Schreiber Hermann: Seite 76,81,84,86,91,102,107
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"Geschichte des Papsttums"

Ab etwa 900 tritt neben Theophylakt seine Frau Theodora hervor und übt in Rom großen Einfluß aus, und in den Jahren von 926 bis 932 scheint seine Tochter Marozia mit dem Titel einer Senatrix die Stadt Rom vollständig beherrscht zu haben, Rom und den Papst Johannes X., den sie, als er Widerstand zu leisten versuchte, zunächst einkerkern und dann ermorden ließ. Wie es zu solchen Zuständen kommen konnte, wird nur in einer einzigen Quelle geschildert, sie ist darum auch sehr umstritten: Es ist Liudprands erklärtermaßen gegen seine Freunde gerichtetes autobiographisches Buch Liudprandi antapodosis.
"In dieser Zeit saß auf dem verehrungswürdigen römischen Stuhl Johannes von Ravenna. Er aber hatte das höchste Bischofsamt durch ein gottloses Verbrechen wider göttliches und menschliches Recht auf folgende Art erlangt: Die schamlose Hure Theodora, Großmutter des kürzlich verstorbenen Patricius Alberich, herrschte nicht unmännlich über die Stadt Rom. Sie hatte von dem Konsul und Senator Theophylakt zwei Töchter namens Marozia und Theodora, die ihr nicht nur gleich, sondern im Venusdienst sogar noch eifriger waren. Marozia brachte in ruchlosem Ehebruch von dem Papst Sergius III. (897/98 und 904/11) den Johannes zur Welt, der nach dem Tod des Johannes von Ravenna die höchste Würde der römischen Kirche erlangte (Johannes XI., 931-935); von dem Markgrafen Alberich von Spoleto aber empfing sie einen Sohn namens Alberich, der später, zu unserer Zeit, die Herrschaft über die Stadt Rom an sich riß." Wenige Zeilen später beschuldigt Liudprand auch den Papst Johannes X. des intimen Umgangs mit Theodora, der Schwester der Marozia, und schreibt es dem Einfluß der Frauen zu, dass der in Ravenna allzuweit von Rom entfernte, gut aussehende Johannes auf den Stuhl Petri nach Rom geholt wurde.
Natürlich war jene Marozia, die zur Zeit Johannes' X. lebte, inzwischen längst Großmutter geworden - aber zu einer Großmutter der Päpste. Für den Klan der Grafen von Tusculum schien kein Zölibat zu existieren, und die Anklage, die der Kaiser gegen Johannes XII. formulierte, läßt ja auch erkennen, dass es selbst Blutschande und Inzest gegeben haben muß. Ein in seiner Herkunft unklares, aber offenbar mächtiges Geschlecht der kleinen alten Etruskerstadt wirft sich mit allen Mittel zur Herrschaft über Rom auf, wobei die Schönheit und die Intelligenz dieser Frauen durch sieben Jahrzehnte zum eigentlichen Motor aller kriminellen, ja gotteslästerlichen Handlungen wird.
"In der allgemeinen Verdorbenheit, welche die römische Gesellschaft kennzeichnete, wäre Marozias Moral überhaupt nicht aufgefallen. Was in die Augen fiel, war ihre Fähigkeit, Menschen nach ihren Willen zu formen... Die Eltern Marozias hatten bloß Bündnisse zwischen der Familie und dem Papsttum geschlossen. Ihre Tochter führte dieses Prinzip kühn bis zur letzten Konsequenz durch: das Papsttum und die Familie sollten identisch sein. Offenbar war sie völlig gleichgültig gegen die universalen Ansprüche dieses Amtes und betrachtete es einfach... als ein Mittel, die reichen Einkünfte des Stuhles Petri direkt in die theophylaktischen Schatzkammern zu leiten." (Chamberlain).
In Verflechtungen, die zu entwirren nur noch den Spezialforscher interessiert, beherrschten die Geschöpfe und die Kinder der drei Frauen aus dem Hause Theophylakt das 10. Jahrhundert in Rom. Seit Marozia die Mätresse Papst Sergius' III. gewesen war, seit Papst Johann X. ein 5-jähriges Kind zum Erzbischof von Reims gemacht hatte, seit Johann X., Leo VI. und Stephan VII., also drei aufeinanderfolgende Päpste, ermordet wurden, hatte die Gewalt, hatte aber auch die Willkür in Rom geherrscht. Johannes XI. (931-935) war ein Sohn Papst Sergius' III. mit der Marozia gewesen, und nur die Jahre, in denen Alberich II. von Tuszien als "Fürst und Senator aller Römer" ein wenig antiken Glanz und altrömische Rechtschaffenheit erkennen ließ, dürfen wir als eine Pause in diesem düsteren Zeitalter ansehen.
Mit Alberich II. endet die kurze Phase der Frauenherrschaft in Rom, nicht aber die Vormacht der weltlichen Fürstentums über das geistliche. Nach vielen Jahrhunderte, in denen in Rom die Kleriker regiert und die Frauen somit keine Stimme gehabt hatten, war im Zusammenbruch der Papstmacht zunächst der Machtzuwachs für die Frauen gekommen, für Theodora die Ältere und die Jüngere und für Marozia, die bedeutendste, sichtbarste, rücksichtsloseste von allen. Aber ihr Sohn verdammte sie zur Untätigkeit, ja er soll sie eingekerkert haben, ihr Sohn, dem sie als einzigem nicht mißtraut hatte. Und es dürfte sie kaum getröstet haben, dass auch Alberich II. mit seinem Sohn, Marozias Enkel, die tiefste Enttäuschung erleben mußte. Noch als Knabe und unter dem Namen Oktavian war dieser Sohn des Alberich den Römern vorgestellt worden, und sie hatten jubelnd geschworen, dass er ihr Fürst und Papst sein sollte. Alberich starb am 31. August 954 eben rechtzeitig, um nicht mehr erleben zu müssen, was für ein Papst sein 955 gekrönter Sohn wurde.