Als Burchard unversehens in Oberitalien ums Leben
kam, war er vermutlich 30 bis 35 Jahre alt.
Es besteht zwar stillschweeigender Konsens, daß
der spätere Herzog Burchard II. (954-973) ein nachgelassener
Sohn Burchards und der Reginlind sei, sichere Kunde davon
haben wir aber nicht [Dagegen siehe Eduard Hlawitschka,
Untersuchungen..]. Doch selbst wenn das zuträfe und
Burchard
II. damals schon auf dieser Welt gewesen sein sollte, mußte die
Witwe Reginlind befürchten, daß ihr Sohn wegen Minderjährigkeit
bei der Nachfolgeregelung übergangen und in seinem Erbe beschnitten
würde, ganz davon zu schweigen, daß sie nun schutzlos den Feinden
und Rivalen ihres Gatten ausgeliefert war.
Reginlind, die Witwe des erschlagenen Herzogs,
stand 926 ebenfalls noch in jugendlichem Alter, denn sie verstarb nicht
vor Frühjahr 958 [6 D O I Nr. 193 vom 29. April 958; vgl. R.
Rappmann/A. Zettler, Die Reichenauer Mönchsgemeinschaft und ihr Totengedenken
im frühen Mittelalter (Archäologie und Geschichte 5); Sigmaringen
1998, Seite 448f.], obwohl ihre Tochter Berta
bereits 922, vermutlich noch im Kindesalter, dem König
Rudolf II. von Burgund und Italien vermählt worden war.
Es bleibt deshalb auch offen, ob der spätere Herzog Burchard II.
(954-973) tatsächlich ein Sohn Burchards I. und der
Reginlind war; er könnte genausogut ein Neffe des Herzogs gewesen
sein. Nur der Name und Burchards II. spätere Nachfolge im Herzogtum
haben zu der besagten Annahme geführt [7 Andererseits macht
es sich G. Althoff, Die Ottonen; Stuttgart 2000 Seite 52 zu einfach, wenn
er feststellt: "Burkhard hatte keine Söhne..."].
Wenn in Worms die Herzogin-Witwe Reginlind erschien
und vom König gnädig empfangen wurde, weist das auf eine Schwierigkeit
hin, die bereits seit der Ernennung Hermanns 926 bestand und die
spätestens in Worms wieder auf den Tisch gekommen sein muß:
die Ansprüche des Reginlind-Sohnes Burchard (Herzog
954-973) auf Schwaben. Und diese Ansprüche zu mißachten
oder gar zu übergehen, konnte schon im Hinblick auf die Italienpolitik
nicht im Sinne OTTOS sein. Burchard
war nämlich ein Onkel und Reginlind eine Großmutter jener
italienischen Königin Adelheid, die
OTTO
im Jahr darauf zu seiner Gemahlin erkor. Reginos Fortsetzer sagt in einem
Atemzug, OTTO habe Reginlind
gnädig empfangen und seinem Sohn Liudolf
das
Herzogtum Alemannien anvertraut. Eines aber ist klar:
Liudolf kann das Herzogtum nur "anvertraut" worden sein, wenn
zuvor eine passable Regelung der Ansprüche Burchards gefunden
worden war.
Worin bestand nun der Wormser Kompromiß im März
950? OTTO faßte offenbar schon
zu diesem frühen Zeitpunkt ins Auge, Liudolf
nach einer Übergangszeit in Schwaben in Italien einzusetzen, wenn
die Krone erst gewonnen wäre. Dieser Plan setzte beträchtliche
Zugeständnisse an Reginlind und Burchard für deren
vorläufigen Verzicht voraus: das Herzogtum wurde ihnen zumindest mittelfristig
in Aussicht gestellt. Und Burchard mag die angestammten Grafschaften
seines Hauses - Rätien hatte zuvor Hermann selbst innegehabt
- schon im Worms zurück erhalten haben. Vielleicht gehörte auch
OTTOS
italienisches "Objekt der Begierde",
Königin
Adelheid (sie war Nichte von Liudolfs
Gemahlin
Ita), zur Verhandlungsmasse. Sie hätte in diesem Falle sozusagen
das Unterpfand für die italienische Krone und gleichzeitig für
das Herzogtum Schwaben gebildet. Für Schwaben wichtiger sollte ein
weiteres Zugeständnis des Königs gegenüber
Burchard werden,
das ebenfalls in Worms ausgehandelt worden sein muß. Es gelang dem
König, die Ehe Burchards mit seiner bayerischen Nichte Hadwig
anzubahnen [75
In Worms bzw. wenig später weilten Herzog
Heinrich, der Vater Hadwigs,
und Brun, der andere Bruder
König OTTOS, ebenfalls am Hofe: J.F. Böhmer/E. von
Ottenthal, Regsta Imperii II/1, Innsbruck 1893 ND Hildesheim 1967, Nr.
186.]. Diese dürfter das zweite entscheidende Unterpfand Burchards
für
das Herzogtum gewesen sein - genauso wie diese Ehe Grund genug für
Liudolf
bot, seine Potestas in Schwaben durch Heinrichs
Machenschaften gemindert zu sehen. Widukind trifft genau diesen Punkt,
wenn er Burchard vorstellt und charakterisiert allein mit dem Halbsatz
"verheiratet mit der Tochter des Bruders des Königs"! Unter diesen
Voraussetzungen erscheint Liudolf
von
Anfang an eher als Verweser des Herzogtums in Schwaben und als "Herzog
auf Zeit", wie es seinem hohen Rang als Thronfolger in der königlichen
Familie eigentlich auch entsprach.
Unter ihnen findet sich an vierter Stelle nach dem letzten
Herimannus
der Name Purchardus, der sich kaum auf den zu Worms im Frühjahr
950 vertrösteten späteren Herzog bezieht, sondern eher auf einen
anderen Gefolgsmann Liudolfs, vielleicht
den, der beim Hoftag in Worms einen Zweikampf mit dem Grafensohn Konrad
in Sachen einer Nichte des Königs für sich entschied [84 Vgl.
Adalberti Continuatio Reginonis ad a. 950, ed. A. Bauer/R. Rau, Quellen
zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit (Ausgewählte Quellen
zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe
8), Darmstadt 1977, Seite 204f. - Es sei noch angemerkt, daß es sich
bei der hier erwähnten "Nichte des Königs" sehr wohl sogar um
Hadwig,
seither Gemahlin Burchards II. von Schwaben, gehandelt haben.
Persönlicher Einwurf: Warum soll sich ein
Gefolgsmann Liudolfs mit dem KONRADINER
schlagen, wenn es sich bei der beleidigten "neptis" entweder um Herzog
Burchards (spätere) Gemahlin
Hadwig,
seine Halbschwester Ida oder die Schwester seines Schwagers Liudolf,
Herzogin
Liutgard von Lothringen, handelt. Naheliegend wäre es also,
in dem "Sachsen" Burkhard den späteren
Herzog von Schwaben
zu sehen, der als von den Chronisten bezeugter ausgezeichneter Feldherr
sicher im Umgang mit den Waffen gewesen sein dürfte.].
Gemäß den Absprachen, die bereits bei
Liudolfs Antritt als Herzog auf den Tag zu Worms 950 getroffen
worden waren, händigte König OTTO das
Herzogtum im Dezember 954 Burchard, dem Sohn Herzog Burchards
I. und Reginlinds, aus. Seit Worms war die Nachfolge Burchards
II. in Anerkennung seiner väterlichen Ansprüche vorgesehen
gewesen, abgesichert durch die mit großer Wahrscheinlichkeit schon
dort, zumindest im Sinne einer Verlobung, arrangierte Ehe Burchards
mit
Heinrichs Tochter Hadwig,
der Nichte König OTTOS.
Mit dem Herzogspaar Burchard und Hadwig
beginnt einerseits eine Periode herrschaftlicher Kontinuität in Schwaben,
die bis zum Tode der Herzogin 994 andauerte. Andererseits setzte mit der
Sukzession Burchards II. im Herzogtum 954 und seiner nahezu zwanzigjährigen
Herrschaft ein Wettstreit zwischen den drei Adelsfamilien der BURCHARDE,
der KONRADINER und der LIUDOLFINGER
in ihren beiden Zweigen, dem ottonischen
wie dem bayerischen, ein.
Von Burchard berichten die zeitgenössischen
Chronisten wenig, doch handelt es sich bei dem Wenigen vorwiegend um Gutes.
Widukind von Corvey stellt Burchard in seiner berühmten Schilderung
der Schlacht gegen die Ungarn auf dem Lechfeld bei Augsburg 955, das bekanntlich
in Schwaben lag, seinem Publikum vor. Der Akzent liegt auf der Charakterisierung
Burchards
als Herzog und Fürst: "Burchard, verheiratet mit der Tochter
des Bruders des Königs". Das Heer, das Anfang August auf dem Lechfeld
Aufstellung nahm, bestand aus acht Legionen. Die ersten drei bildeten die
Bayern, deren Befehlshaber, der Königsbruder
Heinrich,
allerdings krank darniederlag (+ 955). Die Franken unter dem Befehl Herzog
Konrads - er kam am Rande der Schlacht durch einen ungarischen Pfeil zu
Tode - formten die vierte Legion, während die fünfte, die mittlere
also, von König OTTO selbst angeführt
wurde. Auf der anderen Flanke der Schlachtordnung standen die beiden schwäbischen
Legionen unter Herzog Burchard und ein böhmischer Verband ohne
eigenen Kommandantern. Auf den ersten Blick verhüllen Widukinds knappe
Worte eher seine Einschätzung des Schwaben-Herzogs als daß sie
eine solche erkennen ließen. Doch wird Burchard hier neben
dem König auf eine Weise als Ungarnbezwinger hervorgehoben, die ihresgleichen
sucht. Denn aufs Ganze betrachtet, porträtiert ihn der Chronist als
einzigen ernst zu nehmenden Heerführer neben König
OTTO auf dem Lechfeld, der folglich entscheidend zum großen
Ungarnsieg im August 955 beitrug!
Eine Erzählung aus der Feder des Regino-Fortsetzers
beleuchtet beispielhaft, auf welche Weise Burchard II. die schon
zur Tradition gewordene Italien-Politik der schwäbischen Herzöge
weiterführte. Kaiser OTTO I. konnte
König
Berengar nach erfolgreicher Belagerung der Festung San Leo 963
in seine Gewalt bringen und nach Bamberg in die Verbannung schicken. Zu
Beginn des Jahres 965 fiel indes eine Fraktion der Langobarden vom Kaiser
ab und führte Berengars
Sohn Adalbert,
dem die Flucht geglückt war, nach Italien zurück. Es war Herzog
Burchard von Schwaben, der OTTO
bereits auf dem Italienzug 961/62 begleitet hatte und jetzt vom Kaiser
nach Italien entsandt wurde, um diese Scharte auszuwetzen. In der Lombardei
angelangt, lieferte Burchard ein Kabinettstück seiner Kriegskunst.
Er fuhr, so meldet der Chronist, mit den kasiertreuen Langobarden und seinen
Alemannen zu Schiff den Po hinab und landete in der Gegend, wo sich Adalbert
versteckt hielt. Sofort bei der Landung schlugen die vereinigten lombardisch-alemannischen
Ritter den Adalbert in die Flucht.
Die meisten seiner Anhänger, darunter Adalberts
Bruder Wido, blieben auf dem Schlachtfeld,
und stolz konnte der Herzog nach seiner Rückkehr dem Kaiser über
den militärischen Erfolg berichten.
Aber nicht nur militärische Großtaten in Italien
vollbrachte Burchard im Auftrag des Kaisers, sondern zu seinen Aufgaben
gehörte auch die Bereitung der Transitwege durch Schwaben, das Geleit
und die Teilnahme an den Italien-Expeditionen der Herrscher. Wie schon
erwähnt, begleitete Burchard König OTTO
zur Kaiserkrönung nach Rom 962, und bei der Rückkehr des Kaisers
aus Italien im Winter 964/65 führte er den Hof über Rätien
und durch sein Herzogtum bis nach Heimsheim genau an der Grenze zwischen
Schwaben und Franken, wo OTTO von seinen
Söhnen König OTTO II. und
Erzbischof
Wilhelm von Mainz in Empfang genommen wurde.
Was die Rechte und Besitzungen in seinem Regnum Schwaben
angeht, so ist es in der geboteten Kürze schwierig, auch nur einigermaßen
einen Überblick zu gewinnen. Die altangestammte Grafschaft (oder Grafschaften)
der BURCHARDE in Rätien scheint noch unter dem Dukat Hermanns
I. oder spätestens in Worms 950 an Liudolf
übergegangen zu sein. Das bezeugt unter anderem der oben näher
besprochene Eintrag Liudolfs in das
Gedenkbuch des rätischen Klosters Pfäfers (oben Seite 114). Bei
Liudolfs
Tod kam die Grafschaft wahrscheinlich an dessen 954 geborenen Sohn Otto,
der sie jedenfalls in der Zeit seines Dukats 973 bis 982 inne hatte. Der
Besitz Rätiens spielte eine wichtige Rolle, wenn nicht gar die entscheidende
Rolle bei der Entscheidung König OTTOS II.
für
die Ernennung Ottos im Herzogtum Schwaben
973. Über dieses Land seiner Vorväter, Gravitationszentrum des
frühen Herzogtums und Ausgangspunkt von Burchards I. und Hermanns
Herrschaft,
konnte Burchard II. - wie auch seine Nachfolger nicht mehr verfügen.
Im Ganzen betrachtet, bedeutete dies eine Schwächung seines Dukats,
doch hatte er die ebenfalls von seinen Väern überkommene
Grafschaft
im Thurgau inne. Mit der Münze in Breisach, dem traditionsreichen
Vorort des Breisgaus, dem ebendort gelegenen Kloster Waldkirch, das er
zusammen mit Hadwig Kaiser OTTO I. tradierte,
sowie dem reichen Fiskus Sasbach, den Burchard vom Kaiser zu Lehen
trug, zeichnet sich des Weiteren ein Besitzschwerpunkt Burchards
am Westrand Schwabens ab. Vielleicht geht die ausdrückliche Bezeichnung
des Herzogs als kaiserlicher Lehnsmann in einer 967 in Ravenna ausgestellten
päpstlich-kaiserlichen Gerichtsurkunde gerade auf dieses wichtige
Lehen zurück.
Als Inhaber der Grafschaft im Thurgau, deren Besitz
aufgrund ihrer Zentralität, ihrer Ausdehnung und ihres Reichtums auch
noch für spätere Herzöge und Anwärter auf das Herzogtum
in Schwaben unverzichtbar war, richtete sich Burchard besonderes
Augenmerk auf das Bodensee- und Hochrheingebiet, das sich im Verlauf der
Geschichte immer wieder als Hauptsache des Regnum Alamannorum erwies. Den
monastischen und kirchlichen Zentren Schwabens, Reichenau, St. Gallen,
Einsiedeln, Zürich, wo seine Mutter Reginlind dem Frauenmünster
als Äbtissin vorstand (+ nach 958), und Konstanz scheint der Herzog
mit seiner Familie engstens verbunden gewesen zu sein. Nachweislich suchte
er die altehrwürdige Abtei Reichenau mehrfach gemeinsam mit dem kaiserlichen
Hof auf, und den Inselmönchen machte er mit der Übertragung des
königlichen Fiskus Schleitheim bei Schaffhausen (Klettgau) eine große
Zuwendung - vermutlich im Zusammenhang seines Bestrebens, wies ein Vorgänger
Hermann
unter deren Augen im Mittelzeller Kloster Grab und Seelenheil zu finden.
Auch Konstanz und St. Gallen besuchte Herzog Burchard gegen Ende
seines Lebens gemeinsam mit dem kaiserlichen Hof .
Als Herzog Burchard am 11. oder 12. November
973, wenige Monate nach Kaiser OTTO,
starb, fand er seine letzte Ruhe in dem von ihm beschenkten Kloster Reichenau.
Laut Hermann dem Lahmen wurde er in eben jener Kapelle des hl. Erasmus
bestattet, wo sein Vorgänger Hermann I. ruhte. Dessen an ein
"Herrschergrab" gemahnende Ruhestätte und die Tatsache, daß
König
OTTO und Liudolf für
jenen ein Seelgerät am selben ort, in der Erasmuskapelle, eingerichtet
hatten, mag Burchard bewogen haben, sich an Hermann
"anzuschließen",
zumal er ja mit namhaften Dotationen an die Abtei im Untersee dieses schon
vorbereitet hatte.