AVRANCHES


Lexikon des Mittelalters:
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Avranches
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I. Bistum:
Das Bistum A
vranches (Frankreich, Normandie, heute Dép. Manche), die kleinste der Diözese innerhalb der Kirchenprovinz Rouen, entspricht der civitas Abrincatum (zwei Archidiakonate: Avranches und Val-de-Mortain).
Das Bistum ist vielleicht nach der Metropole Rouen und nach Bayeux das älteste (Entstehung Ende des 4. Jh.?) und ranghöchste seiner Provinz. Der erste Bischof, Leontius, ist hypothetisch. Als erster sicher bezeugter Bischof kann Nepus, der 511 beim Konzil von Orléans anwesend ist, gelten. Die Bischofs-Namen sind bis ins 3. Viertel des 6. Jh. gallorömisch; die Bischofsliste ist allerdings recht lückenhaft: für das 5. Jh. kein sicher bezeugter Name, ebensowenig für die Jahre 725-840 und 862-990; was zeigt, daß die Bistumsorganisation nicht nur während des Normannen-Sturms in Nord-Gallien teilweise darniederlag.
Unter den Bischöfen sind hervorzuheben:
der hl. Paternus (Pair, 564; vgl. Vita Paterni des Venantius Fortunatus vor 594, BHL 6477)
Leodovaldus, der kurz nach 576 die Reliquien des hl. Martin von Tours nach A
vranches brachte (Greg. Tur., Virt. Mart. II, 36)
Autbertus, der Gründer der Abtei Mont-St-Michel (um 706/708)
Johannes von Bayeux (1061-1069), Verfasser eines »Liber de officiis ecclesiasticis«
Achard von St-Victor (1160-1171), ein bekannter Theologe
Jean de St-Avit (1391-1442), maßvoller Richter der Jeanne d'Arc.
Die erste Bischofskirche war St. Gervasius in suburbio; die Kathedrale, ? St. Andreas, wurde erst 1121 geweiht (Anfang des 19. Jh. abgebrochen). Die Kathedralschule, seit 1028 bedeutend, erlebte ihren glanzvollen Aufstieg unter Lanfranc (1040-1042). Die Absolution Heinrichs II. nach dem Mord an Thomas Becket erfolgte 1172 in A
vranches.
Reich begütert im 11. Jh. (unter anderem 1066 Übertragung der Baronie St-Philibert-sur-Risle südlich der Seinemündung), erlebte das Bistum im Laufe des Mittelalters einen fortschreitenden Güterschwund, der vor allem durch die Konkurrenz der zahlreichen Abteien wie La Lucerne, St-Sever und Mont-St-Michel (dessen Bibliothek 1790 nach A
vranches übertragen wurde) bedingt war. Das Bistum wurde während der Französischen Revolution aufgelöst und der Diözese von Coutances einverleibt.

II. Grafschaft:
Die Grafschaft ging aus der covotas Abrincatum (Lugdunensis II) hervor. Der spätere fränkische pagus gehörte zeitweise zu Neustrien, zeitweise zu Austrien. Die Region, als Grenzgebiet zur Bretagne von strategischer Bedeutung, wurde 867 von KARL DEM KAHLEN dem Bretonen-Herzog Salomon übergeben. Erst in den Jahren um 960, zur Zeit Richards I., kam A
vranches unter die tatsächliche Herrschaft der Grafen von Rouen (Normandie). Um 1015 erscheinen die Grafen von Avranches-Mortain, die mit den Herzögen der Normandie verschwägert sind. Gegen 1055/56 wird die Region von Avranches von der Grafschaft Mortain abgetrennt, zur vicomté erhoben und der Familie der GOZ übergeben (wahrscheinlich auch unter dem Namen der Herren von Creully bekannt, die seit 1071 Grafen von Chester sind).
1142 wird die vicomté von Geoffroy (Goffredus) von Anjou (Angers, Anjou) erobert. Ab 1204, nach der Eroberung der Normandie durch Philipp II. August, wird sie durch den französischen König verpachtet und hört auf, erblich zu sein.
Unter Ludwig dem Heiligen geht sie aus dem bailliage Bayeux in das bailliage Cotentin über. Im Hundertjährigen Krieg wird dieser Teil der Nieder-Normandie heftig umkämpft; angefeuert durch das Beispiel des Mont-St-Michel, kommt es schließlich zum Widerstand gegen die englische Herrschaft. A
vranches wird zwischen 1418 und 1439 achtmal belagert. 1449 erfolgt die endgültige Vereinigung mit der französischen Krone.
J.-C. Poulin