FONTEVRAULT
Lexikon des Mittelalters:
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Fontevrault (Fontevrau[l]d)
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Abtei in West-Frankreich, Anjou (cant./arr. Saumur, dép.
Maine-et-Loire), Haupt einer monastischen Kongregation (ordo).
Die Geschichte Fontevraults
im Mittelalter ist reich an Widersprüchen, bedingt durch die
Einzigartigkeit seines Stifters, des charismatischen Wander-Predigers Robert von Arbrissel,
dem nachgesagt wurde, er habe die Begegnung mit der fleischlichen
Versuchung gesucht, um sie desto besser überwinden zu können.
Fontevrault ging hervor aus
der heterogenen männlichen und weiblichen Anhängerschaft, die
sich um Robert scharte,
und
der durch ein Konzil in Poitiers (November 1100) ein fester
Aufenthaltsort auferlegt wurde. Schon vor Roberts Tod († 25. Februar 1116) hatte sich Fontevrault
von dem ursprünglichen Ideal einer egalitären,
außerhalb hergebrachter Normen lebenden Gemeinschaft
wegentwickelt und feste Organisationsformen ausgebildet. Für das
traditionell, jedoch nicht ganz zu Recht als Doppel-Kloster angesehene Fontevrault
ist bereits 1103/04 eine Priorin belegt; mit der Einsetzung einer Äbtissin, Petronilla von Chemillé,
am
28. Oktober 1115 manifestiert sich die - ursprünglich nicht
beabsichtigte - völlige Unterordnung aller weiblichen wie
männlichen Religiosen, Priester wie Laien, unter die Schwestern,
wobei sich die Nonnen adliger Herkunft den größten
Einfluß zu sichern wußten. Durch ständigen Zulauf
vergrößert, bildete Fontevrault rasch
erste Filiationen aus (ca. 15 Priorate, vornehmlich im regionalen
Umkreis: Poitou, Touraine, Berry); der Besitz nahm durch eine Reihe von
Schenkungen beträchtlich zu.
Tatsächlich hat der starke Druck, der auf Robert von Arbrissel lastete -
etwa
von seiten des Abtes Gottfried von
Vendôme als eines charakteristischen Vertreters
benediktinischen Mönchtums -, dazu geführt, daß der
Stifter der Gemeinschaft von seiner Gründung und ihrem Erfolg
gleichsam überrollt wurde. Die stürmische Dynamik, mit der
sich Fontevrault
entwickelte, hielt an während des gesamten 12. Jh., der ersten
großen Epoche des Ordens vor dem 17. Jh. Nach Suger von St-Denis
umfaßte
der Orden von Fontevrault
um 1150 insgesamt 4.000-5.000 weibliche Religiosen; am Ende des 12. Jh.
zählte er mehr als 100 Priorate, die sich von der Picardie
(Sommetal) bis ins Pyrenäen-Vorland, vom Poitou bis zum Roannais
erstreckten und selbst Spanien sowie England
erfaßten (vergleiche
den heutigen Ortsnamen Nuneaton in Warwickshire). Starke Förderung
erfuhr Fontevrault vor
allem durch das Haus PLANTAGENET
(siehe auch
Angers, Anjou), insbesondere
durch Graf
Fulco V.
(1110-1128), den späteren König von Jerusalem,
dessen Tochter Mathilde 1149-1155 der Abtei als 2. Äbtissin vorstand. König Heinrich II. von England
ließ sich 1189 in Fontevrault bestatten
wie auch sein Sohn Richard Löwenherz
(1199) und seine Gemahlin Eleonore (1204); die
Abtei wurde damit zu einer der bedeutendsten dynastischen Grablegen des
mittelalterlichen Europa.
Fontevrault hütete
sich wohlweislich, die Erinnerung an seinen nonkonformistischen
Gründer zu pflegen. Die Bestattung Roberts im Chor, dem
abgeschlossensten Klausurbezirk - abweichend von seinem Wunsch, auf dem
Friedhof beigesetzt zu werden - verhinderte die Ausbildung eines
öffentlichen Kults, wodurch
Roberts
Andenken für Jahrhunderte nahezu in Vergessenheit geriet. Genossen
die Schwestern wegen ihrer Frömmigkeit hohe Verehrung (unter ihnen
befand sich eine Visionärin,
Angelucia, 1155-1188),
so
schwächte sich die strenge Askese doch bald ab. Bereits Petronilla von Chemillé
war
nicht zuletzt durch ihr Besitzstreben in einen Streit mit dem Bischof von Angers, Ulger, geraten (1140-1148). Die
seit
1115 durchgesetzte Vorherrschaft der Schwestern über die
Brüder - sie hießen bezeichnenderweise stets nur fratres, nie monachi oder gar canonici - provozierte letztere zu
wiederholter Aufsässigkeit, die in periodischen Abständen ein
Einschreiten der Päpste hervorrief. Die Aussätzigen und
Reuerinnen, zwei Personengruppen, denen sich Robert besonders zugewandt
hatte,
lebten in besonderer Abschließung und hatten anscheinend im
Kapitel keine Stimme. Trotz seiner Originalität war Fontevrault
in den Augen seiner aristokratischen weiblichen
Mitglieder im wesentlichen ein Frauenorden - eine Sehweise, die von den
Päpsten geteilt wurde, wie die zahlreichen Privilegien zeigen, die
stets ausschließlich an die Äbtissinnen und weibliche
Religiosen adressiert sind.
Durch das Vordringen der KAPETINGER
drohte das von den gegnerischen PLANTAGENET
geförderte Fontevrault,
mit seinen Besitzungen in Aquitanien und England, in Schwierigkeiten zu
geraten, doch verstand es der Orden stets, mit beiden Seiten
ausgezeichnete Beziehungen zu unterhalten. So wurden in Fontevrault
die Herzen der
PLANTAGENET-Könige
Johann Ohneland und
Heinrich
III. bestattet; Alix
von Bretagne, die 1228-1244
als
11. Äbtissin fungierte,
war am englischen Hofe erzogen worden, und die 16. Äbtissin, Eleonore von Bretagne (1304-1342),
stammte gar von jenseits
des Kanals. Andererseits empfing Fontevrault aber
auch Gunstbeweise des KAPETINGERS
Philipp
II. August (1189: Erlaß des Saladins-Zehnten), der
mit
Äbtissinnen des frühen 13.
Jh. verwandt war (Neffe von Marie
von Champagne, 1207-1208;
Vetter von Alix von Bourbon,
1208-1210, und Alix von Blois, 1210-1218).
Hatte Fontevrault 1246-1247
noch 500 Schwestern gezählt, so war ihre Anzahl 1297 auf 360
gesunken, in welchem Jahr Papst
Bonifatius VIII. sie
angesichts der geschwächten
Besitzgrundlage auf 300 beschränkte. Große Abteigüter
mußten damals veräußert werden. Auch brachen im
späten 13. Jh., während der Amtszeiten von Johanna von Dreux (1265-1276) und Isabella von Avoir (1276-1284),
erneute
Widersetzlichkeiten der männlichen Abtei-Insassen aus. Zu den
inneren Schwierigkeiten traten im 14. Jh. und 15. Jh. Probleme aufgrund
der allgemein krisenhaften politischen und konjunkturellen Entwicklung
hinzu. Zwar blieb die Abtei unzerstört, doch litten das Umland und
zahlreiche Priorate unter dem Hundertjährigen Krieg.
Nach dem
Vorbild der Brüder bestritten nun auch Schwestern die
Autorität der Äbtissinnen; es kam zu strittigen Wahlen: Nach
dem Tod der Isabella
von Valois (1342-1349), der Nichte König Philipps IV., obsiegte
die Nachfolgerin Tiphaine von
Chambon
(1349-1353) nur über ihre
Mitbewerberinnen, indem sie die Kerze, deren Brenndauer die Länge
des Disputs bestimmen sollte, auslöschte.
Marie von Harcourt (1431-1451)
sah sich gar mit einer Gegen-Äbtissin,
Margarete von Montmorency
(1431-1434), konfrontiert, die aber
von der Kurie nicht anerkannt wurde.
Angesichts dieser Krise ist es erstaunlich, daß der Orden von Fontevrault
der erste war, der sich selbst zu reformieren
wußte. Die Initiative lag bei den Äbtissinnen Maria von Bretagne (1457-1477)
und Anna von
Orléans (1477-1491), der Tochter des fürstlichen Dichters Charles d'Orléans
und Schwester des späteren
Königs Ludwig XII. Das
Reformwerk mußte gegen starken Widerstand durchgesetzt werden und
erreichte zunächst nur einige Priorate, wurde 1479 von Sixtus IV. jedoch für den
ganzen Orden als verbindlich erklärt. Trotz neuer Krisen
während der Religions-Kriege des 16. Jh. wurde die Reform
fortgeführt, wobei die 1491-1670 regierenden großen
Äbtissinnen aus dem Hause
BOURBON
(erstmals: Renée,
1491-1534) eine neue
Blüte
der Kongregation einleiteten. - 1790 aufgehoben, bildet Fontevrault
mit seiner fünf Kuppeln umfassenden Kirche,
in ihr die erhaltenen Liegefiguren der Plantagenêt-Grabmäler,
und seinen Klostergebäuden (12.-18. Jh.) eines der kostbarsten
monastischen Ensembles Frankreichs.
J.-M. Bienvenu