Schneider Reinhard: Seite 79-82
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„Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter“

Seinem Sohn Theudebert gab er anschließend eine geheime schriftliche Weisung, er selbst möge auch Sigivalds gleichnamigen Sohn umbringen. Theudebert weigerte sich aber, sein Patenkind zu ermorden, warnte den jungen Sigivald und ermöglichte die Flucht: nach Theuderichs Tode solle er unbesorgt wiederkehren, wie Sigivald auch tat. Chlodwigs Enkel wich mit seiner Haltung beträchtlich ab von der Ausrottunspolitik gegenüber den eigenen Verwandten, die Chlodwig grandios begonnen hatte und seine Söhne fortsetzten.
Theudeberts eigenem Erbanspruch drohte von seinen königlichen Oheimen die größte Gefahr. So wurde ihm in der Provence gemeldet, patrem suum graviter egrotare, et ad quem nisi velocius properaret, ut eum inveniret vivum, a patruis suis excluderetur et ultra illuc non rediret. Hals über Kopf eilte Theudebert zurück, fand seinen Vater Theuderich I. zwar schon tot (gestorben vor Ende 533) vor, kam aber gerade noch rechtzeitig, um vor den Oheimen mit Mühe seine Herrschaft zu behaupten.
Wieder stehen sich bei dem erbitterten Streit um Theuderichs Erbe zwei verschiedene Rechtsansprüche gegenüber. Hier das auch von Theuderich begünstigte Eintrittsrecht des schon längst volljährigen und kampferprobten Sohnes - sofern es der eigene Sohn, dort ein Anwachsungsrecht der Brüdergemeinde. Entscheidend wirkt sich bei diesen konkurrierenden Rechtstiteln aus, wer schneller handelt und sich die entscheidenden Machtvorteile herausarbeitet. Diese hätte des sterbenden Königs letzter Wille und Einfluß auf die Großen erreichen können, das war dann letztlich der Umstand, daß Theudebert gerade noch einen zeitlichen Vorsprung vor seinen Oheimen erjagt hatte, um als erster und erfolgreich die leudes des väterlichen Reiches mit Geschenken für sich zu gewinnen: Jetzt verteidigten sie ihn und "stabilisierten seine Königsherrschaft", das dürfte heißen, daß sie seinen Erbanspruch anerkannten und Theudebert förmlich zum König erhoben. Politische Faktoren hatten bei dem Herrschaftswechsel von Theuderich auf Theudebert demnach den entscheidenden Aussschlag gegeben. Gewichtigster politischer Faktor bei der Königsbestellung waren die leudes. Dabei war Theudebert von seinem Vater als Nachfolger vorgesehen und "aufgebaut" worden, wozu das Verlöbnis mit Wisigarde, der Tochter des Langobarden-Königs Wacho gehört. Er hatte dann aber nicht sie geheiratet, sondern die Ehefrau eines angesehenen Provenzalen, die ihm schon früher den Weg zur Herrschaft über das Gebiet um die Feste Cabrieres eröffnet hatte, - wobei Gregors Überlieferung das damalige Verhalten dieser Deoteria gegenüber dem Königs-Sohn als eine förmliche Einladung zur Herrschaftsübernahme darstellt. Doch Theudeberts Franken erzwangen später die Trennung von der Gallorömerin Deoteria [81 Deoteria war eine südgallische Senatoren-Tochter aus Beziers, Ewig, Trierer Land 228.], indem sie darauf bestanden, daß Theudebert die ihm noch zu Lebzeiten seines Vaters vor sieben Jahren anverlobte Langobardin heiratete. Wenn man beachtet, daß Heiraten mit auswärtigen Königs-Töchtern sonst im Regelfall als dynastisch motiviert gelten, so ist das außenpolitische Interesse der Franken Theudeberts in diesem Falle bemerkenswert [83 R. Buchner, Das merowingische Königtum 146, wollte in dem "ausgesprochenen Ausnahmecharakter der Verbindung des MEROWINGERS mit einer Romanin" den Grund für Theudeberts Trennung von Deoteria sehen, während Zöllner Seite 90 Anm.1 den Hauptakzent auf dem Verlöbnisbruch und Deoterias Verdächtigung, den Unfall ihrer Tochter verursacht haben, legt (vgl. ders. Seite 130). K. Reindel (Hb. d. Bayr. Gesch. I) 103 wiederum vermutet, daß Theudeberts Eheschließung mit der langobardischen Königs-Tochter Wisigarde 537 zur Vorbereitung seiner Angriffspläne dienen sollte.].
So knapp die Nachrichten über den Herrschaftswechsel von Theuderich I. auf seinen Sohn Theudebert auch sind, es scheint als sei für Theudeberts Herrschaftsantritt erstmalig in der fränkischen Überlieferung ein Umritt bezeugt.
Denkwürdig ist der Umschwung im Verhalten König Childeberts gegenüber seinem Neffen, dem er eben noch das Reich seines Vaters streitig gemacht hatte. Als er sah, daß er Theudebert nicht werde überwinden können, versuchte er, sich mit ihm zu arrangieren. Aber daß Childebert den tatkräftigen und rasch zupackenden Theudebert zu sich bat, ihn adoptierte und mit Geschenken überhäufte, verwunderte doch alle sehr, die es erlebten. Neben dem Eintrittsrecht der Brudersöhne und dem Anwachsungsrecht der Brüdergemeine begegnet hier mit der Adoption eines Verwandten eine dritte Form, die geeignet erscheint, Erbansprüche innerhalb des merowingischen Königshauses zu begründen. Verkannt werden darf bei Childeberts Schritt ebenfalls nicht, daß er damit faktisch sofort Theudeberts Königtum anerkannte und Frieden mit ihm schloß, so daß in Gregors Frankengeschichte zur Recht resümierend gesagt werden kann, Theudeberts Königsherrschaft sei (jetzt) gefestigt worden. Ein gemeinsamer Feldzugsplan Theudeberts und Childeberts im Jahre darauf gegen Chlothar wirft auf das Verhältnis zwischen dem kinderlosen Oheim und seinem Neffen ein zusätzliches Licht. Ob Childeberts Erbpläne ernst und zu realisieren waren blieb offen. Denn Theudebert starb schon im 14. Jahr seiner Regierung (Ende 547), und "als König herrschte statt seiner sein Sohn Theudebald".