Lexikon des Mittelalters: Band IV Seite 58
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Etichonen
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Adelssippe im Elsaß vom 7. bis 11. Jh. Ihr namengebender Stammvater Adalricus/Eticho (+ nach 683) war neustroburgundischer Herkunft und wirkte in den 60-er Jahren des 7. Jh. als dux des Pagus Attoariensis (Atuyer) um Dijon. Im Zuge der Adelsopposition gegen den neustrischen König Theoderich III. und den Hausmeier Ebroin ging er zum austrasischen König Childerich II. über und erhielt von diesem ca. 673 den Dukat im Elsaß. Damit begründete er die dauerhafte Stellung der ETICHONEN am Oberrhein; sie zeigte sich in der Weitergabe der Dukatswürde an Etichos Sohn Adalbert (+ 723) und Enkel Liutfrid (+ nach 739) ebenso wie in zahlreichen, für Christianisierung und Landesausbau wichtigen Klosterstiftungen (unter anderem Hohenburg/Odilienberg für Etichos Tochter Odilia, Honau, Murbach. Eticho, dessen Machtbereich bis in den Sornegau mit Münstergranfelden, der Stiftung des 1. elsässischen dux Gundoin, reichte, fand im Elsaß offenbar Anschluß an die Opposition zu den PIPPINIDEN stehende Weißenburger Gründersippe. In der Folgezeit vermochten die frühen KAROLINGER den Einfluß im Elsaß einzuschränken, und nach Liutfrids Tod ist der elsässische Dukat parallel zu den Vorgängen in Alemannien nicht mehr erneuert worden. Dennoch behielten die ETICHONEN in der 2. Hälfte des 8. Jh. wohl weitgehend ihre Positionen, wenngleich der Laienabbiat KARLS DES GROSSEN in Murbach vom Zugriff der Zentralgewalt zeugt. - Im 9. Jh. gelang den ETICHONEN, offenbar in Konkurrenz mit den gleichfalls im Elsaß verwurzelten ERCHANGAREN (ihnen entstammte Richgard, oo Kaiser KARL III.), ein neuer Höhepunkt ihre Einflusses, weit über das Elsaß hinaus: So zählte Graf Hugo von Tours (+ 837) zu den bedeutendsten Großen des Reiches schon unter KARL DEM GROSSEN, vor allem aber unter LUDWIG DEM FROMMEN. Seine Tochter Irmingard (oo Kaiser LOTHAR I.) gründete 849 das Kloster Erstein. Nach dem Verlust der königlichen Gunst (828) zog sich Hugo in das Reich seines Schwiegersohnes nach Italien zurück, wo er als dux de Locate (bei Mailand) hervortrat. Nach seinem Sohn Liutfrid (+ um 865) ist die etichonische Linie der LIUTFRIDE benannt, die um 900 als mächtigste Herren im Elsaß galten, bis ins 10. Jh. aber auch Verbindungen mit Italien hielten. Sie verfügten über Münstergranfelden, bis das Kloster um die Mitte des 10. Jh. endgültig unter burgundische Herrschaft kam, und restaurierten um 900 das Kloster St. Trudpert (Breisgau), ihre Grablege. Später erscheinen sie als Grafen im Sundgau, ihre Spuren verlieren sich um 1000. Wohl gleichfalls etichonischer Herkunft war der um die Mitte des 9. Jh. bezeugte Graf Eberhard III. im Elsaß. Von ihm leiten sich die EBERHARDE her, die Vorfahren der Grafen von Egisheim (Dagsburg). Ihre Vormachtstellung am Oberrhein (vor allem elsäßischer Nordgau, Breisgau) wurde durch OTTO I. zugunsten der RUDOLFINGER geschmälert (Prozeß gegen Graf Guntram, Entzug der Herrschaft über das burgundische Kloster Lure), doch spielten sie noch im 11. Jh., zunächst gefördert durch die SALIER (Bruno von Egisheim Bischof von Toul und Papst Leo IX.), dann in Gegnerschaft zu HEINRICH IV. eine wichtige Rolle. Mit Graf Hugo, dem Stifter von St. Leo in Toul, erlosch 1089 die männliche Linie der etichonen-stämmigen DAGSBURG-EGISHEIMER.
Literatur:
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NDB IV, 664 - F. Vollmer, Die E. (Stud. und Vorarb. zur Gesch. des
großfrk. und frühdt. Adels, hg. G. Tellenbach, 1957), 137-184
- Ch. Wilsdorf, Les Etichonides aux temps carolingiens et ottoniens, Bull.
philol. et hist. du comite de travaux hist. er scientifiques 89, 1967,
1-33 - M. Borgolte, Die Gesch. der Grafengewalt im Elsaß von Dagobert
I. bis Otto dem Großen, ZGO 131, 1983, 3-54.
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Heinrich Büttner: Seite 93
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"Geschichte des Elsaß"
Der Gesamtbesitz des elsässischen Herzogshauses und die Ausdehnung
seiner Macht- und Einflußsphäre läßt sich annähernd
bestimmen, wenn man die Schenkungen an die Hausklöster als Einheit
sieht. Von der Selz und dem Hagenauer Forst im Norden bis zum Sornegau
im Berner Jura reichen ihre Güter. Im Unterelsaß werden die
Schenkungen auf der Höhe von Straßburg nach Marlenheim hinüber
etwas dichter, ohne aber geschlossene Bezirke von weiterer Ausdehnung zu
umfassen. Nur das nördlich von Straßburg an Ill und Rhein sich
erstreckende Gut von Honau war anscheinend ein größerer herzoglicher
Komplex. Dicht gesät ist der ETICHONEN-Besitz
in der Gegend südlich der Breusch bis hinauf nach Schlettstadt. Dann
zieht sich eine Reihe von herzoglichen Schenkungen an Hohenburg, Ebersheimmünster
und Murbach an der Vorbergzone der Vogesen entlang bis nach Geberschweier.
Aber der Raum zwischen Schlettstadt und Rufach mit dem Mittelpunkt Colmar
ist dicht im ganzen ein Gebiet, wo ETICHONEN-Schenkungen
in auffallend geringer Zahl entgegentreten. Erst südlich von Rufach
ist im Illgebiet über Mühlhausen, Altkirch bis nach Hirsingen
und Heimersdorf wieder eine Häufung des ETICHONEN-Gutes
anzutreffen. Arlesheim im Birstal und Onoldswil (Oberdorf) am Hauenstein
sind die am weitesten nach dem Basler Jura vorgeschobenen Posten. Delsberg
wird ausdrücklich als Herzogsgut genannt, eine Tatsache, die nur die
Angaben der Vita s. Germani über das Eindringen des elsässischen
Herzogtums in den Sornegau erhärtet. Westlich erstreckt sich der Besitz
der Herzöge bis nach Dattenried, St. Dizier und bis zur Mömpelgarder
Gegend; weiter dringt das Herzogtum nicht vor.
Nach der Unterwerfung und Wiedereingliederung des schwäbischen
Herzogtums in den Verband des fränkischen Staates um die Mitte des
8. Jahrhunderts war aber ein Herzogtum im Elsaß überflüssig
geworden, und so ließen Karlmann und Pippin das elsässische
Herzogtum eingehen. Die Familie der ETICHONEN
wurde durch diese Maßnahme in ihrem Besitz nicht getroffen. Selbstverständlich
ging ihr Einfluß unter den tatkräftigen KAROLINGERN
im 8. Jahrhundert zurück, aber die oberste Gewalt im Land blieb unter
dem Amte der Grafschaft im Besitz der ETICHONEN
und ihrer Erben und Nachkommen. Im 9. Jahrhundert rühmt
der Dichter Thegan die Abstammung des Vaters der Kaiserin
Irmingard, der Gemahlin LOTHARS I.,
vom ETICHONEN-Haus; Graf
Hugo aber, Irmingards
Vater, besaß große Besitzungen im Elsaß.
Seite 171
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Graf Hugo, der
Schwiegervater LOTHARS I., der zu den
einflußreichsten Persönlichkeiten seiner Umgebung zählte,
besaß auch im Elsaß große Besitzungen und bedeutenden
Einfluß. Seine Nachkommen verstanden es gut, ihre Stellung zu halten
und zu kräftigen. LOTHARS Schwager
Liutfrid erhielt
den Besitz der Abtei Münstergranfelden wieder, und die LIUTFRIDEN,
wie man seine Nachkommen bezeichnen kann, besaßen besonders im südlichen
Elsaß große Besitzungen. In welchem Verhältnis sie zu
dem anderen im Elsaß auftretenden Haus der
EBERHARDINER standen, läßt sich nicht ganz sicher
sagen; fest steht nur, dass die beiden Grafenhäuser durch verwandtschaftliche
Beziehungen, die wohl auf die gemeinsame Abstammung vom ETICHONEN-Geschlecht
zurückgehen, aber auch noch anders begründet sein können,
eng miteinander verknüpft waren. Die Familie der EBERHARDE,
in der dieser Name mit dem anderen Hugo am häufigsten war, wie bei
den LIUTFRIDEN dieser Name mit Hugo
ebenfalls wechselte, war anscheinend vorzugsweise im nördlichen Elsaß
begütert, besaß aber auch die Abtei Lüders, deren Besitz
auf die in ihre Verwandtschaft gehörende Walderada
zurückging. Ein Graf Eberhard
war im Jahr 896 im Besitz der Abtei Münster im Gregoriental.
Das Gut der beiden Grafenhäuser der LIUTFRIDEN
und EBERHARDINER war nicht regional
getrennt, sondern lag im ganzen Elsaß verstreut. Auch dieser Umstand
deutet auf einen gemeinsamen Ursprung. Der Besitz beider Familien erstreckte
sich auch auf jenen Bereich, der auch das Wirkungsfeld der ETICHONEN
gewesen war, und so weist diese räumliche Abgrenzung ebenfalls
auf den Zusammenhang beider mit dem elsässischen Herzogsgeschlecht
hin. Thegan bezeugt die Herkunft des Grafen
Hugo, des Vaters der Kaiserin
Irmgard, aus dem ETICHONEN-Haus
ausdrücklich. Die beiden Familien, in deren großen Verband wohl
auch Erchanger, der Vater der Kaiserin
Richgard, einzuordnen ist, hatten das Elsaß verwaltungsmäßig
so geteilt, dass die EBERHARDINER den
Norden, die LIUTFRIDEN den Süden
als Grafen innehatten.
Die elsässischen Grafen griffen über den eigentlichen Bereich
des Elsaß nach dem rechten Rheinufer hinaus. Ein Graf Liutfrid und
seine 3 Söhne Liutfrid, Hugo und Hunfrid sind maßgebend an einer
Restauration des Klosters St. Trudpert im Breisgau zu Anfang des 10. Jahrhunderts
beteiligt.
Der Prozeß gegen den Grafen
Guntram, den Bruder der Grafen Hugo und Eberhard, ließ mit
größter Deutlichkeit erkennen, dass das Reichsgut im Elsaß
im 10. Jahrhundert in weitestem Umfang an das elsässische Grafenhaus
gekommen war. Durch die unruhige Entwicklung der 1. Jahrzehnte des 10.
Jahrhunderts im Elsaß war es gekommen, dass die königliche Gewalt
ganz ausgeschaltet war; die mit den KAROLINGERN
verschwägerten Elsaßgrafen waren damit ganz von selbst in den
Besitz des Fiskalgutes hineingewachsen. Mit dem Eingreifen OTTOS
I. im Elsaß kam sofort der Zwist mit den EBERHARDINERN.
Guntram wurde
verbannt, seine Brüder verloren auf kurze Zeit ihre Grafschaften.
Beseitigen ließ sich die Familie der EBERHARDINER
nicht, aber sie mußte sich, ebenso wie bald darauf die LIUTFRIDEN,
dem Willen OTTOS I. unterordnen und
seinen Plänen einfügen.