eigentlich Benedetto Gaetani
Lexikon des Mittelalters: Band II Spalte 414
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Bonifatius VIII. (Benedetto Caetani), Papst seit 24.
Dezember 1294
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* ca. 1235, + 11. Oktober 1303
Anagni
Rom
Stammte aus einer in der römischen Campagna ansässigen
Adelsfamilie, die erst durch ihn zu Reichtum, Einfluß und Ansehen
aufstieg. Juristische Studien in Todi, Spoleto und Bologna dürften
seiner Aufnahme in die päpstliche Kurie vorausgegangen sein. Zuerst
1260 genannt, begleitete er 1264 und 1268 Kardinallegaten nach Frankreich
und England; 1281 Kardinal-Diakon, 1291 Kardinal-Priester.
Im Bettelordenstreit vertrat er in Paris 1290 mit Schärfe die mendikantenfreundliche
Politik der Kurie; 1291 vermittelte er, hier sich noch als "gallicus"
(Franzosenfreund) bezeichnend, im Vertrag von Tarascon einen kurzfristigen
Ausgleich zwischen Frankreich, Neapel-Anjou und Sizilien-Aragon. Von den
Parteiungen der ORSINI
und COLONNA,
die sich im Konklave 1292-1294 gegenseitig neutralisierten und, von Karl
II. von Neapel beeinflußt, die Wahl Coelestins V.,
des "papa angelicus" der Spiritualen, ermöglichten, hielt er sich
fern. An dessen später umstrittener Abdankung war Bonifatius
VIII. als juristischer Ratgeber
maßgeblich beteiligt, er selbst wurde in Neapel zum Nachfolger gewählt.
Rückverlegung der Kurie nach Rom und Krönung
im Lateran am 23. Januar 1295 eröffnmeten den Pontifikat des letzten
mittelalterlichen Papstes, der den universalen Leitungsanspruch über
Kirche und Staaten, der in das traditionelle Ziel eines Kreuzzugs der unter
päpstlicher Fahne befriedeten Fürsten münden sollte, zu
verwirklichen suchte. Durch den Einsatz nicht mehr zeitgemäßer
geistlicher Zwangsmittel forderte er den Widerstand der zu staatlicher
Selbständigkeit und rechtlicher Abschließung drängenden
Reiche heraus. Im ungarischen udn schottischen Thronstreit blieb sein Eingreifen
erfolglos; die Herrschaft des STAUFER-Erben
Friedrich
von Aragon über Sizilien mußte er 1303 anerkenenn:
unbeachtet blieb zunächst die Absetzungsdrohung gegen den deutschen
König ALBRECHT
I., der eine päpstliche Approbation nicht erbitten
und in die Abtretung der Toskana an den Kirchenstaat nicht einwilligen
wollte, schließlich aber doch Treu- und Gehorsamseid leistete (1303).
Im englisch-französischen Konflikt wurde ihm als
Benedetto
Caetani, nicht als Papst, ein Schiedsspruch, mit freilich nur
kurzer Geltung, eingeräumt (1298). Zuvor hatte Bonifatius
VIII. durch ein Besteuerungsverbot des Klerus ("Clerus laicos",
25. Februar 1296) die Kriegsführung beider Staaten verhindern wollen.
Philipp
IV. von Frankreich antwortete mit einer Ausfuhrsperre für
Edelmetall und der Ausweisung päpstlicher Nuntien und Kollektoren,
worauf Bonifatius VIII. einlenkte und
die Besteuerung von Kirchengut in staatlicher Notlage freigab ("Etsi de
statu", 31. Juli 1297), in einer Phase päpstlich-französischer
Allianz sogar mit der Heiligsprechung Ludwigs
IX. das französische Königtum spirituelle überhöhte.
Mit der Ausrufung des ersten Heiligen Jahres (1300) zeigte Bonifatius
VIII., daß er auch die religiöse Mentalität
seiner Zeitfür die Durchsetzung seiner Ansprüche einsetzte. Für
kurze Zeit konnte er damit die Einnahmen des Papsttums und der Römer
vermehren und sein Ansehen in der Christenheit steigern. Dem gleichen Ziel
dienten Veränderungen im Aussehen der Tiara als des höchsten
päpstlichen Herrschaftszeichens udn die Ausfertigung von Ehrenstatuen
des Papstes. Als Philipp IV. den Bischof
von Pamiers, Bernard Saisset, wegen Hochverrats vor sein Gericht zog, erneuerte
Bonifatius
VIII. das Steuerverbot und lud Prälaten und König
von Frankreich nach Rom ("Ausculta fili", 5. Dezember 1301). Nicht die
Ladungsbulle, sondern eine auf Überordnung der geistlichen Gewalt
provozierend zugespitze Kurzfassung wurde propagandistisch verwertet ("Deu
time"). Um in der Krisensituation das Reichsvolk hinter sich zu bringen,
berief Philipp IV. nach englischem
Vorbild die ersten Etats generaux ein (10. April 1302). Dagegen wurde trotz
Ausreiseverbots die römische Synode mit 39 zumeist südfranzösischen
Prälaten zum Erfolg (1. November 1302). Ob die Bulle "Unam sanctam"
dabei beraten wurde, erscheint zweifelhaft; datiert vom 18. November 1302,
wurde sie wohl erst im Sommer 1303 publiziert. Ohne völlig neue Gedanken
zu formulieren, faßte sie den hierokratischen Anspruch des mittelalterlichen
Papsttums zusammen in der Erklärung, daß jeder Mensch heilsnotwendig
dem im geistlichen und weltlichen Bereich dominierenden Papst Gehorsam
schulde. Die Schlußphase des Kampfes wurde zum persönlichen
Angriff. Um seine Macht im Kirchenstaat zu festigen, bekämpfte Bonifatius
VIII. die Kommunen und förderte seine Familie, der er besonders
südlich von Rom große Herrschafstgebiete übertrug. Damit
geriet er in Konflikt mit der Familie der COLONNA. Die daraufhin von ihm
geächteten Kardinäle Giacomo und Pietro Colonna
forderten seit 1297 ein Konzil wegen angeblicher Unrechtmäßigkeit
der Abdankung Coelestins V. und der damit der Wahl Bonifatius'.
Mit dem Häresievorwurf verbunden, wurde die Konzilsappelation vom
französischen Rat Guillaume de Nogaret aufgenommen. Eine Reihe von
verschärfenden Konstitutionen und die drohende Bannung Philipps
IV. mit Lösung der Fidelitätseide ("Super Petris solio",
vordatiert auf den 8. September 1303) bewogen Guillaume de Nogaret, der
Bonifatius VIII. ursprünglich
nur zum Häresieprozeß vor das von ihm berufende Konzil laden
sollte, am 7. September 1303 den Papst in Anagni gefangenzusetzen; weitergehende
Rachegelüste römischer Adliger, vor allem Sciarra
Colonnas, wurden von den Anagnesen mit der Befreiung
Bonifatius'
VIII. am 9. September verhindert. Der Gefangenentransport nach
Frankreich war wohl weder beabsichtigt noch überhaupt durchführbar;
die französische Konzils- und Prozeßpläne blieben vorerst
unerfüllt. Nach Rom zurückgekehrt, starb Bonifatius
VIII., ohne daß er noch zu politischen Handeln fähig
gewesen wäre. Sein Grab in St. Peter wurde 1605 geöffnet und
untersucht. - Als politisches Druckmittel verwendet, führte der Vorwurf
des weit verbreiteten heterodoxen Aristotelismus und der Idolatrie 1310
zum Prozeß gegen das Andenken Bonifatius'
VIII., der nach verfahrensrechtlichen Schwieirgkeiten in Verbindung
mit dem Templerprozeß in einen Kompromiß mündete ("Rex
glorie", am 27. April 1331) und, in ein Offizialverfahren umgewandelt,
nach neuerlichen Ladungen (1311, Vienne 1312) ergebnislos blieb.
Durch seine an Menschenverachtung grenzende Schroffheit
und Herrschsucht, durch Habgier und anstößige Begünstigung
seiner Familie schuf Bonifatius VIII. sich
Feinde. Keineswegs eine religiöse Natur und ohne theologische Tiefe,
war er vielmehr kompetenter Kanonist und in der Gesetzgebung im Kontrast
zu seiner politisch-diplomatischen Intransigenz auf Ausgleich und Praktikabilität
bedacht. 1298 ließ er die Dekretalensammlung Gregors
IX. durch den Liber Sextus ergänzen, erließ unter anderem
wichtige Konstitutionen für den Kirchenstaat udn bestätigte durch
Privilegien die Generalstudien in Rom und Avignon (1303).
Bonifatius VIII.
hinterließ Rom und Italien von Parteikämpfen zerrisssen,
was dem französischen Königtum den Ansatz bot, für Jahrzehnte
den Schutz des Papsttums zu übernehmen.