Schneider Reinhard: Seite 157,161,165-169,172-176
*****************
„Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter“

König Chlothar III. starb im Jahre 673 (zwischen März 10 und Mai 15). Nach Chlothars Tod bestanden im Westreich unterschiedliche Auffassungen, ob von Chlothars Brüdern Childerich II. oder Theuderich III. künftig allein hier herrschen sollte. Aufgrund des consilium wurde Childerich dann eingeladen, nach Neustrien und Burgund zu kommen. Er folgte dem Rufe, kam und wurde zum König im Westreich erhoben. Fast unnötig zu sagen, daß parallel zur Einladung und Erhebung durch die Großen Neustriens und Burgunds die Verlassung Ebroins und seines Favoriten Theuderich erfolgte. Dieser war ebenfalls schon nach Chlothars III. Tode zum König erhoben worden. Es war aber die feierliche Erhebung - ut mos est - unterblieben, mindestens fehlte auch der dazugehörige occursus novi regis.
Über das Schicksal des abgesetzten Königs Theuderich III. berichtet wieder am ausführlichsten die zuverlässige Passio Leudegarii I. Childerich II. habe seinen Bruder, supra quem petitus venerat, kommen lassen, um mit ihm zu reden. Theuderich wurde auch "präsentiert", allerdings hatte eine Führungsgruppe der Großen des Reiches ihm zuvor die langen Haare als Zeichen seines Königtums abgeschnitten. Diese Maßnahme bedeutete einen verwegenen Vorgriff auf eine erst durch den König Childerich oder mindestens in seiner Gegenwart zu treffende Entscheidung. Motiviert war der bewußte Vorgriff durch den Wunsch dieser Adelsgruppe, Theuderich vor dem Tode zu bewahren, der als sicherste Ausschaltung des Thronrivalen auch Theuderich III. bevorgestanden haben wird. In der Tat verhielt sich der neue König gegenüber dem abgesetzten im gewünschten Sinne. Childerich fragte den Bruder sogar, welche Behandlung er wünsche. Als Antwort kam, daß er unrechtmäßig seiner Herrschaft enthoben worden sei und einen schnellen Gottesentscheid für sich erwarte. Childerich ließ ihn in das Kloster St. Denis schicken, in dessen Obhut er blieb, bis sein geschorenes Königshaar wieder lang nachgewachsen war. Im Gegensatz zu Ebroin kann bei Theuderich von einer kirchlichen Tonsuierung nicht die Rede sein, sondern es handelt sich "um ein Scheren der Haare nach der Möglichkeit, sie wieder wachsen zu lassen und zur Herrschaft zurückzukehren". Wenn neustrisch-burgundische Große sich mit Erfolg für eine solche Behandlung ihres verlassenen Königs eingesetzt haben, läßt sich auch daraus erkennen, daß für des einen Königs Absetzung und des anderen Erhebung tatsächlich die Furcht vor dem neustrischen Hausmeier Ebroin ausschlaggebend gewesen sein kann.
Zu denen, die in großer Zahl nach Childerichs Tod aus der Verborgenheit, aus Exil oder Verbannung zurückkehrten, gehörten Theuderich, Ebroin und Leodegar. Sie verließen ihre Klöster, und getragen von Leodegars neustrisch-burgundischer Adelspartei wurde Theuderich in sein neustrisch-burgundisches Königsamt wieder eingesetzt. Tatsächlich hatte er sich 673 zu Unrecht abgesetzt gefühlt und datierte konsequenterweise noch später seine Diplome immer nach 673 als dem Jahr seiner Königserhebung.
Das erwähnte Zweckbündnis der ARNULFINGER mit Ebroin blieb jedoch mehr als kurzfristig, und als sich Ebroins Macht mit seines Königs Theuderich III. Eintritt in des ermordeten Dagoberts II. Rechte erheblich steigerte, schlug es bald in erbitterte Feindschaft um. Über die Herrschaftsnachfolge in Austrasien fehlen nähere Nachrichten, so daß man es mit der angedeuteten Formulierung E. Ewigs bewenden lassen kann, daß Theuderich "in die Rechte der austrasischen Könige" eingetreten sei. Was die faktischen Machtverhältnisse in Austrasien allerdings angeht, so spricht alles in der kargen Überlieferung für eine "sofortige Machtübernahme" der PIPPINIDEN nach Dagoberts II.Tod und dem Verschwinden seines Hausmeiers Wulfoald. Da aber alsbald ein offener Kampf zwischen Austrasiens PIPPINIDEN und dem mächtigen Hausmeier von Neustrien-Burgund, der mit uns "für" seinen König Theuderich III. focht, ausbrach, ist es mehr als fraglich, ob Theuderichs Herrschaftsnachfolge in Austrasien schon vor der Beendigung dieses Krieges angesetzt werden kann. Herzog Martins Untergang und Ebroins "Verzicht", nach seinen entscheidenden Erfolgen Austrasien völlig zu unterwerfen, sind hier wohl als Beginn der Herrschaft Theuderichs III. über Austrasien anzusehen, wobei der Krieg von 680 den deutlichen Charakter einer Auseinandersetzung um die Herrschaftsnachfolge hat. Die Datierung seines Endes ist abhängig vom Zeitpunkt der Ermordung Ebroins, für den sich mit guten Gründen als terminus post quem "etwa der 25. April 680" und als terminus ante wohl der 12. Mai ergeben. Nach sicherer Überlieferung ist nämlich der Hausmeier kurze Zeit nach seiner Rückkehr vom austrasischen Feldzug ermordet worden.