Einziger Sohn des Herzogs
Odilo von Bayern und der Hiltrud,
Tochter von Karl Martell
Lexikon des Mittelalters: Band VIII Spalte 485
********************
Tassilo III., letzter bayerischer Herzog aus der Zeit
der AGILOLFINGER
--------------
* 741, + nach 794
oo ca.765 Liutbirc, Tochter des Langobarden-Königs Desiderius
Sohn:
-------
Theodo
Nach dem Tode seines Vaters Odilo
748 übernahm der minderjährige Tassilo
III. die Herrschaft, freilich unter
der Vormundschaft seiner Mutter Hiltrud
(+ 754; Tochter Karl Martells). Sein
Erscheinen auf dem Maifeld in Compiegne 757 war nach den Reichsannalen
verbunden mit dem Vasalleneid gegenüber König
Pippin. In heutiger Sicht wurde er lediglich aus der Vormundschaft
Pippins
in die Mündigkeit entlassen. 757 zeigte sich erstmals ein herzogliches
Gefolge. Die Reichsannalen berichten zum Jahre 763 vom harisliz Tassilos
beim Zug König Pippins gegen die
Aquitanier. Dieser Bericht wird heute (Becher) als Fälschung angesehen,
doch könnte bei allen Ungereimtheiten der Quellen ein Konfliktfall
Tassilosvorliegen.
Als König Pippin 768
starb, stand Tassilo
III. bereits auf dem Höhepunkt
seiner Macht. Außenpolitisch kam ihm der Konflikt der Pippin-Nachfolger
KARL
und Karlmann 768-771 zugute. Innenpolitisch
wirkte Tassilo III. besonders auf den
Synoden in Aschheim (756?), Dingolfing (768/70 oder 776/77?) und Neuching
(771), schuf die herzoglichen Klöster Mattsee (zwischen 777 und 783/84)
und Kremsmünster (777), wirkte aber auch bei der Errichtung von Adelsklöstern
im Sinne der Errichtung einer eigenen Herzogskirche mit. 772 gelang es
ihm, die Karantanen endgültig zu unterwerfen und einen neuen Herzog
für den so wichtigen SO-Alpenraum einzusetzen. Auch
Tassilos Klostergründungen
Innichen (769) und Kremsmünster sind deutliche Zeugnisse für
diese aktive Ostpolitik. Seit den 60-er Jahren läßt sich eine
S-Orientierung Tassilos fassen. 768/69
bricht Tassilo III. nach Italien auf,
verbündet sich nicht nur mit Desiderius, sondern auch mit dem Papst.
Zu Pfingsten 772 wurde Tassilos Sohn
Theodo in Rom
von Papst Hadrian I. getauft und gesalbt. Die neuen karolingisch-römischen
Machtkonstellationen nach dem Tod König Karlmanns
(771) führten jedoch zum Zusammenbruch des Langobardenreiches (774)
und isolierten den Bayern-Herzog völlig.
Der Nieder- und Untergang Tassilos
vollzog sich erst zwischen 781 und 788, vorbereitet und inszeniert von
Tassilos Vetter KARL DER GROSSE,
wobei Tassilos Bündnis mit Rom
zerbrach. Als KARL ihn 787 auf den
Reichstag zu Worms entbieten ließ, verweigerte sich Tassilo
III. Bald darauf marschierten fränkische Heeressäulen
gegen Tassilo, der sich nur noch unterwerfen
konnte, den Vasalleneid leisten udn sich von KARL
mit dem HerzogtumBayern belehnen lassen mußte.
788 lud KARL
Tassilo
III. auf die Reichsversammlung zu Ingelheim, der er nicht ehr
entkommen konnte. Er wurde der Eidbrüchigkeit und der Konspiration
mit den Avaren angeklagt. KARL wandelte
die Todesstrafe in Klosterhaft für die ganze Familie Tassilos
um, Bayern wurde eingezogen. Rechtsverbindlich mußte Tassilo
794 noch einmal auf der Synode von Frankfurt abdanken und auf
alle Rechte für seine ganze Familie verzichten.
Literatur:
-----------
Spindler I,1981 I²,166-176 - H. Wolfram, Das Fsm.
T.s III. (Mitt. der Ges. für Salzburger LK 108,1968),157-179 - L.
Kolmer, Zur Kommendation und Absetzung T.s III., ZBLG 43,1980,291-327 -
Die Bajuwaren, hg. H. Dannheimer-H. Dopsch, 1988,130-166, 305-326 - W.
Störmer, Die bayer. Hzg.skirche (Der hl. Willibald -Kl.bf. oder Bm.sgründer?,
hg. H. Dickerhof u.a., 1990), 115-142 - J. Jahn, Ducatus Baiuvarium, 1991
- M. Becher, Eid und Herrschaft (VuF Sonderbd. 39, 1993)) - H. Wolfram,
Salzburg, Bayern, Österreich, 1995, 337-378.
Vater:
--------
Herzog Odilo (+ 748)
Mutter:
---------
Hiltrud
oo um 763 Liutburc
748 Einsetzung als Herzog in Bayern.
Seit 757 selbständige Regierung.
Wollte sich von der Herrschaft des Franken-Königs
freimachen.
Gründete zahlreiche Klöster wie Kremsmünster,
Innichen, Mattsee, Wessobrunn, Münchsmünster, Weltenburg, Chammünster,
Chiemsee und Gars als Herbergs- und Pflegestationen.
772 Niederschlagung der Karantanererhebung.
781 Erneuerung seines Lehsneides im Worms, wofür
er vermutlich die Königshöfe Lauterhofen/Oberpfalz und Ingelheim
zurückerhielt.
788 Abdankung in Ingelheim.
Begnadigt und geblendet, nahm er in St. Goar die Tonsur.
Zunächst in das Kloster Jumieges, dann nach
Lorsch verbracht.
794 erschien er noch einmal auf dem Hoftag in Frankfurt,
um seinem Fürstentum zu entsagen.
Literatur:
------------
ADB 37; BWB 3; E. Zöllner, Der bairische Adel und
die Gründung von Innichen, in: MIÖG 68, 1960; W. Störmer,
Adelsgruppen im früh- und hochma. Bayern, 1972.
Schieffer Rudolf:
**************
"Die Karolinger"
Zur Familie gehörte als Neffe des Königs eigentlich
auch Tassilo III., der Erbe des agilolfingischen
Herzogtums Bayern. Für ihn führte zunächst seine Mutter,
Pippins
Schwester Hiltrud,
bis zu ihrem Tod (754) die Vormundschaft, die dann auf den König selbst
übergegangen zu sein scheint mit der Folge, dass Tassilo
ihn beim zweiten Zug gegen die Langobarden 756 nach Italien begleitete.
757 wurde der junge Herzog, 16-jährig, für mündig erklärt
und leistete in Compiegne Pippin sowie
ausdrücklich auch dessen Söhnen KARL
und Karlmann, seinen Vettern also,
einen Treueid, der erst später zu einer förmlichen Lehnsbindung
umgedeutet worden sein dürfte. Dass die damit übernommene Herrschaft
in Bayern aus fränkischer Sicht gewissen Einschränkungen unterlag,
geht schon aus der Beteiligung einer Reihe von Großen des Stammes
an der Vereidigung hervor, die gewissermaßen für das Wohlverhalten
Tassilos bürgen sollten, durch ihre unmittelbare Beziehung zum Frankenkönig
die Autorität des Herzogs im Lande aber auch fühlbar schwächten.
Den eingeräumten Spielraum suchte Tassilo anscheinend zu mehren, indem
er sich nach einigen Jahren (763) der Heerfolge des Onkels entzog und gemäß
den Reichsannalen "nach Bayern ging und das Angesicht des genannten Königs
nie wieder sehen wollte"; damals oder wenig später vermählte
er sich mit der Tochter des Langobarden-Königs
Desiderius, offenbar um eine Allianz der letzten von den KAROLINGERN
halbwegs
unabhängigen Mächte beiderseits der Alpen zu schmieden.
Die resolute Beseitigung der Autonomie Benevents war
zudem geeignet, die Isolation Tassilos
weiter zu steigern, der nach der kurzlebigen Aussöhnung mit seinem
Vetter KARL (770) und dem Achtungserfolg
der Taufe seines Sohnes Theodo
durch den Papst (772) bereits den Zusammenbruch des Langobardenreiches
an seiner Südflanke tatenlos hatte mit ansehen müssen und 781
von Hadrian I. auf Betreiben KARLS
zur Bekräftigung seines früheren Treueids gegenüber den
KAROLINGERN
gemahnt worden war. Sechs Jahre nach diesem Schwur nahm der besorgte Bayern-Herzog
nun seinerseits den Rombesuch KARLS zum
Anlaß, um die Vermittlung des Papstes anzurufen, doch Hadrian schlug
sich diesmal noch deutlicher auf die Seite des Franken-Königs, indem
er Tassilomit dem Anathem drohte, falls
er sich nicht den Eiden gemäß verhalte. Das leitete unmittelbar
in die offene Konfrontation über, denn als der Herzog bei KARLS
Rückkehr einer Vorladung nach Worms nicht folgte, marschierten dessen
Heere noch im Spätsommer 787 von drei Seiten gegen Bayern auf und
machten jeden Widerstand sinnlos, zumal die KAROLINGER
auch dort längst große Teile des Adels und der hohen Geistlichkeit
auf ihre Seite gezogen hatten. Tassilo ergab
sich auf dem Lechfeld (bei Augsburg), leistete einen klar bezeugten Vasalleneid
und nahm seinen Dukat von KARL zu Lehen;
überdies stellte er wie Arichis von Benevent 13 Geiseln, darunter
seinen Sohn Theodo.
Doch war auch damit das doppelte Drama noch nicht zu
Ende. Angeblich von seiner unversöhnlichen langobardischen Gattin
Liutbirg
aufgestachelt, erging sich Tassilo
in despektierlichen Reden gegen KARL
und suchte verzweifelt den Rückhalt, den sein beneventanischer Schwager
an den Byzantinern hatte, im Bündnis mit seinen östlichen Nachbarn,
den heidnischen Awaren im mittleren Donauraum, zu gewinnen, beschleunigte
aber wohl nur das Verhängnis, das auf ihm lastete. Es fiel KARL
leicht, ihn im Juni 788 nach Ingelheim zu zitieren, dort seinen Anklägern,
den (in den Augen der Reichsannalen) "getreuen Bayern", gegenüberzustellen
und ihn schließlich durch ein Gericht aus Franken, Bayern, Langobarden
und Sachsen zum Tode verurteilen zu lassen, formal nicht wegen seiner jüngsten
Eigenmächtigkeiten, sondern mit der offenbar juristisch brauchbaren
Begründung, er habe 25 Jahre zuvor gegenüber König
Pippin in Aquitanien Fahnenflucht ("harisliz" in der erstmals
so bezeichneten theodisca lingua, der gemeinsamen Sprache des fränkischen
Heeres) begangen. KARL übernahm
die Rolle, für seinen Vetter die gnädige Umwandlung der Strafe
in dauernden Klosterhaft zu erbitten, dehnte dies dann aber auf die gesamte
Familie, die Herzogin sowie ihre beiden Söhne und beiden Töchter,
aus, womit die AGILOLFINGER endgültig
der generationenalten Rivalität der ARNULFINGER
erlegen waren. Sechs Jahre später mußte der Mönch Tassilo
noch einmal vor der Reichsversammlung in Frankfurt in aller Form den Herrschaftsverzicht
seines Geschlechts erklären.
Spindler Max: Seite 166
************
"Handbuch der bayerischen Geschichte"
Die Herrschaft des letzten AGILOLFINGERS,
Tassilos
III., begann ganz im Zeichen der Abhängigkeit von den Franken.
Wahrscheinlich 741 geboren, hat er im Jahre 748 seines Vaters Odilo
unter der Hoheit seines Onkels, des fränkischen Hausmeiers
Pippin, und der Vormundschaft seiner Mutter Hiltrud
seine Herrschaft angetreten, die allerdings gleich zu Beginn durch die
Rebellion Grifos unterbrochen wurde.
Wieweit schon damals eine lehnsrechtliche Bindung geschaffen wurde, ist
nicht sicher. Nach dem Tod seiner Mutter im Jahre 754 scheint Pippin
selbst die Vormundschaft innegehabt zu haben. Im Jahr 756 nahm Tassiloan
Pippins
Feldzug gegen die Langobarden teil, und im folgenden Jahr 757 leistete
der jetzt 16-jährige
Tassilo in
Compiegne Pippin
und seinen beiden
Söhnen den vasallitischen Lehenseid, der aber in seiner streng juristischen
Bedeutung auch wieder angezweifelt wurde. Diese Lehensbindung sollte hinfort
die Grundlage der Beziehungen zwischen Franken und Bayern werden, und wie
sehr man dabei auch an die Zukunft dachte, zeigt die Tatsache, dass der
junge Tassilo
seinen Eid nicht nur
Pippin, sondern
auch dessen beiden Söhnen KARL und
Karlmann
leisten mußte, und dass in Compiegne auch eine Anzahl bayerischer
Adliger in die fränkische Vasallität eintrat. Andererseits war
Tassilo
in Compiegne für mündig erklärt worden, und das bedeutete,
dass sein Onkel die vormundschaftliche Regierung niederlegte und Tassilo
im Innern seines Herzogtums frei schalten konnte. Eine Abhängigkeit
vom Frankenreich bestand nur auf dem Gebiet der Außenpolitik, sie
gründete auf der Treueverpflichtung des Lehsnmannes, der den Interessen
des Lehsnherrn nicht zuwiderhandeln durfte, und daraus ergab sich auch
die Verpflichtung des Herzogs, dass er dem Frankenherrscher bei dessen
Kriegen Heeresfolge leisten mußte. Ausdrücklich überliefert
ist diese Heeresfolge allerdings erst für den vierten Kriegszug gegen
Aquitanien, den Pippin im Jahre 763
antrat. Tassilo erschien zwar noch
auf dem Hoftag, doch hier kam es zum Bruch: er schützte Krankheit
vor und kehrte mit seinen Truppen heim, mit dem zornigen Schwur, seinen
Oheim nie wiedersehen zu wollen. Das war zweifellos eine einseitige Lösung
des Lehensverhältnisses, über deren Anlaß und letzte Gründe
man allerdings keine Klarheit gewinnt. Auf jeden Fall war es nicht der
unüberlegte Trotz eines jungen Mannes und keine spontane Handlung.
Die Tat war geplant und berechnet, die fränkischen Reichsannalen sprechen
von trügerischen Machenschaften. Vielleicht stand Tassilo
im Einverständnis mit Herzog Waifar von Aquitanien, dem alten Bundesgenossen
seines Vaters; zumindest hat er nicht dazu beitragen wollen, "seinen Bundesgenossen
im Westen zu vernichten". Auf dem Wormser Reichstag des Jahres 764 verhandelte
man über Tassilo, kam jedoch zu
keinem Ergebnis; ein Kriegszug gegen ihn, wie ihn
Pippin gegen Odilo
unternommen hatte, unterblieb. Tassilo
scheint eine militärische Intervention befürchtet zu haben, er
wandte sich um Unterstützung an die beiden Mächte, die dafür
allein in Frage kamen, an das Papsttum und die Langobarden. Tassilo
suchte seine Beziehungen zum südlichen Nachbarn durch seine Heirat
mit Liutbirc,
der Tochter des Langobarden-Königs Desiderius,
zu stärken. Liutburc
ist als Gemahlin Tassilosnatürlich
vielfach bezeugt, wenn auch die Tatsache der Hochzeit nirgends erwähnt
ist, so dass die Datierung nicht ganz sicher ist. Man nimmt allgemein an,
dass er bei dieser Gelegenheit Gebiete in Südtirol zurückerhielt,
die Bayern anläßlich der Auseinandersetzung zwischen Grimoald
und Hucbert an
die Langobarden verloren hatte. Im Endergebnis war jedenfalls die fränkische
Politik gegenüber Bayern trotz aller Kriegszüge und Verschwägerungen
seit 725 gescheitert, denn es war Pippin
nicht mehr gelungen, das Land in irgendeiner Weise für die Franken
zurückzugewinnen.
Das Herausstreben aus dem Verband des fränkischen
Reiches und der Bruch der Lehenseide finden ihre Erklärung und Rechtfertigung
darin, dass Bayern mit dem W und N kaum verbunden war, dass vielmehr seine
politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und zum Teil auch seine kirchlich-missionarischen
Interessen und seine geschichtlichen Aufgaben im S und O lagen. Hier gelang
Herzog
Tassilo auch noch eine wesentliche Erweiterung seines Herrschaftsbereiches.
Nach der Darstellung der Conversio hätten die Bayern nach ihrem Sieg
über die Awaren die Karantanen "der Herrschaft der Könige" unterworfen.
Ein heidnischer Aufstand der Karantanen konnte erst 772 von Herzog
Tassilo niedergeworfen werden. Tassilo
ist es offenbar auch gelungen, auf dem Höhepunkt seiner Auseinandersetzung
mit KARL DEM GROSSEN mit den Awaren
ein Bündnis zu schließen.
TassilosUnabhängigkeit
wurde in allen diesen Jahren nicht gestört, und auch als KARL
DER GROSSE sich die Alleinherrschaft erkämpft hatte, stellte
er das bayerische Problem vorläufig zurück und begann 772 mit
der Lösung der sächsischen Frage. Auf die bayerischen Verhältnisse
wirkte mehr die geschäftige Tätigkeit der Mutter KARLS,
Bertrada,
ein. Ihr Ziel war eine fränkisch-langobardische Versöhnung, und
dafür scheint sie auch die bayerische Unterstützung gewonnen
zu haben; vielleicht vermittelte der gebürtige Bayer Abt Sturm von
Fulda hier den Ausgleich im Jahr 769. Im gleichen Jahr reiste
Tassilo
zu seinem Schwiegervater Desiderius
nach Italien, und wenig später nahm auch Bertrada
auf
ihrer Reise ins Langobardenreich ihren Weg über Bayern. Wegen seiner
Verwandtschaft mit Desiderius war Tassilo
zu einer solchen Vermittlung besonders geeignet, und die 770 zustande gekommene
Heirat KARLS mit einer Tochter des
Desiderius,
die
KARL und Tassilozu
Schwägern machte, hatte sicher das Ziel, durch diesen fränkisch-bayerisch-langobardischen
Dreibund einen dauerhaften Frieden herzustellen. Tassilo
steht in diesen Jahren zweifellos auf einem Höhepunkt seiner Macht,
der sich auch in seinen Karantanensieg dokumentiert. Das zeigt ferner die
Taufe und Salbung seines Sohnes durch den Papst in Rom, sowie die erstmalige
Führung des Herzogtitels, der sich eng an
Pippins Königstitel anschloß. Vielleicht 770, sicher
772 sind Synoden bekannt, deren Protokolle Tassilo
an der Spitze einer bayerischen Landeskirche zeigen, und in die Jahre 769
bzw. 777 fällt die Gründung von Innichen und Kremsmünster.
Schließlich wird man darauf hinweisen können, dass der wohl
767 begonnene Bau der Rupertikirche in Salzburg, mit den gleichen Ausmaßen
wie St. Denis, 774 mit der Weihe vollendet wurde und damit die "Metropolitankirche
der bayerischen Kirchenprovinz und (oder) agilolfingische
Königskirche", die "Krönungskirche" der AGILOLFINGER,
vielleicht für die Königskrönung Tassilos
bestimmt, geschaffen war. Bereits das Jahr 771 leitete eine allmähliche
Änderung der Verhältnisse ein: nach dem Tode seines Bruders brachte
KARL unter Zurücksetzung der Gemahlin und der Kinder Karlmanns
dessen Erbe an sich; zugleich verstieß er seine langobardische Gemahlin,
die ebenso wie die Familie Karlmanns
an den Hof des Desiderius flüchtete,
der jetzt zu einem Sammelpunkt aller Gegner des Franken-Königs wurde.
Von Bayern und Tassilo hören wir
in diesem Zusammenhang nichts; er unterließ es, seinen Schwiegervater
in den Kämpfen der Jahre 773/74 zu unterstützen, die zum Zusammenbruch
des Langobardenreiches führten. Die Gründe sind dafür nicht
bekannt, und sein Verhalten bleibt um so unerklärlicher, als ihn der
Ausfall der Langobarden ja seines einzigen Bundesgenossen beraubte. Möglich
wäre natürlich auch, dass Tassilo
durch die von Abt Sturm vermittelten Abmachungen irgendwie gebunden war.
Anläßlich eines Besuches in Rom im Jahre 781
gewann KARL den Papst zu einem gemeinsamen
Vorgehen gegen den Bayern und beraubte Tassilo
damit seines letzten außerbayerischen Rückhalts. Eine gemeinsame
Gesandtschaft von Papst Hadrian I. und König
KARL erinnerte Tassiloan
die Einhaltung der in Compiegne geschworenen Eide. Gegen die Verbürgung
freien Geleits stellte Tassilo sich daraufhin im gleichen Jahre 781 in
Worms ein, erneuerte seinen Lehenseid und stellte 12 Geiseln. Wahrscheinlich
geschah es damals auch, dass er von KARL
die 725/28 von Bayern abgetrennten Höfe Ingolstadt und Lauterhofen
auf dem Nordgau zurückerhielt. Doch war das nicht nur ein Geschenk
im Zeichen der wieder erneuerten Freundschaft, sondern bedeutete, dass
er zu der bisher rein persönlichen Bindung, dieTassilo
durch die vasallitische Kommendation eingegangen war, jetzt auch noch eine
dingliche Bindung trat.
Die 782 erneuerten Beziehungen zwischen den beiden Herrschern
wurden abermals getrübt, vielleicht auf Grund kriegerischer Verwicklungen,
die sich im Jahre 784 an der bayerisch-langobardischen Grenze ereigneten.
Tassilo
muß in diesen Jahren die Überzeugung gewonnen haben, dass
KARL zu einem entscheidenden Schlag gegen ihn ausholte, denn
er bat im Jahre 787 den Papst um Vermittlung zwischen ihm und dem Franken-König.
Das blieb ohne Erfolg; vielmehr erinnerte der Papst ihn anläßlich
der Heerfahrt KARLS gegen Tassilos
Schwager Arichis von Benevent unter
Androhung des Bannes an die Einhaltung seiner Eide, hielt allerdings vielleicht
auch KARL von einem Angriff auf Bayern
ab, zugleich lud ihn der König nach Worms vor. Als Tassilo sich hier
nicht einfand, unternahm KARL, mit
drei getrennten Heeresgruppen operierend, einen Feldzug gegen Bayern. Doch
ehe es überhaupt zur Schlacht kam, mußte Tassilo
kapitulieren, da sein Adel ihm die Gefolgschaft versagte, die vasallitische
Bindung an den Frankenkönig also offenbar für höher erachtete
als die landrechtliche an den Bayernherzog. Tassilo mußte daraufhin
erneut die Lehenshoheit des fränkischen Königs anerkennen, diesmal
aber in noch bindenderer Form als früher: er übergab mit der
symbolischen Überreichung eines Szepters Land und Herrschaft dem König
und erhielt beides als Lehen zurück. Darüber hinaus mußte
er wiederum zwölf Geiseln stellen und als 13. seinen Sohn Theodo.
Jetzt war die dingliche Bindung des Herzogs über die Güterkomplexe
Ingolstadt und Lauterhofen hinaus auf das ganze Land ausgedehnt und Bayern
war ein Lehen des fränkischen Königs. Vielleicht ist zu diesem
Zeitpunkt auch die Bestimmung in die Lex Baiwariorum eingefügt worden,
die strenge Sanktionen gegen den dem König ungehorsamen Herzog vorsieht.
Auch der ganze bayerische Adel ist damals dem Franken eidlich verpflichtet
worden.
Das geschickte Vorgehen des Königs, das den bayerischen
Herzog schließlich in ein ganzes Netz von Bindungen verstrickt und
zudem von seinem eigenen Adel isoliert hatte, führte schließlich
zum vollen Erfolg. Als Tassilo im Jahre
788 in Erfüllung seiner Vasallenpflichten auf einem Hoftag in Ingelheim
erschien, wurde er unter der von den Bayern erhobenen Anklage verhaftet,
er habe ein Bündnis mit den Awaren geschlossen, er gehe gegen die
königlichen Vasallen in Bayern vor, habe auch seine eigenen Leute
angewiesen, dem Franken-König nur unter Vorbehalt die Treue zu schwören.
Nach der fränkischen Berichterstattung wurde Tassilo
aller dieser Vergehen auch überführt, doch reichte das zu einer
Verurteilung offensichtlich nicht aus. So griff man auf das 25 Jahre zurückliegende
Verbrechen des "harisliz", der eigenmächtigen Entfernung vom Heer
auf dem aquitanischen Feldzug, zurück und fällt daraufhin ein
Todesurteil. Dadurch wurde es möglich, nicht nur Tassilo,
sondern auch die im bayerischen Gesetzbuch verankerten rechtlichen Ansprüche
der AGILOLFINGER auf die Herrschaft
in Bayern zu treffen. Offensichtlich waren in Ingelheim auch TassilosGemahlin
Liutpurc,
seine Söhne Theodo
und Theodebert und seine TöchterRotrudund
Cotanianwesend.
Durch einen bedeutsamen Fund Bischoffs können wir aus zeitgenössischen
Briefen noch neue Einblicke in die Zeit des Untergangs eines selbständigen
bayerischen Herzogtums gewinnen. Ein Brief berichtet von Verhandlungen,
die ein Priester Liudprand und ein weiterer ungenannter bayerischer Priester
am fränkischen Königshof geführt haben, und enthält
schließlich den Befehl an die Herzogstochter
Cotani,
sich an den Königshof zu begeben. Zwei weitere Briefe von einem Geistlichen
Promo und vermutlich von Fater, dem Abt von Kremsmünster und Kaplan
Tassilos,
bestätigen die annalistischen Notizen, dass mit Tassilo
auch mehrere seiner bayerischen Anhänger verurteilt worden sind. War
ein Todesurteil über Tassilo gefällt,
kam es auf dessen Vollstreckung nicht mehr an und Tassilo
konnte vom König zu Klosterhaft "begnadigt" werden. In St. Goar erhielt
er die Tonsur, später kam er nach Jumieges, noch später nach
Lorsch. Doch auch jetzt war noch kein Abschluß erreicht. Sechs Jahre
später, 794, wurde Tassilo auf
einer Reichsversammlung in Frankfurt vorgeführt, und hier "verzichtete
er auf jeden Rechtsanspruch und auf allen Eigenbesitz, soweit er ihm oder
seinen Söhnen und Töchtern im Herzogtum rechtmäßig
zugestanden war". Über die Hintergründe dieses erneuten Verzichts
können wir nur Vermutungen anstellen, etwa, ob ein Zusammenhang mit
der zwei Jahre zuvor erfolgten Empörung des Königssohnes Pippin
bestand. In Lorsch ist Tassilo am 11.
Dezember eines unbekannten Jahres gestorben. Auch seine Frau und seine
Kinder kamen hinter Klostermauern, bekannt ist nur der Aufenthalt des ältesten
Sohnes Theodo
in St. Maximin in Trier und seiner Töchter Cotani
in
Chelles und Rotrud in Soissons.
769
oo Liutberga, Tochter des Langobardenkönigs
Desiderius
- um 793
Kinder:
Theodo III.
um 770- nach 793
Theudebert
772- nach 793
Cotani
-
Sie kam 788 ins Kloster Chelles, wo einst auch Swanahild im Exil war.
Rotrud
-
Sie wurde 788 in Laon zur Nonne gezwungen.
Guntharius
-
Er kam bei einer Jagd in Kremsmünster um.
Literatur:
------------
Bauer Dieter R./Histand Rudolf/Kasten
Brigitte/Lorenz Sönke: Mönchtum - Kirche - Herrschaft
750-1000 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998 Seite 10,42,56,59,239 -
Borgolte
Michael: Die Grafen Alemanniens in merowingischer und karolingischer Zeit.
Eine Prosopographie. Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1986 Seite 125,196
- Borgolte Michael: Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer
Zeit. Vorträge und Forschungen Sonderband 31 Jan Thorbecke Verlag
Sigmaringen 1984 Seite 41,45,118,155,220 - Herm, Gerhard: Karl der Große.
ECON Verlag GmbH, Düsseldorf, Wien, New York 1987 Seite 11,74,79,82,128,193-208,217,221
- Jarnut Jörg: Agilolfingerstudien. Anton Hiersemann Stuttgart
1986 Seite 28,78,114,118 - Kalckhoff Andreas: Karl der Große.
Profile eines Herrschers. R. Piper GmbH & Co. KG, München 1987
Seite 38,49-52,65-66.69,109,209,252 - Menghin Wilfried: Die Langobarden.
Archäologie und Geschichte Konrad Theiß Verlag Stuttgart Seite
200 - Riche Pierre: Die Karolinger. Eine Familie formt Europa. Deutscher
Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 1991 Seite 84,99,113,122,130,139,161,166,380
- Schieffer Rudolf: Die Karolinger. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart
Berlin Köln 1992 Seite 49,51,57,65,72,83-86 - Schmid Karl:
Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter. Ausgewählte
Beiträge, Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1983, Seite 33, 287,297
- Schnith Karl Rudolf: Mittelalterliche Herrscher in Lebensbildern.
Von den Karolingern zu den Staufern. Verlag Styria Graz Wien Köln
1990 Seite 23,25,28 - Spindler Max: Handbuch der bayerischen Geschichte
Erster Band Das alte Bayern. Das Stammesherzogtum bis zum Ausgang des 12.
Jahrhunderts. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung München Seite 166-176
- Werner Karl Ferdinand: Die Ursprünge Frankreichs bis zum
Jahr 1000. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
1995 Seite 363,389 - Wies Ernst W.: Karl der Große. Kaiser
und Heiliger. Bechtle Verlag Esslingen 1986 Seite 34,57, 61,71,75,138-148,194
-