Schneider Reinhard: Seite 113,114-116,126
****************
"Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter"

Im Herbst 584 wurde Chilperich selbst auf seinem Hofe Chelles von Mörderhand tödlich getroffen. Den Leichnam des Königs, den Gregor von Tours einen Nero und Herodes seiner Zeit nannte, bestattete man in Paris. Dorthin hatte sich die Königin-Witwe Fredegunde mit einem Großteil von Chilperichs Schatz geflüchtet ud in der Hauptkirche beim Pariser Bischof Ragnemod Zuflucht gefunden. Chilperichs verlassenes Reich empörte sich teils (Orleans, Blois), teils liefen einige Große zu Childebert über, während andere zu Fredegunde zu halten schienen. Überraschenderweise hört man, daß die Königin einen kaum erst geborenen Sohn Chilperichs bei sich hatte. Die Überraschung löst sich allerdings etwas, wenn man beachtet, daß Gregor bereits früher von der Geburt eines Sohnes berichtete, bei dem es sich nur um Chlothar II. handeln kann. Chilperich ließ ihn auf dem Hof Vitry aufziehen, "damit", wie er sagte, "dem Kind kein Unheil zustoße, wenn man es öffentlich sieht, und es dadurch stirbt". Das Verbergen vor der "Öffentlichkeit" mochte die Versuche, nach des Vaters Tod Erbansprüche geltend zu machen, vielleicht anfangs erschwert haben. Fredegunde aber wollte dem Säugling das väterliche Erbe auf jeden Fall retten und mußte sich dafür Guntrams Schutz sichern. An ihn gingen Gesandte mit einer Einladung: "Möge mein Herr doch kommen und das Reich seines Bruders in Besitz nehmen. Ich habe nur einen kleinen Sohn, den ich ihm in die Arme zu legen wünsche; auch mich selbst beuge ich willig unter seine Herrschaft"! Fredegundes Angebot entsprach nicht nur einem durchaus üblichen Verfahren und den Realitäten, sondern war offenbar durch Absprache mit Chilperichs Getreuen gesichert, was aus der Formulierung accepto consilio vor dem Absenden der Boten an König Guntram hervorzugehen scheint. Guntram wird angesprochen als Fredegundes gewählter dominus, der des verstorbene Mannes Reich als dessen Bruder übernehmen, dem kaum erst geborenen Sohn einen Schutz gewähren solle. Fredegundes Angebot an Guntram: me ipsam eius humilio dicioni läßt die Einladung zur Herrschaftsübernahme nicht unbedingt mit einem Eheangebot der Königin-Witwe gekoppelt erscheinen, schließt letzteres aber keineswegs aus.
Fredegunde wurde zu ihrer bereits knapp skizzierten Haltung im Streit um Chilperichs Erbe schon deshalb gezwungen, wenn sie überhaupt überleben wollte. Denn der wie Guntram vor Paris erscheinende König Childebert von Austrasien griff ebenfalls nach des Oheims Erbe und verlangte dazu Fredegundes Auslieferung als der Mörderin seines Vaters, Oheims und seiner Vettern. Der Vorwand blieb vor alem auch deshalb ohne Erfolg, weil die Pariser Bevölkerung sich gegen Childebert sperrte und ihn gar nicht erst in die Stadt einließ.
Erst im Jahre 591, als Chlothar bereits sieben Jahre alt war nahm Fredegunde unter dem Druck innenpolitischer Verhältnisse im austrasischen Reiche Verhandlungen mit ihrem Schwager Guntram auf mit dem Ziel, dieser möge Chlothar aus der Taufe heben und ihn tamquam alumnum proprium habere. Die zitierte Formulierung ist etwas undurchsichtig, da Guntram sich bereits seit langem als pater des filius adoptivus betrachtete, andererseits bislang Identitätszweifel wiederholt geäußert hatte. Auch Fredegundes Haltung in dieser Frage schwankte zwischen Schutzersuchen für ihren Sohn und sehr hinhaltender Politik.