16. Graf Thietmar (+ 1048)
---------------------------------
Über Thietmar, den jüngeren Bruder
Bernhards
II., sind wir verhältnismäßig gut unterrichtet,
da er durch sein verwegenes Leben öfter in der Geschichtsschreibung
seiner Zeit genannt wird. Außerdem ist es unbestritten, daß
er sowohl an dem Erbe, wie auch an den politischen Unternehmungen des billungischen
Hauses stark beteilgt war. Ebenso war er an dem Kampf gegen die Bremer
Kirche interessiert und wird uns daher häufig von Adam mit dem Herzog
Bernhard zusammen genannt [1 Adam II, 67 (65) Seite 126; II,76
(74) Seite 135; III, 8 Seite 148f.].
Bei den wiederholten Händeln, die er selber anzettelte
oder in die er mitverstrickt war, zeigt sich, wie sehr er auf Besitzgewinnung
und die Behauptung angestammter Rechte bedacht war, und dabei selbst Gewalt
nicht scheute. Bei Thietmar von Merseburg finden wir zu 1018 eine kurze
Notiz, daß der Bischof Meinwerk von dem Grafen Thietmar beraubt
worden sei [2 Thietmar VIII, 26 Seite 524.]. Es wird sich dabei
höchstwahrscheinlich um die in der Vita Meinwerci geschilderte Plünderung
des Herforder Stiftes im Jahre 1018 gehandelt haben, da dieses in der Diöcese
des Paderborner Bischofs lag [3 Vita Meinwerci cap. 190, Seite 54f.].
Thietmars Schwester Godesti
stand dem Stift zu jener Zeit als Äbtissin vor (von etwa 1002-1040),
so daß es zunächst unverständlich erscheinen könnte,
daß er gerade an jenem Ort so friedensstörend eindrang und selbst
die Kirchenschätze der dort ruhenden Heiligen mitnahm [4 Vita
Meinwerci siehe Anmerkung 3; vgl. Hirsch-Breßlau, Jbb. Heinrichs
II. Band 3 Seite 113f.]. Vielleicht, daß durch seine Schwester billungisches
Gut an das Stift gekommen war, auf das er Ansprüche erhob, wie er
sie ja meines Erachtens auch gegenüber der dem Paderborner Bischof
unterstehenden Abtei Helmarshausen geltend zu machen suchte [5 Vita
Meinwerci c. 195 Seite112f. Cohn, Forschungen zur deutschen Geschichte
6, Seite 555 nimmt an, daß Thietmar das Erbe von seiner Mutter
her beanspruchte, die er für die Tochter Heinrichs von Stade und den
Nachkommen der ESIKONEN hielt, ohne dies allerdings genügend sicher
belegen zu können. In Helmarshausen handelte es sich um eine Familienstiftung,
die im Jahre 1017 dem Bischof Meinwerk übertragen war, wobei aber
die Rechte, die die Verwandten der Stifter noch zu beanspruchen hatten,
verletzt worden waren. Das traf auch Thietmar, so daß man
in dem Herforder Überfall des Folgejahres eventuell einen Racheakt
sehen könnte, siehe auch Jbb. Heinrichs II. Band 3 Seite 114.].
Wegen des Herforder Überfalls wurde Thietmar
zu
einer Buße von 30 Talenten verurteilt. Da er diese Summe nicht aufbringen
konnte, mußte er die Strafe durch Übergabe seines Besitztums
"Bruninsthorpe" [1 Nach Freytag Seite 115 Anmerkung 1 das heute
wüst liegenden Brünsdorf in Lippe-Detmold, Kreis Lemgo, Amt Schötmar.]
und zwar mit Einwilligung seines Bruders, erstatten [2
Vita Meinwerci c. 100, Seite 54f.].
Wie weit unter den BILLUNGERN
bei in Frage kommenden Erbteilungen eine mehr oder weniger saubere Besitztrennung
vorgenommen wurde, ist nicht in allen Fällen genau bestimmbar. Jedenfalls
scheinen die Brüder Bernhard und Thietmar auf mancherlei
Art und Weise in Interessen- und Besitzgemeinschaft gestanden. So erteilte
zum Beispiel KONRAD
II. mit ihrer beider Einwilligung in einer Urkunde vom Jahre
1029 dem Stift Minden den Wildbann über Waldgebiete, die in billungischen
Terrritorien lagen [3
Urkunde vom 30.3.1029; DK. II. 137.].
Ihre Namensnennung bei Adam anläßlich gemeinsamer Handlungen,
bzw. ihrer Haltung gegenüber der Kirche, wurde schon erwähnt
[4 Siehe Seite 138 Anmerkung 1.]. Bereits bei der Verleihung des
Erbgutes Gerdau an das Michaeliskloster in Lüneburg im Jahre 1004
[5 Urkunde vom 25. Juli 1004; von Hodenberg, Lüneburger Urkundenbuch
Band 8.] war neben dem Willen des Elternpaares von der Zustimmung sowohl
Bernhards II. wie auch Thietmars die Rede. Doch standen die
Brüder zu jener Zeit wohl noch im Jünglingsalter [6 Allerdings
ist dort nur der sehr weit reichende Ausdruck "filius" gebraucht.]. Wir
hatten für die Geburtszeit Bernhards II. die Jahre von 985
bis 995 in Aussicht genommen. Die gleiche Zeit etwa könnte man, glaube
ich, auch für Thietmar ins Auge fassen, da für die Berechnung
seines Alters zum Teil Ähnliches gilt wie für die Bernhards
II. Es wird kaum ein größerer Altersunterschied zwischen
den Brüdern bestanden haben. Thietmar gehörte im Jahre
1019 zu den treibenden Kräften, die im westfälischen Bereich
eine Erhebung gegen den Kaiser inszenierten, zu deren Mitbeteiligten außer
dem Grafen Thietmar noch andere Angehörige des höheren
Adels zählten. Die Anstifter wurden verhaftet; aber nachdem es Thietmar
gelungen war, in seine Heimat zu entkommen, wurde er bald wieder vom Kaiser
begnadigt [1 Ann. Quedl. SS. III, Seite 84. Es waren vor allem die
Grafen von Werl, die sich zusammen mit Thietmar gegen HEINRICH
II. erhoben hatten.]. Dies geschah kurz vor der Erhebung
Sachsens unter Herzog Bernhard II., der seine Pläne, wie schon
berichtet, auch sehr schnell aufgeben mußte, um sich dem Kaiser zu
unterwerfen und um Gnade zu bitten, die ihm dann mit der gleichen Großzügigkeit
wie seinem Bruder gewährt wurde [2 Adam II, 48 und Ann. Quedl.
siehe Anmerkung 1.].
Über die Familie Thietmars erfahren wir wenig.
Er war verheiratet, denn es war ein Sohn vorhanden, der den Tod des Vaters,
auf den wir gleich noch näher eingehden werden, rächte. Im Jahre
1048
unterlag
Thietmar bei einem gerichtlichen Zwerikampf, den er, da man ihm
ein Attentat auf den Kaiser zur Last legte, mit einem seiner Dienstleute
auszufechten hatte. Die Motive, die ihn zu solchem Vorgehen bewogen haben
mögen, liegen nicht klar zutage. Adam, der am ausführlichsten
darüber berichtet, schildert die Sache folgendermaßen [3
Adam
III, 8 Seite 148ff.]. Als der Kaiser aus Italien zurückkehrte, soll
Erzbischof Adalbert ihn nach Bremen eingeladen haben und zwar unter dem
Vorwand das Besitztum Lesum [4 Über Lesum = Lesmona, einst
eine der bedeutendsten Besitzungen des BILLUNGERS Liudger,
die später als Königsgut zur Mitgift der Kaiserin
Agnes
gehörte, wurde oben Seite 105 bereits Näheres
gesagt.] zu besuchen, bzw. den Dänen-König (Sven
Estridson) zu einer Unterredung zu bitten, in Wahrheit aber,
wie Adam meint, um die Treue der Herzoge zu erkunden. Wieweit es sich hierbei
vielleicht auch um ein nachträglich zustandegekommene Begründung
handelt, oder aber um eine geschickt geplante Falle, indem man ausgerechnet
das einstmals billungische Gut zur Besichtigung vorschlug, um die
BILLUNGER
herauszufordern, läßt sich schwer entscheiden. Doch scheint
das letztere, nach dem zu urteilen, was sonst über das Verhältnis
des Bremer Erzbischofs zu den BILLUNGERN bekannt ist, nicht unwahrscheinlich.
Adam berichtet uns weiter, der Kaiser sei zu Bremen mit
königlicher Pracht empfangen worden und wäre dann, nach Lesum
kommend, alsbald von dem Grafen Thietmar hinterlistig umstellt worden,
der Erzbischof habe ihn aber durch seine Bemühungen rechtzeitig schützen
können.
Thietmar wurde darauf vom Kaiser vor Gericht geladen
und als er sich durch einen Zweikampf zu reinigen suchte von dem Gegner,
einem seiner Lehnsmannen namens Arnold tötlich verwundet. Dieser aber
wurde nicht lange darauf von Thietmars Sohn ergriffen und verendete
an den Beinen aufgehängt zwischen zwei Hunden. Der Sohn Thietmars
wurde
nun ebenfalls gefaßt und mit ewiger Verbannung bestraft [1 Adam
III, 8 Seite 148.].
Von dem Ende Thietmars berichten auch, allerdings
ohne die Vorgeschichte, bzw. die näheren Zusammenhänge zu erwähnen,
Lampert von Hersfeld [2 Lamp. Hersf., Holder-Egger Seite 61.], die
Altaicher Annalen [3 Ann. Altah. mai. in us. schol. Freiherr von
Oefele Seite 45.] und der Sächsische Annalist [4 Annalist Saxo,
SS. VI, Seite 661 und 674.]. Letzterer vermerkt nur zu den Jahren 1011
und 1020, im Zusammenhang mit anderen Familiennachrichten über die
BILLUNGER,
die zwar zeitlich voraufgingen, bei denen er aber jene Bemerkung gleich
mit einflocht, daß Bernhards Bruder Thietmar
im Zweikampf
vor dem Kaiser HEINRICH gefallen sei,
während Lampert das Ereignis zum Jahre 1048 meldet und uns
auch das genaue Datum gibt. Dies findet seine Bestätigung und auch
Ergänzung in der Angabe der Altaicher Ananlen zum Jahre 1048:
"Autumno comes Dietmarus Saxo maiestatu reus so proscriptus,
ab Arnolde pridem milite sue singularicertamine victus eisdam vulneribus
occubuit."
Über die Zeitspanne, die zwischen dem Besuch des
Kaisers in Lesum und dem unglücklich ausgehenden Zweikampf lag, ist
man sich nicht einig. Nach Lampert fand die Gerichstverhandlung einen Tag
nach dem Michaelisfest, am 30. September 1048 zu Pöhlde statt [1
Lamp.
Hersf., Holder-Egger Seite 61.]. Eine eindeutige Festlegung, ob der Anschlag
diesem Termin, bzw. dem Tode Thietmars ein Jahr voraufging, wie
es Steindorff [2 Steindorff, Jbb. Heinrichs III Band 2, Seite
16 Anmerkung 5.] und auch K. Müller [3 Müller, Itrinarer
Heinrich III. Seite 66f.] annehmen, oder ob beide Vorgänge in ein-
und dasselbe Jahr, nämlich 1048 fallen, wird kaum möglich
sein, wenn mir auch das letztere als Wahrscheinlichere vorkommt. Auch Müller
muß zugeben, daß eine Reise HEINRICHS
III. nach Lesum im Spätsommer des Jahres 1048 durchaus
im Bereich des Möglichen liegt, doch meint er, daß der Aufenthalt
des Kaisers im September 1047 in Westfalen nicht recht erklärlich
sei, wenn man ihn nicht mit jener von Adam (III, 8) angegebenen Reise nach
Bremen in Verbindung bringen könne [4 HEINRICH
III. urkundet zwar am 2. September 1047 (DH. III., 206, Seite
271) in Soest, kann aber auch in den nicht nachweisbaren Spätsommermonaten
1048 in Bremen gewesen sein.]. Meines Erachtens gewinnt man aber gerade
bei Adams Schilderung den Eindruck eines unmittelbar aufeinanderfolgenden
Handlungsablaufs. Nur könnten natürlich die von ihm heinzugesetzten
Worte "ut siunt" auf der anderen Seite einiges Bedenken ob der absoluten
Sicherheit jener Darstellung aufkommen lassen.
Schmeidler [5 Schmeidler, zu Adam Seite 148 Anmerkung
5.] beruft sich, glaube ich, mit Recht auf Herim. Augiens. Chron. [6
Herim.
Aug. Chron. SS. V, Seite 127.] wonach des Kaisers Reise nach Bremen im
Jahre 1048 erfolgt sei, und meint, daß nach Adams Ansicht
und nach der Wahrscheinlichkeit der Sache jedenfalls nicht ein Zeitraum
von einem Jahr zwischen dem Anschlag und dem Prozeß lag.
Wie wir aus dem Necr. S. Mich. Lun. erfahren, starb
Thietmar, nachdem er von seinem Gegner schwer verwundet worden war,
erst drei Tage später, am 3. Oktober 1048 [7 Necr. S.
Mich. Lun. Wedekind Noten III, 74 "Thietmarus comes et occisus".],
wie es auch zum Teil schon aus der oben zitierten Stelle der Altaicher
Annalen hervorgeht [8 Ann. Altah. mai. Seite 45.].