Konecny Silvia: Seite 103-117
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"Die Frauen des karolingischen Königshauses"

Etwa zur Zeit seiner Königserhebung, also wohl noch im Jahre 855, heiratete Lothar II. die Schwester Hukberts, Teutberga. Zu dieser Ehe mag der König von seinem Adel gezwungen, zumindest aber durch die allgemeine politische Lage genötigt worden sein. Wegen der Eheschließung mit Teutberga hatte Lothar vielleicht eine andere Verbindung gelöst, zumindest wurde dies im Laufe des "Ehestreites" behauptet. Möglicherweise war Lothar wie sein Bruder LUDWIG II. zu Lebzeiten LOTHARS I. einen Konkubinat eingegangen. Ob Lothar diesen 855 auflöste oder neben der Ehe mit Teutberga bestehen ließ, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden. Spätestens an Lothars Versuch, sich auch von Teutberga bald wieder zu trenenn, ist klar ersichtlich, daß der Adel dessen Eheverhalten - anders als im Fall KARLS DES GROSSEN - nicht unwidersprochen hinnahm. Hukbert, der Bruder Teutberga, gehörte zu den engsten Ratgebern Lothars II. und kontrollierte zum Zeitpunkt der Heirat seiner Schwester weite Gebiete des Jura und Oberitaliens Vom Druck Hukberts wollte sich Lothar möglicherweise befreien, als er 857 eine Annäherung an seine beiden Oheime suchte. Teutbergas Verstoßung sollte wohl im alten Stil anzeigen, daß Lothar Hukberts Verhalten nicht länger hinnehmen würde und das Bündnis mit ihm aufkündigte.
Die Reaktion auf Lothars Handlungsweise, die dessen Königtum außerordentlich gefährdete, blieb nicht aus. Seine geringe Macht wurde offenbar, als er Hukberts nicht Herr wurde.
Lothars Scheidung von Teutberga wurde nun zu einem Politikum größten Ausnmaßes. Innere und äußere Feinde spielten sich zu Beschützern der Königin auf. Lothar berief Geistliche zu Schiedsrichtern in dieser Angelegenheit und begab sich damit vollends in eine Abhängigkeit, die sein Königtum in Frage stellte.
Im späteren Verlauf des "Ehestreits" wurden mehrere Motive für die Verstoßung Teutbergas angeführt, die auch die neuere Forschung nicht immer scharf von den Ereignissen des Jahres 857 getrennt hat. Auch jene erste Begründung der Scheidung, nämlich der Verdacht der widernatürlichen Unzucht zwischen Teutberga und ihrem Bruder Hukbert, wurde erst auf der zweiten Synode des Jahres 860 deutlich ausgesprochen. Bei der ersten Synode von Aachen im Jänner 860 war nur ganz allgemein von einem Verbrechen Teutbergas die Rede gewesen, das Gunther als Beichtvater der Königin bezeugt hatte. So bleibt es unerwiesen, ob ein derartiges Gerücht schon 857 ausgestreut wurde. Jedoch mag schon 857 die Absicht bestanden haben, das Geschwisterpaar moralisch zu diffamieren. Vielleicht darf die Art der Beschuldigung sogar als Hinweis darauf interpretiert werden, daß Teutberga an der Politik ihres Bruders nicht unbeteiligt war. Der Vorwurf gegen sie und Hukbert entsprach einer Praxis, die auch schon gegen Judith und Bernhard, die gemeinsame Politik machten, angewandt worden war.
Auch die Geschehnisse des Jahres 858 sind nicht eindeutig überliefert. Während Prudentius berichtet, daß Lothar von seinem Adel gezwungen worden sei, Teutberga wieder aufzunehmen, sie aber nicht als Ehefrau respektiere, sondern gefangen halte, weiß Hinkmar von einem Königsgericht zu berichten, in dem die Unschuld der Königin durch ein Gottesurteil erwiesen worden sei. Sofern die westfränkischen Quellen den Sachverhalt überhaupt richtig darstellen, müßte das Gericht jedenfalls vor Lothars Arrangement mit seinen Brüdern getagt haben. Insbesondere das Bündnis mit seinem Bruder Karl brachte Lothar, der 858 tatsächlich einen Tiefpunkt seiner Macht erreicht hatte, eine Wende. Danach konnte es Lothar vielleicht wieder wagen, Teutberga gefangen zu halten.
Durch einige Gebietsabtretungen war ein gutes Einvernehmen mit den Brüdern und den Oheimen erkauft worden. Im Oktober 859 zeichnete sich allerdings ein Zerwürfnis mit KARL DEM KAHLEN ab. Vielleicht hatte dessen Verhalten gegenüber Hukbert Lothar verärgert und auf den Gedanken gebracht, seine Trennung von Teutberga neuerlich zu dokumentieren. Andere Gründe für die Einberufung der beiden Aachener Synoden von 860 sind kaum festzustellen. Damals spielten nämlich weder die Frage der Unfruchtbarkeit Teutbergas noch der Wunsch Lothars, eine neue Ehe eingehen zu können, eine Rolle. Der König hatte Teutberga außerdem in seiner Gewalt und hätte, sofern er aus jenen Gründen eine Scheidung erstrebte, sein Ziel durch stillschweigends Handeln eher erreicht. Die Oheime Lothars, insbesondere KARL DER KAHLE, scheinen erst auf Grund der unklugen Vorgehensweise des Neffen den Plan gefaßt zu haben, dessen Schwieirgkeiten zu einem erbrechtlichen Vorteil auszunützen. Mit den Prozessen von 860  verfolgte Lothar II. offensichtlich das Ziel, seinen politischen Gegner Hukbert zu diffamieren. Teutberga war aber dazu ausersehen, das Werkzeug für einen Angriff gegen ihren Bruder abzugeben. Sie wurde nicht nur gezwungen sich selbst zu beschuldigen, sondern sollte vor allem die moralische Verworfenheit ihres Bruders bezeugen.
Die erste Phase des "Ehestreits" war von Lothars Bestrebungen bestimmt gewesen, sich von der Bevormundung durch seinen Adel zu befreien und seine Unabhängigkeit als König unter Beweis zu stellen. In der zweiten Phase nach den Synoden von 860 versuchte Lothar, seinen Erben zu legitimieren und ihm somit die Nachfolge zu sichern. Schon als Teutberga 860 in das Reich KARLS DES KAHLEN  floh, kündigte sich die zweite Phase des "Ehestreits" an. In Sicherheit konnte Teutberga ihr Schuldgeständnis widerrufen. Dies mag Lothar dazu veranlaßt haben, beim Papst um eine Bestätigung des Synodalverfahrens von 860 anzusuchen. Eine entscheidende Wendung zeichnete sich erst ab, als 862 KARL DER KAHLE ganz offen zum Angriff überging und aus moralischen Gründen ein Bündnis mit Lothar ablehnte. Lothar hielt KARLS Angriffe für schwerwiegend genug, um 862 neuerlich eine Synode einzuberufen, die sich mit seiner Ehe befassen sollte. Er selbst war wohl zuvor die Verbindung mit Waldarada eingegangen. Ob dies schon vor seiner Ehe mit Teutberga der Fall war, wie auf der Synode von Metz im Jahere 863 behauptet wurde, muß dahingestellt bleiben.Wahrscheinlicher wäre, daß Lothar erst nach Verstoßung Teutbergas die Verbindung mit einer andere Sippe seines Reiches suchte und Waldarada heiratete. Für letzteres spräche auch das mutmaßliche Datum der Geburt von deren Sohn Hugo. Die Synode des Jahres 862, die im April in Aachen zusammentrat, strebte erstmals eine Nichtigkeitserklärung der Ehe mit Teutberga an. Dadurch sollte die Berechtigung des Königs zu einer neuen Ehe festgestellt werden. In einem Brief erbat Lothar schließlich die Bestätigung des Urteils der Synode durch den Papst und dessen Zustimmung zu einer Ehe mit Waldrada. Ernst war es dem König damit wohl nicht, denn ohne die päpstliche Entscheidung abzuwarten, machte er Waldrada noch 862 zur Königin.
Nikolaus I. sandte 865 Arsenius zu KARL DEM KAHLEN. Dieser nahm von diesem Teutberga in Empfang und führte sie Lothar als Gattin zu. Waldrada aber nahm er auf seiner Rückreise mit nach Rom. Soweit mochte der Gesandte des Papstes ganz im Sinne KARLS DES KAHLEN  gehandelt haben. Auf dem Weg nach Rom kehrte Waldrada jedoch um und kam zu Lothar II. zurück. In Anbetracht dieser Tatsache nimmt sich Lothars Bereitwilligkeit, dem Willen des Arsenius zu willfahren, wie ein abgekartetes Spiel aus.
Zwischen Lothar II. und Teutberga kam nun ein gewisses Einvernehmen zustande. Die Königin betrieb selbst ihre Scheidung bei Nikolaus I., später auch bei Hadrian II. Vielleicht als Gegenleistung dafür hatte Lothar die Versorgung Teutbergas sichergestellt. Erst in dieser späten Phase des "Ehestreites" wurde das Argument der Unfruchtbarkeit Teutbergas als Scheidungsgrund ausdrücklich vorgebracht. Diese neuen Bestrebungen Lothars, eine Scheidung von Teutberga zu erwirken, konnten der Königin zugemutet werden und ließen auf ihre Mithilfe rechnen. Den Tatsachen braucht aber der neue Scheidungsgrund nicht entsprochen zuhaben, es sei denn, die eheliche Gemeinschaft wäre 865 noch einmal aufgenommen worden. Dagegen spricht aber mehr noch als die Rückkehr Waldradas der Umstand, daß Lothar Teutberga auch in einer Schenkung vom Jänner 866 weder Gattin noch Königin nannte. Allerdings scheint Waldrada nach ihrer Rückkehr nicht gleich an den Königshof gekommen zu sein. Vielleicht vermied Lothar es zu diesem Zeitpunkt noch, sich festzulegen. Möglicherweise erhoffte er aber auch tatsächlich eine Nachkommen von Teutberga, den er zunächst wegen der Opposition Hukberts nicht gewollt hatte, weil er in einem solchen Sohn einen gefährlichen Konkurrenten befürchten mußte. Nun mag Lothar II. ein legitimer Nachfolger, auch wenn er von Teutberga stammte, immer noch lieber gewesen sein als einer, dessen Legitimität von allen Seiten bezweifelt wurde. Aus welchen Gründen auch immer immer blieb Teutberga aber jedenfalls kinderlos.