Einziger Sohn des Herzogs
Philipp der Gute von Burgund aus seiner 3. Ehe mit der Isabella
von Portugal, Tochter von König
Johann I.
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 989
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Karl der Kühne (Charles le temeraire, le Hardi),
4. Herzog von Burgund aus dem Hause der burgundischen VALOIS
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* 10. November 1433, + 5. Janaur 1477
1. oo 1440 Katharina von Frankreich (+ 1446)
2. oo 1454 Isabella von Burbon (+ 1465)
3. oo 1468 Margarete von York (+ 1503)
1457 Geburt der einzigen Erbin Maria
- Als Karls Vater,
Herzog
Philipp der Gute, 1454 zum Reichstag nach Regensburg reiste,
ernannte er den Prinzen zum Generalstatthalter (lieutenant general).
Seit 1457 entwickelte sich ein wachsender Gegensatz zum Vater. Ein Hauptstreitpunkt
war die abweichende Haltung Karls des Kühnen
gegenüber
Frankreich. Der Prinz erschien am Hofe nur noch in großen Abständen
und residierte zumeist in Le Quesnoy und auf seinen großen Besitzungen
in Holland (Schloß Gorkum). 1462 betraute ihn sein Vater mit der
Aushandlung einer Aide für Holland; als Karl
der Kühne dies dazu benutzte, um sich als Erbe und Nachfolger
anerkennen zu lassen, flammte der Gegensatz erneut auf (1463). Philipps
Räte aus der mächtig gewordenen Familie CROY setzten gegen Karl
den Kühnen die Auslieferung der 1435 mit Rückkaufsrecht
an Burgund abgetretenen Sommestädte an Frankreich durch. Karl
der Kühne berief seinerseits 1464 erstmals die Generalstände
zur Diskussion über die Nachfolge ein, was schließlich zum Ausgleich
mit dem Vater und zur Ausschaltung der CROY führte. Am 27. April 1465
erhielt Karl der Kühne die Generalstatthalterschaft
mit
faktisch unbeschränkten Vollmachten. Dieses Datum markiert die entscheidende
Wende in der Geschichte Burgunds. In Abkehr von der kontilianteren Grundhaltung
des Vaters betrieb Karl der Kühne
eine Politik scharfer Konfrontation mit dem auch seinerseits aggressiveren
Frankreich. Im Bunde mit den Fürsten Frankreichs entfachte er gegen
das französische Königtum die Guerre du Bien Public
(Ligue du Bien Public), durch die er die Picardie und die Grafschaft
Guines zurückgewann (5. Oktober 1465). Im Anschluß daran
unterwarf er das Fürstbistum Lüttich, das Frankreich unterstützt
hatte, seiner weltlichen Vogtei. Die Folge waren Aufstände der verbündeten
Lütticher Städte und brutale Repressionsmaßnahmen des Herzogs,
in deren Verlauf er Dinant, dessen Bürger während der Belagerung
die Ehre seiner Mutter beleidigt hatten, und Lüttich zerstören
ließ (1466-1468)
Die von Karl dem Kühnen
vorgenommene Neuorientierung führte zu engeren Beziehungen mit England,
die in einem Handels- und Freundschafstvertrag (23. Oktober 1466, Intercursus)
und in der Heirat des Herzogs mit Margarete,
der Schwester König Eduards IV. aus
dem Hause YORK, ihren Ausdruck fanden.
Der Tod des Vaters (15. Juni 1467), durch den Karl
der Kühne zum regierenden Herzog wurde, bildete keinen
Einschnitt, da er bereits seit mehr als zwei Jahren die Politik bestimmte.
Die harte Vergeltung gegen Lüttich wie gegen flämische Städte
(Gent, Mecheln) entsprach der überhöhten, gleichsam visionären
Vorstellung des Herzogs von seiner Autorität. Bei den Ständeversammlungen
trug er ein autoritäres Gebaren zur Schau und bekundete so seine Mißachtung
gegenüber hergebrachten Privilegien, die er auch in der politischen
Praxis ständig verletzte.
Übergriffe von seiten Frankreichs setzten erneut
seit 1470 ein. Zur Stärkung seiner Heeresmacht schuf Karl
der Kühne stehende Truppenverbände, die handes
d'ordonnance, und war unablässig bemüht, durch immer
ausgeklügeltere Reglements die burgundische Armee und ihre Befehlsstruktur
effektiver zu gestalten. Wegen der steigenden Rüstungskosten stellte
Karl
der Kühne, erstmals 1471, die bis dahin unekannte Forderung
einer allgemeinen Aide für alle Territorien der Niederlande
auf. Ihre regelmäßige Erhebung, die allerdings erst seit 1473
durchgesetzt werden konnte, war ein Ergebnis der nachdrücklichen Bemühungen
des Herzogs um Zentralisierung der Verwaltung seiner Länder. Einen
wichtigen Platz nahm hierbei der Plan ein, die Steuererhebung in allen
Territorien nach einem auf den Feuerstätten (Haushalten) beruhenden
Besteuerungsmodus einheitlich zu regeln. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch
am Widerstand der großen Städte. Durch die Ordonnanzen von Thionville
(Dezember 1473) schuf der Herzog ein
Parlement und zwei zentrale
Rechnungshöfe (Chambres de comptes) mit Sitz in Mecheln,
um so Souveränität gegenüber Frankreich, administrative
Vereinheitlichung und Hauptstadtbildung zu fördern.
Diese Maßnahme erfolgte nur kurze Zeit nach dem
Versuch des Herzogs, ein Bündnis mit Kaiser
FRIEDRICH III. zu ereichen. In den Trierer Verhandlungen (21.
Oktober-24. November 1473) war Karl der Kühne
bestrebt, für seine Reichslehen die Königswürde
zu erlangen und die Heirat seiner Erb-Tochter Maria
mit MAXIMILIAN auszuhandeln. Mit dem
abrupten Abbruch durch FRIEDRICH endeten
jedoch die Gespräche. Nicht ohne Ausübung von Druck setzte Karl
der Kühne noch die Einverleibung des Herzogtums Geldern,
in mehreren Phasen, durch (1471-1473). Danach wandelte sich jedoch die
militärische Lage zu seinen Ungunsten. Die burgundische Pfandherrschaft
im oberen Elsaß fiel 1474 einem Aufstand der elsässischen
Städte und der Eidgenossen zum Opfer. Die zur Stärkung der burgundischen
Position durchgeführte Belagerung von Neuß (Juli 1475-Juni 1475)
mußte ergebnislos abgebrochen werden. Danach warf sich der Herzog
auf Lothringen, das er im November 1475 besetzte. Dies verwickelte
ihn in eine Reihe verlustreicher Schlachten (Grandson, 2. März 1476;
Murten, 22. Juni 1476; Nancy, 5. Januar 1477), in denen die Eidgenossen
und ihre Verbündeten das hochgerüstete Heer des Herzogs vernichtend
schlugen. Vor Nancy fand er den Tod.
Die große politische Strategie
Karls des Kühnen war - in konsequenter Fortsetzung der
Politik seiner Vorgänger - auf die Bildung eines zusammenhängenden,
von Frankreich unabhängigen Territoriums gerichtet; der Aufbau einheitlicher
Zentralinstitutionen sollte die überkommenen lokalen und regionalen
Sonderrechte zurückdrängen. Leitende Vorstellung seiner Politik
war die Errichtung einer starken Staatsgewalt. Sein taktisches Vorgehen
war durch autoritäres, impulsives und bisweilen brutales Verhalten
gekennzeichnet. Bestrebt, alle Angelegenheiten persönlich zu führen,
arbeitete er unermüdlich an der Vervollkommnung seiner Staatsorganisation
und verbrachte einen Großteil seiner Zeit auf Reisen und Feldzügen.
Seine nach außen expansive, im Innern repressive Politik rief seit
1474 immer heftigere Spannungen hervor, ausgelöst nicht zuletzt durch
den starken Steuerdruck, der auf eine Verdoppelung und zum Teil Verdreifachung
des bestehenden Steueraufkommens hinauslief. Die militärischen Niederlagen,
die Karl der Kühne erlitt, wirkten
auf ihn als Obsession; sein Streben war zuletzt darauf gerichtet, um jeden
Preis zu siegen und so seine Ehre wiederherzustellen oder aber sein Leben
zu beeenden. Karls des Kühnen
Tod vor Nancy hatte nicht nur Gebietsverlsute zur Folge, sondern führte
auch zur Entladung der inneren Spannungen auf breiter Front, wodurch viele
Errungenschaften seiner Politik wieder zunichte gemacht wurden.
Haus VALOIS
Sohn Philipps des Guten
Einer der mächtigsten und reichsten Fürsten
seiner Zeit. Karl der Kühne erstrebte
nach anfänglichen Erfolgen vergeblich die Errichtung eines großburgundischen
Königreiches unter Einschluß Lothringens und der Champagne,
das, gestützt auf den Reichtum der flandrischen Städte, zu den
führenden Mächten Europas aufsteigen sollte. Er konnte aber lange
Zeit großen Einfluß auf die (west)europäische Politik
nehmen. Noch als burgundischer Erbe inspirierte er 1465 eine Adelsliga
gegen Ludwig XI. Durch seine dritte
Ehe mit Margarete von York (Juli 1468)
gewann er auch Eduard IV. von England
für das antifranzösische Bündnis. Die Besetzung Lothringens
(1473) spitzte den Gegensatz zu den Schweizer Eidgenossen, der schon seit
1469, der Übernahme der rheinischen Besitzungen der HABSBURGER,
bestand, zu und beschwor die sogenannten Burgunderkriege (1474/77) herauf.
Sein abenteuerliches expansives Vorgehen gegen das Reich (Juli 1474/Juni
1475 Belagerung von Neuß) blieb ergebnislos, ebenso sein ehrgeiziges
Verlangen
nach der Kaiserkrone bzw. Königswürde für Burgund.
FRIEDRICH
III. erneuerte im September 1475 dennoch die 1473 in Trier vereinbarte
Eheabrede zwischen Karls Tochter (Maria
von Burgund) und seinem Sohn (MAXIMILIAN
I.). In den Schlachten von Grandson und Murten (1476) sowie
Nancy (1477) gegen die verbündeten Truppen der Schweizer, Lothringer
und Elsässer erlitt Karl der Kühne schwere
Niederlagen und fiel. - Karl der Kühne
förderte
wie seine Vorgänger als großzügiger Mäzen eine dem
burgundsichen Geltungsstreben entsprechende höfische Luxuskultur und
Kunst. Aufwendige üppige Hofhaltung sollte selbst in den Heerlagern
den Reichtum Burgunds verdeutlichen. So erbeuteten die Sieger von Grandson
einen der wertvollsten Silberschätze der Zeit, den Karl
der Kühne mit sich geführt hatte (unter anderem 400
Kisten Gold- und Silberstoffe, 400 seidene Zelte und das ganz mit Perlen
und Gold bestickte sowie mit kostbarstem Gerät und Schmuck ausgestattete
Zelt Karls). Das von R. van der Weyden
überlieferte Porträt Karls des
Kühnen (um 1460; Berlin, Staatliches Museum) zeigt die zurückhaltende,
doch leicht aufbrausende Art Karls des Kühnen.
Mit dem Namen Karls der Kühnen
ist ein Hauptwerk der spätmittelalterlichen niederländischen
Buchmalerei verbunden, das "Gebetbuch Karls des Kühnen" (zwischen
1460 und 1490 von verschiedenen Meistern angefertigt; heute Wien, Nationalbibliothek).
Die bisherige Annahme, es sei 1466 vom Rat der Stadt Brüssel gekauft
und Karl dem Kühnen geschenkt
worden, ist inzwischen fraglich. - Einige militärhistorische Bedeutung
erlangte Karls des Kühnen Verordnung
zur taktischen Truppenausbildung (1475).
Calmette, Joseph: Seite 206-207,213
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"Die großen Herzöge von Burgund."
Sein Vater Philipp ernannte
ihn unverzüglich zum Grafen von Charolais und Ritter vom
Goldenen Vlies. Die Erziehung des zukünftigen Herzogs war ganz
besonders sorgfältig. Philipp der Gute wünschte,
daß sein Sohn die flämische Sprache erlerne. Mit dreizehn Jahren
machte er ihn zum Zunftmeister der Voetboog-Gilde in Brügge.
Neben dem Vater, der gewiß sein Kind liebte, der
aber seiner ganzen Veranlagung nach ziemlich unnahbar war, hatte der Eunfluß
der ernsten und besinnlichen Herzogin Isabella
von Portugal eine starke Wirkung auf Karl
den Kühnen. "Er erlangte niemals jene zumindest äußerliche
Leutseligkeit", schreibt Pirenne, "die Philipp
den Guten in den Niederlanden so beliebt machte. Temperamantvoll,
aber verschlossen, lebte er isoliert, ohne Freunde und Vertraute
unter seinen Höflingen". Einzig seine Mutter hatte Macht über
ihn. Er war ein Sanguiniker, ziemlich groß, ein
wenig vornüber geneigt, breitschultrig, lange Arme,
mit denen er heftig gestikulierte, schwarze Haarfarbe, dunkle
Gesichtsfarbe, blaue, klare Augen und ein verkniffener
Mund. Das bereits ausgebildete vorspringende Kinn, welches das
Merkmal seiner Nachkommen bleiben wird, trägt dazu bei, ihm "ein gewisses
Aussehen von Wildheit zu geben, das vollkommen übereinstimmt mit seiner
Vorliebe für Stürme und hochgehende See, welche seine Zeitgenossen
bei ihm feststellen." Im Gegensatz zu Philipp
war er ein verbissener Arbeiter. Er neigte wie sein Vater zu Zornausbrüchen,
vermochte aber nicht, sie aus Herzensgüte zu bereuen. Er war impulsiv,
"störrisch in seinem Wollen und scharf in seinen Worten". Vor
allem war er ehrgeizig, hochmütig, eigensinnig
und unfähig, Maß zu halten. Eine Neigung zum Argwohn,
die er nicht bezwingen konnte, gereichte ihm sehr oft zum Schaden. Er hatte
sie von seiner Mutter, die, wie der alte Herzog mit einem Lächeln
sagte, "die argwöhnischste Dame war, die er jemals gekannt habe."
Karl war hart gegen sich und andere, ungeduldig und
grob, rachsüchtig und jähzornig, und verstand es nicht,
eine Frage nach der andern zu behandeln, noch seine Ziele entsprechend
seinen Mitteln zu wählen.
Die Jugend des Prinzen war freudlos und mit Lernen angefüllt.
Gern studierte er die antiken Schriftsteller. Die Geschichte fesselte ihn.
Er hatte eine besondere Vorliebe für die Heldentaten Alexanders
den Großen, der wie er selbst der Sohn eines Philipp
war. Sein Traum ist es gewesen, es ihm gleichzutun. Er besaß ein
angeborenes
Rednertalent und befleißigte sich, diese Gabe zu pflegen. Da
er fähig war, eine Versammlung durch das Feuer seiner Worte mitzureißen,
berauschte er sich selbst bisweilen an der Begeisterung der andern. Er
schwärmte
für Kunst und Musik, führte ein absolut enthaltsames Leben
- und kümmerte sich nicht immer um die ritterliche Haltung, in die
der dritte Herzog seinen Stolz gesetzt hatte. Wir werden sehen, daß
er es in manchen Fällen an Unzuverlässigkeit mit seinem Gegner
Ludwig
XI. aufnimmt, den er von jeher verabscheut hat und der es ihm
gründlich heimzahlt.
Zudem "legte das Haus BURGUND,
das sich von einer Regierung zur andern Frankreich, aus dem es hervorgegangen
ist, immer mehr entfremdet, unter Karl dem Kühnen
die letzten Spuren seiner Herkunft ab." Karl
gibt sich unter Berufung auf seine Abkunft von Johann
von Gent bald für einen Engländer aus, bald nennt
er sich, auf seine Mutter anspielend, "portugalois", und eines Tages versichert
er, er liebe Frankreich so sehr, daß er ihm an Stelle eines Königs
deren sechs wünsche.
Seite 188
Alle Fürsten des Landes gerieten direkt oder indirekt
in die Einflußsphäre Burgunds, und es war sogar die Rede von
einer Heirat zwischen dem Erben des Herzogs, dem Grafen
Karl von Charolais - dem Witwer Katharinas
von Frankreich, der Tochter Karls
VII., seiner ersten Frau - mit Elisabeth
von Österreich (* um 1437 Wien, + 30.8.1503 Grodno), der
Schwester Ladislaus' von Ungarn.
Seite 195
Die Heirat des Grafen Karl von
Charolais, des Erben des Herzogthrons von Burgund, mit einer
Tochter Karls VII., Katharina,
war 1438 beschlossen worden. Aber die Prinzessin starb 1440 [Richtigstellung:
1446] in sehr jungen Jahren.
Seite 198
Um zu verhindern, daß der Graf von Charolais, der
sich damals im Witwerstand befand, während seiner zu erwartenden Abwesenheit
nicht eine für die Politik des Chefs der Dynastie nachteilige Ehe
eingehe, greift Philipp zu der Vorsichstmaßnahme,
ihn in weiterer Ehe mit seiner Cousine Isabella
von Bourbon zu verheiraten.
Seite 213
Karl war durch den
Tod Isabellas von Bourbon zum zweiten
Mal verwitwet und hält um die Hand Margaretes
von York, der Schwester König
Eduards IV. von England, an. Am 3. Juli 1468 finden in Brügge
mit auffallender Pracht die Hochzeitsfeierlichkeiten statt.
Seite 309
Zu diesem Zweck haben sie am 25. Juli 1474 den Vertrag
von London geschlossen, der erschreckende Perspektiven eröffnet.
Der Herzog von Burgund wird Eduard
als König von Frankreich anerkennen. Er verpflichtet sich, ihm bei
seiner Ankunft in Frankreich mit mehr als 10.000 Mann zu Hilfe zu kommen.
Eduard
wiederum wird noch vor dem 1. Juni 1473 mit mehr als 10.000 Mann landen.
Die augenblicklich unter französischer Lehnshoheit stehenden Besitzungen
des Herzogs sollen jeder Lehnspflicht ledig werden. Ihnen sollen sich ausgedehnte,
ebenfalls unabhängige Gebiete als Abrundung angliedern, insbesondere
die Grafschaft Eu, Picquigny, die Somme-Städte, einige Domänen
des Grafen Saint-Pol, die Diözese von Tournai, die Grafschaften Guines
und Rethel, der französische Teil des Herzogtums Bar, die Grafschaft
Champagne, die Diözese von Langres, die Grafschaft Nevers und die
Baronie Donzy.
Im Besitz einer so vielversprechenden Urkunde wie des
Vertrags von London hätte Karl der Kühne
sich im Osten auf die Verteidigung beschränken, mit seinen vielen
Nachbarn ein gutes Verhältnis anstreben und alle Kräfte anspannen
müssen, um im Westen zum Zeitpunkt der englischen Landung bereit zu
sein. Er tat genau das Gegenteil, setzte sein Heer in Richtung auf den
Rhein in Marsch und begann sozusagen zum Zeitvertreib mit der Belagerung
der Stadt Neuß. Noch vor Neuß erhielt Karl
der Kühne am 10. Mai 1475 einen Fehdebrief des Herzogs
Rene II. von Lothringen, der der Allainz gegen Burgund beigetreten war.
Seite 323
Trotz der von Karl dem Kühnen
begangenen
Fehler war die Lage Burgunds immer noch glänzend. Der Freundschaftsvertrag
mit König Johann II. von Aragon
war noch in Kraft. Das innige Einvernehmen zwischen Aragon und Burgund
war mit einem Vertrag zwischen Burgund und Neapel gekoppelt, und der Traum
einer Vermählung Marias von Burgund
mit dem Prinzen Friedrich von Tarent,
dem Sohn des Königs Ferdinand von Neapel,
war gerade zu diesem Zeitpunkt aktuell. Friedrich
von Tarent befand sich bei seinem zukünftigen Schwiegervater
und war bereit, an dem Überfall auf Lothringen teilzunehmen. Der von
Aragon ausgeübte Druck hatte Karl noch
zu einem weiteren Freund verholfen, dem mailändischen Sforza.
Um sich dem Problem Lothringen und seinen Ambitionen
im Osten widmen zu können, unterzeichnete er am 13. September 1475
einen neunjährigen Waffenstillstand mit dem König von Frankreich.
Während Karl der Kühne durch
einen Blitzfeldzug die festen Plätze und die Hauptstadt des lothringischen
Herzogtums, Nancy, in Besitz nahm, geschah es, daß Ludwig
XI. mit der Beihilfe des Herzogs sich am Konnetabel von Saint-Pol
rächte.
Seite 331
Nach der Schlacht von Grandson (2.3.1476)
Die Gesundheit des Herzogs verschlechterte sich. Sein seelisches Gleichgewicht hat einen schweren Schock erlitten. Er wird geradzu zum Neurastheniker. Seine körperliche Verfassung ändert sich von Grund auf. Sein hitziges Temperament, dem man bis dahin durch Verzicht auf den Genuß von Wein, durch kühlende Getränke und Rosenkonfitüren Beruhigung verschafft hatte, verlangt nun stärkende und krampflösende Mittel. Er läßt sich einen Bart wachsen, den er erst dann abnehmen lassen will, wenn er seine Waffenehre wiederhergestellt hat. Der Herzog ist jähzorniger denn je und nicht mehr ganz bei Troste.
Seite 343
Karl Tod
Zwei Tage nach der Schlacht entdeckt man den Leichnam des letzten der großen Herzöge nackt und entstellt im Schlamm des Teiches von Saint-Jean, auf dessen Eisdecke gekämpft worden war. Er wurde auf Grund der eingeschlagenen Zähne des Herzogs und der Narben einer bei Montlhery erhaltenen Verwundung identifiziert.
Paravicini Werner: Seite 17-20,56
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"Karl der Kühne. Das Ende des Hauses Burgund."
Anfang des Jahres 1457 zeigt uns Vater und Sohn in einem
ganz anders gearteten Verhältnis. Am 17. Janaur kommt es zwischen
ihnen in Brüssel zu einer so heftigen Szene, daß der Vater nur
mit Mühe davon abgehalten werden kann, seinen Dolch gegen den Sohn
zu zücken. In einem Wutanfall wirft sich Herzog
Philipp aufs Pferd, verirtt sich im Wald von Soignies und kehrt
erst nach langer Suche zurück.
Die Konstallation Mutter und Sohn gegen den Vater, die
uns in der Krise von 1457 entgegentritt, ist für
Karls Leben von grundlegender Bedeutung gwesen. Sie ist Zeichen
einer außerordentlich starken Identifikation mit der Mutter, von
der auch sonst Spuren vorhanden sind. Wenn Karl
im Jahre 1470 französischen Gesandten gegenüber seine portugiesische
Abstammung betonte, so war das mehr als die Erinnerung an eine biologische
Tatsache. Karl war überaus mißtrauisch,
ein Charakterzug der Mutter, über den sich der Vater mokierte. Wie
seine Mutter unterstützte Karl
als Graf von Charolais das Haus LANCASTER,
sein Vater YORK. Und wenn Karl
im
Jahre 1468 Margarete von York heiratete,
dann entsprach er dem Wunsch seiner Mutter, die ihn schon im Jahre 1454
mit einer Angehörigen des Hauses YORK
verheiraten wollte.
Am aufschlußreichsten in diesem Zusammenhang ist
Karls Sexualverhalten. Es steht in einem eklatanten Widerspruch
zu demjenigen seines Vaters. Philipp
war als großer Frauenfreund und Vater unzähliger Bastarde bekannt.
Von Karl heißt es, er habe seiner
Ehefrau stets die Treue gehalten - eine für Fürsten seiner Zeit
geradezu auffällige Verhaltensweise. Es heißt weiter, er habe
keine Frauen an seinem Hof geduldet und gerne schlecht von ihnen reden
gehört. Vergleicht man sein Itinerar mit demjenigen seiner dritten
Frau Margarete von York, stellt man
fest, daß sie in einem Jahr nur wenige Wochen oder Tage zusamemn
waren, nach Juli 1475 überhaupt nicht mehr. Die Zeitgenossen haben
sich darüber Gedanken gemacht: Nachdem im Jahre 1470 Baudouin
Bastard von Burgund und Jean de Chassa zu Ludwig
XI. übergelaufen waren, veröffentlichten sie ein Manifest,
in dem sie Karl homosexuelle Handlungen
vorwarfen. Karls Homosexualität
ist damit nicht erwiesen, nur die Tatsache, daß sie für möglich
gehalten wurde. Sie anzunehmen ist auch nicht notwendig, eine Anlage genügt,
die sich möglicherweise langsam verstärkt hat, denn in Karls
Jugend
tritt sie nicht hervor. Sein Vertrauter Olivier de la Marche, derselbe,
der sich für seine unverbrüchliche Treue als Ehemann verbürgt,
berichtet, daß er vor seiner Heirat mit
Isabella von Bourbon "bon compaignon" schöner Mädchen
gewesen sei. (Die Ehe mit Isabella von Bourbon,
die am 25./26. September 1465 starb, wurde am 30. Oktober 1454 geschlossen.
Ein erste, am 22. Mai 1438 vertraglich abgeschlossen Ehe des Vierjährigen
mit Katharina von Frakreich endete
mit deren Tod am 30./31. Juli 1446. Der im Jahre 1451 erwogene Plan, Karl
der
sächsischen Ansprüche auf Luxemburg wegen mit
Anna von Sachsen
zu verheiraten, wurde nicht verwirklicht). Aus der Zeit vor 1454 mag der
einzige, allerdings nicht sicher bezeugte Bastard
Karls
stammen. Am 13. Februar 1457 wurde Karls
einziges Kind, seine Tochter
Maria von Burgund
geboren. Karls zweite (dritte) Ehe
mit Margarete von York, deren Beginn
am 3. Juli 1468 mit Festen, die den Höhepunkt burgundischer Prachtentfaltung
darstellen, zu Brügge gefeiert wurde, ist kinderlos geblieben. Weder
Homosexualität
noch Impotenz sind also erwiesen. Aber ein während der Regierungszeit
ungewöhnlich stark reduzierte sexuelle Tätigkeit, in der eine
unbewußte Folge der Identifikation mit der Mutter und eines übermächtigen
Inzestverbots zu sehen ist und zugleich eine bewußte Verurteilung
Herzog
Philipps.
Zwar wagten die Stände nicht, die "Bitte" des Herzogs
abzuschlagen; gezahlt wurde aber vorerst nicht. Im Jahre 1470 gewährten
ihm die einzeln befragten Territorien der niederen Lande aber 120.000 Kronen
jährlich für drei Jahre, die Generalstände der Niederlande
im Jahre 1473 sogar 500.000 Kronen und die Generalstände Burgunds
weitere 100.000 Pfund "estavenants" über sechs Jahre. Karl
hat nach Ausweis der Rechnungen des Generalrentmeisters in den 9 1/2 Jahren
seiner Regierung fast soviel Beden erhalten wie sein Vater in 45 Jahren:
1.378.000 stehen gegen 1.536.800 l.t. Ähnlich verhält es sich
mit den Anleihen, die Karl aufzunehmen
in der Lage war: fast 2 Millionen gegen 2,76 Millionen seines Vaters. Der
Generalrentmeister gab unter Philipp dem Guten
im Durchschnitt 345.000 l.t. im Jahr aus, unter Karl
761.200,
im Jahr 1472 sogar über 1,6 Millionen gegenüber dem letzten Höchststand
von über 700.000 im Jahre 1436. Diese Rechnungen zeigen auch, daß
es die Armee war, der dieses Wachstum vor allem zugute kam. Der Generalrentmeister
zahlte hierfür im Jahre 1473 840.000 l.t. bei Gesamtausgaben von 1,33
Millionen, was merkwürdig genau zu der Aufstellung paßt, die
Olivier de la Marche in seinem "Etats de la maison du duc Charles de Bourgoinge,
dit le Hardy" zu Ende 1473 gibt: Er setzt als durchschnittliches Jahresausgabe
mehr als 400.000 für die herzogliche Hofhaltung, 960.000 für
den Kriegsschatzmeister, mehr als 200.000 für den Argentier; zusammen
mehr als 1,56 Millionen Pfund.
Johann II. der Gute König
von Frankreich
26.4.1319-8.4.1364
oo Bona von Luxemburg
20.5.1315-11.9.1348
------------------------------------------------------------------------------------
Karl V. König von Frankreich
Philipp II. der Kühne Herzog von Burgund
21.1.1337-16.9.1380
15.1.1342-27.4.1404
oo Johanna von Bourbon
oo Margarete von Flandern
3.2.1338-6.2.1377
13.4.1350-21.3.1405
---
---
Karl
VI. der Wahnsinnige
Johann Ohnefurcht
3.12.1368-21.10.1422
28.5.1371-10.9.1419
oo Isabeau
von Bayern
oo Margarete von Bayern
1371-24.9.1435
1363-24.1.1424
---
---
Karl
VII. der Siegreiche
Philipp III. der Gute
22.2.1403-22.7.1461
13.6.1396-15.6.1467
oo Marie von Anjou
oo Isabella von Portugal
14.10.1404-29.11.1463
21.2.1397-17.12.1471
----
----
Katharina von Frankreich -----------------
oo
---------------------
Karl der Kühne
1428-13.9.1446
10.11.1433-5.1.1477
Johann Ohnefurcht Herzog
von Burgund
28.5.1371-10.9.1419
oo Margarete von Bayern
1363-24.1.1424
--------------------------------------------------------------------------------
Agnes von Burgund
Philipp III. der Gute
1407-1.12.1476
13.6.1396-15.6.1467
oo Karl I. Herzog von Bourbon
oo Isabella von Portugal
1401-4.12.1450
21.2.1397-17.12.1471
----
---
Isabella von Bourbon
------------
oo
------------------------------- Karl
der Kühne
1437-26.9.1465
10.11.1433-5.1.1477
30.10.1454
2. oo Isabella von Bourbon, Tochter des Herzogs
Karl I.
1437-26.9.1465 seine Cousine
3.7.1468
3. oo Margarete von York, Tochter des Herzogs
Richard
3.5.1446-23.11.1503
Kinder:
2. Ehe
Maria
13.12.1457-27.3.1482
19.8.1477
oo MAXIMILIAN I. König des Deutschen
Reiches
22.3.1459-12.1.1519
Literatur:
-----------
Adalbert Prinz von Bayern: Die Wittelsbacher.
Geschichte unserer Familie. Prestel Verlag München 1979 Seite 116
- Brandi Karl: Kaiser Karl V. Werden und Schicksal einer Persönlichkeit
und eines Weltreiches. F. Bruckmann Verlag München 1938 Seite 21,28,371,532
- Boeheim Wendelin: Waffenkunde. Die historische Entwicklung bis
zum Ende des 18. Jahrhunderts. Gerstenberg Verlag Hildesheim 1984 Seite
16,227,343,610 - Breitner, Erhard: Maximilian I. Der Traum von der
Weltmonarchie. Carl Schünemann Verlag Bremen-Wien 1939 - Calmette,
Joseph: Die großen Herzöge von Burgund. Eugen Diederichs Verlag
München 1996 Seite 18,194,205-230,234,243,246,250, 277,279,282,286,292,294,298,300,307-327,331-343,347,350
- Ehlers Joachim: Geschichte Frankreichs im Mittelalter. W. Kohlhammer
GmbH 1987 Seite 355-367 - Ehlers Joachim/Müller Heribert/Schneidmüller
Bernd: Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis
Karl VIII. 888-1498. Verlag C. H. Beck München 1996 Seite 321,343,346-357,360,365
- Erbe Michael: Belgien, Niederlande, Luxemburg. Geschichte des
niederländischen Raumes. W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Berlin Köln
1993 50,65,66,72,73,77 - Favier, Jean: Frankreich im Zeitalter der
Landesherrschaft 1000-1515. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1989 Seite
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Calmette, Joseph: Seite 327-330
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"Die großen Herzöge von Burgund."
Zuerst einmal mußten die Schweizer erledigt werden.
Der erste Feldzug gegen sie beginnt im Januar 1476. Der Herzog rückt
mit etwa 15.000 Mann vor. Er macht sich an die befestigte Stadt Gransdson.
Seine Geschütze richten schlimme Verheerungen an. Die Stadt kapituliert.
Karl
zeigt
sich sofort von seiner grausamen und unerbittlichen Seite. Das beste Mittel
ist, diese Schurken durch Terror niederzuwerfen. Von drei Henkern läßt
er 400 Verteidiger aufknüpfen, weitere Opfer kommen durch Ertränken
im See um. Durch diese Heldentaten angefeuert, fällt es dem Herzog
ein, in Richtung Neuchatel zu marschieren und den Schweizern das Val de
Travers, das heißt den Weg in die Freigrafschaft abzuschneiden. Um
dieses Ziel zu erreichen, hat er das halbverfallenen Schloß Vaumarcus
besetzen lassen. Empört über die Greueltaten in Grandson, beschließen
die Eidgenossen, sich am 1. März nach Vaumarcus in Bewegung zu setzen.
Ihr Plan ist, den Feind in diese Richtung zu locken, um ihn dann von einem
eigens abkommandierenden Detachement im Rücken anzugreifen.
Das solchermaßen vorbereitete Manöver entging
vollkommen dem Scharfblick des Herzogs. Er tappte in die Falle, die man
ihm gestellt hatte. Bei seinem Vormarsch auf Neuchatel beging er die Unvorsichtigkeit,
seine Vorhut am Morgen des 2. März durch einen Engpaß am Abhang
des Mont-Aubert marschieren zu lassen. Dort wurde sie von den Schweizern
gestellt und in wirrem Durcheinander zurückgeworfen. In diesem Augenblick
hob sich der Nebel. Um seiner Vorhut die Zeit zu lassen, sich wieder zu
formieren, stellte der Herzog seiner Artillerie auf der rechten Seite auf,
am Abhang des Plateaus von Corcelles, so daß sie den Ausgang des
Hohlwegs unter Feuer nehmen konnte. Das Fußvolk wurde hinter den
Geschützen postiert. Die von Louis de Chalon, Seigneur de Chateauguyon,
befehligte Reiterei kletterte an den Hängen des Mont-Aubert empor
mit dem Ziel, sich auf die rechte Flanke des Feindes zu stürzen. Es
kam jedoch so, daß die Artillerie, die nicht die richtigen Feuerbefehle
erhielt, überhaupt keine Wirkung hatte. Karl
schickte
seine Fußsoldaten zu früh zum Sturm auf die feindlichen Gevierthaufen,
die Louis de Chalon nicht ins Wanken bringen konnte. Unterdessen erklimmen
die nach Vaumarcus dirigierten Schweizer auf die Nachricht, daß die
Schlacht begonnen habe, eine Schlucht und eilen herbei. Überrascht
von ihrer unvorhergesehenen und lärmenden Ankunft, die mit großem
Getöse die Alphörner von Uri und Unterwalden verkünden,
deren Schall von den Bergen zurückgeworfen wird, gibt der Herzog allzu
bestürzt Befehl zum Rückzug. Er hatte die Absicht, freies Gelände
zu gewinnen und hinter dem Flüßchen Arnon, das sein Feldlager
schützte, Deckung zu suchen. Dieser Befehl wurde falsch verstanden
und führte vollends zu einer Panik. Ein unwiderstehlicher Ansturm
der Schweizer warf darauf die Burgunder teils auf den Arnon, teils in das
nahe gelegene Sumpfgebiet zurück.
Es scheint, daß die italienischen Söldner
zuerst die Flucht ergriffen. Der Herzog brüllte sie an und sparte
nicht mit Flüchen, ja er schlug sogar mit dem blanken Schwert auf
sie ein. Aber es half nichts, es gelang ihm nicht, das Desaster aufzuhalten.
Beinahe allein auf dem Kampfplatz geblieben, völlig erschöpft
von Schmerz und Zorn, wandte er sich schließich selber zur Flucht,
begleitet nur von fünfen seiner Diener, und erreichte in einem pausenlosen
Ritt das sechs Meilen entfernte Jougne im Jura.
Die Panik war dadurch entstanden, daß die Burgunder
in einer Schlucht angegriffen worden waren und sich deshalb nicht entfalten
konnten. Schlimmer noch als die Flucht war, daß sie ihren Feinden,
die über einen so vollständigen Sieg selber verwundert waren,
eine unermeßliche Beute überlassen mußten. Zwar wurden
die Kronjuwelen gerettet, aber 500 Geschütze, 400 Zelte, 600 Fahnen,
400 Pfund an Silber, Teppiche und Stickereien (die sich heute zum Teil
im Berner Museum befinden), der "Sancy", der Diamant des Herzogs, sein
Hut und sein Schwert, das Petschaft mit seinem Geheimsiegel (heute im Kantonsarchiv
von Luzern) und viele andere Trophäene waren verloren.
Kendall Paul Murray: Ludwig XI. König von
Frankreich 1423-1483 Verlag Callway München 1979 Seite 365-370
Calmette, Joseph: Seite 333-336
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"Die großen Herzöge von Burgund."
Am 27. Mai 1476 verläßt Karl
der Kühne Lausanne. Acht Tage kampiert er etwa zehn Kilometer
entfernt auf der Hochebene von Morrens, von wo aus er am 4. Juni den Weg
über Echallens durch das Broye-Tal nimmt und am 9. vor Murten (Kanton
Fribourg) eintrifft. Tags zuvor war der Überläufer Adrian von
Bubenberg, ein vornehmer Berner, der früher vom Herzog eine Pension
bezogen hatte. mit 1.500 bis 2.000 Mann in diese kleine befestigte Stadt
eingezogen, die das Südufer des nach ihr benannten Sees beherrscht.
Das Städtchen war gewissermaßen das vorgeschobene Bollwerk der
Berner, die es dem Grafen von Romont entrissen hatten. Etwa 1.000 Bewaffnete
standen in Fribourg. Fall die solchermaßen angelegte Linie zusammenbrechen
sollte, hatte man eine zweite Verteidigungslinie entlang dem Sarine- und
Saane-Tal mit den Brückenköpfen Laupen und Gümmenen eingerichtet.
Nachdem Romont eine Rekognoszierung bis in die Umgebung
von Aarberg vorgenommen hatte, kam er zurück und ließ die Zelte
im Nordosten von Murten afschlagen, während Karl
der Kühne im Süden des Ortes, auf den Höhen von
Courgervaux Stellung bezog. Man schrieb den 10. Juni. Tags darauf wurde
die Belagerung von Murten begonnen. Murten hielt über den See die
Verbindung mit Bern aufrecht. Der Herzog läßt seine Leute bis
zur Erschöpfung Laufgräben ausheben, seine schwere Geschütze
richten große Verwüstungen an. Die Verteidiger, weit entfernt,
sich aus der Ruhe bringen zu lassen, antworteten mit heftigen Ausfällen.
Ein Sturmangriff am 10. Juni mißlingt wegend er schweren Verluste
der Belagerer. Am 21. tritt eine lächerliches Ereignis ein: auf den
ausdrücklichen Befehl seines Vaters, des Königs
Ferdinand von Neapel, verläßt Friedrich
von Tarent das Feldlager.
Am gleichen Tag, als Friedrich
von Tarent Karl den Kühnen verläßt, stellt sich
in frappierender zeitlicher Übereinstimmung Rene von Lothringen, der
in das Lager des Gegners geeilt ist, den Kantonen zur Verfügung. Das
war die diplomatische und militärische Lage, als bei Murten die Entscheidungsschlacht
statfand.
Den See im Rücken, ohne die Möglichkeit eines
Fluchtweges im Fall einer Niederlage, wurden die Belagerer am 22. von den
schweizerischen Heerhaufen angegriffen. Die wackeren Gebirgler hatten eine
ausgezeichnete Kenntnis des Terrains. Darüber hinaus waren sie im
Vorteil, weil sie die Hänge herabkamen und die zusammenlaufenden Täler
sowie die Deckung der Wälder ausnutzen konnten. Während Bubenberg
den Grafen Romont in Schach hielt, ließ der Herzog sich von der Offensive
des Gegners überraschen und konnte das Schlachtfeld nicht behaupten.
Am Morgen hatte sich eine feindliche Abteilung durch den Wald von Murten
herangeschlichen, war aber wieder verschwunden, als sie der zwischen Cressier
und Coursiberle schön in einer Schlachtreihe aufgestellten Burgunder
ansichtig wurden. Es regnete, um um 11 Uhr läßt der Herzog im
Glauben, die Sache sei zu Ende und der Feind ziehe sich zurück, seine
Leute wieder ins Quartier einrücken. Um 12 Uhr jedoch brechen die
Schweizer nach einem getarnten Marsch in hellen Haufen über den "Grünhag"
bei Cressier vor. Obwohl sie von englischen Bogenschützen und der
burgundischen Artillerie beschossen werden, gewinen sie das Plateau. In
einem Hohlweg werden der Herzog von Lothringen und Hans von Hallwyl an
der Spitze der eidgenössischen Vorhut handgemein mit den Burgundern.
Damit die Reiterei vorstürmen kann, nimmt der Herzog die Artillerie
zurück, aber dieser Befehl verursacht wie in Grandson eine Panik.
Das Fußvolk weicht. Die Reiterei versucht die Schlacht zu retten.
Aber das Eintreffen der schweizerischen Nachhut unter Führung Kaspars
von Hertenstein besiegelt die Niederlage.
Was dann folgte, war ein grauenhaftes Gemetzel. Viele
Flüchtlinge ertranken im See. In Wahrheit konnten sich die in Lausanne
hastig zusammengerafften Söldner, die schlecht geführt und ungenügend
einexerziert waren, nicht mit den rauhen Burschen aus den Alpen messen,
die noch dazu glühende Patrioten waren. Die Schlacht von Murten war
noch viel mörderischer als die Schlacht bei Grandson. Etwa 8.000 Kämpfer,
zum größten Teil Fußvolk, waren dabei umgekommen.
Kendall Paul Murray: Ludwig XI. König von
Frankreich 1423-1483 Verlag Callway München 1979 Seite 374-377
Calmette, Joseph: Seite 340-343
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"Die großen Herzöge von Burgund."
Karl der Kühne
verließ sein Feldlager in La Riviere am 25. September. Sein Ziel
war, die mit seinen Waffen eroberte Hauptstadt von Lothringen zu schützen.
Er marschierte über Besancon, Vesoul, Joinville, Bulgneville und Neufchateau
auf Toul. Als er am 11. Oktober, sechs Tage nachdem Nancy gefallen war,
in Toul eintraf, hatte er nur die Wahl, entweder sich zurückzuziehen
oder an der Rückeroberung der verlorenen Stadt festzuhalten. Er entschied
sich für das letztere, ohne die Unzulänglichkeit seiner Truppen
zu bedenken. Nancy mit Waffengewalt wieder an sich zu bringen, war zu diesem
Zeitpunkt ein Vabanquespiel. Rene II. war seinem Gegner an Streitkräften
weit überlegen. Dank der finanziellen und diplomatischen Hilfe, mit
der Ludwig XI. nicht geknausert hatte,
standen ihm außer seinen lothringischen Truppen nch 12.000 Schweizer
zur Verfügung.
Solcher Art gestützt, bezieht Rene II. mit annähernd
15.000 Mann in Saint-Nicolas-de-Port Stellung. Trotz aller Enttäuschungen
auf sein Glück vertrauend, wagt sich Karl
der Kühne an die Belagerung der Festung Nancy, ohne mit
der Wimper zuzucken. Daß der Graf von Campobasso, Condottiere im
Dienst des Herzogs von Burgund, zum Feind überging, trug dazu bei,
die kritische Lage der zahlenmäßig unterlegenen Belagerer noch
zu verschlimmern. Von den insgesamt 10.000 Mann, die, wie es scheint, in
den Musterungslisten eingetragen waren, konnte Karl
nach
der zuverlässigen Aussage von Olivier de la Marche in Wirklichkeit
mit nicht mehr als 2.000 einsatzfähigen Kämpfern rechnen.
Unter diesen Umständen stand die Partie allzu ungleich.
Nichts beweist schlagender, daß Karl seinen
Beinamen zu Recht trägt, als die Verwegenheit, mit der er in dieser
Situation sich eigensinnig darauf versteifte, trotz des schreienden Mißverhältnisses
seiner Kräfte zu denen des Feindes das Schicksal herauszufordern.
Dem Grafen von Chimay, der ihm die erdrückende Übermacht des
Gegners entgegenhielt, wußte er lediglich mit der Prahlerei zu antworten:
er werde "die Schlacht liefern, selbst wenn er ganz allein kämpfen
müßte." Es zeigt sich, daß der Herzog bei seiner blindwütigen
Jagd nach Wiederherstellung seines Prestiges jeden vernünftigen Rat
in den Wind schlägt und, nach dem berufenen Urteil von Commynes, sich
"wie ein Verrückter" aufführt.
Unter solchen Umständen konnte die Schlacht von
Nancy am 5. Januar 1477 nur in einem fürchterlichen Desaster
enden.
Karl stellte seine
Truppen auf einem Plateau im Südosten von Nancy auf, das zwischen
den in die Meurthe mündenden Flüßchen Madeleine und Jarville
gelegen ist. Der treu gebliebene Condottiere Jacopo Galeotto bezieht mit
der Vorhut, die sich als linker Flügel entfaltet, am Abhang des Hügelrückens
Stellung.mit dem Blick auf Tomblaine. Die Nachhut bildet den rechten Flügel
und nimmt am Wad von Saurupt Aufstellung, von wo aus man das Vorrücken
Renes überblicken zu können glaubt. Außerdem kann hier
die burgundische Artillerie zuverlässig Sperrfeuer legen.
Der Stab der Bundesgenossen hingegen beschließt,
die Taktik der Schlacht von Murten wieder anzuwenden und die von den Jarville-Wäldern
gedeckten feindlichen Stellungen zu unmgehen. Die Angreifer passieren den
Bach Heillecourt und gewinnen die Ebene von La Malgrange. Dann schwenken
sie nach rechts in die Wälder von Saurupt ab und brechen genau im
Rücken der burgundischen Gefechtsordnung hervor. Jean de Baude vond
er Kompagnie des jungen Johann von Lothringen, ein Sohn des Grafen Antoine
de Vaudemont, trug das große Banner der Muttergottes.
Der unvorhergesehene Angriff führt fast sofort eine
Panik herbei. Wieder erschallen die Alpenhörner von Uri und Unterwalden
mit großem Getöse und verbreiten Angst und Schrecken. Unter
den Burgundern ergreifen viele die Flucht, die übrigen werden an Ort
und Stelle niedergehauen. Campobasso und seine Italiener, die zum Feind
übergegangen waren, schnitten die Übergänge über die
Meurthe ab. Da Galeotto und seine Gefährten noch rechtzeitig entkamen,
eilten sie nach Metz, um Schutz in dieser Festung zu finden. Die Kriegsbeute
war unermeßlich. Das burgundische Feldlager wurde von den lothringern,
Elsässern und Schweizern geplündert. Was man nicht fortschleppen
konnte, wurde in Brand gessteckt. Der Helm des Herzogs wurde an Ludwig
XI. gesandt. Sein Ring wurde von einem Schweizer aufgelesen
und 1478 von den gebrüdern Schacht dem herzog von Mailand geschenkt.
Der Waffenrock des Herzogs, welchen die Elsässer vond er Leiche gerissen
hatten, wurde als Trophäe am Straßburger Münster aufgehängt
und ist leider verschwunden; die Fahnen befinden sich im Zeugahus von Solthurn,
dessen Miliz an der Schlacht teilgenommen hatte; der Trinkbecher Karls
des Kühnen, der vom Feldzeugmeister Heinrich Strübin
vom Boden aufgelesen wurde, ist in Liestal, dessen Soldaten das Baseler
Korps verstärkt hatten.
Zwei Tage nach der Schlacht entdeckt man den Leichnam
des letzten der großen Herzöge nackt und entstellt im Schlamm
des Teiches von Saint-Jean, auf dessen Eisdecke gekämpft worden war.
Er wurde auf Grund der eingeschlagenen Zähne des Herzogs und der Narben
einer bei Montlhery erhaltenen Verwundung identifiziert.
Pleticha, Heinrich: Seite 220
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"Deutsche Geschichte in 12 Bänden. Band 5 Das ausgehende
Mittelalter 1378-1517"
Sein bescheidenes Aufgebot wurde zusammengehauen; er selbst
fiel, verzweifelt fechtend, im Getümmel der Schlacht, vielleicht ein
Opfer gedungener Mörder. Erst zwei Tage später zog man seinen
nackten, von Hunden und Wölfen angefressenen Leichnam aus einem vereisten
Tümpel; sein Gesicht war von einer Hiebwunde fast bis zur Unkenntlichkeit
entstellt.
Kendall Paul Murray: Ludwig XI. König von
Frankreich 1423-1483 Verlag Callway München 1979 Seite 384-385
elsässisch-oberrheinischen Besitzungen der HABSBURGER
- 1469 durch Kauf von Erzherzog Sigismund von Tirol (80.000 Golddukaten)
Lothringen Herzogtum - 1473 durch Eroberung
Geldern Herzogtum - 1473 Kauf der Ansprüche des
Hauses JÜLICH