachte er sich eine Ausgangsbasis in
Italien zu schaffen, zumal da ihn auch der Herzog von Orleans darin bestärkte,
der gewisse Rechte über das von dem Usurpator Ludovico il Moro beherrschte
Mailand besaß.
An der Spitze einer 30.000 Mann starken Armee überquerte
Karl
VIII. die Alpen. Damit begann ein abenteuerliches Unternehmen,
das sich über ein halbes Jahrhundert hinziehen sollte. Es war dies
kein Krieg, sondern mehr ein Triumphzug, insbesondere in Florenz, wo Savonarola
den französischen König als Befreier empfing. In Rom verweigerte
Papst Alexander VI. Borgia zunächst den Durchzug der französischen
Truppen, gab aber schließlich nach. Der König zog weiter bis
über Neapel hinaus, wo er die Rechte des Hauses
ANJOU geltend machte. So weit in den Süden der Halbinsel
vorgedrungen, erkannte er erst spät, dass sich Europa in seinem Rücken
gegen ihn verbündete. Ludovico il Moro, mittlerweile zum Schwiegersohn
MAXIMILIANS
avanciert [Richtigstellung:
MAXIMILIAN hatte
Maria
Bianca Sforza, Tochter Galeazzos und Nichte Ludovico il Moros,
geheiratet.], suchte den König von Frankreich in dem von ihm eroberten
Gebiet einzuschließen.
Karl VIII. trat eilends
den Rückzug an, und es gelang ihm, am 6. Juli 1495, bei Fornovo den
Sperrgürtel der Verbündeten zu duchbrechen. Nach diesem erfolglosen
Feldzug kehrte er über die Alpen zurück und begann, berauscht
von der italienischen Kunst, neue Eroberungspläne für Italien
zu schmieden. Es blieb ihm jedoch nicht mehr die Zeit, sie zu verwirklichen.
Auf dem Wege zu einem Ballspiel im Burggraben von Amboise stieß er
gegen den Rahmen einer niedrigen Tür und starb 1498 nach einem
kurzen Todeskampf im Alter von 28 Jahren. Die Krone fiel an seinen Cousin
und Schwager, den Herzog von Orleans, einen Schwiegersohn Ludwigs
XI.
22.6.1483
1. oo Margarete von Österreich, Tochter des
Kaisers MAXIMILIANS I.
10.1.1480-30.11.1530
6.12.1491
2. oo 1. Anna von der Bretagne, Tochter
des Herzogs Franz II.
25.1.1476-9.1.1514
Kinder:
Karl Orland
10.10.1492-6.12.1495
Karl
8.9.-2.10.1496
Franz
Ende 1497- bald
Anna
20.3.1498- jung
Literatur:
-----------
Calmette, Joseph: Die großen Herzöge
von Burgund. Eugen Diederichs Verlag München 1996 Seite 349 - Ehlers
Joachim: Geschichte Frankreichs im Mittelalter. W. Kohlhammer GmbH 1987
Seite 355,367,378,380-386 - Ehlers Joachim/Müller Heribert/Schneidmüller
Bernd: Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis
Karl VIII. 888-1498. Verlag C. H. Beck München 1996 Seite 11,337,356,
362-382 - Favier, Jean: Frankreich im Zeitalter der Landesherrschaft
1000-1515. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1989 Seite 439,442, 448,454,464,469
-
Hartmann P.C.: Französische Könige und Kaiser der Neuzeit.
Von Ludwig XII. bis Napoleon III. 1498-1870. Verlag C. H. Beck München
1994 Seite 24,26-40,43 - Jurewitz-Freischmidt Sylvia: Die Herrinnen
der Loire-Schlösser. Königinnen und Mätressen um den Lilienthron.
Casimir Katz Verlag, Gernsbach 1996 Seite 77-80,83-86, 88-95,97-125,130,140,143,149,184,189,197,
351,435,439,441-443,446,453,459 - Leicht Hans: Isabella von Kastilien.
Königin am Vorabend der spanischen Weltmacht. Verlag Friedrich Pustet
Regensburg 1994 Seite 2189,220,249 - Perez Joseph: Ferdinand und
Isabella: Spaniens Katholische Könige. Eugen Diederichs Verlag München
1995 Seite 252 - Tamussino Ursula: Margarete von Österreich.
Diplomatin der Renaissance. Verlag Styria Graz Wien Köln 1995 Seite
17,25,29,33-43,49,79,83,142,259,271,284 - Tamussino Ursula: Maria
von Ungarn. Ein Leben im Dienst der Casa de Austria. Verlag Styria Graz
Wien Köln 1998 Seite 11,20,216 - Treffer Gerd: Die französischen
Königinnen. Von Bertrada bis Marie Antoinette (8.-18. Jahrhundert)
Verlag Friedrich Pustet Regensburg 1996 Seite 151,213,216, 222,224,229,244
- Treffer Gerd: Franz I. von Frankreich. Herrscher und Mäzen.
Verlag Friedrich Pustet Regensburg 1993 Seite 13,20,25,60,63 - Treffer
Gerd A.: Johanna von Valois begegnen. Sankt Ulrich Verlag Augsburg 2000
- Tuchmann Barbara: Der ferne Spiegel. Deutscher Taschenbuch Verlag
München 1995 Seite 478 -
Neidhart Bulst
KARL VIII., König von Frankreich 1483-1498
----------------
* 30.6.1470, + 7.4.1498
Ambois
Amboise
Begraben: St-Denis
König seite dem 30.8.1483 (unter einer Regentschaft
bis 1491)
Salbung und Krönung in Reims am 30.5.1484
Vater:
--------
Ludwig XI., König von Frankreich
Mutter:
---------
Charlotte von Savoyen
Zwei überlebende Schwestern:
-------------------------------------
Anne (* 4.1461, + 14.11.1522), Gemahlin Pierre
de Beaujeus
Johanna von Frankreich (* 23.4.1464, + 4.2.1505), Gemahlin
Ludwigs, Herzog von Orleans, ab 1498 König Ludwig XII. von Frankreich
1. oo verabredet am 22.6.1483, aufgehoben 1491
MARGARETE VON ÖSTERREICH
10.1.1480-30.11.1530
2. oo 6.12.1491 in Langeais
ANNE, HERZOGIN DER BRETAGNE
* 25.1.1476, + 9.1.1514
Kinder:
---------
Charles-Orland (* 10.10.1492, + 16.12.1495)
Charles (* 6.8., + 2.10.1496)
Francois ( gestorben am Tag der Geburt 1497)
Anna (tot geboren 20.2.1498)
I. Die Zeit der Regentschaft
Karl VIII. war der
letzte der unmittelbar auf den Vater folgenden VALOIS-Könige,
nachdem 1328, vor sieben Generationen, sein Urahn Philipp
VI. die Nachfolge der im Mannesstamm ausgestorbenen Linie der
KAPETINGER
angetreten hatte. Nicht nur dynastisch, auch politisch kann Karls
Regierungszeit
als Abschluß einer Epoche angesehen werden. Mit seinem Erwerb der
Bretagne war die Arrondierung und Konsolidierung der Territorialherrschaft
der französischen Könige erreicht. Gleichzeitig wies sein expansionistisches
Ausgreifen nach Italien den Weg zu einer Großmachtpolitik, auf den
seine Nachfolger ihm folgen sollten. So wurde, wie fast anderthalb Jahrhunderte
andauernde kriegerische Auseinandersetzung mit England, die de facto unter
Ludwig
XI. beigelegt worden war, durch einen Konflikt mit den HABSBURGERN
abgelöst,
aus dem England zwar immer wieder Vorteil zu ziehen versuchte, dabei aber
letztlich doch eine nur untergeordnete Rolle spielte.
Gliedert man die Geschichte Frankreichs in die Geschichte
seiner Könige, so gehört die Regierungszeit Karls
VIII. im Vergleich zu seinen Vorgängern zu den wenig spektakulären
Perioden, zumal die Zeit von Karls selbständiger Herrschaft relativ
kurz war und nur etwa die Hälfte seiner 15-jährigen Regierung
umfaßte. Untrennbar verbunden ist der Name Karl
VIII. jedoch mit seinem Aufsehen erregenden Italienzug. Dessen
Bewertung ist unter den heutigen Historikern ebenso umstritten wie er es
schon im Kreis von Karls Ratgebern
und in seiner engsten Umgebung sowie in der Beurteilung seiner Zeitgenossen
gewesen ist. Nicht nur Karls schärfster
zeitgenössischer Kritiker, der italienische Politiker und Historiker
Francesco Guiccardini, hat ihn als unzulässigen Eingriff in inneritalienische
Angelegenheiten verurteilt. Nicht zuletzt war es aber ein äußerer,
höchst fataler Begleitumstand, der diesen Zug unvergeßlich machte,
die Syphilis. Selbst wenn trotz zeitgenössischer schuldzuweisender
Termonologie als "mal de Naples", "Franzosen(krankheit)" oder "morbus gallicus"
Entstehung und Verbreitungsweg der Syphilis eindeutig festzustehen schien,
ist beides bis heute nicht eindeutig geklärt. Sicher ist jedoch, dass
die aus dem Königreich Neapel zurückkehrenden französischen
Truppen nicht nur selbst hohe Verluste durch die Syphilis erlitten, sondern
auch maßgeblich zu ihrer epidemischen Verbreitung in Frankreich und
in den Niederlanden beitrugen.
Geboren wurde Karl am
30. Juni 1470 in Ambois als Sohn Ludwigs XI.
und Charlottes von Savoyen. Von seinen
Eltern war es nur die Mutter, mit der er im Schloß von Amboise zusammenlebte.
Manche seiner Lektüren scheinen auf ihren Einfluß zu deuten.
Der Vater entzog sich ihm, nur höchst selten besuchte er ihn. Doch
überwachte der König vom nahen Tours aus sehr genau den Werdegang
seines Sohnes und - seit dem Tode seines zweiten SohnesFrancois
(1472-1473) - einzigen Erben. Die Sicherheit und Erziehung Karls
hatte Ludwig
drei ihm treu ergebenen
Männern anvertraut, Etienne de Vesc, Jean Bourre und Imbert de Batarny,
Seigneur de Bouchage, die entsprechend seinen detaillierten Anweisungen
den Thronfolger auf sein Amt vorzubereiten hatten. Ihnen scheint schon
der kleine Karl Vertrauen und Zuneigung
entgegengebracht zu haben, denn auch als König zählte er sie
zu seinen wichtigsten Ratgebern. Laufend hatten sie
Ludwig XI. Bericht über ihren Zögling zu erstatten,
dessen anfangs schwächliche Gesundheit und eine beinahe tödliche
Lungenentzündung Anlaß zur Sorge boten. Dieser schwächlichen
körperlichen Konstitution sollte auch sein Unterricht angepaßt
sein, so dass alles zu unterbleiben hatte - entsprechend der ausdrücklichen
Anweisung des Königs -, was seinen Sohn überfordern und dessen
Gesundheit beeinträchtigen könnte. So wurde er nicht mit Wissen
überhäuft, sondern seine Ausbildung blieb auf das Notwendigste
beschränkt, was auch den Verzicht auf systematischen Lateinunterricht
bedeutete.
Als Ludwig XI. am
30. August 1483 starb, war Karl gerade
13 Jahre alt geworden und somit noch nicht regierungsfähig. Dass er
noch als Minderjähriger König werden würde, war nach dem
zweiten schweren Schlaganfall Ludwigs XI. im
März 1481 absehbar. Der König hatte infolgedessen Vorsorge getroffen,
um den Herrschaftswechsel so reibungslos wie möglich zu gestalten.
Im September 1482 kam es zu der merkwürdigen Begegnung zwischen Vater
und Sohn, in deren Verlauf der alte, kranke, menschenverachtende und von
allen gefürchtete König seinen Sohn und Nachfolger, ein Kind
von 12 Jahren, in einem langen Vortrag auf die Prinzipien seiner eigenen
Herrschaft festzulegen suchte: Es spricht nur der König, das Kind
bleibt stummer Zuhörer. Die eigentliche Sorge Ludwigs
XI. gilt der Stabilität und der Kontinuität seiner
Herrschaft und seiner Politik. So warnt er seinen Sohn zum einen vor den
Fehlern, die er selbst bei seinem Regierungsantritt gemacht hatte, als
er aus Opposition zu seinem ungeliebten Vater mit der Entlassung zahlreicher
Amtsträger ein großes revirement der politischen Führungsschicht
eingeleitet hatte und dabei unter hohen Kosten gescheitert war. Zum anderen
versucht er durch eine Art mündlichen Fürstenspiegel, in dem
er die Errungenschaften und Erfolge seiner Königsherrschaft darlegt,
Karl
die
Prinzipien seiner Politik nahezubringen. Dies konnte nur bedeuten, zumindest
in den ersten Regierungsjahren auf Ausgleich mit den unmittelbaren Nachbarn
und potentiellen Kriegsgegnern, dem Reich, England und Spanien, aus zu
sein, um so den von ihm selbst erreichten Gebietszuwachs Frankreichs nicht
zu gefährden. Entsprechend lauteten denn auch seine Instruktionen,
die er noch kurz vor seinem Tode den Ratgebern seines Sohnes auftrug. Bis
auf die Bretagne schien Frankreich auch territorial statuiert zu sein.
Wie zufällig und unberechenbar das Kriegsglück zudem sein konnte,
hatte Ludwig selbst erfahren müssen.
Das unrühmliche Ende seines Hauptgegners, Karls
des Kühnen, konnte diese Einschätzung nur bestätigen.
Glaubte Ludwig XI. von seinem Sohn
nicht mehr als allenfalls die Bewahrung des selbst Geschaffenen erwarten
zu dürfen, oder war dies nur eine Vorsichtsmaßnahme zum Schutz
eines noch gänzlich Unerfahrenen? Nach Bedenkzeit und Beratung mit
seinen Erziehern mußte Karl in
wohlgesetzten Worten dem Vater die uneingeschränkte Befolgung dieser
Richtlinien geloben. Zu einem förmlichen Rechtsakt wurde dieses politische
Vermächtnis durch eine darüber im Oktober 1482 ausgestellte Ordonnanz
Ludwigs,
die vom königlichen Rat gebilligt, von Karl
unterschrieben
und schließlich dem Parlament zu Registrierung zugeleitet wurde.
Allerdings bedeutete dies noch keine Veränderung von Ludwigs
Herrschaftsstil,
in dem für den Sohn kein Platz vorbehalten war. Erst als Ludwig
sich nach seinem dritten Schlaganfall am 25. August 1483 in das Unvermeidliche
zu fügen gezwungen sah, ließ er seinem Sohn das königliche
Siegel übergeben und schickte den Kanzler und einen Teil seines Hofstabes
mit letzten politischen Instruktionen zum "König" nach Amboise. Immerhin
galten Ludwigs
letzte Regierungsakte
seit jenem Treffen der Sicherung der Rahmenbedingungen seines politischen
Vermächtnisses. Um wenigstens den wohl als am bedrohlichsten scheinenden
Gegner an Frankreichs Grenzen zu neutralisieren, leitete der König
einen Ausgleich mit MAXIMILIAN ein.
Im Dezember 1482 wurde in Arras ein Friedensvertrag geschlossen, der als
dauerhafte Garantie eine Heirat des Dauphin mit Margarete
vorsah, der zu diesem Zeitpunkt gerade 2-jährigen Tochter MAXIMILIANS
und seiner verstorbenen Frau Maria von Burgund,
der Tochter Karls des Kühnen.
Treibende Kräfte dieses Vertrages waren allerdings die innenpolitischen
Gegner MAXIMILIANS, der Adel und die
Städte, so dass der Vertrag den Konflikt des HABSBURGERS
mit Frankreich nicht wirklich beendete. Die dabei ausgehandelte Mitgift
Margaretes
bot der Krone einen vorteilhaften Weg zur Sicherung der nach dem Tode Karls
zwischen
MAXIMILIAN
und
Ludwig
strittigen Territorien aus
dem Erbe Karls und zur Beilegung dieses
schwelenden Konflikts an der Ostgrenze des Königreichs.
Für den gerade 12-jährigen Karl
bedeutete
dies schon die zweite Ehevereinbarung. Zwar war ein Ehevertrag ein probates
Mittel, um politische Ziele durchzusetzen, doch konnten gescheiterte Vereinbarungen
sich auf die Dauer als ebenso schädlich erweisen, wie die geglückten
dynastischen Verbindungen Vorteile versprachen. Sieben Jahre zuvor war
Karl
in Folge der Waffenstillstandsvereinbarungen mit den Engländern in
Picquigny mit Elisabeth, der Tochter
König Eduards IV., verlobt worden. Sie mußte jetzt
Margarete
weichen. Vorausgegangen waren weitere Versuche
Ludwigs XI., aus einer Ehe des Thronfolgers politisches Kapital
zu schlagen. Nicht zuletzt war
Maria,
Margaretes
Mutter, eine Heiratskandidatin gewesen. Die feierliche "Heirat" Karls
mit Margarete - sie lebte fortan am
königlichen Hof in Frankreich und wurde dort erzogen - in Amboise
in Gegenwart zahlreicher städtischer Delegationen aus ganz Frankreich
am 22. Juni 1483 war einer der letzten Regierungsakte Ludwigs.
Die Regentschaft hatte Ludwig
mit
der Übergabe seines Sohnes de facto seiner Tochter
Anne
und seinem Schwiegersohn, Pierre de Beaujau,
übertragen. Dieser, ein jüngerer Bruder des Herzogs von Bourbon,
war in den letzten Jahren von Ludwigs
Herrschaft eine verläßliche, aber nicht durch die sich breitmachende
Mißwirtschaft kompromittierte Stütze des Königs gewesen.
Rechtliche Verbindlichkeit besaß die Regelung nicht, wenn auch die
Person des Königs in der Hand der
Beaujeu ein starkes Präjudiz
war. Wichtigster Konkurrent in der Auseinandersetzung um die Regentschaft
und damit um die weltliche Macht im Königreich war der andere Schwager
Karls
VIII., der mit der zweiten Schwester
Johanna verheiratete 21-jährige Herzog
Ludwig von Orleans. Als Prinz von Geblüt rangierte er in
der Reihe möglicher Thronfolger unmittelbar hinter Karl.
Eine Lösung und gleichzeitig auch eine Festlegung der politischen
Leitlinien für die kommenden Jahre sollte eine Generalständeversammlung
bringen, die vom königlichen Rat sehr schnell für Anfang Januar
1484 festgelegt wurde. Durch ein kluges politisches Kalkül war es
den Beaujeu gelungen, im Rat für diese Versammlung einen neuen
Wahlmodus festlegen zu lassen, der zur Folge hatte, dass die an Herrschaftskontinuität
interessierten königlichen Amtsträger im Dritten Stand zur dominierenden
Gruppe wurden. Sie identifizierten sich im wesentlichen mit den politischen
Zielen der Beaujeu und zeigten wenig Interesse an einer Stärkung
oppositioneller Adelsgruppierungen und an Auseinandersetzungen, wie sie
die Anfangsjahre der Regierung Ludwigs XI. gekennzeichnet
hatten. Durch eine im Vergleich mit den letzten Regierungsjahren Ludwigs
XI. deutliche Reduzierung der Steuersumme von 4.400.000 Pfund
auf 1.200.000, die zudem auf diesem Niveau für zwei Jahre, 1484 und
1485, festgeschrieben wurde, gelang es, die Ständeversammlung praktisch
zu einer Bestätigung des Status quo zu bringen. Lediglich formal wurde
dem sozialhierarchisch begründeten Anspruch des Herzogs von Orleans
Rechnung getragen. In Abwesenheit des jungen Königs sollte er den
Vorsitz im königlichen Rat führen. Ob dieser Fall je eintreten
würde, lag allerdings im Belieben der Beaujeu, in deren Hand
der König verblieb.
Karls Krönung,
die mit großem Pomp am 30. Juni 1484 in Reims gefeiert wurde, wozu
die Generalstände noch einmal als eigenes Budget 300.000 Pfund bewilligt
hatten, brachte Ludwig und Karl
zwar
menschlich näher. Denn es kam
Ludwig
zu, Karl zum Ritter zu schlagen - ein
Umstand, der später entscheidend dazu beitragen sollte, Ludwig
aus
seiner Gefangenschaft zu befreien und seine politische Isolation zu überwinden.
Doch politisch blieben der Herzog von Orleans und seine hochadlige Anhängerschaft
ohne Einfluß. Die Herrschaft der Beaujeu war unangreifbar
geworden, was auch der junge König erfahren mußte. Krönung
und rechtliche Mündigkeit, die er mit 14 Jahren erreichte, änderten
nichts an seiner Abhängigkeit von seiner Schwester und seinem Schwager,
wobei nicht zu Unrecht Anne von vielen
Historikern als die treibende politische Kraft der Zeit der Regentschaftsregierung
angesehen wird. Vorrangiges Ziel dieser Regentschaft war, getreu den Anweisungen
des verstorbenen Königs, die Sicherung der bestehenden Verhältnisse.
Dazu gehörte auch das Festhalten an den territorialen Zugewinnen,
die Ludwig erreicht hatte. Schon während
der Sitzungsperiode der Generalstände, an die eine spanische Delegation
sich vergeblich gewandt hatte, waren Verhandlungen mit Aragon über
die Rückgabe von Roussillon und Cerdagne ergebnislos verlaufen.
Als Ludwig von Orleans
nach einem 1485 gescheiterten Anlauf zu einer erneuten Einberufung der
Generalstände, die den König aus der Hand der Beaujeu
befreien sollten - ein Anliegen, dem sich auch MAXIMILIAN
und
der bretonische Herzog Franz II. anschlossen -, auf militärischem
Weg zum Erfolg zu kommen hoffte, bot sich den Beaujeu eine geradezu
ideale Gelegenheit, auf die Bretagne auszugreifen. Dem militärischen
Aufgebot des Königs, das von Pierre de Beaujeu,
Louis II. de La Tremouille und anderen dem König und den Beaujeu
ergebenen Heerführern befehligt wurde, hatte die Koalition, die den
Herzog von Orleans, Alain d'Albret, MAXIMILIAN
und den bretonischen Herzog vereinte, nichts Ebenbürtiges entgegenzusetzen,
zumal jeder von ihnen sehr unterschiedliche politische Ziele verfolgte.
In ihren Aspirationen auf das Herzogtum Bretagne durch eine Heirat mit
der Tochter und Erbin des Herzogs, Anne,
waren Ludwig, MAXIMILIAN
und Alain d'Albret sogar unmittelbare Konkurrenten. Der als "unsinniger
Krieg" "guerre folle", in die Geschichte eingegangene Bürgerkrieg
endete am 28. Juli 1488 in der Schlacht bei St-Aubin-du-cormier, bei der
Ludwig
unterlag
und für knapp drei Jahre in Gefangenschaft geriet.
II. König Karl VIII.
Für das Herzogtum Bretagne bedeutete diese Niederlage
de facto den Verlust der Unabhängigkeit von Frankreich. Im Friedensvertrag
vom 21. August 1488 im Schloß von Verger war der bretonische Herzog
gezwungen, wesentliche Zugeständnisse an die Krone zu machen. Eine
der Vertragsklauseln machte die Eheschließung der Erb-Tochter Anne
von der Zustimmung des französischen Königs abhängig, womit
eine Inbesitznahme des Herzogtums durch die Monarchie planbar geworden
zu sein schien. Dass Franz II. schon im folgenden Monat starb, veränderte
die Situation noch zusätzlich zugunsten Frankreichs. Doch hatte das
Vertragswerk wie so viele der in dieser Zeit geschlossenen Verträge
keine unmittelbare politische Folgewirkung, da zumindest auf bretonischer
Seite keine Bereitschaft bestand, die Vereinbarung auch umzusetzen. Die
offensichtlich mit einem starken Willen versehene 11-jährige Anne,
ihre Berater und die bretonischen Stände setzten alles daran, die
Unabhängigkeit von Frankreich zu bewahren. So kam es schon im Januar
1489 erneut zu militärischen Zusammenstößen. Im Februar
erfolgte die Krönung Annes zur
Herzogin der Bretagne - zugleich eine Demonstration der Unabhängigkeit
gegenüber der Krone. In dem verzweifelten Bemühen um einen dem
übermächtigen Frankreich gewachsenen Bündnispartner wandte
sich Anne an MAXIMILIAN.
Dieser hatte sich nie mit den Abtretungen aus dem burgundischen Erbe infolge
des Friedensvertrages von Arras abfinden können und war trotz der
Heirat seiner Tochter mit Karl VIII. ein
unerbittlicher Gegner Frankreichs geblieben. Inzwischen hatte Karl
im Osten nicht nur gegen MAXIMILIAN den
Besitz des Artois und der Franche-Comte, die ihm im Heiratsvertrag mit
Margarete
als Mitgift zugesichert worden waren, zu verteidigen, sondern auch das
provenzalische ANJOU-Erbe gegen den
Herzog von Lothringen. Im Frieden von Ulm (22. Juli 1490) wurde im wesentlichen
der Staus quo zwischen Karl und MAXIMILIAN
bestätigt. Dass der HABSBURGER
damit in gewisser Weise freie Hand für die Bretagne bekam, verrät
gleichzeitig die Kurzlebigkeit, die diesem Vertrag beschieden sein mußte.
Die zwischen Anne und dem verwitwetenMAXIMILIAN
bald darauf eingeleiteten Verhandlungen, die trotz der Vereinbarungen von
Ulm einen Bruch des Vertrages von Verger darstellten, führten schnell
zum Ergebnis. Im Dezember 1490 kam es in Rennes zur Eheschließung,
die rechtlich gültig - selbst wenn dies bestritten wurde - von einem
Bevollmächtigten MAXIMILIANS geschlossen
und vollzogen wurde, in dem er bei dieser Zeremonie sein nacktes Bein unter
die Decke des Hochzeitsbettes, in dem Anne
lag, steckte. Die französische Regentschaftsregierung war jedoch weder
bereit, diesen Vertragsbruch hinzunehmen, noch eine dauerhafte Verbindung
der Bretagne mit MAXIMILIAN und dem
Reich zu tolerieren, was Frankreich einer habsburgischen
Bedrohung
an seinen Grenzen im Westen und im Osten ausgesetzt hätte. Allerdings
war der chronisch finanzschwache MAXIMILIAN
gar nicht in der Lage, seine Ansprüche und Ambitionen auch umzusetzen
und den Bretonen und seiner Frau, wie versprochen, in ihrem Kampf gegen
die Franzosen mit nennenswerten Truppenkontingenten effektive Hilfe zu
leisten. Als die von MAXIMILIAN erhoffte
Unterstützung, die der eigentliche Grund für Annes
Ehe gewesen war, ausblieb, vermochten die nun auf sich selbst gestellten
Bretonen nur noch wenige Monate ihren Widerstand gegen die vorrückenden
Franzosen aufrechtzuerhalten, die nun offensichtlich die Eroberung der
Bretagne anstrebten. Schon im März 1491 wurde von Alain d'Albret,
der sich durch die Heirat MAXIMILIANS
mit Anne hintergangen fühlte und
die Seiten wechselte, das wichtige, stark befestigte Nantes den Franzosen
übergeben. Nach langer Belagerung der Hauptstadt Rennes kam es dort
am 15. November 1491 zu einem Friedensvertrag.
Das entscheidende Ergebnis der nun einsetzenden Verhandlungen
war, dass Anne in eine Heirat mit
Karl einwilligte. Die ihr gebotene Wahl eröffnete kaum
eine andere Möglichkeit. Bei Aufrechterhaltung der Ehe mit MAXIMILIAN
mußte sie die Bretagne verlassen und ihr Herzogtum aufgeben. Alternative
Heiratskandidaten aus dem französischen Adel schienen nicht akzeptabel.
Da die Ehe mit MAXIMILIAN ja nur geschlossen
worden war, um die Unabhängigkeit der Bretagne zu wahren, war diese
Verbindung sinnlos geworden. Selbst wenn Anne
durch
ihre Ehe mit Karl Herzogin in der Bretagne
blieb und komplizierte Erbschaftsklauseln des Ehevertrages eine unmittelbare
Integration des bretonischen Herzogtums in die französische Krondomäne
ausschlossen - es sollte noch etwa ein halbes Jahrhundert dauern, bis der
erbrechtliche Heimfall tatsächlich eintrat -, so war doch damit die
bretonische Frage für Frankreich gelöst. Anne
selbst
mußte sich bereitfinden, dauerhaft die Frau des regierenden französischen
Königs zu sein, denn im Falle ihrer Witwenschaft sollte ihr nur eine
Wiederverheiratung mit dem Nachfolger oder dem nächsten Thronerben
gestattet sein. Es ist zweifellos das entscheidende Verdienst der Regentschaftsregierung
der Beaujeu, dieses alte Problem, das den Gegnern Frankreichs immer
wieder die Möglichkeit zu Stellvertreterkriegen eröffnet hatte,
gelöst zu haben. Der politische Wille und die faktische Macht hatten
sich über alle rechtlichen, auch kirchenrechtlichen Hindernissen,
die in der Tat erheblich waren, erfolgreich hinweggesetzt. Beide Ehepartner
waren rechtlich gültig verheiratet - pikanterweise im engsten Familienkreis;
Karl
löste
die Verbindung zu Margarete, der Tochter
MAXIMILIANS;
um Anne, die Frau MAXIMILIANS,
zu heiraten. Während die Ehe von Anne und
Karl bald darauf am 6. Dezember 1491 im Schloß von Langeais
aus Sicherheitsgründen und in Anbetracht der komplizierten Lage unter
Ausschluß der Öffentlichkeit geschlossen wurde, dauerte die
von beiden Seiten geführte publizistische und juristische Auseinandersetzung
über diesen doppelten Rechtsbruch noch lange an. Kirchenrechtlich
wurde er geheilt, da der Papst, der Karls
Hilfe für seine eigenen Zwecke suchte, sich bereit fand, Annes
erste Ehe zu annullieren. Der störende Umstand, dass diese Annullierung
erst post festum erfolgte, wurde dadurch beseitigt, dass das päpstliche
Dokument zurückdatiert wurde - allerdings merkwürdigerweise auf
den 15. Dezember, ein Datum wenige Tage nach der tatsächlichen Eheschließung.
Die häßliche Erfindung vom französischen Brautraub, wonach
Anne
mit Waffengewalt von den Franzosen zur Ehe mit Karl
gezwungen
worden sei, fand Eingang in die politische Diskussion und schürte
im Reich antifranzösische Gefühle.
Obwohl diese Heirat zweifellos für Karl
die
Realisierung eines wichtigen Zieles bedeutete, fand er sich zu solcher
politischen Lösung keineswegs leichten Herzens bereit - schlossen
doch diese ausschließlich politisch motivierten Verbindungen das
Entstehen persönlicher Zuneigung nicht aus. Vielmehr fiel ihm die
Trennung von Margarete doch recht schwer,
so dass es einiger Anstrengungen seiner Berater bedurfte, ihn dazu zu überreden.
Ähnlich war die Haltung Margaretes,
die keineswegs unmittelbar nach Flandern zurückgeschickt wurde, von
wo sie fast 10 Jahre zuvor als Frau des französischen Thronfolgers
nach Frankreich gekommen war, sondern noch anderthalb Jahre gleichsam als
Geisel in Frankreich blieb. Sie lastete ihre "gescheiterte Ehe" der französischen
Politik an, was Ludwig XII. noch einige
Schwierigkeiten bereiten sollte, während sie Karl,
dessen Bild sie aufbewahrte, nicht persönlich verantwortlich machte.
Die Verbindung mit Anne, die eine echte
Zuneigung zu dem ihr aufgezwungenen Ehemann entwickelte, selbst wenn sie
dessen politische Ziele nicht guthieß und auch den Verlust der Unabhängigkeit
der Bretagne nicht wirklich akzeptierte, kann als menschlich geglückt
angesehen werden. Am 8. Februar 1492 wurde Anne
in St-Denis zur französischen Königin gekrönt. Für
französische Königinnen war dies eine seltene Ausnahme, und der
Akt muß zweifellos als öffentliche Kompensation für Annes
politische Niederlage verstanden werden - ebenso aber auch als Demonstration
eines Rechtszustandes, der, wie gezeigt, im Reich in Abrede gestellt wurde.
Am 10. Oktober 1492 wurde der Thronfolger geboren und auf den Namen Charles-Orland
getauft, das heißt auf den Namen Rolands, des berühmten Paladins
KARLS DES GROSSEN. Patin war Jeanne
de Laval, die Witwe des Königs von Neapel. Sowohl der Name
des Sohnes, der nicht zu den französischen Königsnamen zählte,
als auch diese Patenschaft können als Programm und als Hinweis auf
die konkreter werdenden Italienpläne Karls
verstanden werden.
Dieses so entscheidende Jahr 1491, an dessen Ende die
Heirat mit Anne stand, war der Beginn
der selbständigen Regierung Karls.
Zwar gab es keinen formalen Akt, der den Schluß der Regentschaftsregierung
und den Beginn der selbständigen Herrschaft kennzeichnete, zumal auch
schon seit dem Tode Ludwigs XI. alle
Dokumente, Privilegienbestätigungen, Ernennungsurkunden oder die dem
Parlament zur Registrierung zugeleiteten Gesetze Karls
Unterschrift trugen. Sucht man jedoch nach einem symbolischen Akt, so könnte
man den 27. Juni 1491 anführen, als Karl
Ludwig von Orleans persönlich aus der Staatshaft entließ.
Dies geschah ohne das Wissen und gegen den Willen seiner Schwester Anne,
die ganz im Sinne ihres Vaters an der traditionellen Feindschaft mit dem
Hause
ORLEANS festhielt. Im übertragenen Sinne war es auch ein
Akt der Selbstbefreiung aus der Regentschaftsregierung, selbst wenn wir
nicht wissen können, ob Karl,
den die Quellen - ganz ungleich seinem Vater - als gutherzigen und versöhnlichen
Charakter beschreiben, nur vom Mitleid gegenüber dem Mann, der ihn
einst zum Ritter geschlagen hatte, geleitet wurde, oder ob auch die Auflehnung
gegen die Bevormundung durch seine Schwester ein Motiv war. Die Politik
jedenfalls, die er jetzt verfolgen sollte, unterschied sich in ihrer Zielsetzung
deutlich von der ihrigen und bedeutete damit zugleich eine Abkehr vom Vermächtnis
seines Vaters. In Ludwig fand er dabei
einen wertvollen Helfer. So vehement dieser sich bis dahin gegen die Regierung
der Beaujeu aufgelehnt hatte, so treu sollte er von jetzt an zum
König stehen, der ihn in den Kreis seiner engen Berater aufnahm und
in ihm zunächst einen nachdrücklichen, wenn auch nicht uneigennützigen
Befürworter seiner Italienpolitik fand.
Was führte Karl nach
Italien, wohin keiner seiner Vorgänger auf dem französischen
Thron je Eroberungsfeldzüge unternommen hatte, und was ließ
ihn dieses Ziel mit großer Priorität in der ganzen Zeit seiner
kurz bemessenen selbständigen Königsherrschaft verfolgen? Eine
schlüssige, einfache Antwort läßt nicht geben, zumal unterschiedliche
Einflüsse und Faktoren zum Tragen gekommen sein dürften. Zum
einen waren da die noch von seiner Mutter beeinflußten Lektüren
in Amboise, wo in einem Roman, Le livre des trois fils de roys, die Verteidigung
Neapels gegen die heidnischen Türken eine zentrale Rolle spielte und
Weltreichideen aus der Zeit des STAUFERS FRIEDRICH
II. wiederbelebt wurden. Dies mag die Phantasie des Kindes angeregt
haben. Wichtiger mögen wiederholte Bittgesuche von Seiten der Päpste
gewesen sein, die sich um auswärtige Hilfe gegen ihren mächtigen
Nachbarn und Lehnsmann, den König von Neapel bemühten. Schon
1482 war Karl mit der Absicht auf französische
Unterstützung zum päpstlichen Gonfaloniere (Bannerträger)
ernannt
worden. 1484 forderte Venedig zusammen mit Papst Sixtus IV. Frankreich
zum militärischen Eingreifen gegen eine gegnerische Koalition auf,
die Neapel, Mailand und Florenz vereinigte. 1488 schließlich erreichte
Karl
wie
auch andere Souveräne ein Kreuzzugsaufruf Papst Innozenz' VIII. gegen
die Türken; zweifellos ein weiterer gewichtiger Anlaß, zumal
der Kreuzzug eine besondere Legitimation für einen Zug nach Süden
darstellte.
Wichtiger aber dürften die Entwicklungen im Königreich
Neapel selbst gewesen sein: Als 1488 aus Neapel exilierte und in Frankreich
aufgenommene neapolitanische Große sich an Karl
VIII. um Hilfe wandten, bot dies nicht nur eine auch publizistisch
nach außen besser vertretbare Handhabe für einen Italienzug,
sondern implizierte auch Erfolgschancen aufgrund der Unterstützung
durch die Opposition im Lande selbst. An ihrer Spitze stand der Prinz von
Salerno, Antonello di San Severino, als beredter Fürsprecher der im
Königreich Neapel unterdrückten ANJOU-Anhänger.
Als der Papst im September 1489 König Ferdinand
von Neapel für abgesetzt erklärte, begann Frankreich,
zumindest diplomatisch aktiv zu werden, und schickte warnende Noten an
den König. Wenn bis 1492 die inneritalienischen Konflikte zwischen
den mächtigen norditalienischen Stadtstaaten, Venedig, Mailand und
Florenz, dem Papsttum und dem Königreich Neapel jedoch ohne nennenswerte
äußere Einmischung ausgetragen wurden, so war dies nicht zuletzt
auch das Verdienst der diplomatischen Bemühungen des großen
florentinischen Staatsmannes Lorenzo de' Medici. Nach seinem Tod 1492 schien
niemand mehr in der Lage zu sein, die Eingriffe äußerer Mächte
abzuwehren. Italien begann zum Kriegsschauplatz auswärtiger Interventen
zu werden. Schon Ende Dezember 1491 hatte Ludovico Sforza, genannt "il
Moro", der anstelle seines Neffen in Mailand regierte, Karl
VIII. ein Bündnisangebot gegen Neapel unterbreitet, was
später wiederholt wurde. Er dürfte dabei unterschiedliche Absichten
verfolgt haben: Als Herzog von Bari hatte er auch eigene Interessen in
Neapel. Vor allem aber sah er sich durch den König von Neapel bedroht,
dessen Tochter mit Ludovicos Neffen, Gian Galeazzo Sforza, verheiratet
war, dem Ludovico wiederum seine Rechte auf das Herzogtum vorenthielt und
an den sich Tochter und Schwiegersohn um Hilfe gewandt hatten. Schließlich
mochte durch ein Bündnis mit Karl auch
Ludwig
von Orleans ausmanövriert werden, der auf Mailand erbrechtliche
Ansprüche geltend machen konnte. Da Karl
neben
dem Papst auf einen Bündnispartner angewiesen war, der ihm den Weg
nach Süden zu öffnen imstande war, kam dieses Angebot sehr gelegen,
selbst wenn es auf Kosten des Herzogs von Orleans erfolgte. Ein verläßlicher
Partner war Ludoviko allerdings nicht, da er gleichzeitig auch mit
MAXIMILIAN in Verbindung stand, den er mit seiner Nichte Bianca
Maria Sforza verheiratete. Als im Oktober 1494 Ludovicos Neffe
plötzlich starb - Gerüchte besagten, er habe ihn vergiften lassen
- und er sich selbst zum Herzog ausrufen ließ, war er mehr auf MAXIMILIAN
angewiesen, der ihn in seinem Amt bestätigen mußte, als auf
den französischen König.
Schließlich konnte Karl
als
Erbe der ANJOUS rechtliche Ansprüche
auf das Königreich geltend machen, deren südfranzösisches
Territorium, die Provence, Ludwig XI. 1481
sofort nach dem Erbfall Frankreich eingegliedert hatte. 1489 ließ
er ein Rechtsgutachten erstellen, das, gestützt auf die den
ANJOU seit dem 13. Jahrhundert von den Päpsten ausgestellten
Rechtstitel, die Rechtmäßigkeit seiner Erbansprüche nachwies
und die Usurpation des Königreichs Neapel durch die Aragonesen 1442
als Rechtsbruch verurteilte. Selbst wenn propagandistische Verfälschungen
oder auch Irrtümer die Position beider Kontrahenten besser aussehen
ließen als sie wirklich waren, so war doch die Rechtslage in jedem
Fall strittig, und die Argumente, die von Seiten der Franzosen vorgebracht
wurden, ließen sich keinesfalls von der Hand weisen. Unbestreitbar
war zudem, dass Neapel päpstliches Lehen war und infolgedessen die
wiederholten Interventionsgesuche der Päpste an Frankreich rechtliches
Gewicht hatten. Wenn auch die Erstellung dieses Rechtsgutachtens und die
ersten Noten an den König von Neapel, Ferdinand
I. (Ferrante) von Aragon, vom selben Jahr erst konkret faßbare
Schritte angesehen werden können, so wäre es verfehlt anzunehmen,
dass schon zu diesem Zeitpunkt eine klare Konzeption im Hinblick auf ein
Ausgreifen Frankreichs nach Italien entwickelt worden wäre.
Vieles entzog sich zweifellos der Planung, und vieles mag dem späteren
Betrachter zielgerichteter und kohärenter erscheinen, als es tatsächlich
war.
Bevor Karl es jedoch
wagen konnte, sein Königreich für einen so risikoreichen Kriegszug
von ungewisser Dauer zu verlassen, mußte er Sicherheit an den drei
offenen Grenzen seines Reichs gewinnen und die Gewißheit haben, dass
Frankreich in seiner Abwesenheit keinen Angriffen von Seiten Englands,
Flanderns, des Reichs oder Spaniens ausgesetzt war. Um dies zu gewährleisten,
setzte er eine fieberhafte diplomatische Tätigkeit in Gang. In nur
sechs Monaten, zwischen November 1492 und Mai 1493, gelang es ihm, sich
mit seinen früheren Gegnern auf einvernehmliche Regelungen über
die lange strittigen und zum Teil umkämpften territorialen Ansprüche
zu einigen. Doch war es nicht nur die Zukunft, die zum Handeln zwang. Es
war MAXIMILIAN, den besagte Ereignisse
der Lächerlichkeit preisgegeben hatten und der die doppelte Brüskierung
durch die Heirat Karls mit seiner Frau
und die Weigerung der Franzosen, die verstoßene Tochter und vor allem
auch deren Mitgift zurückzugeben, nicht unbeantwortet lassen konnte,
nämlich gelungen, eine Koalition mit Spanien und England zustande
zu bringen. So sah sich Frankreich von drei Seiten zugleich angegriffen
und in seiner territorialen Integrität bedroht. Im Vertrag von Etaples
(3. November 1492) wurde gegen die enorme Summe von 745.000 Golddukaten
der Abzug der Engländer, die Boulogne belagerten, erreicht. Allerdings
konnte sich Karl mit dieser Zahlungsverpflichtung,
für die Ratenzahlungen von 50.000 Dukaten pro Jahr vorgesehen waren,
aus alten, 1475 in Picquigny eingegangenen höheren Verpflichtungen
lösen und zugleich die Schulden seiner Frau gegenüber den Engländern
begleichen, so dass insgesamt in diesem Vertrag ein für Frankreich
nicht unvorteilhafter Ausgleich mit England gesehen werden kann. Zugleich
verzichtete Heinrich VII. auf die Führung
des Titels "König von Frankreich" und damit auf alle Gebietsansprüche
auf französisches Territorium. Der in Picquigny geschlossene Waffenstillstand
wurde nun zum Friedensvertrag. Schmerzlicher waren die - ebenfalls schon
in Etaples geplanten - Zugeständnisse, die die Einigung mit dem König
von Aragon, Ferdinand dem Katholischen,
im Vertrag von Barcelona (19. Januar 1493) implizierten. Mit der Rückgabe
von Perpignan, Roussillon und Cerdagne an Spanien wurden die von Ludwig
XI. 1463 annektierten und gegen alle Widerstände verteidigten
Gebiete an der französischen S-Grenze aufgegeben. Nach dem Zeugnis
von Commynes verzichtete Karl dabei
auch auf die Rückgabe einer Schuld von 300.000 Golddukaten, die Ludwig
XI. an Aragon verliehen hatte. Vielleicht wurden sie mit Schulden,
die Anne auch gegenüber Spanien
hatte und die der König sich bei seiner Heirat zu übernehmen
verpflichtet hatte, verrechnet. Wie dem auch sei, anders als beim englischen
Vertrag mußten diese Vereinbarungen als eine Niederlage der Franzosen
erscheinen. Dass gleichzeitig ein immerwährender Freundschaftsbund
zwischen den beiden Königen geschlossen wurde, in dem sie versprachen,
ihre Kinder nicht mit den Feinden Karls,
und zwar dem englischen und dem deutschen König, sowie deren Kindern
zu verheiraten, kann kaum als Zugewinn angesehen werden. Die Gebietsabtretungen
waren dauerhaft. Die wenige Jahre später zwischen den HABSBURGERN
und
den Katholischen Königen verabredeten ehelichen Verbindungen bildeten
den Ausgangspunkt der spanisch-habsburgischen
Vorherrschaft in Europa.
Die größte Gefahr für Frankreich stellte
MAXIMILIAN
dar. Während die beiden anderen Koalitionspartner zwar die Mittel
für ein militärisches Vorgehen besaßen, aber letztlich
wenig Interesse an einem Krieg hatten, brannte der schwer gekränkte
deutsche König eben darauf, jedoch waren weder sein Vater, Kaiser
FRIEDRICH III., noch die Reichsstände dazu bereit und weigerten
sich, die dafür notwendigen Ressourcen bereitzustellen. Mit den wenigen
Truppen, die er aus eigenen Mitteln aufstellen konnte, gelang es ihm, bei
Salins in der Freigrafschaft einen Sieg über die Franzosen am 17.
Januar 1493 zu erringen, der es ihm in der Folge ermöglichte, zumindest
einen Teil der abgetretenen burgundischen Erbschaft wieder in Besitz zu
nehmen. Da aber weitere militärische Erfolge, wie MAXIMILIAN
einsah,
unter den gegebenen Umständen nicht zu erzielen waren und Karl
VIII. auch ihm gegenüber Bereitschaft zum Frieden und zu
Zugeständnissen signalisierte, wurde nach einem vorbereitenden Waffenstillstand
am 23. Mai 1493 in Senlis ein Friede geschlossen. Margarete,
die gegen ihren Willen in Frankreich festgehalten war, übergab man
schon am 12. Juni den Gesandten ihres Vaters. Gleichzeitig wurde ihre Mitgift,
die Freigrafschaft Burgund sowie die Grafschaften Artois
und Charolais, zurückerstattet. Für die übrigen burgundischen
Gebiete traf man rechtliche Vereinbarungen. Frankreich bekam im Gegenzug
freie Hand für Italien. Dass dies - wie schon 1490 im Falle MAXIMILIANS
gegenüber
der Bretagne - kaum ernst gemeint war, sollte sich bald erweisen. Typisch
für die Zeit war die Behandlung der bretonischen Frage. Um MAXIMILIAN
eine weitere Demütigung zu ersparen, wurde diese Angelegenheit im
Vertrag selbst gar nicht angesprochen. Dass jedoch der Sohn und Erbe Karls
aus der Verbindung mit Anne als Vertragspartner
genannt wird, zeigt ein stillschweigendes Anerkenntnis der Fakten. Erst
nachdem MAXIMILIAN - ebenfalls unter
anfechtbaren Umständen - eine neue Frau gefunden hatte, verzichtete
er ein halbes Jahr nach Vertragsabschluß auf alle ihm aus der Heirat
mit Anne in der Bretagne erwachsenen
Rechte.
Diese drei Verträge sind in der Forschung sehr unterschiedlich
bewertet worden. Einerseits wurden sie als Aufgabe dessen interpretiert,
was bisher zur territorialen Arrondierung Frankreichs erreicht worden war,
nur um ein Vorhaben mit höchst ungewissem Ausgang zu realisieren,
dessen Scheitern viele ohnehin für gewiß hielten. Andererseits
wurde - etwa von Y. Labande-Mailfert - hervorgehoben, dass unabhängig
von Karls Italienplänen die Verträge
ein Ende der nun schon Jahrzehnte andauernden Kriege auf französischem
Territorium bedeuteten und Frankreich vor allem auch die internationale
Anerkennung des Erwerbs der Bretagne eintrugen, demgegenüber die Geldleistungen
und Gebietsabtretungen in ihrer Bedeutung zurückständen. Eine
solche Interpretation ist stark durch eine positive Bewertung auch der
Italienpolitik Karls geprägt
und vergißt, dass ohne dieses Unternehmen das auch Zeitdruck implizierte,
die französische Diplomatie zweifellos über einen erheblich größeren
Handlungsspielraum verfügt hätte, der sich zu Gunsten der Krone
hätte auswirken müssen, zumal eigentlich nur MAXIMILIAN
zum Kriege bereit war, ihn auch zu führen. Zum anderen bedeuteten
die finanziellen Zugeständnisse Karls an
seine Vertragspartner, selbst wenn sie nicht in vollen Umfang erfüllt
wurden eine beträchtliche Schwächung seiner Finanzen, was schon
im Vorfeld ein Gelingen der Italienpläne kompromittierte. Doch wird
man sich bei einem Bewertungsversuch davor hüten müssen,
Karl an zeitfernen modernen Maßstäben zu messen.
Ein Erfolg in Italien versprach politischen und wirtschaftlichen Zugewinn,
der territoriale und finanzielle Vorleistungen durchaus rechtfertigen mochte.
Die angeführten ideellen Gesichtspunkte sind ebenfalls nicht zu gering
zu veranschlagen. Solches ins Auge zu fassen unterschied Karl
nicht von den Souveränen seiner Zeit. Dass zudem die geschlossenen
Verträge keine Festschreibungen von sehr langer Dauer sein mußten,
sondern nur solange Bestand hatten, wie ihre Inhalte mit den bestehenden
Machtverhältnissen übereinstimmten und die Interessenlagen der
Vertragspartner sich nicht veränderten, zeigen nicht nur die
zwischen dem Friedensvertrag von Arras 1482 und den Verträgen von
1492/93 geschlossenen Vereinbarungen und Verträge. Auch die in diesen
und den folgenden Jahren in Italien zwischen ständig wechselnden Gruppierungen
vereinbarten und wieder gebrochenen Abmachungen illustrieren den in ihrer
Zeit besonders labilen Charakter und Verträgen.
Als König Ferdinand I.
von Neapel am 25. Januar 1494 starb, war der Moment gekommen,
den geplanten Zug nach Neapel in die Tat umzusetzen. Am 13. Februar verließ
Karl
Amboise, um in Lyon ein Heer zusammenzustellen und die unmittelbaren Vorbereitungen
für den Kriegszug zu treffen. Dort nahm er am 13. März den Titel
der ANJOU-Herrscher
"König
von Neapel und Jerusalem" an, was seinen Anspruch auf deren Erbe nun
auch programmatisch in aller Öffentlichkeit dokumentierte. Wie sehr
dieser Italienzug ein persönliches Unternehmen
Karls war, zeigt schon eine Aufzählung der Warner und Gegner
des Projekts in seinem engsten Familien- und Beraterkreis: Nicht nur Pierre
und besonders Anne de Beaujeu, sondern
auch seine Frau versuchten vergeblich, den König von seinem Vorhaben
abzubringen. Auch Ludwig von Orleans,
dessen Aspirationen auf das Herzogtum Mailand durch das geschickte Taktieren
Ludovico Sforza durchkreuzt worden waren, gehörte nicht länger
zu den Befürwortern. Die Marschälle von Frankreich, Philippe
de Crevecoeur, Seigneur d'Esquerdes, und Pierre de Rohan, Seigneur de Gie,
gehörten schließlich ebenso zu den Gegnern wie der Admiral Louis
Malet, Seigneur de Graville, und der mächtige Erzbischof von Narbonne,
Georges d'Amboise, der, überdies zu den engen Beratern Ludwigs von
Orleans zählte. Auch Philippe de Commynes, den einst die Opposition
zu den Beaujeu um Einfluß und Besitz gebracht hatte, war gegen
den Italienzug. Die wichtigsten Befürworter waren Karls
alter Erzieher, der einflußreiche Seneschall von Beaucaire, Etienne
de Vesc, und der intrigante, bei Karl angesehene,
aber schon vor Beginn des Italienzuges verstorbene Kardinal Jean Balue,
der unter Ludwig XI. viele Jahre im
Kerker verbracht und selbst starke italienische Interessen hatte, sowie
der an der Spitze der Finanzverwaltung stehende Bischof von St-Malo, Guillaume
Briconnet, der sich Hoffnungen auf einen Kardinalshut machte. Dass schließlich
von Ludovico Sforza Bestechungsgelder an sogenannte Freunde des Königs
gezahlt wurden, dürfte angesichts eines ohnehin entschlossenen Königs
von geringer Bedeutung gewesen sein. Wie sein Vater zeichnete sich auch
Karl durch eine gewisse Halsstarrigkeit aus und war, nachdem
er einmal einen Entschluß mit Argumenten davon abzubringen. Welche
Schwierigkeiten Karl erwarteten, ließ
sich erahnen, als angesichts der konkreten Vorbereitungen der Borgia-Papst
Alexander VI., der 1492 auf Innozenz VIII. gefolgt war, nach anfänglichen
an Karl gerichteten Interventionsgesuchen
die Seiten wechselte und am 17. April 1494 Alfons
II. von Kalabrien, den Sohn Ferdinands
I., mit dem Königreich Neapel investierte und am 8. Mai
durch den päpstlichen Legaten krönen ließ. Ganz unerwartet
war dies nicht, da schon zuvor Neapel zugunsten eines Kreuzzuges gegen
die Türken in der päpstlichen Korrespondenz mit Frankreich in
den Hintergrund getreten war. Ein Kreuzzug hätte Karl
und
seine Truppen nicht zwangsläufig nach Süden - und damit auch
nicht in die Nähe des Papstes - führen müssen. Die Vorbereitungen
des Italienzuges wurden in Lyon allerdings nicht so zügig vorangetrieben,
wie man es hätte eigentlich erwarten können. Ob Karl
selbst
Zweifel bekam? Wir wissen es nicht. Viel Zeit verging mit Festen und auf
der Jagd, ehe er sich erst sehr spät, Ende August, von seiner Frau
in Grenoble verabschiedete und auf den beschwerlichen Weg über die
Alpen nach Italien machte. Die Regierungsgewalt während seiner Abwesenheit
hatte er erneut in die Hände seines Schwagers,
Pierre
de Beaujeu, gelegt. Den Oberbefehl über die Truppen übertrug
er dem Grafen von Montpensier, Gilbert de Bourbon, und nicht Ludwig
von Orleans, wie dieser
wohl hatte erwarten dürfen. Statt dessen erhielt Ludwig
den Oberbefehl über die Flotte, worauf er in keiner Weise vorbereitet
war. Am 9. September traf Karl mit
Ludovico Sforza zusammen, der zu diesem Zeitpunkt noch zu ihm stand und
dem französischen König etwa 6.000 Soldaten zur Verfügung
stellte. Die Truppenstärke des Königs betrug etwa 22.000 Mann,
davon etwa 7.500 ausländische Söldner, Schweizer (6.300), Holländer
(600) und Schotten (600). Aus Frankreich kamen 9.360 Berittene und 5.400
Fußsoldaten. Die mitgeführten Kanonen, die schwere Kavallerie
und die gefürchteten Schweizer Fußsoldaten machten Karls
Heer
zu einem schwer besiegbaren Gegner. Dass Venedig sich neutral verhielt,
war ein zusätzlicher Vorteil. Von den übrigen italienischen Stadtstaaten,
die zwar eine ausländische Intervention verabscheuten, aber in ihren
Interessen zu gespalten waren, als dass sie sich zu einem gemeinsamen Vorgehen
hätten entschließen können, drohte kaum Gefahr. Lediglich
Piero de' Medici, der an seiner Freundschaft mit Neapel festhalten wollte,
vermochte Karl auf seinem Weg nach
Süden noch ernsthaft zu gefährden.
Um Karl gar nicht
erst an die Grenzen seines Königreichs kommen zu lassen, wollte
Alfons II. ihm sowohl zu Wasser als auch zu Land den Weg abschneiden.
Beides scheiterte. Seine Flotte unterlag bei Rapallo, so dass es nicht
gelang, die französischen Schiffe aufzuhalten. Der auf die Unterstützung
durch Florenz angewiesene Plan einer Bekämpfung Karls
schon im Norden kam nicht zum Tragen, da schon Piero selbst im geheimen
einen Ausgleich mit Karl suchte, bevor
ihn die franzosenfreundlichen aufständischen Florentiner aus der Stadt
vertrieben und dem König ihre Tore öffneten. Savanarola begrüßte
ihn als den Retter und Reformer Italiens. Die Stadt ließ sich von
Karl
ihre Privilegien bestätigen und erklärte sich bereit, ihn finanziell
zu unterstützen. De facto wurde Florenz nun zum Stützpunkt der
Franzosen. Nichts stellte sich mehr Karls
militärischem Marsch nach Neapel entgegen. Am 31. Dezember 1494 erreichte
er Rom, wo der Papst sich nun gezwungen sah, ihn ungehinderten Durchzug
durch den Kirchenstaat zu gewähren. Briconnet erhielt den ersehnten
Kardinalshut. In Rom traf Karl nun
auch mit Djem zusammen, der dort im
Exil lebte. Dieser Bruder des Sultans Bajazet,
der für sich in Anspruch nahm, der rechtmäßige Sultan zu
sein, diente dem Papst als Unterpfand, um den Sultan von einer Invasion
in Italien abzuhalten. Für Karl
war
die Person Djems aber auch im Hinblick
auf seine Kreuzzugspläne von Bedeutung. Als Preis für sein politisches
Doppelspiel mußte Alexander nun Djem
der Obhut Karls überantworten.
Da Djem jedoch schon bald darauf in
Neapel starb (25. Februar 1495), blieb sein Schicksal Episode. Trotzdem
war Karl, der den Tod zuerst geheimhielt,
nicht bereit, die Leiche herauszugeben. Erst mit dem Abzug der Franzosen
aus dem Königreich ging auch dieses letzte Symbol für seine Kreuzzugspläne
verloren. Der von allen Bündnispartnern verlassene Alfons
II., der zudem eine starke profranzösische Opposition im
Lande gegen sich hatte, sah nun im Thronverzicht und in der Übergabe
der Königsherrschaft an seinen Sohn Ferrandino
(Ferdinand II.) am 23. Januar 1495 den einzigen Ausweg zum Erhalt
der aragonesischen Königsherrschaft in Neapel.
Karls Weiterzug konnte
er jedoch damit nicht verhindern. Ohne auf großen Widerstand zu stoßen,
erreichte dieser nur einen Monat nach dem Verlassen Roms die Hauptstadt
und hielt am 22. Februar 1495 zum ersten Mal Einzug in Neapel. Bereits
zweieinhalb Wochen später war auch die letzte wichtige Festung des
Königreichs Neapel in französischer Hand. Karl
übernahm
die Regierungsgeschäfte, verteilte die Aufgaben neu und vergab, politisch
kurzsichtig, die enteigneten Besitzungen an die Franzosen - was bei den
nichtberücksichtigten Anhängern der
ANJOU im Lande zu Recht erhebliche Unzufriedenheit hervorrief
- und trug um die militärische Sicherung des Landes für die Franzosen
Sorge. Gegen Ende seines dreimonatigen Aufenthalts in Neapel wiederholte
er den Einzug noch einmal (12. Mai 1495) in Form einer entree solennelle,
des traditionellen feierlichen Eintritts der französischen Könige
beim ersten Besuch ihrer Stätte nach der Krönung. Auf dem Höhepunkt
der Zeremonie sah man Karl vom Königsthron
in der Kathedrale die Huldigung des neapolitanischen Volkes entgegennehmen
und hörte ihn die Namen der höchsten Amtsträger, die er
zur Regierung und Verwaltung des Königreiches eingesetzt hatte, verkünden,
an ihrer Spitze den des Grafen von Montpensier als Vizekönig. Am 2.
Mai verließ der Herrscher die Stadt, um wieder nach Frankreich zurückzukehren.
So leicht wie die Eroberung des Königreichs Neapel
gewesen war, die ohne nennenswerte Verluste gelang, weil aus Angst vor
der schweren Artillerie, die die Franzosen mit sich führten, die Städte
fast überall kampflos ihre Tore öffneten, so schwierig sollte
der Rückzug werden. Am 31. März wurde zwischen Venedig, das jetzt
seine Neutralität aufgab, MAXIMILIAN,
Mailand und Spanien das Bündnis der lombardischen "Heiligen Liga"
geschlossen, um Karl den Rückweg
abzuschneiden und ihm seine Eroberungen wieder zu entreißen. Am 6.
Juli 1495 kam es in der Emilia bei Fornovo di Taro zur Schlacht. Den Franzosen
gelang es, nicht zuletzt dank der geschickten Strategie Karls
und
seiner persönlichen Tapferkeit, das zahlenmäßig überlegene
Heer der Liga zu besiegen. Es ist zwar zufällig, jedoch deshalb nicht
minder bedeutungsvoll, dass am folgenden Tag der beim Anmarsch
Karls
aus
Neapel geflohene König Ferrandino von Neapel wieder in seine Hauptstadt
zurückkehrte.
In der Zwischenzeit hatte Ludwig
von Orleans gegen den Herzog von Mailand, der dem Bündnis
mit Karl untreu geworden war, militärische
Siege errungen, war zuletzt aber in dem eroberten Novara eingeschlossen
worden. Trotz Hunger und Krankheit, die sich unter den Truppen Ludwigs
und der Stadtbevölkerung breit zu machen begann, legte Karl
offensichtlich
keine Eile an den Tag, den Herzog von Orleans aus seiner mißlichen
Lage zu befreien und gegen den Mailänder militärisch vorzugehen.
Als er sich im September mit seinen Truppen schließlich in Bewegung
setzte, um die Stadt zu entsetzen, geschah dies offensichtlich nicht in
der Absicht, Ludovico zu bekriegen. Statt dessen suchte er eine vertraglich
Einigung, die zwar den Belagerten freien Abzug gewährte, Novara aber
erneut in die Hände Ludovicos gab. Dieses Vorgehen diskreditierte
nicht nur Ludwig von Orleans und führte
zu einer tiefen Verstimmung zwischen beiden, es ist in gewisser Weise auch
typisch für Karls
Italienpolitik.
Wahrscheinlich wird man von einem Konzept gar nicht reden dürfen.
Vieles macht den Eindruck von ad hoc-Entscheideungen, die mehr durch die
Augenblicksumstände beeinflußt als an stringenten Zielvorstellungen
und langfristiger Planung ausgerichtete waren. Der mit Ludovico geschlossene
Friedensvertrag von Vercelli (10. Oktober 1495) brachte zwar das Ende der
lombardischen Liga, doch bedeutete dies keinen Sieg für
Karl.
Als er am 7. November 1495 wieder in Lyon einzog, war ein großer
Unternehmen gegen große Widerstände und gegen die Erwartungen
vieler in gewisser Weise zwar erfolgreich abgeschlossen worden, das eigentliche
Kriegsziel aber, das Königreich Neapel, war schon wieder so gut wie
verloren.
Dort setzten schon bald nach Karls
Abzug
die ersten Rückeroberungsversuche ein. Zwar gelang es zu Anfang den
gutgerüsteten Franzosen, sich erfolgreich zu behaupten und auch militärische
Siege zu erringen, schon bald jedoch konnten sie wichtige Plätze nicht
mehr halten. Am 8. Dezember 1494 fiel die erst am 7. März eroberte
Festung Castel Nuovo wieder in die Hand der Neapolitaner. Auf Dauer erwies
sich die große Entfernung zu Frankreich als nicht wettzumachendes
Handicap, zumal auch die den Heerführern bewilligten Finanzmittel
und die Soldzahlungen nur sehr unregelmäßig und nicht in ausreichender
Höhe zur Verfügung gestellt wurden. Zum Teil geschah dies wohl
ohne Wissen des Königs. Briconnet, der so auf den Italienzug gedrängt
hatte, dessen Wünsche aber mit dem Erreichen des Kardinalats befriedigt
waren, trug hieran entscheidende Verantwortung. Erst nachdem es zu spät
war, schien Karl
dessen gewahr zu werden
und entzog Briconnet seine Verantwortlichkeiten in der Finanzverwaltung.
Ohne ausreichenden Nachschub aber waren die auf sich gestellten Franzosen
den überlegenen neapolitanisch-spanischen Truppen auf Dauer nicht
gewachsen. Diese standen unter dem Oberbefehl von Gonzalos de Cordoba,
eines fähigen Heerführers, den König
Ferdinand von Aragon seinem Schwiegersohn, dem König von
Neapel, zusammen mit Truppen zur Verfügung gestellt hatte. Die notwendigen
Gelder lieh Venedig. Krankheiten, darunter besonders die Syphilis, die
schon während Karls Aufenthalt
in Neapel unter den Franzosen ausgebrochen war, und Malaria, der schlechter
werdende Stand ihrer Ausrüstung, die Verluste im Krieg sowie nicht
zuletzt auch Rang- und Kompetenzstreitigkeiten unter den französischen
Heerführern führten schließlich zur Kapitulation der Armee
am 23. Juli 1496 in Atella.
Wie verhielt sich nun Karl selbst,
als er mit ansehen mußte, wie sein Traum zerrann? Die in den folgenden
Jahren immer wieder unternommenen Anstrengungen zu erneuten Italienzügen
kamen jeweils über die Anfänge nicht hinaus. Sie blieben ebenso
Stückwerk wie die Anläufe, wirksam gegen den seines Amtes unwürdigen
Papst vorzugehen und ihn etwa durch ein Konzil absetzen zu lassen. Seine
diesbezüglichen an die Pariser Fakultät gerichteten Fragen um
Rechtsauskunft wurden alle in seine Sinne beantwortet. Der König jedoch
tat nichts. Die Kreuzzugspläne, sollten sie je wirklich verfolgt worden
sein, waren mit dem Tode Djems in weite Ferne gerückt. Wie ernsthaft
Karl selbst an einen neuen Italienzug dachte, wissen wir nicht. Sicher
erschwerte auch sein schlechter Gesundheitszustand, der ihn seit November
1496 immer stärker beeinträchtigte, eine Realisierung solcher
Pläne. Nach dem Verlust Gaetas (19. November 1496), des letzten den
Franzosen verbliebenen Stützpunkts in Süditalien, sah sich Karl
zum Abschluß eines Waffenstillstandes mit dem König von Neapel
gezwungen der de facto den Zustand vor der Eroberung wiederherstellte.
Die Italienpolitik Karls war gescheitert. So schnell die Eroberung Neapels
gelungen war, so schnell ging das Eroberte wieder verloren. Dass auch MAXIMILIAN
mit
seinen Italienplänen kein Erfolg beschieden war, dürfte kaum
ein Trost sein. Der Zug des deutschen Königs (August 1496) kam nicht
zuletzt durch die Niederlage gegen die französische Flotte bei Livorno
zum Stillstand. Die angestrebte Kaiserkrönung in Rom sollte
er nie erreichen.
Am 7. April 1498 starb Karl
VIII. an den Folgen eines Unfalls in seinem geliebten Schloß
Amboise. Hier war er als Kind aufgewachsen, hier hatte er seine große
Bautätigkeit entfaltet und erhebliche Summen in bauliche Verbesserungen
investiert. Um der Königin, die noch unter den Folgen einer Fehlgeburt
litt, eine Freude zu machen, schlug er ihr an diesem Tag nach der Rückkehr
von der morgendlichen Jagd vor, gemeinsam von einer Galerie dem Ballspiel
im Schloßhof zuzusehen. Auf dem Weg dahin stieß er sich in
dem engen, dunklen und durch Bauarbeiten schlecht passierbaren Gang den
Kopf an. Zunächst schien dies ohne Bedeutung, denn weder er noch die
hinter ihm gehende Königin waren beunruhigt. Nach einigen Worten mit
den Umstehenden und einer Äußerung gegenüber seinem Beichtvater,
dem Bischof von Angers, keine läßliche und keine Todsünde
mehr begehen zu wollen, wenn dies denn möglich sei, brach er bewußtlos
zusammen. Wenige Stunden später starb er an derselben Stelle, wo man
ihn auf ein Strohlager gebettet hatte, ohne bis auf ganze kurze Augenblicke
wieder zu Bewußtsein gekommen zu sein. Über die Todesursache
ist aufgrund der besonderen Umstände viel geschrieben worden. Zeitgenossen
sprachen auch von Vergiftung, Gehirnblutung oder vielleicht die
Folgen
einer Herzkrankheit sind plausiblere Erklärungen.
Schon zu seinen Lebzeiten hatten viele Zweifel an Karls
Fähigkeiten, selbst wenn nicht alle so harsch urteilten wie ein venezianischer
Gesandter: "Ich bin sicher, dass er sowohl körperlich als auch geistig
wenig taugt". Der kritische Commynes maß ihn wohl implizit an seinem
Vater, dem er nicht gewachsen war; aber wie er zugesteht, habe ihn auch
sein früher Tod nicht zur Entfaltung kommen lassen. Sein Mäzenatentum
und auch seine Frömmigkeit werden gerühmt. Täglich ging
er zur Messe, was ihn allerdings ebensowenig wie die Zuneigung zu seiner
Frau von sexuellen Abenteuern abhielt. Im Umgang mit Menschen unterschied
er sich wohl sehr positiv von Ludwig XI. Im
Innern hat er sein Land nicht geprägt, dazu mögen ihn die Italienpolitik
und seine seit 1496 verstärkt einsetzenden gesundheitliche Probleme,
aber auch die Jagd und andere Vergnügungen, die ihm wohl näher
lagen als das regieren, zu sehr in Anspruch genommen. Zudem dürften
ihn aber der plötzliche Tod des Thronfolgers
Charles-Orland am 16. Dezember 1495 und der Tod dreier weiterer,
in den folgenden Jahren geborener Kinder, was ihn ohne Erben ließ
und das Königspaar tief bedrückte, während der letzten Jahre
seiner Regierung belastet haben.
Gleichwohl unternahm Karl nach
seiner Rückkehr aus Italien einige Anstrengungen zur Verbesserung
und Beschleunigung der Rechtsprechung im Lande. Die Kodifikation der Gewohnheitsrechte
wurde wieder aufgenommen. Das Pariser Parlament bekam einen fünften
Präsidenten. 1498 hielt Karl
selbst
öffentliche Audienzen ab, bei denen auch die Armen Gelegenheit bekamen,
ihr Recht einzufordern. Ein gewisses Gefühl für die Bedürfnisse
des Volkes, das hierin zum Ausdruck kommt, läßt sich auch in
anderen Zusammenhängen finden - etwa wenn er in Amboise für arme
und alte königliche Amtsträger eine Art Heim einrichten ließ.
Doch ist dies nicht überzubewerten. Die finanziellen Aufwendungen
für den Krieg, insbesondere die hohen Kosten für die Truppen,
lasteten schwer auf den Franzosen. Die königliche Hofhaltung kannte
keine Einschränkungen. Die eigenen Mittel reichten dafür nicht
aus. Hohe Schulden waren die Folge. All dies scheint der generellen Beliebtheit
des Königs aber nicht abträglich gewesen zu sein. Ein riesiger
Trauerzug begleitete seinen Sarg nach St-Denis, wo er am 1. Mai 1498 neben
seinen Vorfahren begraben wurde. Die Trauer um ihn nahm zum Teil exzessive
Züge an. Zwei seiner Diener sollen sogar vor Trauer gestorben sein.
Der Thron und - entsprechend dem Ehevertrag mit Anne
- auch seine Frau gingen an Herzog Ludwig
aus dem Hause ORLEANS über.