Norwich John Julius: Band I Seite 192,194,200,205,209,213,221
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"Byzanz. Der Aufstieg des oströmischen Reiches."

Fünf Monate vor seinem Tod bestimmte Leon I. nicht Zenon, den Mann seiner Tochter Ariadne, sondern dessen Sohn Leon zum Nachfolger. Ariadne hatte ihren Sohn angewiesen, seinen Vater auf der Stelle zum Mit-Kaiser zu krönen, wenn er ihm im Hippodrom huldige. Gut, dass sie dafür gesorgt hatte, denn neun Monate später war der junge Leon tot.
Sofort nach der Inthronisierung zeigte sich Zenon entschlossen, den Krieg gegen die Vandalen zu beenden. Als Friedensunterhändler ernannte er den angesehenen Senator Severus, den er als Zeichen der Bedeutung, die er seiner Mission beimaß, in den Rang eines Patrikios erhob. Er hätte keine bessere Wahl treffen können. Severus beeindruckte Geiserich aufs höchste, denn er wies jegliche persönlichen Geschenke zurück und bat statt dessen um die Freilassung der römischen Gefangenen. Geiserich entsprach dem ebenso nobel und ließ augenblicklich alle seine Gefangenen frei und erlaubte Severus, so viele, wie er konnte, auszulösen. Noch vor Jahresende wurde der Friede unterzeichnet; die Vandalen wurden niemals wieder veranlaßt, dem Reich Schwierigkeiten zu bereiten.
Dies war ein vielversprechender Auftakt. Doch schon bald zogen Gewitterwolken auf, denn mittlerweile hatten sich die Isaurier höchst unbeliebt gemacht. Im Unterschied zu den germanischen Stammesangehörigen waren sie Reichsuntertanen und konnten als solche nicht als Barbaren bezeichnet werden; in ihrem Verhalten erwiesen sie sich dagegen als weit unangenehmer als alle sogenannten barbarischen germanischen Völker. Die bevorzugte Behandlung, die ihnen Leon hatte angedeihen lassen, war ihnen zu Kopf gestiegen; sie benahmen sich arrogant und proletenhaft und legten eine bedauerliche Neigung zu Gewalttätigkeit an den Tag. Fast zwangsläufig richtete sich die Feindseligkeit, die sie dadurch auslösten, zu einem guten Teil auf ihren berühmtesten Repräsentanten, den Kaiser; dieser sah sich zudem konfrontiert mit dem unversöhnlichen Haß zweier mächtiger Feinde innerhalb seines Hauses: dem der Kaiserin-Mutter Verina und dem ihres Bruders Basiliskos.
Als der Kaiser im November 475 den Spielen im Hippodrom beiwohnte, erhielt er eine dringende Botschaft von seiner Schwiegermutter: Heer, Senat und Bevölkerung hätten sich gegen ihn verbündet, er müsse sofort aus der Stadt fliehen. Der Gedanke an Widerstand oder der Verdacht, Verinas Botschaft könnte ein Bluff gewesen sein, scheint ihm nicht gekommen zu sein. Noch in der selben Nacht stahl er sich mit seiner Frau Ariadne und seiner Mutter aus Konstantinopel und suchte in den Bergen seiner Heimat Isaurien Zuflucht.
Nach zwanzig Monaten Exil konnte sich Zenon endlich wieder den Staatsgeschäften widmen. Während seiner Abwesenheit war manches geschehen, das seine volle Aufmerksamkeit beanspruchte, unter anderem vor allem der endgültige Zusammenbruch des Weströmischen Reiches. Was sich aus historischer Sicht im Weströmischen Reiche ereignete, durchschaute Kaiser Zenon sicherlich genausowenig wie die große Mehrheit seiner Untertanen, als er seine Zustimmung dazu gab.
Zenons früheres Mißtrauen konzentrierte sich nun auf Harmatios, dessen Arroganz und Narzißmus ein Ausmaß erreicht hatten, dass man um seinen Verstand fürchten mußte. Um selbst Prätorianer-Präfekt zu werden und seinen Sohn zum Cäsar zu machen, hatte er skrupellos seinen Onkel Basiliskos und seine Geliebte hintergangen. Es war nicht schwer, unter dessen vielen Feinden einen Mörder zu dingen, und die war rasch ausgeführt. Dem Sohn des Toten gegenüber, der den Namen seines Großonkels Basiliskos trug, war der Kaiser nachsichtiger: Er wurde bloß seines Ranges und Titels entkleidet und gezwungen, in den Kirchendienst einzutreten.
Im Verlauf der Zeit muß Zenon selbst oft den Wunsch verspürt haben, der Verantwortung entfliehen zu können. 479, nur zwei Jahre nachdem er die Macht wieder übernommen hatte, sah er sich erneut einen Aufstand gegenüber. Diesmal ging er von Markian aus, einem Enkel seines kaiserlichen Namenvetters und Sohn des Weströmischen Kaisers Anthemius, der mit Leontia, der jüngeren Tochter Leons des Großen verheiratet war. Bis zu einem gewissen Grad brach diese Revolte als Folge der Behandlung seiner Schwiegermutter Verina aus, die vor nicht allzu langer Zeit für ihre Teilnahme am Komplott zur Ermordung von Illos gefangengesetzt worden war. Markian hingegen rechtfertigte sich damit, dass Leontia, da sie in Purpur geboren sei, einen höheren Rang einnehme als ihre ältere Schwester Ariadne, Zenons Frau, die unter der vorherigen Regierung geboren war. Markian und seine Gefolgschaft stürmten den Palast und hätten vermutlich den Kaiser zum zweiten Mal zur Flucht gezwungen, hätte nicht Illos blitzschnell eingegriffen, indem er in stockfinsterer Nacht eine Abteilung Isaurier über den Bosporus führte und die Rebellen überraschte. Deren Anführer wurden ins Kloster verbannt, und zwar nach Cäsarea in Kappadokien. Er konnte entkommen, und versuchte es ein zweites Mal, hatte aber wieder keinen Erfolg. Auch jetzt ließ Zenon, vielleicht wegen seiner kaiserlichen Abstammung, einmal mehr Gnade walten: Markian wurde zum Presbyter geweiht, Leontia trat ins Kloster der Akoimetai ein, und dies ist das letzte, was man von den beiden hörte.
Die beiden Aufstände Markians, zweifellos gefährlich und Ausdruck der allgemeinen Unzufriedenheit, wurden schnell niedergeschlagen. Bedrohlicher und nicht so leicht zu erledigen war dagegen jener, der 483 ausbrach und in dessen Mittelpunkt nun Illos stand. Dieser war allerdings regelrecht dazu provoziert worden. Schon sechs Jahre zuvor, kurz nachdem Zenon die Amtsgeschäfte wiederaufgenommen hatte, war ein kaiserlicher Sklave dabei entdeckt worden, wie er ihm mit gezogenem Schwert auflauerte. Keiner machte den Kaiser direkt dafür verantwortlich, und dieser übergab den Sklaven sofort seinem mutmaßlichen Opfer zur Bestrafung. Doch der Vorfall erregte unweigerlich Verdacht. Dann entdeckte die Palastwache erneut einen Mordgesellen, diesmal einen Alanen, der später gestand, er sei vom Präfekten Epinikos und Kaiserin Verina gedungen worden. Da Illos sein Leben in Konstantinopel bedroht sah, gab er vor, sein Bruder sei kürzlich gestorben, und zog sich für eine Weile in seine isaurische Heimat zurück. Als im September jedoch ein Erdbeben die Stadtmauern schwer beschädigte, beorderte ihn Zenon, der befürchtete, die Goten würden diese Gelegenheit zum Angriff nutzen, in die Hauptstadt zurück, ja er ritt ihm sogar bis Chalkedon entgegen. Allein der Feldherr weigerte sich rundweg, die Stadt zu betreten, bevor nicht Verina in seine Gewalt gegeben ward. Da Zenon an seiner Schwiegermutter nichts lag, stimmte er nur zu gerne zu. So wurde diese zunächst nach Tarsos geschickt, wo sie den Schleier nehmen mußte, und dann kurzerhand in einer isaurischen Festung gefangengesetzt.
Danach hellte sich die Atmosphäre für eine Zeitlang auf; Illos wurde zum obersten Magistrat ernannt, und das galt normalerweise als Zeichen hoher Gunst. Doch eines Tages im Jahre 482 stürzte sich auf den Stufen zu seiner Loge im Hippodrom ohne Vorwarnung ein Mitglied der kaiserlichen Leibwache auf ihn. Illos' Waffenträger vermochte den Hieb abzulenken, so dass die Schneide seinen Kopf zwar verfehlte, aber sie trennte sein rechtes Ohr ab, und er mußte für den Rest seiner Tage eine Kopfbedeckung tragen. Diesmal war es nicht so leicht, mit dem Ursprung des Verbrechens fertig zu werden, stellte sich doch heraus, dass niemand anders alsKaiserin Ariadne dahintersteckte, die sich an Illos für das, was er ihrer Mutter - und möglicherweise auch ihrer Schwester - angetan hatte, rächen wollte.
Was dann geschah, ist unkler, denn die ganze Geschichte über den Illos-Aufstand beruht auf so bruchstückhafter und gelegentlich widersprüchlicher Überlieferung, dass man immer wieder auf Spekulationen und Raten angewiesen ist. Der oberste Magistrat scheint sich klugerweise erneut nach Anatolien zurückgezogen zu haben. Jedoch brach fast unmittelbar nach seiner Abreise in Syrien ein Aufstand los, wo ein gewisser Leontios einen Versuch in letzter Minute unternahm, die althergebrachte Religion wiedereinzusetzen; Illoswurden Boten nachgejagt mit dem Befehl, er habe den Oberbefehl über die östlichen Heere zu übernehmen und die Herrschaft des Kaisers wiederherzustellen. Da er vermutlich für die Gelegenheit, die sich in den Augen seines Herrn ernuet zu beweisen, dankbar war, begab er sich unverzüglich nach Syrien. Erst bei seiner Ankunft wurde er gewahr, dass der dortige Oberbefehlshaber ausgerechnet des Kaisers inkompetenter und liederlicher Bruder Longinos war, der diese Maßnahme, die er für eine Usurpation seiner Autörität hielt, schärfstens mißbilligte. Es kam zu einem heftigen Streit, der dazu führte, dass Illos Longinos verhaftete und gefangensetzte.
Eine derartige Aktion gegen einen so einflußreichen und mächtigen Rivalen war natürlich hoch riskant. Als die Neuigkeit in Konstantinopel eintraf, nahm der Kaiser die Nachricht jedoch noch schlechter beraten auf. Er befahl die unverzügliche Freilassung seines Bruders, erklärte Illoszum Staatsfeind und ließ sein gesamtes Eigentum konfiszieren und verkaufen. Dadurch trieb er ihn praktisch ins Lager seiner Gegner. Illos verbündete sich nun mit dem Aufrührer; gemeinsam befreiten sie die alte Kaiserin Verina. Bereitwillig krönte sie Leontios in Tarsos und folgte ihm nach Antiochia, wo er am 27. Juni 484 als Gegen-Kaiser einen Hof einsetzte.
Die beiden scheinen vorerst zufriedengestellt gewesen zu sein; zumindest trafen sie keinerlei Vorbereitungen für einen Marsch auf Konstantinopel. Dadurch erhielt Zenon Zeit, neue Verbündete zu gewinnen. Zu diesen zählte auch ein junger Ostgoten-Fürst namens Theoderich, der seit zehn Jahren eine ständige Bedrohung für Byzanz darstellte, sich aber jetzt bereit erklärte, an der Spitze seiner Leute im Namen des Kaisers gegen die Rebellen zu ziehen. In der Folge wurden diese rasch aus Antiochia und ihr Stammland Isaurien getrieben; die Führer suchten schließlich im Schloß Papyrios Unterschlupf. Dort starb Verina, von niemandem betrauert, und dort endete der Aufstand nach einer vierjährigen Belagerung, die Illos, von jeher Gelehrter und Intellektueller, mit philosophischen Studien verbracht haben soll. Er und Leontios wurden von seiner Schwägerin verraten, die 488 durch eine List - vermutlich das leere Versprechen, sie zu schonen - in das Schloß gelangt war und den Belagerern die Tore öffnete. Da sie so lange Widerstand geleistet hatten, wurden die Verteidiger natürlich nicht geschont, sondern enthauptet und ihre Köpfe nach Konstantinopel gesandt.
Während im Frühjahr 491 der Ostgote Theoderich damit beschäftigt war, den Skiren Odoaker in Ravenna zu belagern, starb in Konstantinopel Kaiser Zenon. Die letzten drei Jahre seiner Herrschaft waren die besten gewesen, zumindest was die Sicherheit des Staates betraf. Der Aufstand von Illos und seinen Freunden war niedergeschlagen, und seine Anführer waren ausgeschaltet. Was noch wichtiger war, das Reich - zumindest jener Teil, der noch immer von der Hauptstadt kontrolliert wurde  - war seit Theoderichs Abzug endlich von den Goten befreit. Das einzige wichtige Problem, das Zenon nicht hatte lösen können, war das kirchenpolitische. Trotz der Beschlüsse von Chalkedon hatte die monophysitische Häresie weiter an Boden gewonnen, und zwar vor allem in den Ostprovinzen, in denen daraufhin die Unzufriedenheit gefährlich zunahm.
Gegen Ende des Jahrzehnts ging es denm Kaiser offensichtlich sowohl körperlich als auch geistig immer schlechter. Sein Sohn, der ebenfalls Zenon hieß, war bereits in jungen Jahren in schlechte Gesellschaft geraten und bald darauf gestorben - wie es hieß, von homosexuellen Exzessen und Geschlechtskrankheiten aufgezehrt. Als erwartungsgemäßer Nachfolger galt deshalb des Kaisers liederlicher Bruder Longinos, dessen Stern höher und höher gestiegen war, während der seines Feindes Illos sank. Bis 490 - als er zum zweiten Mal zum Konsul ernannt wurde - kontrollierte er de facto den ganzen Staat. Zenon war jedoch besessen von der Prophezeiung eines bekannten Wahrsagers, der vorausgesagt hatte, sein Rang werde nicht von Longinos eingenommen, sondern "von einem der als Silentiar gedient hat". Die Silentiarii waren ein Korps ausgewählter Beamter, die das persönliche Gefolge des Kaisers bildeten. Es handelte sich um gebildete Männer von guter Herkunft und vom selben Rang wie die Senatoren, und sie waren für verschiedene wichtige, vertrauliche Dienste zuständig, darunter auch das Abfassen der Hofchronik. Ihre Zahl war auf dreißig festgelegt, doch Zenons seniler Verstand kaprizierte sich darauf, dass sich die Prophezeiung nur auf einen beziehen könne: auf das ehemalige Korpsmitglied Pelagios, inzwischen zum bedeutenden Staatsmann und Patrikios aufgestiegen. Der Unglückliche erhielt keine Gelegenheit, seine Verteidigung vorzubereiten. Sein Besitz wurde kurzerhand konfisziert, er wurde verhaftet und kurz darauf stranguliert. Pelagios war beleibt und überall geachtet gewesen - Zenon weder das eine noch das andere. In seiner Jugend hatte er sich einen Namen als Sportler gemacht - Anonymos Valesii schreibt seine Schnellfüßigkeit der eher unwahrscheinlichen Tatsache zu, dass er ohne Kniescheiben geboren wurde -,  aber auf allen anderen Gebieten versagt. Obwohl er gewiß nicht allein schuld war an der nahezu ununterbrochenen Reihe von Aufständen während seiner Regierungszeit, wurden diese doch zwangsläufig als Auswirkungen seiner Unfähigkeit betrachtet, und der Verlust der westlichen Reichshälfte fügte seinem Ruf - wenn auch überwiegend zu Unrecht - unwiderruflichen Schaden zu. Mit dem sinnlosen Mord an Pelagios opferte Zenon auch noch den letzten Rest des geringen Wohlwollens, das ihm seine Untertanen entgegengebracht hatten, und es gab kaum Wehklagen, als er am 9. April 491 an einem epileptischen Anfall starb.