Fünf Monate vor seinem Tod bestimmte Leon
I. nicht Zenon, den Mann
seiner Tochter Ariadne, sondern
dessen Sohn Leon zum Nachfolger. Ariadne
hatte ihren Sohn angewiesen, seinen Vater auf der Stelle zum Mit-Kaiser
zu
krönen, wenn er ihm im Hippodrom huldige. Gut, dass sie dafür
gesorgt hatte, denn neun Monate später war der junge Leon
tot.
Sofort nach der Inthronisierung zeigte sich
Zenon entschlossen, den Krieg gegen die Vandalen
zu beenden. Als Friedensunterhändler ernannte er den angesehenen Senator
Severus, den er als Zeichen der Bedeutung, die er seiner Mission beimaß,
in den Rang eines Patrikios erhob. Er hätte keine bessere Wahl treffen
können. Severus beeindruckte Geiserich
aufs höchste, denn er wies jegliche persönlichen Geschenke zurück
und bat statt dessen um die Freilassung der römischen Gefangenen.
Geiserich
entsprach
dem ebenso nobel und ließ augenblicklich alle seine Gefangenen frei
und erlaubte Severus, so viele, wie er konnte, auszulösen.
Noch vor Jahresende wurde der Friede unterzeichnet; die Vandalen wurden
niemals wieder veranlaßt, dem Reich Schwierigkeiten zu bereiten.
Dies war ein vielversprechender Auftakt. Doch schon bald
zogen Gewitterwolken auf, denn mittlerweile hatten sich die Isaurier höchst
unbeliebt gemacht. Im Unterschied zu den germanischen Stammesangehörigen
waren sie Reichsuntertanen und konnten als solche nicht als Barbaren bezeichnet
werden; in ihrem Verhalten erwiesen sie sich dagegen als weit unangenehmer
als alle sogenannten barbarischen germanischen Völker. Die bevorzugte
Behandlung, die ihnen Leon hatte angedeihen
lassen, war ihnen zu Kopf gestiegen; sie benahmen sich arrogant und proletenhaft
und legten eine bedauerliche Neigung zu Gewalttätigkeit an den Tag.
Fast zwangsläufig richtete sich die Feindseligkeit, die sie dadurch
auslösten, zu einem guten Teil auf ihren berühmtesten Repräsentanten,
den Kaiser; dieser sah sich zudem konfrontiert mit dem unversöhnlichen
Haß zweier mächtiger Feinde innerhalb seines Hauses: dem der
Kaiserin-Mutter
Verina und dem ihres Bruders
Basiliskos.
Als der Kaiser im November 475 den Spielen im Hippodrom
beiwohnte, erhielt er eine dringende Botschaft von seiner Schwiegermutter:
Heer, Senat und Bevölkerung hätten sich gegen ihn verbündet,
er müsse sofort aus der Stadt fliehen. Der Gedanke an Widerstand oder
der Verdacht, Verinas Botschaft könnte
ein Bluff gewesen sein, scheint ihm nicht gekommen zu sein. Noch in der
selben Nacht stahl er sich mit seiner Frau Ariadne
und
seiner Mutter aus Konstantinopel und suchte in den Bergen seiner Heimat
Isaurien Zuflucht.
Nach zwanzig Monaten Exil konnte sich
Zenon endlich wieder den Staatsgeschäften widmen. Während
seiner Abwesenheit war manches geschehen, das seine volle Aufmerksamkeit
beanspruchte, unter anderem vor allem der endgültige Zusammenbruch
des Weströmischen Reiches. Was sich aus historischer Sicht im Weströmischen
Reiche ereignete, durchschaute Kaiser
Zenon sicherlich genausowenig wie die große Mehrheit seiner
Untertanen, als er seine Zustimmung dazu gab.
Zenons früheres
Mißtrauen konzentrierte sich nun auf Harmatios, dessen Arroganz
und Narzißmus ein Ausmaß erreicht hatten, dass man um seinen
Verstand fürchten mußte. Um selbst Prätorianer-Präfekt
zu werden und seinen Sohn zum Cäsar zu machen, hatte er skrupellos
seinen Onkel Basiliskos und seine Geliebte
hintergangen. Es war nicht schwer, unter dessen vielen Feinden einen Mörder
zu dingen, und die war rasch ausgeführt. Dem Sohn des Toten gegenüber,
der den Namen seines Großonkels Basiliskos
trug, war der Kaiser nachsichtiger: Er wurde bloß seines Ranges und
Titels entkleidet und gezwungen, in den Kirchendienst einzutreten.
Im Verlauf der Zeit muß Zenon
selbst oft den Wunsch verspürt haben, der Verantwortung entfliehen
zu können. 479, nur zwei Jahre nachdem er die Macht wieder übernommen
hatte, sah er sich erneut einen Aufstand gegenüber. Diesmal ging er
von Markian aus, einem Enkel seines
kaiserlichen Namenvetters und Sohn des Weströmischen
Kaisers Anthemius, der mit Leontia,
der jüngeren Tochter Leons des Großen
verheiratet war. Bis zu einem gewissen Grad brach diese Revolte als Folge
der Behandlung seiner Schwiegermutter Verina aus,
die vor nicht allzu langer Zeit für ihre Teilnahme am Komplott zur
Ermordung von Illos
gefangengesetzt worden war. Markian
hingegen rechtfertigte sich damit, dass Leontia,
da sie in Purpur geboren sei, einen höheren Rang einnehme als ihre
ältere Schwester Ariadne, Zenons
Frau,
die unter der vorherigen Regierung geboren war. Markian
und
seine Gefolgschaft stürmten den Palast und hätten vermutlich
den Kaiser zum zweiten Mal zur Flucht gezwungen, hätte nicht Illos
blitzschnell eingegriffen, indem er in stockfinsterer Nacht
eine Abteilung Isaurier über den Bosporus führte und die Rebellen
überraschte. Deren Anführer wurden ins Kloster verbannt, und
zwar nach Cäsarea in Kappadokien. Er konnte entkommen, und versuchte
es ein zweites Mal, hatte aber wieder keinen Erfolg. Auch jetzt ließ
Zenon,
vielleicht wegen seiner kaiserlichen Abstammung, einmal mehr Gnade walten:
Markian
wurde
zum Presbyter geweiht,
Leontia trat
ins Kloster der Akoimetai ein, und dies ist das letzte, was man von den
beiden hörte.
Die beiden Aufstände Markians,
zweifellos gefährlich und Ausdruck der allgemeinen Unzufriedenheit,
wurden schnell niedergeschlagen. Bedrohlicher und nicht so leicht zu erledigen
war dagegen jener, der 483 ausbrach und in dessen Mittelpunkt nun Illos
stand. Dieser war allerdings regelrecht dazu provoziert worden.
Schon sechs Jahre zuvor, kurz nachdem Zenon
die Amtsgeschäfte wiederaufgenommen hatte, war ein kaiserlicher Sklave
dabei entdeckt worden, wie er ihm mit gezogenem Schwert auflauerte. Keiner
machte den Kaiser direkt dafür verantwortlich, und dieser übergab
den Sklaven sofort seinem mutmaßlichen Opfer zur Bestrafung. Doch
der Vorfall erregte unweigerlich Verdacht. Dann entdeckte die Palastwache
erneut einen Mordgesellen, diesmal einen Alanen, der später gestand,
er sei vom Präfekten Epinikos und Kaiserin
Verina gedungen worden. Da Illos
sein Leben in Konstantinopel bedroht sah, gab er vor, sein Bruder sei kürzlich
gestorben, und zog sich für eine Weile in seine isaurische Heimat
zurück. Als im September jedoch ein Erdbeben die Stadtmauern schwer
beschädigte, beorderte ihn Zenon,
der befürchtete, die Goten würden diese Gelegenheit zum Angriff
nutzen, in die Hauptstadt zurück, ja er ritt ihm sogar bis Chalkedon
entgegen. Allein der Feldherr weigerte sich rundweg, die Stadt zu betreten,
bevor nicht Verina in seine Gewalt
gegeben ward. Da Zenon an seiner Schwiegermutter
nichts lag, stimmte er nur zu gerne zu. So wurde diese zunächst nach
Tarsos geschickt, wo sie den Schleier nehmen mußte, und dann kurzerhand
in einer isaurischen Festung gefangengesetzt.
Danach hellte sich die Atmosphäre für eine
Zeitlang auf; Illos wurde zum obersten
Magistrat ernannt, und das galt normalerweise als Zeichen hoher Gunst.
Doch eines Tages im Jahre 482 stürzte sich auf den Stufen zu seiner
Loge im Hippodrom ohne Vorwarnung ein Mitglied der kaiserlichen Leibwache
auf ihn. Illos' Waffenträger vermochte
den Hieb abzulenken, so dass die Schneide seinen Kopf zwar verfehlte, aber
sie trennte sein rechtes Ohr ab, und er mußte für den Rest seiner
Tage eine Kopfbedeckung tragen. Diesmal war es nicht so leicht, mit dem
Ursprung des Verbrechens fertig zu werden, stellte sich doch heraus, dass
niemand anders alsKaiserin
Ariadne dahintersteckte, die sich an Illos für das,
was er ihrer Mutter - und möglicherweise auch ihrer Schwester - angetan
hatte, rächen wollte.
Was dann geschah, ist unkler, denn die ganze Geschichte
über den Illos-Aufstand beruht
auf so bruchstückhafter und gelegentlich widersprüchlicher Überlieferung,
dass man immer wieder auf Spekulationen und Raten angewiesen ist. Der oberste
Magistrat scheint sich klugerweise erneut nach Anatolien zurückgezogen
zu haben. Jedoch brach fast unmittelbar nach seiner Abreise in Syrien ein
Aufstand los, wo ein gewisser Leontios
einen Versuch in letzter Minute unternahm, die althergebrachte Religion
wiedereinzusetzen; Illoswurden Boten
nachgejagt mit dem Befehl, er habe den Oberbefehl über die östlichen
Heere zu übernehmen und die Herrschaft des Kaisers wiederherzustellen.
Da er vermutlich für die Gelegenheit, die sich in den Augen seines
Herrn ernuet zu beweisen, dankbar war, begab er sich unverzüglich
nach Syrien. Erst bei seiner Ankunft wurde er gewahr, dass der dortige
Oberbefehlshaber ausgerechnet des Kaisers inkompetenter und liederlicher
Bruder Longinos war, der diese Maßnahme, die er für eine
Usurpation seiner Autörität hielt, schärfstens mißbilligte.
Es kam zu einem heftigen Streit, der dazu führte, dass
Illos Longinos verhaftete und gefangensetzte.
Eine derartige Aktion gegen einen so einflußreichen
und mächtigen Rivalen war natürlich hoch riskant. Als die Neuigkeit
in Konstantinopel eintraf, nahm der Kaiser die Nachricht jedoch noch schlechter
beraten auf. Er befahl die unverzügliche Freilassung seines Bruders,
erklärte Illoszum Staatsfeind
und ließ sein gesamtes Eigentum konfiszieren und verkaufen. Dadurch
trieb er ihn praktisch ins Lager seiner Gegner.
Illos
verbündete
sich nun mit dem Aufrührer; gemeinsam befreiten sie die alte Kaiserin
Verina. Bereitwillig krönte sie
Leontios
in Tarsos und folgte ihm nach Antiochia, wo er am 27. Juni 484 als Gegen-Kaiser
einen Hof einsetzte.
Die beiden scheinen vorerst zufriedengestellt gewesen
zu sein; zumindest trafen sie keinerlei Vorbereitungen für einen Marsch
auf Konstantinopel. Dadurch erhielt Zenon
Zeit, neue Verbündete zu gewinnen. Zu diesen zählte auch ein
junger Ostgoten-Fürst namens Theoderich,
der seit zehn Jahren eine ständige Bedrohung für Byzanz darstellte,
sich aber jetzt bereit erklärte, an der Spitze seiner Leute im Namen
des Kaisers gegen die Rebellen zu ziehen. In der Folge wurden diese rasch
aus Antiochia und ihr Stammland Isaurien getrieben; die Führer suchten
schließlich im Schloß Papyrios Unterschlupf. Dort starb Verina,
von niemandem betrauert, und dort endete der Aufstand nach einer vierjährigen
Belagerung, die Illos, von jeher Gelehrter
und Intellektueller, mit philosophischen Studien verbracht haben soll.
Er und Leontios wurden von seiner Schwägerin
verraten, die 488 durch eine List - vermutlich das leere Versprechen, sie
zu schonen - in das Schloß gelangt war und den Belagerern die Tore
öffnete. Da sie so lange Widerstand geleistet hatten, wurden die Verteidiger
natürlich nicht geschont, sondern enthauptet und ihre Köpfe nach
Konstantinopel gesandt.
Während im Frühjahr 491 der Ostgote Theoderich
damit beschäftigt war, den Skiren Odoaker
in
Ravenna zu belagern, starb in Konstantinopel Kaiser
Zenon. Die letzten drei Jahre seiner Herrschaft waren die besten
gewesen, zumindest was die Sicherheit des Staates betraf. Der Aufstand
von Illos
und seinen Freunden war niedergeschlagen, und seine Anführer waren
ausgeschaltet. Was noch wichtiger war, das Reich - zumindest jener Teil,
der noch immer von der Hauptstadt kontrolliert wurde - war seit Theoderichs
Abzug
endlich von den Goten befreit. Das einzige wichtige Problem, das Zenon
nicht hatte lösen können, war das kirchenpolitische. Trotz der
Beschlüsse von Chalkedon hatte die monophysitische Häresie weiter
an Boden gewonnen, und zwar vor allem in den Ostprovinzen, in denen daraufhin
die Unzufriedenheit gefährlich zunahm.
Gegen Ende des Jahrzehnts ging es denm Kaiser offensichtlich
sowohl körperlich als auch geistig immer schlechter. Sein Sohn, der
ebenfalls Zenon hieß, war bereits
in jungen Jahren in schlechte Gesellschaft geraten und bald darauf gestorben
- wie es hieß, von homosexuellen Exzessen und Geschlechtskrankheiten
aufgezehrt. Als erwartungsgemäßer Nachfolger galt deshalb des
Kaisers liederlicher Bruder Longinos, dessen Stern höher und
höher gestiegen war, während der seines Feindes Illos
sank. Bis 490 - als er zum zweiten Mal zum Konsul ernannt wurde - kontrollierte
er de facto den ganzen Staat. Zenon
war jedoch besessen von der Prophezeiung eines bekannten Wahrsagers, der
vorausgesagt hatte, sein Rang werde nicht von Longinos eingenommen,
sondern "von einem der als Silentiar gedient hat". Die Silentiarii waren
ein Korps ausgewählter Beamter, die das persönliche Gefolge des
Kaisers bildeten. Es handelte sich um gebildete Männer von guter Herkunft
und vom selben Rang wie die Senatoren, und sie waren für verschiedene
wichtige, vertrauliche Dienste zuständig, darunter auch das Abfassen
der Hofchronik. Ihre Zahl war auf dreißig festgelegt, doch Zenons
seniler
Verstand kaprizierte sich darauf, dass sich die Prophezeiung nur auf einen
beziehen könne: auf das ehemalige Korpsmitglied Pelagios, inzwischen
zum bedeutenden Staatsmann und Patrikios aufgestiegen. Der Unglückliche
erhielt keine Gelegenheit, seine Verteidigung vorzubereiten. Sein Besitz
wurde kurzerhand konfisziert, er wurde verhaftet und kurz darauf stranguliert.
Pelagios war beleibt und überall geachtet gewesen - Zenon
weder das eine noch das andere. In seiner Jugend hatte er sich einen Namen
als Sportler gemacht - Anonymos Valesii schreibt seine Schnellfüßigkeit
der eher unwahrscheinlichen Tatsache zu, dass er ohne Kniescheiben geboren
wurde -, aber auf allen anderen Gebieten versagt. Obwohl er gewiß
nicht allein schuld war an der nahezu ununterbrochenen Reihe von Aufständen
während seiner Regierungszeit, wurden diese doch zwangsläufig
als Auswirkungen seiner Unfähigkeit betrachtet, und der Verlust der
westlichen Reichshälfte fügte seinem Ruf - wenn auch überwiegend
zu Unrecht - unwiderruflichen Schaden zu. Mit dem sinnlosen Mord an Pelagios
opferte Zenon auch noch den letzten
Rest des geringen Wohlwollens, das ihm seine Untertanen entgegengebracht
hatten, und es gab kaum Wehklagen, als er am 9. April 491 an einem
epileptischen
Anfall starb.