Mit der Gestalt Childerichs (460-482)
und späterer Könige werden die Bereiche sagenhafter und verzerrender
bis falscher Überlieferung zwar nie ganz verlassen werden, aber doch
ein Boden betreten, der historisch gesicherter ist. Childerich
I. ist auch der erste MEROWINGER,
für den ein objektives Zeugnis seines Königtums existiert bzw.
bis zum Jahre 1831 noch konkret vorgelegen hat, als der Siegelring mit
der Umschrift CHILDERICH REGIS verloren ging, den man bei seiner
Graböffnung in Tournai 1655 gefunden hatte. In ihrer Selbstaussage
benutzten die merowingischen Könige
nach Childerich I. den Königstitel
"N. rex Francorum", welcher auch für Chlodwig
I. schon anzusetzen ist, der das Königtum der Franken
monopolisert hatte. In seiner Nachfolge konnte es dann geschehen, daß
auch mehrere "reges Francorum" gleichzeitig nebeneinander existierten,
die aber alle ihre Herkunft und ihren Herrschaftsanspruch von Chlodwig
als dem ersten fränkischen "Großkönig" herleiteten.
König Childerich
I. selbst soll so zügellos gelebt haben, daß die
gens Francorum sich darüber empörte und ihn von der Königsherrschaft
verstieß. In Gregors Berichte leuchtet die Vorstellung von der notwendigen
Eignung eines Königs durch, der ohne diese "unwürdig" der Herrschaft
und verstoßen oder verlassen wird. Dabei handelt es sich zunächst
um eine Verstoßung ohne Tötung, obwohl diese nicht ausgeschlossen
ist und in der Folgezeit
Childerichs
Furcht vor einem gewaltsamen Tode das Motiv für eine Flucht nach Thüringen
wird. Eine eventuelle Ermordung des Abgesetzten erscheint in des Chronisten
Bericht als eine Steigerungsstufe, nicht als zwangsläufige Folge oder
gar Voraussetzung der Absetzung. Die Verstoßung Childerichs
bedeutet
keinen Verzicht auf einen König überhaupt; vielmehr "begehren"
die Franci einmütig Aegidius,
den kaiserlichen Heermeister von Gallien, zu ihrem König. Die
Erhebung eines Romanen ist angesichts besonders ostgotischer Parallelen
nicht ungewöhnlich, sie unterstreicht in diesem Falle die politische
Bedeutung der Entscheidung und kann vielleicht auch als ein Zeugnis für
eine größere Bedeutung des Ideoneitätsgedankens angesehen
werden. Gleichzeitig weist die Erhebung eines römischen magister militum
bzw. genauer magister equitum zu einem fränkischen König eine
derzeit vorwiegend militärische Funktion desselben aus. Acht Jahre
währte des Aegidius fränkisches Königtum, bis Childerich,
der eine Rückkehr nie ausgeschlossen hatte, aus seinem thüringischen
Exil zurückgerufen und in seine Königsherrschaft wieder eingesetzt
wurde. Gregor stellt die Rückkehr ausdrücklich als ein Verlangen
der Franken dar, wenngleich er auch deutlich macht, daß Childerichs
Anhänger
diesem in die Hände spielten. Offen bleibt, ob das Verlangen der Franken
zu einer förmlichen "Einladung" geführt hat. Es gilt aber festzuhalten,
daß hier wie bei Childerichs
Verstoßung und des Aegidius Erhebung die gens Francorum
bzw. die Franci in der uns vorliegenden Überlieferung als bestimmenden
Faktoren der Herrschaftsbestellung entgegentreten. Childerichs
Wiedereinsetzung
setzt gewiß auch dessen sittliche Läuterung voraus, die herauszustellen
Gregor sehr am Herzen lag. Hierbei steht die
utilitas im Mittelpunkt,
deren Rühmen einer Frau in den Mund gelegt wird: Weil Basina,
die Gattin des Thüringer-Königs
Bisin,
bei dem Childerich jahrelang im Exil
lebte, niemanden kennengelernt hatte, der utilior als
Childerich
gewesen, folgte sie diesem in das Franken-Reich
nach. Ihrer neuen Ehe entstammte
Chlodwig.