Schneider Reinhard: Seite 81-83,86-89
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„Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter“

Denkwürdig ist der Umschwung im Verhalten König Childeberts gegenüber seinem Neffen, dem er eben noch das Reich des Vaters streitig gemacht hatte. Als er sah, daß er Theudebert nicht werde überwinden können, versuchte er, sich mit ihm zu arrangieren. Aber daß Childebert den tatkräftigen und rasch zupackenden Theudebert zu sich bat, ihn adoptierte und mit Geschenken überhäufte, verwunderte doch alle sehr, die es erlebten. Ein gemeinsamer Feldzugsplan Theudeberts und Childeberts im Jahre darauf gegen Chlothar wirft auf das Verhältnis zwischen dem kinderlosen Oheim und seinem Neffen ein zusätzliches Licht. Ob Childeberts Erbpläne ernst und zu realisieren waren, blieb offen, denn Theudebert starb schon im 14. Jahr seiner Herrschaft (Ende 547): Ob der Erbvertrag zwischen seinem Vater und dem Oheim Childebert irgendeine Bedeutung für Theudebald selbst hätte haben können, läßt sich folglich nicht mehr erkennen. Ob Childebert seinerseits beim Tode des kinderlosen Erben seines Adoptivsohnes erbrechtliche Ansprüche geltend machen konnte und geltend machte, bleibt ebenfalls unbekannt, denn ausgerechnet Chlothar erhielt Theudebalds Reich. Wieder hatte er seine Hand mit Erfolg nach der Witwe des verstorbenen Konkurrenten ausgestreckt und sich dadurch einen entscheidenden Vorsprung vor Childeberts Erbansprüchen verschafft.
Childeberts Vertrag mit seinem Neffen Chram war ein rein politisches Zweckbündnis gegen den gemeinsamen Gegner Chlothar. Mehr als die Anerkennung von Chrams faktischer Herrrschaft und politischen Rückhalt gegen den Vater wird Childebert nicht zugesagt haben, denn auch er hegte Erbansprüche auf seines Bruders Reich. Sie schienen sich zu realisieren, als er hörte, Chlothar sei auf seinem sächsischen Feldzug erschlagen worden. Sofort zog er plündern und brennend bis vor Reims, um gewaltsam alles zu unterwerfen, was er von Chlothars Reich nur erreichen konnte. Er sei "der Meinung gewesen" alles müsse jetzt seiner Herrschaft unterworfen sein. Von Versuchen, Rechtsansprüche formell geltend zu machen und ihrer Wirksamkeit zu vertrauen, ist in Gregors Bericht nichts zu spüren. Wann Childeberts Ernüchterung mit der Nachricht von Chlothars Überleben kam, ist nicht überliefert. Bekannt ist, daß König Childebert nach bald einsetzendem Siechtum 558 (Dezember 23) in Paris starb und Chlothar sein Reich und seine Schätze in Empfang nahm. Dieser Herrschaftswechsel im Reich von Paris verlief offenbar rasch und reibungslos. Chlothar brauchte nicht einmal zum bewährten Mittel der Einheirat zu greifen, sondern schickte Childeberts Witwe Ultrogotho und ihre beiden Töchter nur sicherheitshalber in die Verbannung. Söhne hatte der verstorbene Bruder nicht - das hat den Herrschaftswechsel gewiß erleichtert.