Schneider Reinhard: Seite 73,75-81
*****************
„Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter“

Als Chlodwig im Jahre 511 im Alter von 45 Jahren starb, erhielten die vier Söhne Theuderich, Chlodomer, Childebert und Chlothar sein Reich und teilten es untereinander zu gleichen Teilen. Die Brüder treten als Erbengemeinschaft entgegen, die das Erbe zunächst gemeinsam übernimmt und anschließend teilt. Dabei handelt es sich um keine Real- oder Totteilung, sondern um eine innerhalb der Brüdergemeine erfolgende Teilung zur gesamten Hand. Die samtherrliche Komponente wird auch in der Folgezeit mehrfach deutlich in der Politik der vier Chlodwig-Söhne sichtbar, äußert sich in gemeinsamen Beratungen, Feldzügen usw. und wird ebenfalls in der gemeinsamen Verantwortung für ihre Schwester sichtbar. Erwähnenswert bei der Herrschaftsnachfolgeregelung von 511 ist, daß Chlodwigs ältester Sohn Theuderich aus einer unehelichen Verbindung stammte, hier aber neben den Brüdern aus Chlodwigs Ehe offenbar völlig gleichberechtigt als Erbe entgegentritt, während ebenfalls festgehalten werden muß, daß Theuderichs ältester Sohn beim Tode des Großvaters volljährig war, bei der Erbregelung aber offenbar gänzlich unberücksichtigt blieb, was aus erbrechtlichen Gründen, nicht aber wegen mangelnder Ideoneität erklärt, da ihn Gregor schon zum Jahre 511 ausdrücklich als elegans atque utilis rühmt.
Das Erbrecht deer Brüder war jetzt aber nach vollzogener Machtentscheidung so wirkungsmächtig, daß auch der allem Anschein nach an den Machenschaften unbeteiligte dritte Bruder, nämlich Theuderich, aequa lance an der Erbmasse beteilgt werden mußte.
Chlothars Bruder Theuderich war bei der Durchsetzung seiner eigenen thüringischen Interessen freilich viel robuster, indem er zunächst - vergeblich - Chlothar als Rivalen zu ermorden suchte und dann mit dem Thüringer-König Herminafried selbst ein arglistiges Spiel trieb, das mit dessen ominösen Tod endete, als es sich nicht bewähren wollte.
Hierzu paßt eine weitere Episode aus der Zeit der Thüringen-Kriege. Als Theuderich in Thüringen weilte, verbreitete sich in Clermont das Gerücht, er sei erschlagen worden. Arcadius, einer der dortigen Senatoren, lädt daraufhin Childebert ein, er solle jenes Gebiet übernehmen. Von Bedenken Childeberts vor einer damit verbundenen Anerkennung eines Wahlprinzips hört man nichts. Childebert korrigierte seinen Schritt erst, als sich das Gerücht als falsch herausstellte und er sichere Kunde erhielt, Theuderich lebe und sei auf dem Rückmarsch.
An Chlothars und Childeberts Feldzug gegen Burgund hatte Theuderich trotz dringlicher Aufforderung nicht teilnehmen wollen. Überaschenderweise akzeptierten die zu seinem Herrschaftsbereich gehörenden Franci seine Haltung nicht. Obwohl diese Franken formal Bezug auf  Theuderichs brüderliche Hilfsverpflichtung zu nehmen scheinen, ist Beutegier ihr wahres Motiv. So gelingt es denn Theuderich auch, die Androhung der Verlassung und Ankündigung einer freien Wahlentscheidung für eine neue Herrschaft abzubiegen, indem er einen Beutefeldzug gegen das treulose Clermont zu führen verspricht. Der knappen Erzählung läßt sich entnehmen, daß die Formen von Verlassung und Wahl selbst als politisches Druckmittel wirksam und lebendig sind, daß ein König wie Theuderich diesbezügliche Drohungen sehr ernst nimmt, und schließlich zeigt der von Theuderich als Rache-, für seine Franken aber aauch als Beutefeldzug konzipierte Marsch auf Clermont, wie bedrohlich die oben geschilderte invitatio des möglicherweise doch für eine stattliche Gruppe handelnden Senators Arcadius von Theuderich noch nachträglich eingeschätzt wird. Die beutehungrigen Krieger gehen auf Theuderichs beschwörende Versprechungen ein udn versprechen ihrerseits, ihm seinen Willen zu tun.
Wie es der pragmatischen und elastischen Politik der Söhne Chlodwigs entsprach, zeigte Theuderich gegenüber dem "König"Munderich keine klar ablehnende Haltung, sondern verlegte sich auf List und Täuschung, denen Munderich schließlich zum Opfer fiel. Theuderichs erste und offene Reaktion aber war das Angebot, Munderich möge zu ihm kommmen. Natürlich konnte die zugesicherte Prüfung von Munderichs Rechtsanspruch nur Vorwand sein, daß mit diesem aber gearbeitet wurde, zeigt, daß die königlichen Herrschaftsrechte dieser Zeit noch keinesfalls fest und eindeutig waren und daß die Beschränkung des Königtums auf Chlodwigs direkte Nachkommen rechtlich nicht strikt vorgegeben, sondern Ergebnis einer historischen Entwicklung ist. Die Geschichte weiterer Thronprätendenten kann das nur unterstreichen. Zu ihnen gehörte vielleicht auch der Herzog der Auvergne, Sigivald, ein Verwandter Theuderichs, den dieser umbringen ließ [74 Gregor III, 23 Seite 122; wie um 520 Arcadius dürfte Sigivald Exponent auvergnatischer Selbständigkeitstendenzen gewessen sein. Wenskus, Bemerkungen 225, vermutete in Sigivald einen Sproß der Kölner Königsfamilie, der vor Chlodwig gerettet werden konnte.].