Jahrbücher von Fulda:
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in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte
 

Das Jahr 887.
 

Ein harter Winter und mehr als gewöhnlich ausgedehnt. Auch eine Rinder- und Schaf-Pest wüthete übermäßig in Franken, dergestalt, daß fast keine Thiere diese Art übrig blieben. Der Kaiser hatte mit den Seinigen eine Unterredung in Weibilingon. In alten Zeiten, d. i. seitdem er zum König in Alamannien eingesetzt war, hatte er einen aus ganz  niedrigem Geschlecht gebornen, Namens Liutward, über alle in seinem Reich erhoben, derstalt, daß er Aman, dessen in dem Buch Hester Erwähnung geschehen ist, an Namen und Würde übertraf. Denn jener war nach König Assuerus der Zweite, dieser aber ging dem Kaiser voran und wurde mehr als der Kaiser von allen geehrt und gefürchtet. Denn die Töchter der Edelsten in Alamannien und Italien raubte er ohne irgend jemandes Widerspruch und gab sie zur Heirath an seine Verwandten. Sogar bis zu solcher Thorheit, ja Wahnsinn, ließ er sich fortreißen, daß er in ein Mädchenkloster einbrach, welches in der Stadt Brixia lag, und durch einige seiner Freunde die Tochter des Grafen Unruoch, eine Verwandte des Kaisers, gewaltsam raubte und seinem Neffen zur Ehe gab. Aber die Nonnen dieses Ortes wandten sich mit Gebet an den Herrn, daß er die dem heiligen Ort zugefügte Schmach räche; ihre Bitten wurden sofort erhört. Denn der, welcher sich das Mädchen in ehelicher Weise zuzugesellen Willens war, starb durch Gottes Richterspruch in derselben Nacht, und das Mädchen blieb unberührt. Dies wurde einer Nonne Namens . . . in dem obengenannten Kloster offenbart, und diese zeigte es den übrigen an. Als aber der erwähnte Liutwart dergleichen im Reiche des Kaisers einige Jahre hindurch getrieben, mühte er sich endlich, von eitlem Wahn aufgeblasen und von Habsucht verblendet, den katholischen Glauben zu verkehren und unsern Erlöser zu verkleinern, indem er behauptete, daß jener Eins sei durch die Einheit der Substanz, nicht der Person, während doch die Kirche glaubt und bekennt, daß er in zwei Substanzen Eine Person habe; und wer dies leugnet, schmäht wahrlich den, welcher gekommen ist zu suchen und zu erlösen was verloren war. Denn wäre er nicht ein wahrer Gott, so würde er nicht Heil bringen; wäre er nicht ein wahrer Mensch, so würde er nicht ein Beispiel darbieten. Doch eben der König der Könige erregte in diesem Jahr des Kaisers Gemüth gegen den Lästerer; nach einer Unterredung mit den Seinen, die in einem Orte Namens Kirihheim stattfand, setzte erihn ab, daß er nicht Erzcaplan blieb, nahm ihm viele Lehen und trieb ihn als Ketzer und allen verhaßt mit Schande aus dem Palast. Doch jener begab sich nach Baiern zu Arnulf und sann mit diesem darauf, wie er den Kaiser der Herrschaft berauben könne; was auch geschah. Denn als eben dieser Kaiser in dem Flecken Tribure saß, die Ankunft der Seinigen von überallher zu erwarten, kommt Arnulf mit einer starken Mannschaft Noriker und Sclaven dazu und wird ihm aufsätzig. Alle Edlen der Franken, die sich gegen den Kaiser verschworen hatten und zu ihm kamen, nahm er unter seine Oberhoheit auf, diejenigen, welche zu kommen verweigerten, beraubte er der Lehen und ließ dem Kaiser nur die niedrigsten Personen zur Bedienung. Der Kaiser übersandte ihm durch den Erzbischof Liutbert Holz vom heiligen
Kreuze, auf welches ihm jener Treue zu halten vormals geschworen hatte, daß er seiner Eidschwüre eingedenk, nicht so grausam und barbarisch gegen ihn handle. Bei diesem Anblick soll jener Thränen vergossen haben, dennoch schaltete er nach Belieben über das Reich und zog sich nach Baiern zurück; der Kaiser aber ging mit den wenigen, die bei ihm waren, nach Alamannien zurück. Auf die Kunde von der Franken Uneinigkeit und der Absetzung ihres Kaisers, verwüsteten die  Nordmannen sehr viele Orte, welche sie früher gar nicht berührt hatten. Auch zu der Stadt Reims sollen sie gekommen sein,
aber um der Verdienste des heiligen Remigius Willen umgab Gott sowohl das außerhalb der Stadt gelegene Kloster, als auch die Stadt selber drei Tage hindurch mit einem dichten Nebel, so daß sie keines von beiden finden noch auch sehen konnten. Darob bestürzt im Geiste und gleicherweise zu
Schanden geworden, zogen sie ab.
 

Fünfter Theil.
 

Baierische Fortsetzung von dem Jahre 882 bis zu dem Jahre 901.
 

Das Jahr 886.
 

Den Geburtstag des Herrn feierte der Kaiser in Radasbona. Von da zog er auf die Einladung des Papstes nach Italien und schickte den Bischof Liutward nach Rom. Dort wurde vieles nach Wunsch festgestellt; unter anderem  verordnete der oberste Bischof auf des Königs Anfrage, daß den
Bischöfen, deren Sprengel von den Heiden offenkundig gänzlich verwüstet wären, andere nicht eingenommene Sitze eingeräumt werden sollten. Am heiligen Palmentage brach unglücklicherweise in der Stadt Papia ein Streit aus zwischen den Trabanten des Königs und den Bürgern. Als nun von der einen Seite viele gefallen, auf der anderen von den Bürgern der Stadt viele verwundet waren, flohen sie aus Furcht wegen der Nähe des Kaisers, der damals auf dem Hof Olonna sich während der Ostern aufhielt, und endeten auf dem Wege ihr Leben.

Nach Ostern, als in Papia ein Reichstag abgehalten war, zog der Kaiser durch Burgund nach Gallien, den Nordmannen entgegen, welche damals zu Parisii waren. Als daselbst Heimrich, Markgraf der Franken, welcher in der Zeit Niustrien (Neustrien) hütete, umgekommen war, zieht der König nach
wenig glücklichen Erfolgen heim. Zwietracht entsteht zwischen einem Verwandten des Königs Perangar, welcher Friaul besitzt, und Bischof Liutward. Deswegen rückt Perangar aus, die Stadt Vercelli zu plündern, und dorthingekommen, raubt er viel von des Bischofs Sachen und kehrt, nachdem er seine Absicht erreicht hat, wieder heim.

Zur Zeit des Herbstes wuchsen die Gewässer mehr als  gewöhnlich und schwollen unerwartet an. Denn im Osten wurden von den über das Ufer ausbrechenden Fluthen unvermuthet die umliegenden Dörfer fortgerissen, dergestalt, daß man sie mit den inwohnenden Männern, Weibern, Kindlein bis zum
Untergang vernichtet sieht. Innerhalb der Alpen aber war eine so reißende Strömung der Gewässer und Zusammenstoß von Steinen, daß man Biegungen und Spuren von Wegen längs der  abschüssigen Seiten des Gebirges auf keine Weise mehr wird  erblicken können.