CLERMONT


Lexikon des Mittelalters:
********************

Clermont
-------------
1. Clermont (Clermont-Ferrand)
----------------------------------------
Stadt und Bistum in der Auvergne (Zentral-Frankreich, Hauptstadt des dép. Puy-de-Dôme).
Clermont (seit 1731 mit der Nachbarstadt Montferrand zur Doppelstadt vereinigt) liegt im nördlichen Massif central am Rand des Beckens der Limagne in einer kleinen Tallandschaft, in deren Mitte sich der für die mittelalterliche Stadt namengebende Hügel erhebt. Zu Beginn unserer Zeitrechnung wurde der Ort zum Verwaltungszentrum der gallo-römischen Civitas der Arverner, der späteren Arvernia (Auvergne), begünstigt durch die Lage im Schnittpunkt mehrerer Straßen. Die Stadt, die zunächst Augustonemetum hieß, wurde vom 3. Jh. an als Civitas Arvernorum, Arverni, Arvernos bezeichnet; der Name Clermont begegnet dagegen erst seit dem 8. Jh. (siehe unten). Mehrere römerzeitliche Bauten bestanden über die Spätantike hinaus: Ein großer Tempel (Vasso-Galate) erhob sich noch im 6. Jh. im sumpfigen Viertel im Westen der Stadt (Jaude); ein Aquädukt, durch welchen Wasser auf den Hügel geführt wurde und der im 7. Jh. noch erkennbar war, bestimmte die Straßenführung im westlichen Stadtviertel; eine im 3.-4. Jh. errichtete Mauer mit fünf Toren schützte ein Gebiet von 2,5-3 ha auf der nördlichen Seite (unter auf bestmögliche Weise dem Gelände angepaßten fortifikatorischen Bedingungen, nämlich von der Anhöhe her) und wurde zur Begrenzung desjenigen Stadtviertels, das im Mittelalter die Cité (Civitas) genannt wurde.
Das Auftreten des Christentums in der Gallia verlieh der Stadtentwicklung neue Impulse. Christen sind im Arvernergebiet erstmals im 4. Jh. bezeugt (christliches Embleme auf Keramik von Lezoux, skulptierte Sarkophage mit chr. Motiven in C
lermont). Entgegen neueren Einwänden sprechen nach Ansicht des Verfassers alle Anzeichen dafür, daß sich der Bischofssitz ursprünglich in einem Stadtteil am nördlichen Rand von Clermont befand (siehe unten); erst durch Bischof Namatius (5. Jh.) dürfte die Kathedrale an ihren heutigen Standort im Innern des Mauerrings verlegt worden sein.
Ca. 470 wurde der römische Politiker und Schriftsteller Sidonius Apollinaris (um 486) zum Bischof geweiht. Damit war ein Hauptvertreter des Senatorenadels in der spätrömischen Gallia zum geistlichen Oberhaupt der Arvernia geworden; Sidonius Apollinaris hatte in Rom als Schwiegersohn des Kaisers Avitus (4
55-456) zeitweise eine bedeutende politische Rolle gespielt, sich aber seit 461 angesichts der Bürgerkriege und Germanen-Einfälle, welche die Hauptstadt erschütterten, zumeist in der zunächst noch wenig gefährdeten Arvernia aufgehalten. Hier organisierte er als Bischof in den Jahren 471-474 die Verteidigung der Stadt gegen die Angriffe der Westgoten. Clermont kam, wie die übrige Arvernia, nach 475 an das Westgoten-Reich, nach 507 an das Franken-Reich und gehörte seit 538 zu den südlichen Gebieten des Reichsteils Austrien. Die Stadt hatte mehrmals unter den Zwistigkeiten, die am merowingischen Königshof aufbrachen, zu leiden, da in diese Konflikte auch die Großen der Arvernia und namentlich mehrere Bischöfe von Clermont. verwickelt waren; 523 bemächtigte sich König Theuderich I. der außerhalb der Mauer gelegenen Vorstädte.
Im 6. Jh. zeigt sich die Stadt als Zentrum des kirchlichen Lebens der Diözese. Ein Generalkonzil im Jahre 535 (Clermont, Konzilien) und eine Provinzialsynode in den Jahren 585-588 offenbaren starke Beteiligung der arvernische Bischöfe an der konziliaren Bewegung dieser Zeit. Die Topographie der Stadt wurde durch die Gründung zahlreicher geistlicher Institutionen beträchtlich verändert. Die Kathedrale und ihre Annexe, namentlich der Amtssitz des Bischofs, lagen in der Cité. Im Nordwesten befand sich, in einiger Entfernung von den Mauern, ein Stadtteil namens Vicus Christianorum; hier lagen zahlreiche christliche Friedhöfe und mehr als ein halbes Dutzend Sanktuarien: vor allem der Gebäudekomplex, der den ältesten Bischofssitz gebildet haben dürfte (die Kirche Notre-Damed'Entre-Saints, die später mit dem Mausoleum des Bischofs Illidius, schließlich mit dem Baptisterium zusammenwuchs), ferner: St-Vénérand, St-Cassi, St-Anatolien, St-Etienne, St-Arthême. Weitere geistliche Bauten befanden sich in der Umgebung der Stadt: St-Cirgues in Fontgiève, Chantoin im Nordosten, St-Laurent und Notre-Dame-du-Port im Osten, St-Pierre und St-André im Westen. Nahe dem Vicus Christianorum hatte sich eine jüdische Siedlung gebildet, an welche das Viertel Fontgiève sowie Montjuzet erinnern; die Synagoge wurde 576 zerstört, und diejenigen Juden, die sich nicht taufen lassen wollten, wurden von Bischof Avitus I. vertrieben und suchten Zuflucht in Marseille.
In der Civitas arbeiteten Münzstätten; noch in d. Jahren 660-690 wurden hier Trienen geprägt, während Bischof Avitus II. (674-689) als einer der ersten silberne Denare schlagen ließ. Der Episkopat des hl. Bischofs Praejectus (Priest; 676 ermordet) und die Nominierung des hl. Bonitus (Boni, Bonnet) (691) fallen noch in die Zugehörigkeit der Auvergne zu Austrien. Am Anfang des 8. Jh. wurde die Region aber Aquitanien eingegliedert; sie wurde infolgedessen durch die Aquitanienfeldzüge der KAROLINGER in Mitleidenschaft gezogen. 761 bemächtigte sich Pippin III. des castrum Claromontis und ließ es brandschatzen. Dies ist die erste Erwähnung des Namens Clermont; dieser bezeichnete zunächst den auf dem Hügel gelegenen, befestigten Teil der Stadt, wurde aber allmählich auf die gesamte Stadtsiedlung ausgedehnt, was durch die führende Rolle der Höhensiedlung im Stadtgebiet bedingt ist. Der alte Name blieb aber noch für die Legenden auf den bischöflichen Münzen im 12.-13. Jh. in Gebrauch.
Wie die übrige Auvergne war C
lermont auch in die Konflikte um Aquitanien, die in der 1. Hälfte des 9. Jh. neu aufflammten, verwickelt: LUDWIG DER FROMME passierte bei seinem Feldzug gegen König Pippin II. von Aquitanien (839) auch Clermont, wo er von einem Teil des aufständischen aquitanischen Adels die Erneuerung des Treueides entgegennahm. 840 ließ KARL DER KAHLE hier eine fränkische Garnison einsetzen. In der Zeit der Normannen-Einfälle war Clermont zwei- bis dreimal von Plünderung bedroht.
Zwei mächtige feudale Herrschaften, deren Zentrum C
lermont war, bildeten sich um die Mitte des 10. Jh. heraus. Zum einen erstarkte die bischöfliche Herrschaft: Stephan II., der sich gänzlich als Vasall des kapetingischen Königs betrachtete, spielte eine wichtige Rolle als Schiedsrichter zwischen dem Herzog von Aquitanien und den Großen der Auvergne; demgegenüber nennt einer seiner Nachfolger, um 989, den König nicht einmal in seinen Urkunden. Zum anderen erfolgte, besonders in den Jahren 955-958, der Aufstieg der Vicecomites (Vicomtes) von Clermont, die sich als dem Bischof gleichberechtigte Träger politischer Gewalt durchsetzten und den Titel von Grafen (der Auvergne) annahmen; ihr Hauptstützpunkt war die Burg, die dem Bischofssitz gegenüber, in der nordöstlichen Ecke des antiken Mauerrings lag. Die Rechte an den ca. 50 Kirchen, die sich wie ein Astralnebel in und um Clermont ausbreiteten, waren zwischen den beiden fürstlichen Stadtherren, dem geistlichen und dem weltlichen, geteilt.
Im Lauf des 11. Jh. konsolidierte sich die Macht der Bischöfe in der Stadt: 1030 trat der Graf seine Münzrechte an den Bischof ab und gab ihm eine der äußeren Vorstädte zurück. Die gregorianische Reform stärkte im späten 11. Jh. Stellung und Ansehen des Bischofs noch weiter: 1077 intervenierte der Hl. Stuhl bei der Designation des Abtes Durandus von La Chaise - Dieu als Bischof; 1095 fand in C
lermont unter Leitung Papst Urbans II. das große Konzil statt, dessen Aufgabe die Durchsetzung der kirchlichen Disziplin und des Gottesfriedens war und das schließlich im Kreuzzugsaufruf gipfelte (Clermont, Konzilien). Im Jahre 1097 gewährte Urban II. der Kirche von Clermont die Freiheit der Bischofswahl; dem Bischof sprach er den Vorrang über die anderen Bischöfe der Kirchenprovinz zu. Zu diesem Zeitpunkt war im Zuge eines Bevölkerungsanstiegs der städtische Siedlungsraum bereits über die antike Mauer hinausgewachsen und hatte sich vor allem am westlichen Hang des Hügels ausgedehnt.
Das 12. Jh. wurde in C
lermont durch eine Reihe von Auseinandersetzungen zwischen Graf, Bischof und Domkapitel um die Stadtherrschaft beherrscht. Um 1122 besetzte der Graf, mit Unterstützung des Kapitels, das bischöfliche castrum und befestigte die Kathedrale. Eine Intervention König Ludwigs VI. stellte die Rechte des Bischofs wieder her; die Grafen zogen sich aus Clermont, wo ihre Stellung bedroht war, ins benachbarte Montferrand zurück. Am Ende des 12. Jh. standen sich der Bischof von Clermont und der Graf der Auvergne in einem weiteren Konflikt gegenüber; beide Kontrahenten, die sich der Hilfe der Bürger von Clermont versichern wollten, schworen, die Rechte und Gewohnheiten der Stadt zu achten (1198-1199). Schließlich gab der Graf die Stadt in die Schutzherrschaft (garde) des Bischofs zurück.
Obwohl diese Vorgänge dem französischen König Philipp II. August willkommene Gelegenheit zum Eingreifen boten, konnte die Grafen-Familie, die sich in der 2. Hälfte des 12. Jh. in zwei Linien geteilt hatte, einen Teil ihrer Rechte in C
lermont bewahren: Ein gräfliches Schloß erhob sich innerhalb der antiken Ummauerung (es heißt am Ende des 13. Jh. »palais de Boulogne«, wegen der Herrschaft des Grafen-Hauses von Auvergne über die nordfranzösische Grafschaft Boulogne seit 1260). Beide Linien der Grafen-Familie beanspruchten den Titel »Graf von Clermont« (eine von ihnen sollte später den Titel »Dauphin d'Auvergne« annehmen; Dauphiné d'Auvergne). Trotz der verbliebenen gräflichen Positionen und trotz der Ansprüche des Domkapitels auf die Cité (in den Grenzen der antiken Befestigungsmauern) betrachteten sich die Bischöfe als die eigentlichen Stadtherren, und das Königtum erkannte sie als solche an (1255,1269). In der 2. Hälfte des 13. Jh. waren die Beziehungen zwischen den Bischöfen und den Bürgern, die städtische Freiheiten forderten, zumeist gespannt: Offene Auseinandersetzungen brachen 1251, 1255 und 1296 aus; sie vermochten an der Verwaltung der Stadt durch den Bischof und seine Amtsträger nicht zu rütteln. Diese Konflikte waren offensichtlich durch das demographische Wachstum der Stadt bedingt. Das alte, aus der Antike überkommene Stadtareal war nun von drei Vorstädten umgeben: St-Pierre im Westen, Notre-Dame-du-Port im Nordosten (um die erhaltene hochbedeutende romanische Kirche), St. Genès im Süden. Durch diese suburbanen Siedlungen erhielt der Stadtgrundriß eine kleeblattartige Form. Zumindest in zweien dieser Außenviertel erfolgte der Ausbau teilweise durch regelmäßige Parzellierung auf vorher vermessenem Boden. In der 2. Hälfte des 13. Jh. wurde ein Teil der Vorstädte befestigt; zwar beanspruchte der Bischof die ausschließliche Kontrolle über die Cité, doch forderten die Bürger entsprechende Herrschaftsrechte über die Vorstädte und setzten diese Forderungen 1262 auch durch.
Die Stadt war von Kirchen und geistlichen Stiftungen umgeben. Von ihnen gehen die meisten auf Heiligtümer des frühen Mittelalters zurück, einige klösterliche Gemeinschaften entstammen aber dem Hoch- und Spät-Mittelalter: so die Benediktiner in den sehr alten Kirchen St-Alyre und Notre-Dame d'Entre-Saints; Prämonstratenser in der alten Kirche St-André (Mitte des 12. Jh.); Dominikaner nach 1219, im Osten des östlichen Stadtviertels; Franziskaner um die Mitte des 13. Jh., zunächst extra muros, später in einer Ecke der Ummauerung; Karmeliter in vergleichbarer topographischer Lage (1288); Klarissen zwischen Stadt und St-Alyre.
Im 14.-15. Jh. setzten neue Konflikte zwischen den Bischöfen und dem Domkapitel um die Herrschaft über die Cité ein; besonders gewaltsam waren die Auseinandersetzungen während des Episkopats von Henri de la Tour (1378-1415). Dennoch trat wegen der allgemeinen Zeitumstände die Sorge um die Verteidigung der Stadt in den Vordergrund. Im Laufe der 2. Hälfte des 14. Jh. wurde C
lermont mit einer einzigen Mauer, welche sowohl die Cité als auch die Vorstädte umspannte, befestigt, wobei auch das Karmeliter-Kloster im Osten und das Franziskaner-Kloster im Westen einbezogen wurden. Zu gleicher Zeit erhielt der Burgus um die Abtei OSB St-Alyre seine eigene Befestigungsanlage.
Während dieser Periode erhielten schließlich die Einwohner der Stadt dank königlicher Unterstützung Mitwirkungsrechte am Stadtregiment: 1379 erlaubte ihnen König Karl V., sich zu versammeln und drei Vertreter zu wählen, welche König Ludwig XI. 1480 zu Konsuln erklärte. Dieses Konsulat wurde aber schon 1485 wieder abgeschafft, und die Bischöfe übten wieder die stadtherrlichen Rechte aus, bis sie im Jahre 1551 das Regiment an Katharina von Medici, welche die Grafen beerbt hatte, abtreten mußten.
G. Fournier

2. C.-en-Beauvaisis (seit 1846 Clermont-de-l'Oise: Clarus Mons, Claromons)
---------------------------------------------------------------------------------------------
Ort und mittelalterliche Herrschaft/Grafschaft in Nord-Frankreich (dép. Oise), ca. 25 km ost-südöstlich von Beauvais gelegen.
Der Ort ist erst seit dem 11. Jh. belegt. Die Römerstraße Beauvais-Pont-St-Maxence hatte zunächst die Erhebung, die das Tal der Brèche nach der Einmündung des Arré beherrschte, umgangen. Die Verlegung der Straßenführung (calceia Belvacensis = calceia de Claromonte) ist Ausdruck der Bedeutung, die C
lermont gewonnen hatte: Die Burg Clermont entwickelte sich seit der 1. Hälfte des 11. Jh. zum Zentrum einer mächtigen Herrschaft. Die ersten Herren (Balduin/Baudouin und Rainald/Renaud - letzterer war wohl Kämmerer/Chambrier des französischen Königs Heinrich I.) gewannen Reichtum und Einfluß durch Lehen der Kirchen von Beauvais und Paris sowie der Abtei St-Denis, vor allem aber durch ihre Loyalität gegenüber den KAPETINGERN. Seit der Vermählung Hugos (Hugues), des Sohnes von Rainald, mit einer Tochter Hilduins IV. von Roucy führten die Herren von Clermont den Grafentitel. Heiratsverbindungen mit dem Regionaladel (Beauvaisis, Normandie, Vermandois) und territoriale Erweiterungen (Creil, Luzarches, Breteuil) bildeten die Grundlage für die wachsende politische Rolle der Grafen-Familie, deren Höhepunkt am Ende des 12. Jh. mit Graf Raoul und seiner Tochter Catherine (1213), die Louis, Grafen von Blois-Chartres (Blois), heiratete, lag.
Nach dem Tod des aus dieser Ehe hervorgegangenen Sohnes Thibaud ( 1218) schloß König Philipp II. August mit den Erben einen Vergleich, der ihm den Erwerb der Grafschaft ermöglichte, welche von nun an Besitz der königlichen Familie war:
Sie kam mit Boulogne und Dammartin an den Sohn des Königs, Philippe Hurepel, sodann an dessen Gattin Mahaut de Dammartin ( 1258).
An die Krondomäne zurückgefallen, wurde die Grafschaft 1269 erneut als Apanage ausgetan, an den 6. Sohn König Ludwigs IX., Robert de C
lermont (Bourbon), als dessen Bailli hier 1279-1283 der große Jurist Philippe de Beaumanoir, Verfasser der »Contumes de Beauvaisis«, amtierte. Abgesehen von einer kurzen Periode erneuter Zugehörigkeit zur Krondomäne unter Karl dem Schönen (1327-1331), gehörte die Grafschaft Clermont fortan zu den Gütern der Linie Bourbon, bis hin zu Pierre II. von Beaujeu, dem Schwiegersohn von König Ludwig XI. Die Grafschaft hatte stark unter den Krisen des 14.-15. Jh. zu leiden, sie war Kerngebiet des Bauernaufstandes der Jacquerie (1358) und wurde erschüttert von den Auseinandersetzungen mit dem König von Navarra, dem Bürgerkrieg zwischen den Armagnacs und Bourguignons sowie den Kämpfen mit den Engländern, welche die Grafschaft 1449 endgültig an das Königreich Frankreich verloren. - Zur Familie Clermont siehe den folgenden Artikel.
O. Guyotjeannin