Pippin
der Mittlere, als princeps der Neubegründer der
pippinidischen Machtstellung, hatte nach den frühen Todesfällen
seiner Söhne Drogo
und Grimoald
seine ursprünglichen Nachfolgepläne noch kurz vor seinem Tod
(714) ändern müssen; er entschied sich nicht etwa für einen
der erbrechtlich eindeutig favorisierten Söhne Drogos als Nachfolger,
sondern für die Fortführung des zu Lebzeiten schon praktizierten
Systems der "abgestuften Samtherrschaft", in dem statt Pippin und
der Söhne nun seine
Witwe Plektrud
und ihre Enkel die Führungspositionen übernahmen:
Pippins
Nachfolger als austrasischer dux wurde der älteste
Drogo-Sohn, Arnulf, das - anscheinend weniger wichtige - Hausmeieramt
übernahm Grimoalds Konkubinen-Sohn
Theudoald,
während die faktische Leitung durch das discretum reginem Plektruds
erfolgte [7 Vgl. Liber historiae Francorum c. 51, Seite 325. Plectrudis
quoque cum nepotibus suis vel rege cuncta gubernabat sub discreto regimine.
Plektrud hatte dank ihrer hochadligen Abkunft bekanntlich schon
zur Begründung von Pippins
Herrschaftstellung entscheidend
beigetragen und zu seinen Lebzeiten geradezu als Mitregentin fungiert;
vgl. Hlawitschka, Grundlagen, bes. 6-8, 59-61, in Auseinandersetzung mit
Matthias Werner, Adelsfamilien im Umkreis der frühen Karolinger. Die
Verwandtschaft Irminas von Oeren und Adelas von Pfalzel (VuF Sdbd. 28),
Sigmaringen 1982, besonders Seite 241-258; ferner Schieffer, Karolinger
Seite 23f.]. Die jüngeren Brüder
Arnulfs, Pippin
und Godefrid, waren vermutlich minderjährig und spielten nur
eine untergeordnete Rolle. Ausgeschlossen von der Herrschaftsbeteiligung
wurden die beiden nicht von Plektrud geborenen Söhne Pippins,
Karl
Martell und Childebrand,
wobei auch der letztere noch minderjährig gewesen sein könnnte,
vor allem aber wohl einer weniger angesehenen Verbindung entstammmte [8
Kasten, Königssöhne Seite 81 mit Anm. 102.]. Entscheidend
war in beiden Fällen jedoch weder Erbbrecht noch Volljährigkeit,
sondern eindeutig der politische Wille Plektruds und ihres sterbenden
Gemahls, dem zufolge die Sukzession auf ihre gemeinsamen Nachkommen beschränkt
bleiben sollte.
Die Nachfolge des Konkubinen-Sohnes Theudoald
als Hausmeier belegt, wie wenig eherechtliche Kriterien bei der Herrschaftssukzession
galten. Daß auch Theudoald überdies noch minderjährig
(parvulus) gewesen sei, wie einige Quellen behaupten [9 Continuationes
Fredegarii c. 7, Seite 173.], ist dagegen vermutlich der auf Karl Martell
fixierten Sicht der späteren Chronistik zuzuschreiben, die Pippins
tatkräftigen
und ennergischen Sohn als berufenen Herrscher darstellen und diesem Idealbild
mit dem minderjährigen, unehelich geborenen Enkel einen möglichst
prägnanten Kontrast entgegenstellen wollte [10
Vgl. Kasten,
Königssöhne Seite 85f. Zweifel an der Minderjährigkeit
Theudoalds
auch bei Semmler, Sukzessionskride Seite 3f. mit Anm. 20 und 22; Schieffer,
Karolinger Seite 33; sowie schon bei Heinrich Eduard Bonnell, Die Anfänge
des karolingischen Hauses (JDG), Berlin 1866 (ND 1975), Seite 130. Anders,
ohne nähere Begründung, Hlawitschka, Grundlagen Seite 6f. mit
Anm. 15; und Gerberding, Rise Seite 115 mit Anm. 50, die sein Alter zu
714 mit sechs Jahren angeben. Ohne die Diskussion übber Theudoalds
Alter zur Kenntnis zu nehmen, geht Collins, Deception Seite 229-235, von
dessen Minderjährigkeit aus, so daß er auch - unter Berufung
auf die Namensgleichheit und gegen das Zeugnis des Liber historiae Francorumm
c. 49, Seite 324 - vermuten kann, Theudoald sei nicht aus einer
illegitimen Verbindung, sondern aus der etwa 710/11 geschlossenen (vgl.
Annales Mettenses Seite 18 zu 711) Ehe Grimoalds mit Theudesinde
hervorgegangen. Zu den zweifelhaften Belegen für Collins Hypothese,
daß Theudoald noch bis 741 gelebt und politische Bedeutung
gehabt habe, vgl. Kaiser, Zeit Seite 396; sowie schon Semmler, Sukzessionskrise
Seite 6 Anm. 40; vgl. auch Heidrich, Titular Seite 241f. - Ist Theudoalds
Volljährigkeit somit einigermaßen wahrscheinlich, so steht die
seines Vetters, des
Drogo-Sohns und dux Arnulf,
außer Zweifel; vgl. etwa Theodor Breysig, Jahrbücher des fränkischen
Reiches 714-741. Die Zeit Karl Martells (JDG), Leipzig 1869 (ND Berlin
1975), Seite 3. Es waren demnach keineswegs nur minderjährige Konkurrenten,
gegen die sich Karl Martell durchsetzte (so verschiedentlich die
ältere Literatur, zum Beispiel Tangl, Sendung Seite 27; und noch Schieffer,
Väter Seite 151).]. Die zeitgenössischen Quellen bezeugen demgegenüber
Theudoalds
persönliche Beteiligung, ja, sein entscheidendes persönliches
Versagen in der Schlacht gegen die rebellierenden Neustrier [11 Liber
historiae Francorum c. 51, Seite 325; Continuationes Fredegarii c. 7, Seite
173, wo das Element der Untauglichkeit eindeutig gegenüber der ebenfalls
erwähnten (siehe oben Anm. 9) Minderjährigkeit dominiert.].
In den Wirren, die auf die Niederlage folgten, gelang
es Karl Martell, die Führung der austrasisch-pippinidischen
Partei
an sich zu bringen und seine Stiefmutter Plektrud mit ihren Enkeln
auszuschalten.