Schneider Reinhard: Seite 131-134
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„Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter“

Weitere drei Jahre nach Guntrams Tod schon starb 596 (nach dem 28. März und vor Juli 596) Childebert II. Sein Reich bzw. seines Reiche Austrasien und Burgund fielen an seine Söhne. Der ältere von beiden war Theudebert II., der nach Angaben des Liber Historiae Francorum einer kirchlich nicht anerkannten Verbindung entstammte, weshalb seine Großmutter den "legitim" geborenen Halbbruder Theuderich II. bevorzugt habe. Für Gregor von Tours war diese Herkunftsfrage kaum interessant, statt dessen berichtet er, wie groß Childeberts Freude einst gewesen war, als ihm dieser Sohn offenbar in Trier geboren und duch den dortigen Bischof Magnerich getauft wurde. In Theudebert II. hatte man zunächst Childeberts Nachfolger gesehen. Theuderich II. war ein gutes Jahr jünger, ein Sohn der Königin Faileuba. Jetzt erhielt er nach des Vaters Tod das um einige Gebiete erweiterte Königreich Burgund, während Theudeberts Anteil Austrasien war.
Theudebert II. wurde 589 mit einem ansehnlichen Hofstaat und allen möglichen Leuten nach Soissons geschickt. Bei seiner ausdrücklich vermerkten susceptio wurde er mit Lob- und Begrüßungsgesängen gefeiert: Sein Einzug in Soissons 589 scheint nach dem Zeremoniell des Königsempfanges verlaufen zu sein. Diese Hinweise sind schon deshalb nicht unwichtig, weil die These vertreten worden ist, daß sogar die spätere Teilung von 596 unter Childeberts Söhnen nicht im gleichen Jahr noch vollzogen worden sei, sondern wahrscheinlich erst bei der Mündigkeitserklärung Theudeberts und Theuderichs im Jahre 599. Abgesehen davon, daß diese Vermutung sich durch Überlieferungshinweise nicht stützen läßt, sprechen Parallelen von Königserhebungen Minderjähriger unbedingt dagegen und im vorliegenden Falle insbesondere die sonst weithin bekannte Einrichtung eines Unterkönigtums für den kaum dreijährigen Theudebert zu Lebzeiten seines Vaters 589. Daß die Errichtung eines Unter-Königtums keine graue Rechtskonstruktion war, dürfte letztlich Gregors Bericht über Theudeberts susceptio in Soissons zeigen.
Unberührt von diesen Erwägungen ist allerdings die Frage, ob und in welcher Weise über die unmündigen Söhne Childeberts, die jetzigen Könige von Austrasien und Burgund, eine Regentschaft ausgeübt wurde. Faktische Bedeutung kam gewiß ihrer Großmutter Brunhilde zu, formell scheint sie nicht zur Regentin bestellt worden zu sein. Brunhildes Einfluß wird sich aber auf Theuderich beschränkt haben, den sie recht einseitig begünstigt zu haben scheint. Im Gegensatz zur Erhebung manch anderer minderjähriger Könige ist auch über eine Regentschaft des Adels bzw. einzelner Adliger nichts überliefert, de facto wird der Einfluß der burgundischen und austrasischen Großen einer Regentschaft ganz zweifellos entsprochen haben. Die mindestens rechtstheoretisch interessante Frage, ob die Teilung des Childebert-Reiches sich im Rahmen der brüderlichen Erbengemeinschaft gehalten habe, ob also eine samtherrschaftliche Komponente auf brüdergemeinschaftlicher Basis zu erkennen ist, läßt sich relativ leicht verneinen. Das ergeben die bereits angeführte Erhebung Theudeberts in Austrasien schon zu Lebzeiten Childeberts II. und die starke politische Selbständigkeit dieses Königreiches. Für die spätere Phase der Beziehungen zwischen beiden Brüdern muß erwähnt werden, daß sich ihr Streit vornehmlich an beiderseitigen Grenzforderungen entzündet zu haben scheint, was gewiß auf scharfe und frühzeitige Grenzziehungen ohne übergreifende Samtherrschaftsaspekte schließen läßt.
Nach langem Einvernehmen beider königlichen Brüder kam es nämlich 611 zu einem Bündnis Chlothars II. mit Theuderich, der gegen seinen Bruder Theudebert den Krieg mit der Behauptung propagierte, Theudebert sei kein Sohn Childeberts. Im Verlauf der beabsichtigten kriegerischen Auseinandersetzungen wurde Theudebert bei Zülpich und Toul geschlagen und fiel in die Hand seines Bruders Theuderich. Da Brunhilde ihren Enkel endgültig hatte fallen lassen, wurde der besiegte Theudebert seiner königlichen Gewänder, seines Pferdes und königlichen Sattelzeuges beraubt, was seinen Herrschaftsverlust sinnfällig dokumentierte. Theudebert wurde geschoren, in ein Kloster gesteckt und bald darauf umgebracht [382 Jonas (wie Anm. 380) I, 28 Seite 219. Bei Beginn des Bruderzwistes soll Jonas Theudebert II. geraten haben, auf eine Königsherrschaft zu verzichten und in ein Kloster zu gehen, Vita Columbani I 28 (SS r G Seite 217f.) Theudeberts II. Todesdatum: 612 nach Mai.]. Weil Theuderich auch des Bruders noch ganz kleinen Sohn Merowech umbringen ließ, stand seinem Königtum in Austrasien nichts mehr im Wege, was die Quellen auch lakonisch vermerken.