Katalanen im geschrumpften Kaiserheer (1282-1311)
Als Kaiser Andronikos
II. Palaiologos
nach Konstantinopel zurückkehrte, hatte
er vor allem eine Absicht: die Union von Lyon zu widerrufen und wieder
die volle Unabhängigkeit der orthodoxen Kirche zu verkünden.
Als Mit-Kaiser war er gezwungen gewesen, die Politik seines Vaters
zu unterstützen, aber er hatte sie innerlich stets verabscheut. Von
tiefgläubiger Natur und erfüllt von der typisch byzantinischen
Besessenheit für Theologie - die stetige Konzentration auf kirchliche
Angelegenheiten erwies sich im Laufe seiner Regentschaft als eine seiner
Hauptschwächen -, konnte er nie vergessen, dass sein Vater
Michael unter dem kirchlichen Bannstrahl gestorben und daher,
nach seiner Überzeugung, zu ewiger Verdammnis verurteilt war. Er selbst
gedachte auf keinen Fall dasselbe Schicksal zu erleiden, und kaum befand
er sich wieder in der Hauptstadt, widerrief er seine früheren, der
römischen Kirche geleisteten Treueeide in aller Form. Der Patriarch
Johannes Bekkos, neben dem verstorbenen
Kaiser
Michael Hauptverfechter der Kirchenunion, wurde seines Amtes
enthoben und in eine Klosterzelle gesperrt und der ehemalige, inzwischen
aber alte und sehr gebrechliche Patriarch Joseph auf einer Tragbahre
ins Patriarchat zurückgebracht und feierlich wiedereingesetzt. Alle,
Kirchenleute wie Laien, die Michael Palaiologos
aufgrund ihres Glaubens hatte einkerkern und verstümmeln
lassen, wurden durch die Straßen geführt und für das erlittene
Martyrium gepriesen. In der Hagia Sophia wurde ein Sondergottesdienst zur
Reinigung und Wiedereinweihung durchgeführt, gerade so wie 21 Jahre
zuvor nach dem lateinischen Abzug. Allein, nur allzu schnell schlug die
Feierstimmung in Zorn um: Rufe nach Vergeltung wurden laut und Forderungen
nach Prozeß und Verurteilung für jene, die ihre Kirche betrogen
hatten. Am lautesten und nachdrücklichsten ertönten diese seitens
einer schismatreuen Gruppierung, der sogenannten Arseniten; ihr Name bezieht
sich auf den ehemaligen Patriarchen Arsenios, welcher Kaiser
Michael VIII. Palaiologos für
sein Vergehen an Johannes Laskaris
mit dem Bann belegt hatte und der 1267 schließlich abgesetzt worden
war. Obwohl Arsenios seit vielen Jahren tot war, weigerten sie sich
hartnäckig, seine Nachfolger Joseph und Johannes Bekkos
anzuerkennen, und für besonders extreme Sektenmitglieder galt
noch immer Johannes Laskaris als der
rechtmäßige Kaiser. In Michael
sahen
sie einen von der Kirche geächteten, rechtswidrigen Throninhaber und
sein Sohn, der von Joseph gekrönt worden war, hatte in ihren
Augen ebensowenig Anspruch auf den Titel.
Andronikos tat sein
Möglichstes, um sie zu besänftigen; er stellte ihnen in Konstantinopel
eine eigene Kirche zur Verfügung und ernannte mit dem Bischof von
Sardes sogar einen der ihren zu seinem persönlichen Beichtvater. Als
nach dem Tod des Patriarchen Joseph Anfang 1283 jedoch als Nachfolger
ein Laiengelehrter aus Zypern - er nahm den Namen Gregorios II.
an - gewählt wurde, statt, wie erwartet, einer der ihren, erhitzten
sich die arsenitischen Gemüter erneut. Um sie zu beschwichtigen, berief
Gregorios unmittelbar nach seiner Wahl in der Blachernenkirche eine Synode
ein. Dort wurden zwei seiner Kollegen, die Patriarchen von Alexandria und
Antiochia, aufgefordert, ihre früheren prounionistischen Erklärungen
zu widerrufen - woraufhin der Patriarch von Antiochia sein Amt sogleich
niederlegte und nach Syrien floh -, und von Kaiserin
Theodora ein öffentliches Bekenntnis zum griechisch-orthodoxen
Glauben verlangte sowie das feierliche Versprechen, für ihren verstorbenen
Ehemann Michael niemals ein christliches
Begräbnis zu fordern.
Diese Maßnahmen trugen denn auch viel dazu bei,
die Orthodoxen zu beschwichtigen, vermochten indes bei den Arseniten das
Eis nicht zu brechen. Deshalb gab Andronikos
1284 die Erlaubnis, den Leichnam des im Exil verstorbenen Patriarchen
Arsenios nach Konstantinopel zu bringen und in einem eigens errichteten
Schrein im Kloster des heiligen Andreas beizusetzen. Sechs Jahre später
machte
Andronikos
eine noch denkwürdigere
Geste, indem er den geblendeten Johannes Laskaris
persönlich in seinem Kerker in Dakibyze am Marmarameer aufsuchte,
wo dieser seit 29 Jahren schmachtete. Georgios Pachymeres' Bericht
über ihre Unterredung ist leider sehr kurz hält nur fest, dass
Andronikos Johannes für die Mißhandlungen,
die ihm Kaiser Michael
Palaiologos zugefügt hatte, um Vergebung bat und ihn fragte,
ob er irgend etwas tun könne, um sein Leben angenehmer zu gestalten,
sowie abschließend bat, ihn, Andronikos
als rechtmäßigen Kaiser des Byzantinischen Reichs anzuerkennen.
Vermutlich tat Georgios Pachymeres gut daran, die Antwort des Gefangenen
nicht aufzuzeichnen.
Patriarch Gregorios II. war zu diesem Zeitpunkt
bereits wegen Ketzerei verurteilt und zum Rücktritt gezwungen worden,
und nach einer längeren Unterbrechung war es Andronikos
endlich gelungen, die Wahl eines ehemaligen Eremiten vom Berg Athos namens
Athanasios zu sichern. Nach Ansicht des frommen Kaisers war die
entschieden asketische Haltung des neuen Patriarchen genau das, was die
Kirche zur Ablenkung von den unerwünschten politischen Themen benötigte,
die sie seit so langer Zeit beherrschten. Die Kirchenleute hielten ihn
dagegen höchstens für einen ungewaschenen Fanatiker, der im härenen
Gewand und in Sandalen umherzog und seine Zeit darauf verwandte, sie für
ihre Weltlichkeit und ihren Reichtum zu züchtigen. Und als er Maßnahmen
zu ergreifen begann, um die reicheren Kirchen und Klöster ihrer Kostbarkeiten
zu berauben, machten sie keinen Hehl aus ihrer Feindseligkeit; Athanasios
wurde angegriffen, ja gelegentlich auf offener Straße mit Steinen
beworfen, so dass er sich schließlich ohne Leibwache nicht mehr hervorwagte.
Als Andronikos im Sommer 1293 von einem
langen Aufenthalt in Kleinasien zurückkehrte, wo er sich über
die Verwaltung und Verteidigung der rasch dahinschwindenden byzantinischen
Hoheitsgebiete informiert hatte, erwartete ihn bereits eine Abordnung führender
Geistlicher und verlangte die Absetzung des Patriarchen. Andronikos
widersetzte sich der Forderung, so gut er konnte, aber die Opposition war
zu stark, und so legte Athanasios im Oktober sein Amt nieder, allerdings
erst nachdem er eigenhändig eine Bulle verfaßt hatte, in der
er über all seine Feinde und all jene, die an der Verschwörung
gegen ihn beteiligt gewesen waren, den Bann verhängte. Dieses Dokument
versteckte er bezeichnenderweise im Kapitell einer Säule auf der Nordgalerie
der Hagia Sophia, wo es erst einige Jahre später entdeckt wurde -
und natürlich beträchtlichen Wirbel verursachte.
In all dieser Zeit wurde die politische Situation des
Reichs immer hoffnungloser. Der letzte Silberstreifen am Horizont hatte
sich 1284 abgezeichnet, als der verwitwete Andronikos
sich zum zweiten Mal verheiratete, und zwar mit
Jolante, der Tochter Wilhelms V., des Markgrafen von
Montferrat. Dieser Wilhelm nannte sich noch immer "König
von Thessalonike" - ein Titel, der auf den 4. Kreuzzug zurückging
- und trat diesen nun als Teil von Jolantes Mitgift
an seinen neuen Schwiegersohn ab. Obwohl die Frage in den vergangenen Jahren
nicht im Mittelpunkt gestanden hatte, war es für
Andronikos - der Wilhelm in Wahrheit reichlich dafür entschädigte
- doch klar von Belang, dass hinsichtlich der Stellung der zweiten Stadt
im Reich keinerlei Ungewißheit herrschte. Überdies wußte
er, dass er Thessalonike im Falle eines Angriffs kaum zu Hilfe eilen könnte,
hatte er doch im Hinblick auf den Zustand der Reichsfinanzen bereits beschlossen,
die bewaffneten Truppen auf ein Minimum zu stutzen. Sparmaßnahmen
drängten sich in der Tat unumgänglich sowohl im militärischen
als auch in anderen Bereichen auf. Und doch fällt es selbst angesichts
der fast täglich schrumpfenden asiatischen Hoheitsgebiete schwer,
zu glauben, dass Andronikos so unverantwortlich
handeln konnte. Der Verlust Anatoliens hatte Byzanz bereits vor langer
Zeit seiner traditionellen Quelle für die Streitkräfte beraubt;
schon seit vielen Jahren mußten sie auf fremde Söldner bauen.
Nun beging Andronikos aber nicht nur
den Fehler, deren Anzahl auf ein schon fast selbstmörderisches Minimum
herabzusetzen, sondern er löste auch die erfahrenen Söldnerregimenter
auf und verpflichtete an ihrer Statt einen buntgemischten Haufen Herumstreicher
und Flüchtlinge, deren vergleichsweise niedrige Kosten den Mangel
an Disziplin oder Erfahrung nicht zu ersetzen vermochten. Die Flotte schaffte
er ganz ab - zum offensichtlichen Entzücken Genuas, wo man nun einen
weit höheren Preis für den Beistand verlangen und in der Zwischenzeit
die Energie darauf verwenden konnte, die eigenen Interessen in Konstantinopel,
im Schwarzen Meer und in der Ägais zu verfolgen, ohne dass Byzanz
sich einmischte. Auch profitierte Genua - wie die Türken, die nun,
da sie endlich die Mittelmeerküste erreicht hatten, eine eigene Flotte
aufzubauen begannen und für den Schiffsbau und die Navigation dringend
auf erfahrene Berater angewiesen waren - von den Tausenden mittellosen
Seeleuten, die verzweifelt Arbeit suchten.
Die türkischen Kräfte bildeten keine vereinte
Streitmacht mehr wie zur Blütezeit des seldschukischen Sultanats.
Tatsächlich hatte die Niederlage, die Sultan
Kaikosru II. 1243 bei Kösedag durch die mongolischen Verbände
erlitten hatte, seiner Macht in Anatolien ein Ende gesetzt, und seit der
Eroberung Bagdads durch Hulagu im Jahre
1258 und der darauffolgenden Zerstörung des ABBASIDEN-Kalifats
war das seldschukische Sultanat nichts anderes als ein mongolischer Vasallenstaat.
Inzwischen war eine Anzahl türkischer Volksstämme gemeinsam mit
unzähligen turkonomadischen Sippen aus Persien und Mesopotamien, vor
den vorrückenden mongolischen Truppen Richtung Westen geflohen und
hatte sich im Niemandsland an der Grenze zum Byzantinischen Reich niedergelassen.
Als das Sultanat dann zusammenbrach, setzten sie Byzanz mit regelmäßigen
kriegerischen Einfällen unter Druck, und diesen stand das Reich, dessen
Stellung in Kleinasien sich seit der Restauration im Jahre 1261 nie mehr
gefestigt hatte, mehr oder weniger hilflos gegenüber. Die Streifzüge
nahmen zudem bald das Gesicht des traditionellen islamischen Dschihad an,
des Heiligen Kriegs gegen die Ungläubigen, und wurden auch als solcher
gerechtfertigt; von da war es nur noch ein kleiner Schritt, bis die Beteilgten
sich als Ghazis, Glaubenskrieger, sahen. Während der zweiten Hälfte
des 13. Jahrhunderts war ihre Zahl stetig gestiegen, und zu Beginn des
14. Jahrhunderts vermochten sich nur noch einige der wenigen größeren
Festungssiedlungen, darunter Nikäa, Nikomedia, Sardes, Brussa, Philadelphia,
Lopadium (Ulubad) und Magnesia sowie ein paar isolierte Häfen wie
Ania (Kusadasi) und Heraklea am Schwarzen Meer, gegen sie zu behaupten;
abgesehen von diesen belagerten Enklaven war ganz Anatolien unter der türkischen
Flut begraben. Auch im Westen verschlechterte sich die Lage schnell. Als
König
Karl von Anjou 1285 starb und der Thron an seinen Sohn
Karl II. ging, der zu jenem Zeitpunkt
Gefangener Peters von Aragon war, verbreitete
sich in Konstantinopel zwar eine gewisse Freude; aber vier Jahre später
wurde der junge König Karl
von Anjou befreit, und es stellte sich heraus, dass er Byzanz
ebenso feindlich gesinnt war - und für das Reich eine ebenso große
Bedrohung darstellte - wie vor ihm sein Vater. 1291, in dem Jahr, als Akko
als letztes Kreuzfahrer-Königreich fiel, schlug er Nikephoros I.
von Epiros ein Bündnis vor, das durch die Eheschließung
seines Sohnes Philipp mit Nikephoros'
Tochter
Thamar gefestigt werden sollte.
Für diesmal reagierte Andronikos
rasch und entsandte die Überreste seines Heers, unterstützt von
der genuesischen Flotte, zum Angriff auf die epirotische Hauptstadt Arta.
Zu Beginn war dieser Feldzug erstaunlich erfolgreich; es gelang nicht nur,
Janina wieder zu gewinnen, sondern auch Durazzo, bevor zum Rückzug
geblasen wurde; aber das geplante Bündnis ließ sich nicht verhindern.
Bei seiner Heirat mit Thamar im Jahre 1294 wurde Philipp
zum Oberherrn über alle griechischen Besitztümer seines Vaters
ernannt und erhielt den Titel Fürst von Tarent. Fortan mußte
Epiros als neapolitanisches Lehen betrachtet werden. Obwohl diese zweite
angevinische Bedrohung Konstantinopels noch kaum Form angenommen
hatte, war sie bereits spürbar.
In Serbien hatte unterdessen
Stephan Milutin unter dem Namen Stephan
Urosch II. als neuer Herrscher im Jahre 1282 den Thron bestiegen.
Und noch bevor das Jahr zu Ende ging, hatte er Karl
von Anjou Unterstützung zugesagt, sich mit Epiros verbündet,
Byzanz den Krieg erklärt und dann Skopje mit seiner Streitmacht erobert
und zur serbischen Hauptstadt erhoben. Damit gab es für Andronikos
einen
weiteren Grund zur Sorge. Skopje war ein strategischer Stützpunkt
und beherrschte die Straße Richtung Süden nach Thessalonike
und Nord-Griechenland. Überdies war bekannt, dass zwischen
Milutin
und
einer Tochter Johannes Dukas' von Thessalien eine Art ehelicher
Beziehung bestand. Ein serbisch-thessalisches Bündnis aber stellte
nicht nur für Thessalonike eine ernsthafte Bedrohung dar, sondern
für die ganze West-Route von der Balkanhalbinsel bis hin zur Adria.
Schließlich entschloß sich Andronikos,
der die militärische Schwäche auf byzantinischer Seite klar erkannte,
im Jahre 1297 für eine diplomatische Lösung. Als er vernahm,
dass Milutins einzige rechtmäßige
Frau vor kurzem gestorben war, schlug er als deren Nachfolgerin seine Schwester
Eudokia vor, die Witwe Johannes'
II. von Trapezunt. Für einen serbischen Herrscher war die
Aussicht, Schwager des byzantinischen Kaisers zu werden, unwiderstehlich,
und Milutin nahm das Angebot mit Freuden
an. Schwierigkeiten gab es erst, als Andronikos
in der Angelegenheit bei Eudokia vorsprach;
sie wollte von der Sache nämlich absolut nichts wissen. Falls, so
wandte sie ein, ihr Bruder glaube, sie sei bereit, mit einem lüsternen
Barbaren zu leben, der schon mindestens eine Frau hatte, dann irre er sich
gründlich; im übrigen sei allgemein bekannt, dass der ihr zugedachte
Ehemann gerade in eine glühende Affäre mit seiner eigenen Schwägerin
verstrickt sei, und diese sei, nebenbei bemerkt, auch noch Nonne. Eudokia
wußte, was sie wollte, und ihr Bruder kannte sie gut genug, um zu
wissen, dass keine Hoffnung bestand, sie zu überreden; gleichzeitig
konnte er es sich nicht leisten, vor Milutin
das Gesicht zu verlieren. Es gab nur eine Lösung: Simonis,
seine und Kaiserin
Jolante-Irenes Tochter, mußte geopfert werden, obwohl
sie erst fünf Jahre alt war und ihr zukünftiger Gatte um die
vierzig. An Ostern 1299 brachte Andronikos
sein Kind persönlich nach Thessalonike, wo der Bräutigam sie
erwartete, und noch in seiner Gegenwart nahm der Erzbischof von Ochrid
die Trauung vor. Milutins Entzücken
an Simonis, so wird berichtet, beruhte
vor allen Dingen auf der Tatsache, dass sie als Mitgift das gesamte makedonische
Hoheitsgebiet einbrachte, das seine Verbände bereits erobert hatten;
er erklärte sich einverstanden, dass Simonis
noch ein paar Jahre in der königlich-serbischen Kinderstube verblieb,
bis sie alt genug war, um mit ihm zusammen zusammenzuleben. Aus Protest
gegen diese Ehe trat in Konstantinopel Patriarch Johannes XII. zurück;
allein, nicht einmal ihm war es gelungen, etwas eindeutig Unkanonisches
an dieser Heirat zu finden, und nach einigen Monaten des Zauderns ließ
er sich davon überzeugen, sein Amt wiederaufzunehmen.
Konstantinopel erlebte das Ende des 13. Jahrhunderts
als eine Zeit ununterbrochener Sorge, und der Beginn des 14. unterschied
sich davon, wenn überhaupt, dann nur zum Schlechteren hin. Michael
VIII. Palaiologos hatte sich zwar nicht besonderer Beliebtheit
erfreut, war aber wenigstens stark und entschlossen aufgetreten; dagegen
erwies sich sein Sohn Andronikos, einmal
ganz abgesehen von seiner krankhaften Religiosität, als immer
schwächer und untauglicher, unfähig, dem sich beschleunigenden
Untergang des Reichs Einhalt zu gebieten. Bereits im Jahre 1292 war eine
Verschwörung aufgedeckt worden, und als deren Anführer hatte
sich sein eigener Bruder Konstantin entpuppt;
Andronikos hielt sich zu dem Zeitpunkt
in Kleinasien auf. Der Rebell wurde in den Kerker geworfen und schmachtete
dort volle 12 Jahre bis zu seinem Tod, aber es keimten ständig neue
Intrigen auf, und im Herbst 1295 zettelte Alexios Philanthropenos,
der oberste Befehlshaber der Streitkräfte und Held der 20 Jahre
zurückliegenden Schlacht bei Demetrias, ermuntert durch ein paar siegreiche
Scharmützel gegen türkische Stämme, einen Aufstand an. Doch
auch dieser führte zu nichts; von einigen seiner Getreuen verraten,
wurde Alexios gefangengenommen und geblendet.
Andronikos,
der ihn gemocht und ihm vertraut hatte, war von diesem Verrat zutiefst
erschüttert und erholte sich nie mehr ganz davon.
Und als hätte es dort nicht schon genug eigenen
Schwierigkeiten gegeben, wurde Konstantinopel zu allem Übel auch noch
zu einem der Hauptschauplätze für die Meinungsverschiedenheiten
zwischen Genua und Venedig. Im Juli 1296 - nur wenige Wochen nachdem der
Obelisk, den Michael Palaiologos hatte
aufstellen lassen, schicksalsträchtig bei einem Erdbeben eingestürzt
war - segelte eine Flotte von 75 venezianischen Schiffen die Bosporusmündung
hoch und setzte im Rahmen eines hinterhältigen Angriffs auf die genuesische
Kolonie in Galata die Hafengebäude und die Lagerhäuser am Ufer
in Brand. Die Reichsgarnison eilte zu Hilfe, worauf die venezianischen
Überfalltruppen das Feuer auf die Stadt selbst lenkten, indem sie
die Stadtmauer zum Marmarameer hin entlangsegelten und sämtliche griechischen
Häuser in Reichweite niederbrannten. Unverzüglich entsandte Andronikos
eine Abordnung nach Venedig, die scharfen Protest dagegen einlegte, aber
die Genuesen in Galata verplemperten keine Zeit mit diplomatischen Feinheiten.
Im Dezember setzten sie zum Gegenangriff an, zerstörten die wichtigsten
venezianischen Gebäude und brachten sämtliche führenden
venezianischen Persönlichkeiten in Konstantinopel um.
Nun war die Reihe an Venedig. Im darauffolgenden Sommer
traf eine weitere Flotte ein und brachte ein persönliches Schreiben
des Dogen mit. Darin stand, Andronikos
habe die genuesische Kolonie zu ihrem Verhalten angestachelt; daher sei
er für den entstandenen Schaden verantwortlich, und Venedig erwarte
volle Wiedergutmachung. Wäre ihm nur Zeit geblieben, hätte
Kaiser Andronikos wahrscheinlich
gezahlt, um weitere Zwischenfälle zu verhindern. Allein, bevor er
reagieren konnte - und scheinbar noch bevor die große Kette hochgezogen
werden konnte, um ihnen den Zugang zu versperren -, bogen die venezianischen
Schiffe in das Goldene Horn ein; sie legten vor dem Blachernenpalast an
und zündeten eines der auf den Strand gezogenen Schiffe des Kaisers
an. Schließlich kehrten sie mit zahllosen genuesischen Gefangenen
nach Venedig zurück. Fast zu selber Zeit durchbrach eine weitere venezianische
Flotte die genuesische Blockade auf dem Bosporus und segelte zum Schwarzen
Meer; dort belagerte sie den Krimhafen Kaffa (Feodosia) und hielt ihn gegen
den wütenden Angriff örtlicher tartarischer Sippen, bis der nahende
Winter sie zum Abzug zwang. 1299 unterzeichneten Venedig und Genua, zur
hellen Empörung von Byzanz, ein separates Friedensabkommen; dennoch
bestand die Republik Venedig nach wie vor auf Wiedergutmachung und und
fiel im Sommer 1302 zum dritten Mal innerhalb von sieben Jahren in Konstantinopel
ein. Auch diesmal gelang es ihren Schiffen, zum Goldenen Horn vorzudringen.
Wieder legten diese Feuer an alle byzantinischen Gebäude in ihrer
Reichweite, und wieder sahen sich die ihrer Flotte beraubten byzantinischen
Streitkräfte außerstande, ihnen Einhalt zu gebieten. Diesmal
jedoch besetzten die venezianischen Truppen, nachdem sie so große
Verheerungen angerichtet hatten, wie sie nur konnten, zusätzlich die
Insel Prinkipio (Büyükada) im Marmarameer. Sie diente damals
als riesiges Lager für griechische Flüchtlinge aus Anatolien,
die durch das türkische Vorrücken heimatlos geworden waren; nun
drohten die Venezianer diese Flüchtlinge zu massakrieren oder in die
Sklaverei zu verschleppen, falls Andronikos
nicht
zahle, was er ihnen schulde. Gegen eine derart schamlose Erpressung machtlos,
gab Andronikos nach - und willigte
gleichzeitig in einen Zehnjahresvertrag ein, in welchem er Venedig alle
Privilegien bestätigte.
Das Jahr 1302 erwies sich für Byzanz in vielerlei
Hinsicht als wahres Schreckensjahr. Kaum war der Winter vorbei, mußten
die byzantinischen Streitkräfte unter der Führung von Andronikos'
Sohn Michael IX. - seit acht Jahren
Mit-Kaiser seines Vaters - bei Magnesia in Karien eine demütigende
Niederlage seitens der Türken hinnehmen. Michael
ließ die verbliebenen Übereste seiner Truppen - von denen sich,
der Gerechtigkeit halber sei dies angefügt, die meisten ihrerseits
davongemacht hatten - im Stich und kam knapp mit dem Leben davon. Dann
erfolgte der venezianische Einfall, und nur wenige Wochen später,
am 27. Juli, traf eine byzantinische Formation, die zur Hauptsache aus
alanischen Stammesangehörigen bestand - die ebenso auf Reichsgebiet
geflohen waren wie vor ihnen die Kumanen, als die Mongolen das Donautal
überrollten -, direkt außerhalb von Nikomedia auf ein doppelt
so starkes türkisches Heer unter dem Kommando eines Lokalemirs namens
Osman. Die Schlacht, die daraufhin entbrannte, forderte keinen besonders
hohen Blutzoll; den sich zurückziehenden Griechen und Alanen gelang
es überwiegend, nach Nikomedia zurückzukehren. Osmans Weg indes
erschien nun klar absehbar, und sein Vorrücken ließ sich nicht
mehr aufhalten. Seine Leute drängten südwestwärts die Süd-Küste
des Marmarameers entlang. Sie verwüsteten praktisch die ganze Provinz
Bithynien, fegten über die Troas hinweg und zogen dann weiter bis
Adramyttion an der Ägäis. Sie verschwendeten keine Zeit auf die
stark befestigten Städte Nikomedia, Nikäa, Brussa und Lopadium;
sie blieben unversehrt und boten einen großen Teil der von ihren
geplünderten und zerstörten heimstätten vertriebene Landbevölkerung
Zuflucht. Pachymeres entwirft ein trauriges - und heute leider allzu bekanntes
- Bild der Lage:
In den Straßen wimmelte es von Menschen und Tieren,
die verwirrt hin und her rannten wie die Ameisen. Nicht eine einzige Seele
fand sich in der ganzen Menge, die nicht wenigstens den Verlust eines Elternteils
zu beklagen hatte. Hier war eine Frau, die um ihren Gatten weinte, dort
eine Mutter, die um ihre Tochter trauerte, dort ein Bruder, der seinen
Bruder suchte; wo man nur hinblickte, fanden sich Frauen und Männer,
ihrer Liebsten beraubt. Der Anblick dieses wimmelnden Haufens von solchen,
die innerhalb der Mauern Zuflucht gefunden hatten, und solchen die noch
draußen waren, und wieder anderen, welche die kläglichen Überreste
ihres Lebens und ihres Besitzes hinter sich her schleiften, mutete elend
an. Selbst die Gefühllosesten konnten den Berichten von kranken Kindern,
verzweifelten Frauen, Alten und Behinderten, die die Straßen säumten,
nicht trockenen Auges lauschen [...] Die Gewaltsamkeit dieser Greuel läßt
sich nichts anderem als dem Zorn des Himmels zuschreiben, ihr Ende hängt
von seiner Gnade ab. Dies sind die Umstände, unter denen der Name
Osman erstmals in der Geschichte auftaucht. Seine Laufbahn begann er Ende
des 13. Jahrhunderts als Gebieter über eines der kleinsten Ghazi-Emirate
in Anatolien, und nach ihm benannte sich später jene außergewöhnliche
Dynastie, die dem Osmanischen Reich den Namen gab. Und ebenfalls in diesem
schicksalhaften Jahr 1302 erhielt Kaiser
Andronikos Palaiologos von Roger de Flor, dem Anführer
der großen katalanischen Truppe, eine Mitteilung. Bei dieser
katalanischen Truppe handelte es sich im Kern um spanische Berufssöldner
- hauptsächlich, aber längst nicht ausschließlich aus Katalonien
-, die Peter von Aragon 1281 für
seine Feldzüge in Nord-Afrika und auf Sizilien angeworben hatte. In
der jüngeren Vergangenheit hatten sie für Peters
Sohn Friedrich gegen dessen
Bruder Jakob, König
von Aragon, und Karl II. von Anjou
gekämpft.
Diese beiden Herrscher hatten jedoch am 31. August 1302 in Caltabellotta
auf Sizilien einem Friedensvertrag zugestimmt, der endlich die Unabhängigkeit
der Insel anerkannte, und so mußten sich die katalanischen Söldner
- die nicht nach Spanien zurückkehren konnten, wo König
Jakob sie verständlicherweise als Verräter betrachtete
- nach einer neuen Beschäftigung umsehen. Roger de Flor war
ein Abenteurer von der Art Robert Guiscards, eine jener auffallenden
Gestalten, um die sich nur zu leicht Legenden ranken. Er soll ein Sohn
Richards von der Blume gewesen sein, jenes außerordentlich gutaussehenden
deutschen Falkners
FRIEDRICHS II.,
der nach des Kaisers Tod sowohl dessen Sohn Manfred
als auch dessen Enkel Konradin ergeben
gedient hatte. Aber 1268 war Richard in Schlacht bei Tagliacozzo
gefallen. Der siegreiche Karl von Anjou aber
ließ Konradin köpfen und
sämtliche Besitztümer derer, die ihn unterstützt hatten,
beschlagnahmen. So fand sich Richards Witwe in Palermo all ihrer
Mittel beraubt. Es gelang ihr, ein Schiff zu finden, das sie mit ihren
beiden kleinen Söhnen nach Brindisi brachte. Dort - und nun wird die
Legende besonders blumig - soll sie ausgerechnet vor einem Bordell, von
ihren Anstrengungen entkräftet, niedergesunken sein, woraufhin die
Prostituierten sie aufhoben und ihr zu essen gaben; dass sie sich ihnen
bald darauf anschloß, geschah vielleicht ebensosehr aus Dankbarkeit
wie aus anderen Beweggründen.
Über den älteren ihrer beiden Söhne ist
uns nichts bekannt; vom jüngeren heißt es, er habe, obwohl inzwischen
erst acht Jahre alt, auf einem Schiff der Templer angeheuert. Das nächste
Mal hören wir im Jahre 1291 von ihm; da hatte er das Mittelmeer schon
über 20 Jahre befahren, Seeräuberbanden bekämpft - und seinen
Namen Rutger von der Blume latinisiert. Als Roger de Flor gebot
er über ein eigenes Schiff, das er sehr passend Falke nannte. Im selben
Jahr erlebte Akko, die letzte Bastion der Kreuzfahrerstaaten, die entscheidende
Belagerung durch die Mameluken. Als dienender Tempelbruder setzte Roger
zunächst all seine Kräfte für deren Verteidigung ein, kehrte
indes, als er die Hoffnungslosigkeit der Lage erkannte, zu seinem Schiff
zurück. Dort sah er sich unvermutet einer Schar Frauen gegenüber,
die ihre Kinder und sich selbst mit allen Mitteln dem widerlichen Schicksal
zu entreißen versuchten, das sie erwartete, falls sie den Ungläubigen
in die Hände fielen. Nun verhieß Roger für sie in
letzter Minute. Es wollten aber ihrer so viele an Bord, dass Roger de
Flor wählen konnte, und er gab jenen den Vorzug, die Gold und
Edelsteine mitgebracht hatten, und auch in diesen Fällen nahm er seinen
Vorteil rücksichtslos wahr. Das Schiff füllte sich rasch bis
zu drangvoller Enge, und als der Kapitän seine Fahrgäste in Zypern
ausgeladen hatte und Kurs auf den Heimathafen Marseilles nahm, war er ein
reicher Mann. Aber die Strafe folgte auf dem Fuße. Als der Großmeister
des Templerordens von seinem Verhalten erfuhr, wurde Roger aus dem
Orden ausgestoßen und bei Papst Bonifaz VIII. als Dieb und
Abtrünniger gebrandmarkt.
Er floh auf dem Landweg nach Genua, wo er die Familie
DORIA dazu überreden konnte, ihn mit einem neuen Schiff, namens
Olivetta, auszurüsten. Damit begann er eine waschechte Seeräuberlaufbahn,
und diese vervielfachte seinen Reichtum im Laufe weniger Jahre. Erst dann
bot er Friedrich von Sizilien seine
Dienste an - und wurde auf Anhieb zum Admiral ernannt. Roger bewies
sich bald zu Wasser wie zu Land als Draufgänger, und rasch schloß
sich ihm eine ergebene Gefolgschaft an; so entstand die katalanische Truppe.
Dieser Mann also sandte gegen Ende des Jahres 1302 zwei
Boten zu Kaiser
Andronikos Palaiologos und bot ihm für die Dauer von neun
Monaten die Dienste seiner Truppe an. Trotz der ins Auge springenden persönlichen
Vorteile eines solchen Angebots - es brachte ihn wirkungsvoll außer
Reichweite der Templer und des Papstes, die seinen Verrat nicht vergessen
hatten - verlangte er wie üblich einen stolzen Preis. So sollten seine
Leute den Sold von vier Monaten im voraus erhalten, und zwar den doppelten
Satz dessen, was in Byzanz die Söldner normalerweise erhielten; für
sich forderte Roger den Titel Megas Dux, damals der
fünfthöchste in der byzantinischen Hierarchie, dazu die Hand
der kaiserlichen Nichte Maria,
Tochter des Zaren-Paars
Irene und Johannes III. Asen von Bulgarien;
Corberan d'Alet, sein Oberbefehlshaber, sollte den Titel
eines Reichsmajordomus erhalten.
Andronikos, der sehr
wohl wußte, dass ihm nicht viel anderes übrigblieb, ging auf
all diese Bedingungen ohne weiteres ein, und im September 1302 traf eine
Flotte von 39 Kampf- und Transportschiffen am Goldenen Horn ein. Sie brachte
aber nicht nur die rund 2.500 Söldner - über die Hälfte
davon Berittene -, sondern zur leichten Bestürzung des Kaisers auch
deren Frauen und Kinder: insgesamt wohl an die 6.500 Personen. Roger
und seine Braut Maria heirateten
kurz darauf nach orthodoxem Ritus. Die Angehörigen der katalanischen
Truppe benahmen sich jedoch sehr ungesittet. Zwischen ihnen und ansässigen
Genuesen entbrannte ein Streit, und falls man den spanischen Chroniken
glauben darf, mußte Roger in der Hochzeitsnacht das Brautbett verlassen,
um draußen die Ordnung wiederherzustellen. Aus derselben Quelle stammt
die geschätzte Zahl der genuesischen Opfer, und sie ist mit 3.000
Toten nun eindeutig weit übertrieben. Dennoch befand Andronikos
den Schaden für genügend hoch, um auf einem raschen katalanischen
Abzug aus Konstantinopel zu bestehen. Schon wenige Tage später überquerten
die Söldner, die Frauen und die Kinder das Marmarameer Richtung Kyzikos,
das zu dem Zeitpunkt gerade unter türkischer Belagerung stand. Da
endlich bewies die katalanischen Kampftruppe ihren Wert. Im Frühjahr
1303 befand sich das türkische Heer auf der ganzen Linie auf dem Rückzug.
Gleichzeitig ging Andronikos jedoch
ein Licht auf: Er hatte Truppen losgeschickt, deren Kontrolle ihm aus der
Hand geglitten war. Bis dahin hatten alle Söldner im Reich unter griechischem
Kommando gestanden, den Befehlen des Kaisers oder eines seiner Feldherren
unterstellt. Dagegen zeigten die Katalanen vor ihren byzantinischen Arbeitgebern
geringen Respekt. Sie fällten ihre eigenen Entscheidungen und befolgten
ihre eigenen Schlachtpläne; gab es Beute, behielten sie diese für
sich. Auch stiftete ihre unerträgliche Arroganz ständig Unzufriedenheit
bei ihren Bündnispartnern, und es dauerte nicht lange, bis die 500
alanischen Söldner, die mit ihnen auf einer Seite kämpften, herausbekamen,
dass die Katalanen doppelt soviel Sold erhielten wie sie. Es kam zur Meuterei,
gefolgt von einer Massenfahnenflucht, und als die Katalanen Pegae erreichten,
wo sich das Hauptquartier Mit-Kaiser
Michaels IX. befand, hatten sie auf griechischer Seite bereits
soviel Feindseligkeit erregt, dass dieser die Tore vor ihnen verschloß.
Aber für Pegae interessierten sie sich ohnehin nicht; ihr Augenmerk
richtete sich vielmehr auf Philadelphia. Philadelphia (Alaschehir), damals
ein bedeutender Grenzort und Militärstützpunkt, wurde ebenfalls
gerade belagert, allerdings nicht von osmanischen Türken, sondern
von Angehörigen des ihnen zum damaligen Zeitpunkt noch überlegenen
karamanischen Stammes. Die katalanischen Söldner verloren keine Zeit.
Obwohl gerade ein kräfteraubender Marsch von nahezu 200 Kilometern
hinter ihnen lag, griffen sie schon im Morgengrauen des Tages nach ihrem
Eintreffen an. Die karamanischen Verbände kämpften tapfer, doch
zeigten ihre Pfeile auf den eisernen Rüstungen der Europäer kaum
Wirkung. Um die Mittagszeit lagen, spanischen Chroniken zufolge, wohl 8.000
aus ihren Reihen tot auf dem Schlachtfeld; die übrigen, unter ihnen
der Emir selbst, waren geflohen. Roger de Flor hätte sich hier
eine ideale Gelegenheit geboten, seinem Sieg Nachdruck zu verschaffen.
Angenommen, seine Leute hätten den Feind bis tief in karamanisches
Gebiet hinein verfolgt, wäre die Niederlage für den Emir noch
deutlicher ausgefallen und hätte den Weg für die byzantinische
Wiedereroberung Anatoliens ebnen können. Doch Roger unternahm
nichts dergleichen. Statt dessen führte er sein Heer an die Küste
zurück, um mit der Flotte Verbindung aufzunehmen, die die Zwischenzeit,
wie er angenehm überrascht feststellte, dazu genutzt hatte, Chios,
Lemnos und Lesbos zu besetzen. In weniger als zwei Jahren hatte sich der
ehemalige Pirat zum Mitglied der kaiserlichen Familie gemausert, sowohl
über die osmanischen wie über die karamanischen Türken entscheidende
Siege errungen und dadurch einen Großteil des Südwest-Zipfels
von Kleinsasien gesichert. Nach diesen Triumphen lag es erst recht nicht
mehr in seiner Absicht, selbstlos für Byzanz zu kämpfen. Natürlich
nahm er weiterhin mit Freuden das Geld des Kaisers in Empfang, aber die
Erfahrungen der vergangenen Monate hatten längst neue Hoffnungen in
ihm geweckt, nämlich auf ein eigenes, unabhängiges Königreich
in Anatolien, wo das Land fruchtbar war, das Klima so mild wie nirgendwo
und der einzige Feind schwach und uneins. Fortan übte er, wo immer
er hinkam, absolute Autorität aus, ja er erlaubte sich sogar, jedermann
in Byzanz, der ihn in irgendeiner Form beleidigte, ob im zivilen, militärischen
oder kirchlichen Bereich, zu bestrafen - wenn es sein mußte, mit
dem Tod.
Anfang 1304 ließ sich Roger de Flor auf
einen ehrgeizigen Feldzug im Osten ein. Der Grund ist nicht ganz klar,
denn er muß sehr wohl gewußt haben, dass er damit den Osmanen
ebenso wie den Karamanen ermöglichte, sich nach Kräften umzuformieren
und aufzurüsten. Dennoch zogen er und seine Truppe zu Beginn des Frühjahrs
los und erreichten Mitte August die "Eisentore" des Taurus, einen Einschnitt
so schmal, dass die Maultiere erst von ihrer Last befreit werden mußten,
bevor sie im Gänsemarsch hindurchgeführt werden konnten; es hätte
keinen geeigneteren Ort für einen Hinterhalt geben können. Klugerweise
sandte der erfahrene Roger berittene Späher aus, und tatsächlich
lag ein türkisches Heer dahinter auf der Lauer. Einmal mehr entbrannte
ein furchtbarer Kampf. Und einmal mehr siegte die katalanische Truppe auf
der ganzen Linie. Doch legten sie dort eine Pause ein. Verschiedene jüngere
Befehlshaber drängten Roger, weiter vorzurücken, über
den Euphrat nach Syrien, doch ihr Anführer wollte nichts davon wissen
und gab Befehl zur Umkehr. Weshalb? Der Chronist Ramäri Muntaner,
der Roger auf diesem Feldzug begleitete, berichtet, es seien Kuriere
des Kaisers eingetroffen mit der Order, sofort zurückzukehren. Roger
de Flor hatte jedoch die Stufe, da er kaiserlichen Befehlen bedingungslos
nachkam, längst hinter sich. Ihm mißfiel vielmehr, dass die
Expedition ihn immer weiter weg führte. Falls es in Konstantinopel
zu einer Krise kam, mußte er in der Lage sein, diese zu seinem Vorteil
zu nutzen. Zudem hatte er große Mengen kostbarer Beute in Magnesia
zurückgelassen und begann sich darum zu sorgen. Und wie stand es überhaupt
mit dem Sold für ihn und seine Leute? Trotz ihres ungebärdigen
Benehmens und ihrer anmaßenden Haltung Byzanz gegenüber standen
sie theoretisch noch immer in kaiserlichem Dienst, und inzwischen schuldete
Andronikos ihnen nahezu ein Jahresgehalt. Und nicht zuletzte hatte Roger,
auch wenn er ein noch so gewissenloser Abenteurer war, unnötige Risiken
nie gemocht; immer wieder ließ er in dieser Phase seiner Laufbahn
Vorsicht walten und hielt impulsivere Getreue von waghalsigen Plänen
ab. Auf der anatolischen Hochebene, die sie zu überqueren hatten,
wies er nachdrücklich darauf hin, dass nur noch wenige Wochen sie
vom Einbruch des Winters trennten und sie umkehren müßten, solange
es noch ein Durchkommen gebe. Und das taten sie schließlich auch,
mußten jedoch feststellen, dass in ihrer Abwesenheit ein Trupp unter
der Führung eines griechischen Ritters namens Attaliotes die
Stadt Magnesia an sich gerissen hatte und damit auch all ihre darin angehäuften
Schätze. Unverzüglich begannen sie mit der Belagerung. Doch noch
bevor etwas Entscheidendes geschehen konnte, traf eine weitere, dringendere
Botschaft von Andronikos ein: Theodor
Swetoslaw, der Usurpator, der die mongolischen Völkerstämme
aus Bulgarien vertrieben und einen Großteil des Landes - mitsamt
den byzantinischen Häfen am Schwarzen Meer - unter seiner Herrschaft
vereint hatte, war in Thrakien eingefallen und bedrohte bereits Konstantinopel.
Aus eigener Kraft konnte Kaiser
Andronikos nichts ausrichten. Einzig mit katalanischer Unterstützung
bestand Hoffnung, die Hauptstadt zu retten. Es handelte sich um einen Appell,
dem Roger Beachtung schenken mußte, denn er erkannte auf einen
Blick, dass Theodor eine neue, gefährliche
Komplikation darstellte und sich als schwerwiegendes Hindernis für
seine längerfristigen Pläne erweisem konnte, falls er sich nicht
jetzt ein für allemal mit ihm befaßte. Magnesia, tapfer verteidigt,
würde später an die Reihe kommen. Er führte seine Truppe
durch die Troas und über die Meerenge nach Gallipoli, und dort schlugen
sie ihr Lager auf. Ab hier herrscht über die zeitliche Abfolge der
Ereignisse Ungewißheit. Sowohl die griechischen als auch die spanischen
Quellen machen widersprüchliche - und äußerst einseitige
- Angaben zum Geschehen, und sie sind unmöglich alle miteinander in
Einklang zu bringen. Im Laufe des Winters 1304/05 scheint von Mit-Kaiser
Michael Palaiologos die Nachricht eingetroffen zu sein, dass
er der Dienste Roger de Flors nun doch nicht bedürfe; bald
darauf kam Roger zu Ohren, Michael habe
eine Anordnung an die byzantinischen Truppen erlassen, laut der dem Megas
Dux nicht mehr zu gehorchen sei. Es gibt weder Erklärungen noch
Hinweise, wie die bulgarische Krise so rasch und offensichtlich ohne Schwierigkeiten
beigelegt werden konnte. Man fragt sich daher unwillkürlich, ob es
überhaupt je eine solche gab oder ob das Ganze nichts weiter als eine
Erfindung war, um Roger und seine Truppe aus dem Osten zurück
in eine Gegend zu holen, wo Byzanz ein Auge auf sie haben konnte. Wie dem
auch sei, für Roger erwies es sich als günstig, dass er
sich in der Nähe von Konstantinopel befand, als zu Beginn des Jahres
1305 eine Flotte von neun spanischen Schiffen im Goldenen Horn auftauchte.
Sie stand unter dem Befehl eines gewissen Berenguer d'Entenca,
eines alten Waffenbruders aus der Zeit des sizilianischen Feldzugs, den
Jakob II. von Aragon nun als Sonderboten
zu Andronikos sandte. Der Grund für
sein Kommen bleibt indes, einmal abgesehen von der mitgebrachten Verstärkung,
um die nicht gebeten worden, die indes willkommen war, im Dunkeln; das
von den Genuesen unverdrossen verbreitete Gerücht, er sei an einer
geheimen Verschwörung beteiligt, mit dem Ziel, die lateinische Herrschaft
wieder zu errichten, bestätigten die folgenden Ereignisse nicht, während
Gregoras' Behauptung, er sei von Andronikos
eingeladen worden in der Hoffnung, ihn gegen Roger ausspielen zu können,
fast absurd klingt. Er wurde indes mit allen Ehren empfangen und erhielt
bald darauf den Titel Megas Dux, während Roger de
Flor in den Rang eines Caesaren befördert wurde. Rogers
Ehrung war zugegebenermaßen bis zu einem gewissen Grad verdient;
die katalanische Truppe hatte mindestens drei entscheidende Schlachten
gegen türkische Truppen in Anatolien geschlagen, ganz abgesehen von
einer Unzahl Scharmützel, aus denen sie fast immer siegreich hervorgegangen
war. Aber der Ehrentitel war auch zur Besänftigung gedacht. Zweifellos
hatte Mit-Kaiser
Michael IX. erkannt, dass er sich Roger mit seiner Handlungsweise
zur Zeit der bulgarischen Krise zu einem ebenso unnötigen wie gefährlichen
Gegner gemacht hatte. Auch stand inzwischen der Sold für die Truppe
seit über einem Jahr aus, und ihre beiden Befehlshaber nahmen im Verlauf
ihrer hitzigen Verhandlungen mit Andronikos immer
drohendere Töne an. Dieser konnte leider wie üblich nur wenig
dagegen unternehmen. In der kaiserlichen Schatzkammer gähnte ein Loch.
Vor kurzem erst war er zu einer erneuten Geldentwertung gezwungen worden,
und der Goldgehalt des Hyperpyron, dessen Name ironischerweise "hochveredelt"
bedeutete, lag nun unter 20 Prozent des ehemaligen Anteils, und Roger
weigerte sich erzürnt, mit etwas abgespeist zu werden, das er
verständlicherweise als Blech bezeichnete. Berenguer d'Entenca
zeigte seine Empöprung noch deutlicher: er gab das Speisegeschirr
aus Gold und Silber zurück, auf dem ihm seine Mahlzeiten gereicht
wurden - wenn auch, falls wir Pachymeres glauben dürfen, erst nachdem
er es auf unflätige Weise benutzt hatte -, ging an Bord seines Flaggschiffs
und nahm Kurs auf das Heerlager in Gallipoli; in Sichtweite des Blachernenpalastes
schleuderte er seine neuen Insignien demonstrativ ins Meer.
Schließlich kam es zu einer Übereinkunft,
allerdings erst nachdem Andronikos Rogers
Forderung, den ganzen byzantinischen Teil Anatoliens als Lehen zu erhalten,
entsprochen hatte. Im Frühjahr 1305 setzten sich die Angehörigen
der katalanischen Truppe Richtung Asien in Bewegung. Da beschloß
Roger, bevor er seine neuen Ländereien aufsuchte, Michael
IX., den er nie persönlich kenengelernt hatte und der sich
zu jener Zeit in Adrianopel aufhielt, einen offiziellen Besuch abzustatten.
Er wußte, dass der Mit-Kaiser die Katalanen nicht mochte und ihnen
sogar noch stärker mißtraute als sein Vater. Rogers wahrer
Beweggrund für diesen Besuch könnte daher sehr wohl im Wunsch
bestanden haben, die Beziehungen zwischen ihm und Michael
zu
verbessern oder zumindest einen gewissen Grad an Verständigung zu
erreichen, nachdem ihm dies mit Andronikos
so gründlich mißlungen war. Maria,
die ein Kind erwartete, und auch ihre Mutter Irene
rieten ihm dringend, sich nicht unbesonnen und schutzlos in die Höhle
des Löwen zu begeben, aber er hörte nicht auf sie. Am 23. März
1305 brach er mit einer Eskorte von 300 Berittenen und 1.000 Fußsoldaten
zu Michaels Hauptquartier auf. Roger
wurde in Adrianopel ehrenvoll empfangen und blieb über eine Woche
dort; sicher ein eindeutiges Zeichen dafür, dass er darin mehr als
nur einen Höflichkeitsbesuch sah. Vielleicht spielte Michael
vorsätzlich
auf Zeit, um genügend Verstärkung für die ihm gebührend
erscheinende Behandlung der Katalanen mobilisieren zu können. Wir
wissen es nicht. Sicher aber ist, dass Roger de Flor am 5. April,
am Vorabend seiner Abreise nach Gallipoli, ermordet wurde. Pachymeres,
der sich zum Zeitpunkt der Tat allerdings im 150 Kilometer entfernten Kostantinopel
aufhielt, gibt als Mörder Georgios Girkon an, den alanischen
Häuptling, dessen Sohn bei Kyzikos während der Auseinandersetzungen
zwischen den Katalanen und Alanen getötet worden war und der schon
lange einen besonderen Haß gegen ihn hegte. Weiter berichtet er,
der Mord habe sich am Eingang zu den Privatgemächern der Mit-Kaiserin
Rita-Maria von Armenien zugetragen; wer Roger dorthin
bestellt haben soll, erklärt er allerdings nicht. Westliche Quellen
- angesichts der Lage möglicherweise verläßlicher - weisen
die Tat zwar ebenfalls Georgios Girkon zu, behaupten indes, sie
sei während eines Abschiedsbanketts verübt worden, das Michael
Roger zu Ehren veranstaltete: Michael
habe sich wie üblich gegen das Ende hin zurückgezogen und seinen
Gäste überlassen, wie lange sie noch weiter zechen wollten. Da
seien die Türen plötzlich krachend aufgeflogen und schwerbewaffnete
alanische Söldner in die Halle gestürzt. Umzingelt, in der Minderheit
und sicher auch angeheitert, blieb den katalanischen Gästen keine
Chance, zu entkommen. Roger de Flor wurde zusammen mit allen anderen
meuchlings umgebracht. Von einem Bündnis zwischen Byzanz und der katalanischen
Truppe konnte nun keine Rede mehr sein. Fortan herrschte der offene Kriegszustand.
Kaum hatte die Neuigkeit das katalanische Lager in Gallipoli
erreicht, stellte die Truppe die Verschiebung nach Asien ein. Wer die Meerenge
bereits überquert hatte, wurde zurückgerufen, und die Halbinsel,
auf der Gallipoli liegt, zum spanischen Hoheitsgebiet erklärt. Dann
rückte die Truppe durch Thrakien vor und rächte sich bitter für
die Ermordung ihres Anführers. Um die erheblichen Verluste von Adrianopel
auszugleichen, rekrutierte sie türkische und bulgarische Verbände,
und es dauerte nicht lange, bis sie wieder ihre ehemalige Größe
erreicht hatte. Michael IX., von der
Entwicklung der Dinge - an der er mindestens teilweise persönlich
die Schuld trug - ernsthaft beunruhigt, unternahm das Äußerste,
um ihrem Vormarsch Einhalt zu gebieten, doch sein erbärmliche Heer
wurde in der Nähe der Festung Apros bei Rhaidestos (Tekirdag) von
der katalanischen Truppe förmlich zermalmt, und er selbst entkam,
nachdem er sich im Kampf eingesetzt hatte, nur knapp mit dem Leben. Die
Provinz Thrakien lag, direkt an der Route, die vom Westen nach Konstantinopel
führte, und hatte im Lauf der Jahrhunderte viel Mühsal erlitten.
Awarische und hunnische, gepidische und bulgarische, skythische und slawische
Stammesheere waren ebenso über sie hinweggefegt wie die christlichen
Kreuzfahrer, und sie war immer wieder verwüstet worden. Nun folgte
also die in ihrem Stolz verletzte katalanische Truppe, und sie gehörte
zu den schlimmsten. Einmal mehr kam es zu unzähligen Massakern und
anderen entsetzlichen Greueltaten, und es hatte fast den Anschein, als
sollte nicht ein einziger Mensch in Thrakien am Leben bleiben. Gehöfte
und Dörfer, da und dort ganze Städte, wurden verlassen, zu Tausenden
strömten die Flüchtlinge voller Panik nach Konstantinopel
und ließen ihre Felder brennend und die Hütten schwelend hinter
sich. Adrianopel und Didymoteichos blieben unbezwingbar, aber ihre Garnisonen
wagten den Ausfall nicht. Wieder einmal bot eines der reichsten und fruchtbarsten
Gebiete im ganzen Byzantinischen Reich den Anblick einer Wüste. Nun
sind Wüsten für die, welche sie erobern, ebenso karg wie für
jene, die sie bewohnen; also wandte sich die katalanische Truppe im Sommer
1308 nach Westen, Richtung Thessalonike. Es gelang ihnen nicht, die Stadt
zu erobern, aber sie zerstörten mehrere kleinere Ortschaften und plünderten
und brandschatzten die Klöster auf dem Berg Athos; danach fielen sie
über Thessalien her, und 1310 zogen sie weiter Richtung Süden
nach Böotien, wo sie in den Dienst Walters von Brienne traten,
des französischen Herzogs von Athen und Theben. Dieser hatte
schon lange ein Auge auf Thessalien geworfen, und mit ihrer Hilfe gelang
es ihm mühelos, den jungen und kränklichen Johannes II. Dukas
in die Knie zu zwingen. Allerdings dauerte es nicht lange, bis Walter
seinerseits feststellte, dass die Angehörigen der katalanischen
Truppe gefährliche Angestellte waren, die sich leichter anheuern als
entlassen ließen. Am 15. März 1311 vernichteten sie sein eigenes
Heer am Ufer des Kephissos; er fiel und mit ihm der größte Teil
seiner Ritter. Die siegreiche katalanische Gemeinde zog daraufhin nach
Athen, wo sie ein eigenes Herzogtum errichtete, das 77 Jahre bestehen sollte.
Damit verschwindet sie aus unserer Geschichte. In knapp
10 Jahren hatten ihre Angehörigen Byzanz fast ebensoviel Schaden zugefügt
wie die türkischen Stämme im Laufe von 100. Und Byzanz hatte
sie sogar dafür bezahlt; um sie bezahlen zu können, mußte
Andronikos eine Geldentwertung vornehmen und dem ohnehin bedrückten
Volk noch höhere Steuern auferlegen. Es dauerte Generationen, bis
die Schäden behoben waren, die sie in Thrakien aus Rache über
die schmähliche Ermordung ihres Anführers und seiner Eskorte
angerichtet hatten, und die Flut der Flüchtlinge, die sie vertrieben,
löste in Konstantinopel fast eine Hungersnot aus. Hätten sie
sich auf ihre Vereinbarungen mit Andronikos konzentriert und die türkischen
Stämme zurückgedrängt, statt eigene Gebietsansprüche
zu verfolgen, wäre es ihnen vielleicht gelungen, die Laufrichtung
des Islams zu wenden und damit die Geschichte der Levante zu ändern.
Aber ach, es kam anders, und sie versetzten dem Byzantinischen Reich, das
zu retten sie doch gekommen waren, fast aufs Jahr genau 100 Jahre nach
dem 4. Kreuzzug einen weiteren lähmenden Schlag, von dem es sich nie
mehr ganz erholen konnte.
Großvater und Enkel Andronikos (1307-1341)
Sosehr das erste Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts aus byzantinischer
Sicht durch das Auftauchen der katalanischen Truppe überschatte wurde,
stellte diese doch keineswegs das einzige Problem dar, mit dem der glücklose
Andronikos
II. Palaiologos fertig werden mußte. Im Westen lauerte
Theodor
Swetoslaw immer noch bedrohlich, zumindest bis 1307. In diesem
Jahr überließ Andronikos
ihm
die Häfen am Schwarzen Meer, die er schon erobert hatte, und ebenso
die Hand Theodoras, der Tochter
Rita-Marias und Michaels
IX. Dann eroberten Philipp von Tarent
(Sohn Karls II. von Anjou) und
die katholischen Albaner gemeinsam Durazzo, und schließlich griff
noch ein weiterer westeuropäischer Fürst in den Kampf ein: Karl
von Valois, der Bruder des französischen
Königs Philipp des Schönen:
Er hatte sich 1301 mit
Katharina von Courtenay,
der Enkelin Kaiser Balduins,
verheiratet. Nun machte er sich die Wiederherstellung des Lateinischen
Reichs zur Aufgabe. Dazu versicherte er sich der Unterstützung von
Papst Klemens V. - dieser hatte bereits pflichtschuldigst den Bannstrahl
gegen Andronikos geschleudert - und
traf Abmachungen mit Venedig, dem zu diesem Zeitpunkt von seinem Schwiegervater
bereits etwas enttäuschten Milutin von Serbien
und 1308 sogar mit der katalanischen Truppe. Im selben Jahr starb jedoch
Katharina, und da nun die Erbfolge an ihre Tochter
Katharina von Valois überging, stand Karl
plötzlich
ganz ohne Anspruch da, dies besonders, nachdem
Philipp
von Tarent sich nach der Scheidung von seiner ersten Frau
Thamar 1313 mit Katharina von Valois verheiratet
hatte. Und obwohl seine Ränke letztlich zu nichts führten, bereitete
auch er dem Kaiser von Byzanz in den ersten Jahren des Jahrhunderts schlaflose
Nächte. Im Osten drangen nach dem Abzug der katalanischen Truppe aus
Anatolien im Jahre 1304 die Türken immer weiter vor. Im selben Jahr
nahm der Stamm der Aydin Ephesos ein, 1307 eroberte Osman die Festung
Trikkokia, wodurch die Kommunikation zwischen Nikomedia und Nikäa
unterbrochen wurde, und 1308 versetzten die Karamanen mit der Einnahme
Ikonions nach über 200 Jahren dem schon lange serbelnden Seldschuken-Sultanat
den Todestoß. Im Jahre 1309 erlitt Byzanz einen weiteren Verlust.
Die schon seit geraumer Zeit praktisch von der genuesischen Kolonie beherrschte
Insel Rhodos fiel den Rittern des Johanniterordens in die Hände. Das
Reich schien jedem Tag zu schrumpfen, so als habe der Kaiser die Hoffnung
längst aufgegeben, den türkischen Vormarsch noch aufhalten zu
können.
In der Hauptstadt Konstantinopel machten die Arseniten
immer mehr Schwierigkeiten. Der schwache Trost, den ihnen im Jahre 1293
die Abreise des fanatisch für die Reinheit der Lehre eintretende Athanasios
bereitet haben dürfte, schwand dahin, als er auf Drängen des
Kaisers hin 10 Jahre später wieder eingesetzt wurde. 1304 verhielten
sie sich so widerspenstig, dass Andronikos,
nachdem alle seine Appelle an das Gute in ihnen sich als nutzlos erwiesen
hatten, eine bewaffnete Wache vor ihrem Kloster in Mosele postierte. Als
im Jahr darauf erneut ein Anschlag auf sein Leben gerade noch rechtzeitig
aufgedeckt wurde und sich herausstellte, dass der Kopf der Verschwörung
ein gewisser Johannes Drimys, enge Verbindungen zu den Arseniten
unterhielt, ließ Andronikos das
Kloster ein für allemal schließen; viele der Insassen wurden
festgenommen. Um diese Zeit begann die Bewegung allerdings schnell an Boden
zu verlieren.
Johannes Laskaris, blind
und gefangen, erschien als Kandidat für den Thron nicht mehr so interessant
wie 20 Jahre zuvor. Außerdem war inzwischen der größte
Teil des alten Reichs Nikäa an die Türken gefallen. 1309 zog
sich Athanasios - der angeblich ganz Byzanz als ein großes
Kloster ansah - wieder in sein eigenes kleines zurück, diesmal für
immer: Sein Nachfolger Niphon machte sich sogleich daran, das seit
50 Jahren währende arsenitische Schisma zu beseitigen und gelangte
innerhalb eines Jahres ans Ziel. Am 14. September 1310 wurde die orthodoxe
Kirche kraft einer höchst eindrucksvollen Feier in der Hagia Sophia
in aller Form wiedervereinigt. Dies muß für
Andronikos eine große Entlastung bedeutet haben. Doch
noch im selben Jahr sah er sich einer neuen Feindin gegenüber, nämlich
Kaiserin Irene,
der früheren Jolante von Montferrat. Aus dem 11-jährigen
Mädchen, das er geheiratet hatte, war eine äußerst ehrgeizige
und eigenwillige Frau geworden, und die Spannungen zwischen beiden hatten
ständig zugenommen. Die Lage spitzte sich zu, als Irene
vorschlug, das Reich nach dem Tod ihres Mannes nicht an Michael,
dessen Sohn von seiner ersten Frau Anna
von Ungarn, zu übergeben, sondern unter alle vier Söhne
aufzuteilen - und von denen waren die drei jüngeren natürlich
ihre Kinder. Wie vorherzusehen, lehnte Andronikos
dieses Ansinnen rundweg ab. Daraufhin bezichtigte ihn die Kaiserin,
seinen Erstgeborenen vorzuziehen, und zog mit ihren drei Knaben von Konstantinopel
nach Thessalonike, wo sie nicht nur ihre Kindheit verbracht hatte, sondern
auch ihrer nunmehr 16-jährigen Tochter Simonis
- die Andronikos 1299 als
Fünfjährige an den serbischen Herrscher
Stephan Urosch II.
verschachert
hatte - viel näher war. Dort blieb sie sieben Jahre lang bis zu ihrem
Tod und wiegelte unablässig jeden, der ihr ein Ohr lieh, gegen ihren
Ehemann auf. Aber nicht nur sie, sondern auch ihr Stiefsohn, der Mit-Kaiser
Michael IX., residierte in Thessalonike; er muß kurz nach
ihr dort eingetroffen sein. Obwohl erst Mitte 30, waren ihm alle Illusionen
über das Leben bereits gründlich vergangen. Als zwar tapferer,
aber völlig untalentierter Soldat hatte er den Großteil seines
Erwachsenenlebens im Feld verbracht, ohne auch nur eine bedeutende Schlacht
zu gewinnen. Abgesehen von wenigen unbedeutenden Siegen über Bulgarien
im Jahre 1304 war seine Laufbahn von Niederlagen bestimmt, anfangs in Kleinasien
und später auf dem Balkan. Sein jüngstes Debakel hatte ihm ein
etwa zweitausendköpfiges türkisches Heer bereitet, welches sich
zunächst der katalanischen Truppe angeschlossen hatte und dann, während
diese nach Griechenland weiterzog, in Thrakien geblieben war, das ganze
Gebiet zwei Jahre lang terrorisiert, sich alles genommen, was es dort noch
zu holen gab, und die Verkehrswege unsicher gemacht hatte. Zu Beginn des
Jahres 1311 führte
Michael ein
Heer gegen diese marodierenden Türken: mit dem üblichen katastrophalen
Ergebnis. Daraufhin wurde er des Kommandos endgültig enthoben und
zog sich ins Privatleben zurück. Mit seiner armenischen Frau Maria
(ihren
ursprünglichen Namen Rita hatte sie dem Brauch entsprechend
durch den angesehenen, byzantinischen ersetzt) hatte
Michael vier Kinder. Andronikos,
das älteste, ein intelligenter und auffallend gutaussehender Jüngling,
wurde im Februar 1316 im Alter von 19 Jahren zum Mit-Kaiser gekrönt.
Somit teilten sich nun drei Kaiser den Thron, was die Nachfolge mindestens
zwei Generationen lang hätte sichern müssen. Der junge Andronikos
zeigte jedoch schon bald Anzeichen gefährlicher Instabilität.
Er trank, spielte, trieb sich in schlechter Gesellschaft herum, machte
heimlich Schulden bei den genuesischen Kaufleuten in Galata und war auch
noch ein bekannter Frauenheld. Ein Jahr nach der Krönung wurde er
der Adligen Adelheid von Braunschweig-Grubenhagen
angetraut und scheint etwas ernsthafter geworden zu sein, doch nach der
Geburt eines Kindes (das früh starb) verlor er den Halt erneut und
nahm sein altes Lotterleben wieder auf, falls er es denn überhaupt
aufgegeben hatte.
Allmählich begann sein Betragen seinen Angehörigen
ernstlich Sorgen zu bereiten. Aber erst 1320 spitzte die Lage sich wirklich
bedrohlich zu. Da er eine seiner Liebhaberinnen der Untreue verdächtigte,
legte er dem ihm unbekannten Rivalen in der Nähe ihres Hauses einen
sorgfältig geplanten Hinterhalt. Ob sein Bruder Manuel
tatsächlich dieser Rivale war oder nur zufällig vorbeikam, weiß
kein Mensch. Er wurde jedenfalls angegriffen und umgebracht. Michael
IX. trauerte noch um den Tod seiner Tochter Anna,
als ihm diese Nachricht übermittelt wurde. Ohnehin bereits krank,
war diese Schock zuviel für ihn. Er verfiel zusehends und starb am
12. Oktober in Thessalonike. Der aufgebrachte Kaiser
Andronikos II. enteignete seinen
Enkel und bestimmte Michaels Bruder
Konstantin als Erben des byzantinischen
Throns. Da kam es zum Bürgerkrieg.
Der alte Kaiser
Andronikos II. war nunmehr 60 Jahre
alt: in byzantinischen Tagen ein beträchtliches Alter. Während
seiner beinahe 40-jährigen Regierungszeit hatte sich die Situation
zusehends verschlechtert. Glücklicherweise stand ihm als Berater (und
später als Großlogothet) der Schriftsteller und Gelehrte
Theodor Metochites zur Seite. Er diente ihm ergeben von 1290 bis zum
Ende seiner Herrschaft. Doch selbst Theodor konnte den Verfall nicht
aufhalten. Thrakien war verwüstet, Kleinasien praktisch verloren.
In Ermangelung einer Seestreitmacht oder Handelsflotte lagen der Handel
sowie die Lebensmittelversorgung in den Händen der sich unaufhörlich
zankenden venezianischen und genuesischen Kaufleute. Jahr für Jahr
erhöhten sich die Steuern; der Erlös wurde jedoch nicht für
die Wiederbewaffnung, sondern für Tribute ausgegeben. Schutzgelder
an der katalanische und türkische Banden, die man in der Hoffnung
zahlte, dass sie das Reichsgebiet in Ruhe ließen. Als der junge
Andronikos sich der Anordnung seines Großvaters widersetzte
und in Adrianopel die Fahne der Rebellion aufpflanzte, war es also kein
Wunder, dass in Konstantinopel viele, insbesondere junge Adlige und solche,
die Land besaßen, sich begeistert um ihn scharten. Die rechte Hand
des jungen Kaisers war Johannes Kantakuzenos,
ein führendes Mitglied der Militäraristokratie. Sein Vater war
Statthalter der Morea gewesen, er selbst ein bedeutender Landbesitzer im
Reich, der große Güter in Makedonien, Thrakien und Thessalien
besaß. Er war ein oder zwei Jahre älter als Andronikos
und von Kind an eng mit ihm befreundet. Johannes
sollte die politische Szene von Byzanz über weite Strecken des Jahrhunderts
beherrschen: als graue Eminenz, Großdomestikos, aufständischer
Rebell und Kaiser. Dass er außerdem eine umfangreiche, detaillierte
Reichsgeschichte der Jahre zwischen 1320 und 1356 schrieb, die zum großen
Teil auf persönlichen Erinnerungen an Menschen und Ereignisse beruht
und in der er häufig Originaldokumente zitiert, ist für die Nachwelt
mindestens ebenso wichtig. Natürlich hat er sie bis zu einem bestimmten
Grad zu seinen Gunsten geschönt; dennoch darf man sie nicht übergehen;
denn Kantakuzenos war der überragende
Feldherr und Staatsmann seiner Zeit.
Von denen, die Andronikos III.
ebenfalls
unterstützten, stand ein gewisser Syrgiannes Palaiologos an
Bedeutung
Johannes Kantakuzenos
kaum
nach. Mütterlicherseits war er entfernt mit der kaiserlichen Familie
verwandt, während sein Vater kumanischer Herkunft war. Er erwies sich,
wie sich noch zeigen wird, allerdings als unzuverlässiger Verbündeter.
Sowohl er als auch
Johannes hatten
eine Statthalterschaft in Thrakien gekauft - der Ämterkauf gehörte
nicht zu den unbedeutendsten Mißständen, die unter den PALAIOLOGOI
aufblühten - und sofort begonnen, Unzufriedenheit unter den dort Ansässigen
zu schüren, die ohnehin unter der immer größer werdenden
Last der Reichssteuern stöhnten. Ostern 1321 schloß sich ihnen
der junge Kaiser an; wenn man Gregoras Glauben schenken kann, war
eine seiner ersten Amtshandlungen die Befreiung dieser Provinz von jeglicher
Steuer. Durch derlei Maßnahmen und weitere ausgefallene Versprechungen
gewann er sehr schnell die nötige Unterstützung. Syrgiannes marschierte
gegen Konstantinopel, wo sich der alte Andronikos
aus
Furcht, der Aufstand könnte sich ausbreiten, rasch verhandlungsbereit
zeigte. Am 6. Juni 1321 einigten sich beide Seiten auf eine Teilung des
Reichs. Wie schon bisher sollte Andronikos II.
am Bosporus herrschen und Andronikos
III. in Adrianopel. Als Kaiserin
Irene
zwei Jahre zuvor einen nämlichen Vorschlag unterbreitet
hatte, war die Reaktion Entsetzen gewesen. Dass er nun so bereitwillig
akzeptiert wurde, deckt überdeutlich auf, wie sehr sich die Stellung
des alten Andronikos in der
letzten Dekade verschlechtert hatte. Um wenigstens den Anschein von Einigkeit
zu wahren, bestand er darauf, für die Außenpolitik allein verantwortlich
zu sein. Doch beinahe von Anfang an beschnitt sein Enkel offen und ohne
Rücksicht einen eigenen diplomatischen Weg. Schon bald gab es praktisch
zwei unabhängige Reiche, die eine völlig unterschiedliche Politik
verfolgten und einander öfter entgegenstanden, als dass sie sich einig
waren.
Unter diesen Umständen konnte der Friede nicht lange
bestehen. Zu Beginn des Jahres 1322 brachen die Feindseligkeiten offen
aus. Den Anlaß dazu scheint seltsamerweise Syrgiannes geboten zu
haben. Er war indes schon immer eifersüchtig auf Johannes
Kantakuzenos gewesen, den er mit Recht für den besonderen
Günstling des jungen Kaisers hielt. Nun veranlaßte ihn diese
Eifersucht dazu, die Seiten zu wechseln. Gleich nach seinem Eintreffen
in Konstantinopel begab er sich zum alten Andronikos
und stachelte ihn dazu auf, seinem Enkel eine Lektion zu erteilen. Dies
erwies sich jedoch als aussichtslos. Denn in Thrakien und Makedonien erfreuten
die Rebellen sich zu großer Beliebtheit. Schon bald stellte sich
heraus, dass der alte Kaiser höchstwahrscheinlich auch jene Gebiete,
über die er noch herrschte, verlieren würde, falls er sich weiterhin
gegen die Rebellen stellte. Im Juli 1322 trafen die beiden Kaiser erneut
eine Übereinkunft. Nun war nicht mehr die Rede von einer Teilung,
sondern es hieß, beide würden das ganze Reich gemeinsam regieren,
und Andronikos III. wurde wieder zum
einzigen Erben erklärt; Andronikos II.
sollte die Obergewalt und ein Vetorecht gegen alle politischen Entscheidungen
seines Enkels erhalten.
Diesmal hielt der Friede immerhin fünf Jahre. Innerhalb
dieses Zeitraumes wurde zunächst am 2. Februar 1325 Andronikos
III. zum zweiten Mal in der Hagia Sophia gekrönt. Am 6.
April 1326 nahmen die türkischen Osmanen nach siebenjähriger
Belagerung Brussa ein und erhoben es zu ihrer Hauptstadt. Noch bedrohlicher
als diese Katastrophe war die Nachricht, dass Johannes
Palaiologos, Neffe Andronikos'
II. und Statthatter von Thessalonike, sich offen vom
Reich lossagte. Er war mit Irene Metochites verheiratet und somit
ein Schwiegersohn des Großlogotheten Theodor; während
dieser seinem Herrn die Treue hielt, stellten sich seine beiden Söhne,
die das Kommando über die bedeutenden Militärstützpunkte
Melnik und Strumika führten, sofort hinter die Rebellion. Johannes
ersuchte
sodann den serbischen König Stephan
Dechanski (Urosch III.),
dem er seine und Irenes Tochter
Maria
zur
Frau gegeben hatte, um Unterstützung und begab sich deshalb eigens
an den serbischen Hof.
Hätte er ein Bündnis mit König
Stephan zustande gebracht, wäre Byzanz vielleicht eine
neue, große Gefahr erstanden. Großvater und Enkel hätten
möglicherweise vorübergehend ihre Rivalität vergessen und
gemeinsame Sache gegen den Feind gemacht. Aber Johannes
Palaiologos starb plötzlich und unerwartet kurz nach seiner
Ankunft in Skopje. Es bestand nun keine unmittelbare Gefahr mehr. Im Herbst
des Jahres 1327 brach zum dritten Mal in einem Zeitraum von nicht
einmal sieben Jahre Bürgerkrieg aus. Diesmal kämpften die beiden
Kaiser nicht allein. Stephan Dechanski,
dessen Frau Maria immerhin Großnichte
des Kaisers war, schlug sich auf die Seite Andronikos'
II. Der Bulgaren-Zar Michael
III. Sisman hatte sich von seiner ersten Frau, einer
Schwester Stephans, getrennt, um Theodora
zu heiraten, eine Schwester Andronikos'
III. und nach dem Tod ihres ersten Mannes Theodor
Swetoslaw verwitwet, und willigte nur zu gern in ein Bündnis
mit seinem neuen Schwager ein. Wie bei den früheren Aufständen
kam es auch diesmal kaum zu ernsthaften Gefechten; sie waren auch gar nicht
nötig, denn der junge Andronikos,
der immer häufiger zu jenen ausgefallenen Versprechungen und Geschenken
griff, die ihm in der Vergangenheit so gute Dienste geleistet hatten, wurde
überall, wo er erschien, bejubelt. Im Januar 1328 begab er sich mit
Johannes Kantakuzenos nach Thessalonike.
Dort bereitet man ihm einen rauschenden Empfang als Basileus. Fast
alle anderen wichtigen Städte und Festungen in Thrakien und Makedonien
sicherten ihm ihre Unterstützung zu.
Während dieser Zeit traf er in aller Ruhe Vorbereitungen
für den Marsch auf die Hauptstadt direkt nach dem Frühjahrsregen.
Kurz vorher erhielt er jedoch beunruhigende Nachrichten: Zar
Michael III. hatte unerklärlicherweise die Seiten gewechselt
und 3.000 bulgarische Reiter zur Verteidigung von Konstantinopel entsandt.
Nun zögerte Andronikos III. keinen
Augenblick mehr. An der Spitze einer Vorhut eilte er ostwärts, fing
die bulgarischen Reiter ab, bevor sie Stellung bezogen hatten, und erreichte
mit dem Hinweis, andernfalls handle er dem Bündis zuwider, dem sein
Herr vor einem knappen Jahr beigetreten sei, dass deren Befehlshaber den
sofortigen Abzug befahl. Nachdem er dann Michael
in einer wütenden Botschaft an seine Vertragsverpflichtungen erinnert
hatte, wartete er das Eintreffen seines übrigen Heeres ab. Der Abzug
der Bulgarentruppe war nicht der einzige Schlag, den der alte Andronikos
im Frühjahr 1328 verkraften mußte. Venedig und Genua nutzten
wieder einmal die Gunst der Stunde für ihre üblichen Tricks und
betrachteten ohne Rücksicht auf die Leiden der griechischen Bevölkerung
Konstantinopels und die Wasserwege darum herum als häufigstes Schlachtfeld.
Den ganzen April hindurch riegelte eine venezianische Flotte von 50 Schiffen
Galata und die Einfahrt zum Bosporus ab, wodurch die Stadtbevölkerung
an den Rand des Hungers geriet. Denn nach den Bürgerkriegsjahren,
in denen die gegnerische Landwirtschaft beinahe zum Erliegen gekommen und
der übliche Nachschub an Nahrungsmitteln aus den westlichen Provinzen
auf dem Landweg unterbrochen. Nun traf dieser nicht einmal mehr auf Seeweg
ein. Was es noch zu erstehen gab, war unerschwinglich teuer und unerreichbar
für eine Bevölkerung, die von Steuern ausgeblutet war und deren
Wirtschaft schon seit langem nicht mehr funktionierte. Die Beliebtheit
des alten Kaisers nahm immer mehr ab, und seine Autorität schwand
mit jedem Tag noch mehr dahin.
Unter solchen Umständen erfolgte die Einnahme der
Stadt durch seinen Enkel ohne nennenswerten Widerstand. Am Abend des 23.
Mai 1328 schlichen Andronikos III.
und Johannes Kantakuzenos an der Spitze
eines 24 Mann starken Trupps mit Sturmleitern zu einer bestimmten Stelle
der Großen Bastion gegenüber dem Romanostor. Komplizen in der
Stadt ließen Taue herab, die Leitern wurden hochgezogen, und nach
ein paar Minuten standen die ersten Leute des jungen Kaisers innerhalb
der Mauern und öffneten ihren Kameraden das Tor. Es kam weder jemand
um, noch gab es Plünderungen, nicht einmal Verletzte. Der alte
Andronikos, aus dem Schlaf gerissen, geriet anfangs in Panik.
Seine Befürchtungen bewahrheiteten sich indes nicht. Von ihm wurde
einzig die Abdankung verlangt. Er durfte seine kaiserlichen Titel
und Insignien behalten und, falls er dies wünsche, weiterhin im Blachernenpalast
wohnen. Dann wurde eine Abordnung zur Befreiung des Patriarchen Esajas
losgeschickt, der sich im Jahr zuvor Andronikos'
Weisung,
seinen Enkel aus der Kirche auszuschließen, widersetzt hatte und
daraufhin im Manganenkloster festgesetzt worden war. Die Rückkehr
in seinen Palast habe er, so berichtet Gregoras, nicht etwa, wie
zu erwarten war, in Begleitung von bedeutenden Kirchenleuten angetreten,
sondern mit einer Musikantentruppe, Komödianten und Tänzerinnen,
von denen ihn eine bald so sehr zum Lachen gebracht habe, dass er
beinahe vom Pferd gefallen sei.
Außer dem alten Kaiser, den man besser endgültig
von Aufgaben entbunden hätte, für die er sich nicht eignete,
war der einzige Leidtragende sein Großlogothet Theodor Metochites.
Da kein anderer Sündenbock zur Verfügung stand, machte man diesen
harmlosen Gelehrten allein verantwortlich für die Fehler seines Herrn.
Man konfiszierte nahezu sein gesamtes Eigentum. Sein Haus wurde geplündert
und niedergebrannt und er zunächst ins Exil geschickt; später
durfte er immerhin wieder nach Chora in das Erlöserkloster zurückkehren,
das er vor Jahren auf eigene Kosten hatte restaurieren und ausschmücken
lassen. Dort, ganz in der Nähe der Stelle, an der die Landmauer an
das Ufer des Goldenen Horns stößt, nur einen Steinwurf vom Blachernenpalast
entfernt, verbrachte er seine letzten Lebensjahre und starb im März
1332.
Er überlebte Andronikos
II. um einen Monat. Nach der Abdankung blieb der alte Kaiser
noch zwei Jahre in Konstantinopel. Dann wurde auch er in ein Kloster abgeschoben,
wo er den Namen Antonios erhielt. Am 13. Februar 1332 speiste er
noch einmal mit seiner Tochter Simonis,
die er als fünfjährige mehr als 30 Jahre zuvor mit dem inzwischen
verstorbenen Stephan Milutin von Serbien
hatte trauen lassen. Wenige Stunden nach dem Essen verschied er, im Alter
von 73 Jahren; er hatte beinahe ein halbes Jahrhundert lang regiert. Selten
in seiner 1.000-jährigen Geschichte hätte Byzanz ein starkes
und entschlossenes Oberhaupt mehr benötigt. Selten hatte es ein schwächeres
erlebt. Wäre Andronikos II. mehr
Staatsmann als Frömmler gewesen, hätte er die Initiative ergriffen,
anstatt darauf zu warten, dass sich alles von selbst regelte, hätte
er nur halb so viel diplomatisches Geschick wie sein Vater, halb so viel
Mut wie sein Sohn oder Energie wie sein Enkel besessen, dann hätte
er möglicherweise die katalanische Truppe und den Sturz des Seldschuken-Sultanats
nutzen, ja vielleicht sogar den Niedergang des Reichs aufhalten können.
Doch er strebte weder ein Ideal an, noch hatte er offenbar ein klares politisches
Ziel vor Augen und ließ das Reich steuerlos von einer Katastrophe
in die nächste schliddern, bis Andronikos
III. - der trotz all seiner Fehler wußte, was er wollte
und, bereit war, dafür zu kämpfen - ihm sachte, aber entschlossen
die Regierung aus der Hand nahm. Die Bevölkerung in ihrem Unglück,
belagert, dem Verhungern nahe und von sinnlosen Steuern zu Boden gedrückt,
war froh, dass sie ihn endlich los war.