von Gustav André
Unter den alten Klöstern und Stiften am Oberlauf
der Weser ist Fischbeck das einzige, das seine Tradition über ein
Jahrtausend gewahrt und lebendig erhalten hat.
955 als Kanonissenstift gegründet, ist es auch nach
der Reformation bis in unsere Gegenwart Damenstift geblieben.
Der Ort Fischbeck, nicht weit von Hameln weserabwärts
gelegen, wird noch früher erwähnt als das Stift:
892 schenkt Kaiser
Arnulf dort dem Grafen Ecbert Besitz.
955 überträgt König
Otto I. 6 Hufen in Fischbeck an die Matrone
Helmburg, die eine Ecbertinerin oder mit den Ecbertinern
verwandt war. Sie gründet dort zum Seelenheil ihres verstorbenen Gatten
und zweier gleichfalls schon gestorbener Söhne ein Kanonissenstift,
dessen Patrone Maria und später auch Johannes des Täufers waren.
Der König stellt das Stift unter seinen Schutz, und dieses Schutzprivileg
hat im Schicksal des Stiftes eine oft entscheidende Rolle gespielt. Es
ist neuerdings aufgezeigt worden, daß dabei wahrscheinlich sein Charakter
als unabhängiges Schutzkloster im Gegensatz zum Eigenkloster des Königs
von Bedeutung war. Jedenfalls hat das Stift stolz und standhaft immer wieder
auf die noch heute erhaltene Königsurkunde verwiesen, selbst gegen
den König und Kaiser.
Die im Stift durch die Darstellung eines alten Bildteppichs überlieferte Gründungs- legende schildert dramatische Schicksalsschläge und Prüfungen der Stifterin Helmburg, die zur Stiftsgründung führten. Möglich, daß ihr wie vielen alten Legenden wirkliche Ereignisse zugrunde liegen. Auch am Ende dieser legendären Darstellungen, im vorletzten Bild, überreicht König Otto I. die Schutzurkunde. Helmburgs Stiftung wurde nicht ganz 200 Jahre später auf das äußerste bedroht.
1147 schenkte Kaiser Konrad III. die Stifte Fischbeck und Kemnade der Benediktinerabtei Corvey. Während Kemnade trotz heftiger Gegenwehr von Corvey abhängig wurde, ging Fischbeck, für dessen Rechte Heinrich der Löwe als Obervogt und der Graf von Schaumburg als Untervogt eintraten, siegreich aus dem Kampf um seine Unabhängigkeit hervor, der noch verwickelter war als in Kemnade, da der Bischof von Minden die Streitigkeiten zu seinen Gunsten ausnutzen und das Stift in ein Mönchskloster umwandeln wollte.
Im Kampf gegen Corvey und den Kaiser ist vielleicht ausschlaggebend
gewesen, daß das Stift zwar den Schutz des Kaisers beanspruchen,
aber nicht von ihm verschenkt werden konnte, weil es kein königliches
Eigenkloster war. Jedenfalls ist die Schenkung, der der Papst seine Zustimmung
versagte, nicht gültig geworden. Im Kampf gegen den Bischof von Minden,
in dem auch der Kaiser gegen den Bischof stand, erlangte das Stift
1158 vom Papst die Exemtion. Fischbeck blieb reichsunmittelbares
Stift unter dem Schutz des Kaisers und des Papstes. Schon im nächsten
Jahrhundert wurde es von einer neuen Katastrophe betroffen.
1234 verheerte ein Brand die Stiftsgebäude und zog
auch die Kirche, die im Laufe des 12. Jahrhunderts neu errichtet worden
war, in Mitleidenschaft. Wenn schon die umfangreiche Bautätigkeit
des 12. Jahrhunderts die Kräfte des Stiftes angespannt hatte, müssen
die so bald wieder erzwungenen Neubauten erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten
mit sich gebracht haben.
Im 14., 15. und 16. Jahrhundert läuft die Geschichte
des Stiftes ganz ähnlich ab wie in vielen Klöstern und Stiften
Niedersachsens: nach vorübergehender Erholung wirtschaftliche Nöte;
im 15. Jahrhundert Reformen nach den Augustinerregeln; im 16. Jahrhundert
schließlich Übergang zur lutherischen Reformation. Am Pfingstfest
1559 wird der lutherische Gottesdienst eingeführt.
Fischbeck bleibt adeliges Fräuleinstift, behält seine alten Einrichtungen,
beruft sich weiter auf seine Reichsunmittelbarkeit und hat sich auch später
immer wieder den Schutz der Kaiser verbriefen lassen. Zunächst freilich
gab es gar keinen Schutz. Das Stift wurde unmittelbar in die Wirren des
Dreißigjährigen Krieges gezogen,
1625 von kaiserlichen Truppen geplündert, sollte
nach dem Restitutionsedikt von
1629 rekatholisiert werden, fiel aber
1633 nach der Schlacht bei Hessisch-Oldendorf an die
Grafschaft Schaumburg,
1640 an Minden,
1644 wieder an Schaumburg und schließlich zu Ende
des Krieges an die Landgrafschaft Hessen.
Die hessische Landgräfin Amalie Elisabeth bestätigte
die alten Rechte. Und nun begann eine Zeit der Erholung und ruhigen Entwicklung,
die vor allem im 18. Jahrhundert mit der Neuausstattung der Kirche und
zahlreichen Neubauten im Stiftsbezirk auch die äußere Gestalt
des Stiftes weitergebildet hat. Von Gefahren und Bedrängnissen blieb
Fischbeck freilich bis in unsere Gegenwart nicht verschont. Im Siebenjährigen
Krieg hefteten die Stiftsdamen noch einmal den kaiserlichen Adler an das
Tor zum Schutz gegen die mit den Kaiserlichen verbündeten Franzosen.
In den napoleonischen Kriegen flohen Äbtissin und Stiftsdamen
1807 während der Belagerung von Hameln.
1810 unter Jerome wurde das Stift aufgehoben und zur
Domäne erklärt, aber schon
1814 durch den zurückgekehrten Kurfürst von
Hessen wiederhergestellt.
1866 wurde der hessische Kreis Grafschaft Schaumburg
preußisch, und so konnte der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm
II., 1904 bei der Einweihung der restaurierten Kirche zugleich
als Landesherr und als Kaiser die Schirmherrschaft übernehmen. Die
Nöte des letzten Krieges, die 1945 durch Artilleriebeschuß auch
die Stiftskirche in Mitleidenschaft zogen, sind überstanden und die
Schäden behoben.
1955 hat das Stift sein tausendjähriges Jubiläum
gefeiert.