Der sterbende König
Dagobert
III. hatte ohne Zweifel einen Sohn hinterlassen, jenen später
im Jahre 721 zum König erhobenen Theuderich
IV. Gewiß wird dieser beim Tod seines Vaters minderjährig
gewesen sein, was aber angesichts zahlreicher Erhebungen von Minderjährigen
und bei dem eingespielten Mechanismus von Thronsetzungen unbedeutender
"Schattenfiguren", die den arnulfingischen Herrschaftsanspruch nicht
gefährdeten, kaum als Erklärung ausreicht, weshalb hier im Jahre
715/16 nicht der Sohn auf den Vater folgte. Die Erklärung wird in
der Richtung einer Rivalität zwischen ARNULFINGERN
und fränkischen, vorwiegend neustrischen Großen (Franci)
zu suchen sein, die sich in den Nachfolgeregelungen diesmal in überraschender
Weise durchzusetzen vermochten, eine Tatsache, die geeignet ist, auf das
von Einhard so verspottete Marionetten-Königtum der späten MEROWINGER
besseres Licht zu werfen.
Es ist zwar nirgends vermerkt in der Überlieferung,
darf aber unterstellt werden, daß der Mönch Daniel ein
MEROWINGER
war,
wahrscheinlich sogar ein Sohn Childerichs
II., der nach des Vaters Tod 675 von der Herrschaftsnachfolge
ausgeschlossen worden war. Weshalb er ins Kloster gegangen war, ist also
nur zu vermuten, eine gewaltsame Einweisung nicht auszuschließen.
Jetzt verließ er sein Kloster und den kirchlichen Stand, und "zum
Zeichen der Rückkehr in die Welt und zur Herrschaft ließ er
sich das Haupthaar wieder wachsen". Ebenso wie die bisherige Tonsur war
auch sein Name Daniel für die ausersehene Aufgabe ungeeignet.
Vielleicht erhält der ehemalige Mönch sogar seinen usprünglichen
Namen, seinen Taufnamen zurück, denn der biblische Name Daniel
ist im MEROWINGER-Geschlecht eine krasse
Ausnahme und andererseits Namenswechsel beim Eintritt ins Kloster seit
dem 6. Jahrhundert üblich, bei politisch motivierten Zwangseinweisungen
sogar zweckmäßig. Dieser Daniel wird also von einer Adesgruppe,
die in politischem Gegensatz zu Karl
Martell und unter Führung des neustrischen Hausmeiers Raganfred
stand, als Chilperich II. zum König
erhoben (715 nach September 2 und vor 716 Februar 29).
Wie die letzten MEROWINGER-Könige
vor ihm residierte Chilperich II. in
Neustrien, es wäre aber falsch,
ihn deshalb lediglich als König von Neustrien bezeichnen zu
wollen. Sein Hof "vereinigte führende Mitglieder des Hofes seiner
Vorgänger", die ausnahmlos als politische Gegner der ARNULFINGER
anzusprechen sind und nach Karl Martells
Sieg von ihm nicht übernommen wurden, wie auch von dieser Zeit an
die Tradition des alten Refendariats als Hofamt abriß.
Chilperichs II. Königtum
trägt nach allem, was die Überlieferung erkennen läßt,
den Charakter einer gegen die ARNULFINGER
gerichteten Politik, die aus Pippins
des Mittleren Tod am 16. Dezember 714 und der sich anschließenden
Regentschaft seiner Ehefrau Plektrudis
zu profitieren suchte. Da auch innerhalb des Pippinschen Hauses
starke Differenzen bestanden und Pippins Sohn Karl
(Martell) gegen seine Stiefmutter um seine eigenen
Herrschaftsansprüche als
princeps Francorum kämpfen mußte,
waren die Voraussetzungen nicht einmal ungünstig. Die relative Bedeutung
des Königtums in dieser Phase innerfränkischer Politik wird durch
Karl Martell selbst unterstrichen,
der nach seinem Sieg über die Neustrier und nachdem er sich erfolgreich
gegen Plektrude durchgesetzt hatte,
regnum sibi statuit Chlotarium
nomine. Dieser Chlothar
IV. (718 vor Februar 3-719)
war bestimmt ein MEROWINGER, wie alt
und wessen Sohn er gewesen sein könnte, verschweigt die Überlieferung.
Man hat in ihm, dem König Karl Martells,
den Typ eines in der fränkischen Geschichte so seltenen Gegen-Königs
zu sehen, auf den der ARNULFINGER gegenüber
seinen politischen Gegnern offenbar nicht verzichten konnte.
Chlothar
IV. starb 719 zu einem Zeitpunkt, als Karl
Martell alle innerfränkischen
Widerstände aus dem Weg geräumt hatte und gewiß vor der
Frage gestanden hätte, ob er von seinen Gegnern und insbesondere den
neustrischen Großen die Anerkennung "seines" Königs gewaltsam
erzwingen sollte. So wird Karl
Martell selbst Chilperich II.
schließlich "anerkannt" haben, denn eine auf Karls
placitium
in Glamanvilla im Dezember 720 ausgefertigte Urkunde des Hausmeiers rechnet
nach dem Königsjahr Chilperichs.
Dessen Königtum hatte sich aber unzweifelhaft ganz anders gestaltet,
als es bei seinem Herrschaftsantritt 715/16 konzipiert worden war.