CHINON
Lexikon des Mittelalters:
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Chinon
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Stadt in West-Frankreich (dép. Indre-et-Loire), am Unterlauf der
Vienne mit bedeutender mittelalterlicher Befestigungsanlage (400 x 70
m), auf einem Bergsporn aus Kalkgestein in beherrschender Lage
über dem Viennetal gelegen.
Schon früh besiedelt, war Chinon
(Caino vicus bzw. castrum) nach Gregor von Tours
befestigt und
wurde, nachdem es spätestens von den Westgoten Eurichs zum castrum ausgebaut worden war, vom römischen Heermeister Aegidius
vergeblich belagert (463?).
Maximus
(St-Mexme, siehe unten) errichtete um die Mitte des 5. Jh. ein monasterium, nachdem schon zuvor
unter Bischof Brictio von Tours
(401/441) eine Pfarrkirche angelegt worden war. Spuren der vor Chinon
von dem bretonischen Eremiten
Johannes
im 5. Jh. erbauten Zelle sind inzwischen entdeckt worden (Greg. Tur.,
Hist. Franc. V, 17; VI, 13; X, 31; Lib. in gloria Conf. 22, 23). Die
ältesten noch bestehenden Bauteile der Befestigung gehen auf die
Grafen von Blois zurück, die
(als Grafen von Tours) Chinon
um das Ende des 10. Jh./Anfang des 11. Jh. innehatten.
Die Grafen von
Anjou (Angers/Anjou)
besaßen die Anlage von 1043 bis 1205, ohne sie je
weiterzuverleihen; sie errichteten zwei getrennte Festungsbauten: im
Osten das Fort St-Georges, im Westen das Schloß (castrum, château) Chinon
im eigentlichen Sinne. Es handelt sich um zwei rechteckige ummauerte
Flächen mit erhöhten Kurtinen und Türmen.
König Heinrich II. von England aus
dem Hause ANJOU
hielt sich oft in Chinon
auf und starb hier im Jahre 1189. Philipp
II. August, König
von Frankreich, nahm Chinon
im Zuge seiner Rückeroberung des Angevinischen Reiches 1205
nach
langer Belagerung ein.
Am 18. September 1214 wurde in Chinon
ein fünfjähriger Waffenstillstand zwischen König Philipp II. und
dem bei
Bouvines am 27. Juli 1214 besiegten König
von England, Johann,
vereinbart (1220 erneuert); dieser mit päpstlicher Vermittlung (Kardinal-Legat Robert Curson)
geschlossene Vertrag besiegelte den Verlust der englischen Besitzungen
in West-Frankreich nördlich der Loire und bildete somit eine
wichtige Etappe in den englisch-französischen Auseinandersetzungen
des 13. Jh. (Paris, Friede
von, 1259).
Unter Philipp
II. wurden zur Sicherung der wiedereroberten Loiregebiete die
bestehenden Festungswerke von Chinon
erweitert, indem der äußerste Westrand des Bergsporns (Fort
du Coudray) von der übrigen Festung (Château du Milieu)
durch tiefe Gräben isoliert wurde. Diese imposante Festung lag nun
inmitten der Krondomäne; sie diente den KAPETINGERN
als
Gefängnis (so für Würdenträger des Templerordens
während des Templerprozesses unter König Philipp IV. ab 1307). Im
14. Jh. als Apanage ausgetan, kam Chinon
im Jahre 1427 an den Dauphin Karl (VII.). Er ließ hier
Wohnräume einrichten und machte die Festung zu seiner zeitweisen
Residenz. Hier versammelte er die Etats
(Stände) und empfing
Jeanne d'Arc (Februar
1429). Nach dem Ende des
Hundertjährigen
Krieges verlor Chinon
König
jedoch seine Residenzfunktionen wieder. Unter Ludwig XI.
war
Philipp de Commynes, der
berühmte Memoirenverfasser, Gouverneur
der Festung; unter ihm wurde der letzte Turm erbaut. Seit dem
16. Jh.
mehr und mehr aufgegeben, verfiel Schloß Chinon zur Ruine.
Unterhalb der Festung Chinon
bestanden seit dem 11. Jh. zwei Burgi (burgus),
die heute zur Stadt Chinon
vereinigt sind. Der eine lag unmittelbar am Fuß des
Festungsberges auf einer schmalen Schwemmlandfläche entlang der
Vienne, um die Pfarrkirche St-Maurice. Der andere befand sich weiter
östlich auf einem offeneren Terrain.
Sein Ursprung war wohl eine
Siedlung um ein kleines Sanktuarium über dem Grab des hl. Maximus
(Mexme), eines
Schülers des hl. Martin von
Tours; im 11. Jh. trat
eine bedeutende Kollegiatkirche an die Stelle des Sanktuariums.
Pfarrkirche dieses zweiten Burgus war St-Etienne.
G. Devailly