SAINTES
Lexikon des Mittelalters:
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Saintes
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Stadt und Bistum in West-Frankreich, Saintonge (dép.
Charente-Maritime), altbesiedelter Platz am linken Ufer der Charente,
Vorort der gallorömischen Civitas
der Santones (Mediolanum Santonum),
vielleicht erste Hauptstadt der römischen Groß-Provinz
Aquitania
(1. Jh. n. Chr.), reiche römische Überreste: Aquaedukt,
Bogen (sogenannter »Germanicusbogen« von 18/19 n. Chr.,
erst 1843
an heutigen Standort auf dem rechten Ufer verlegt), Amphitheater des
1. Jh. n. Chr. und anderes.
Als erster Bischof des christlichen Saintes
gilt der
hl. Eutropius, der nach der
Tradition im 3. Jh. (?) gewirkt haben
soll, doch liegen archäologische Belege für christliches
Leben erst
für das 4. Jh. vor. Bischöfe der Frühzeit waren
unter anderem
der hl. Vivianus im
5. Jh., der hl. Palladius
im 6. Jh. Das
Diözesangebiet reichte im Norden bis Frontenay (vor den Toren von
Niort), umfaßte das heutige dép. Charente-Maritime (ohne
Aulnay) und den Westteil des dép. Charente, von Matha bis Cognac
und Chalais. Die Bischofsliste ist für die Zeit von 862 bis 989
unterbrochen. Die Diözese wurde im 11. Jh. in die beiden
Archidiakonate Aunis und Saintonge gegliedert. Saintes
verlor 1648,
anläßlich der Transferierung des Bischofssitzes Maillezais
nach La Rochelle, das Aunis.
Die römische Stadtbefestigung des 4. Jh. (1,55 km)
umschloß ein Areal von 16 ha und erfuhr erst im 13. Jh.
(geringfügige) Erweiterung. Außerhalb dieser Civitas
(Cité) entstanden im
11. Jh. zwei neue Stadtviertel. Am
rechten Ufer bildete sich ein seit dem 11. Jh. belegter Burgus um
die Frauenabtei Notre-Dame (romanische Kirche erhalten), einer
bedeutenden
Stiftung des Grafen von Angers,
Geoffroy Martel, und
seiner Frau Agnes von
Burgund, 1047 feierlich geweiht. Die Äbtissinnen
entstammten im allgemein
den großen Adels-Familien der Region. Am Ende des 12. Jh. trat an
die Stelle der römischen Brücke über die Charente eine
neue
Brücke, ein Bau des Domscholasters
Isembert (1843
abgebrochen). Im
Westen der Cité, am
linken Ufer, liegt die mächtige romanische
Kirche St-Eutrope, die das Grab des ersten Bischofs birgt. Hier wurden
in
der 2. Hälfte des 11. Jh. Religiosen installiert (bzw.
reinstalliert); St-Eutrope wurde 1081 vom Herzog von Aquitanien an Abt
Hugo von Cluny
tradiert. 1096 weihte Papst Urban II. den Altar der
weiträumigen Unterkirche. Das cluniazensische Priorat war Ziel
einer
lebhaften Wallfahrt (am Pilgerweg nach Santiago de Compostela) und
wurde zum Ausgangspunkt eines neuen Stadtviertels. Über die
nördliche Vorstadt, die sich um die Kirchen St-Vivien und
St-Saloine
bildete (im Thermenbereich), liegen nur wenige Nachrichten vor. Die
ummauerte Cité war in
drei kleine Pfarrbezirke gegliedert. Die
Franziskaner etablierten sich in Saintes
vor 1240, die Dominikaner 1293.
Drei Prälaten aus der Familie
ROCHECHOUART hatten im
15. Jh.
das Bistum inne (Tagebuch der Jerusalemreise [1461] des Bischofs Louis
de
Rochechouart, ed. C. Couderc, 1896). Die Kathedrale
St-Pierre
wurde am Ende des 15. Jh., dank erfolgreichen
»Ablaßhandels«, neuerrichtet.
Bereits nach dem Tode des letzten
Grafen von Saintes, Landricus († 866), verlor
die Stadt ihre alte Funktion als bedeutender Verwaltungssitz. Saintes
unterstand dem Grafen von Poitou, kurzzeitig (Anfang des 11. Jh.
bis
1062) dem Grafen von Anjou. Ein gräflicher Prévôt ist seit 1067
belegt; die Stadtherrschaft war zwischen Graf und Bischof geteilt. Bei
der 'Tour
Mausifrote', auf der Mitte der Brücke von Saintes,
leisteten die
Lehnsträger der Saintonge das Homagium. Der 1241 vom Grafen von
Angoulême, Hugo X.
von
Lusignan, und seiner Frau
Isabella von
Angoulême (Witwe
von Johann 'Ohneland')
entfachte, von Heinrich
III. von England aktiv unterstützte große
Adelsaufstand wurde
am 22. Juli 1242 durch den Sieg
Ludwigs IX. von
Frankreich vor den
Mauern von Saintes
niedergeschlagen. Durch den Vertrag
von Paris (1258/59)
wurde Saintes nach dem Tode
Alfons' von Poitiers (1271)
zur Grenzstadt
(linkes Ufer unter englischer, rechtes unter französischer
Hoheit). Nach kurzzeitiger
französischer Besetzung (1338-1360) wurde Saintes
1372 wieder definitiv der Krone
Frankreich angeschlossen. Nach Vertreibung der englischen Macht aus der
Guyenne (1453) wurde der Sitz des
Seneschalls von Saintonge von St-Jean
d'Angély nach Saintes
verlegt. Dessenungeachtet erlebte Saintes
in dieser
Periode einen Niedergang.
R. Favreau