Zettler, Alfons: Seite 119-121,139-140,142,146-152,156,171
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"Geschichte des Herzogtums Schwaben."

Als Burchard unversehens in Oberitalien ums Leben kam, war er vermutlich 30 bis 35 Jahre alt.
Es besteht zwar stillschweeigender Konsens, daß der spätere Herzog Burchard II. (954-973) ein nachgelassener Sohn Burchards und der Reginlind sei, sichere Kunde davon haben wir aber nicht [Dagegen siehe Eduard Hlawitschka, Untersuchungen..]. Doch selbst wenn das zuträfe und Burchard II. damals schon auf dieser Welt gewesen sein sollte, mußte die Witwe Reginlind befürchten, daß ihr Sohn wegen Minderjährigkeit bei der Nachfolgeregelung übergangen und in seinem Erbe beschnitten würde, ganz davon zu schweigen, daß sie nun schutzlos den Feinden und Rivalen ihres Gatten ausgeliefert war.
Reginlind, die Witwe des erschlagenen Herzogs, stand 926 ebenfalls noch in jugendlichem Alter, denn sie verstarb nicht vor Frühjahr 958 [6 D O I Nr. 193 vom 29. April 958; vgl. R. Rappmann/A. Zettler, Die Reichenauer Mönchsgemeinschaft und ihr Totengedenken im frühen Mittelalter (Archäologie und Geschichte 5); Sigmaringen 1998, Seite 448f.], obwohl ihre Tochter Berta bereits 922, vermutlich noch im Kindesalter, dem König Rudolf II. von Burgund und Italien vermählt worden war. Es bleibt deshalb auch offen, ob der spätere Herzog Burchard II. (954-973) tatsächlich ein Sohn Burchards I. und der Reginlind war; er könnte genausogut ein Neffe des Herzogs gewesen sein. Nur der Name und Burchards II. spätere Nachfolge im Herzogtum haben zu der besagten Annahme geführt [7 Andererseits macht es sich G. Althoff, Die Ottonen; Stuttgart 2000 Seite 52 zu einfach, wenn er feststellt: "Burkhard hatte keine Söhne..."].
Wenn in Worms die Herzogin-Witwe Reginlind erschien und vom König gnädig empfangen wurde, weist das auf eine Schwierigkeit hin, die bereits seit der Ernennung Hermanns 926 bestand und die spätestens in Worms wieder auf den Tisch gekommen sein muß: die Ansprüche des Reginlind-Sohnes Burchard (Herzog 954-973) auf Schwaben. Und diese Ansprüche zu mißachten oder gar zu übergehen, konnte schon im Hinblick auf die Italienpolitik nicht im Sinne OTTOS sein. Burchard war nämlich ein Onkel und Reginlind eine Großmutter jener italienischen Königin Adelheid, die OTTO im Jahr darauf zu seiner Gemahlin erkor. Reginos Fortsetzer sagt in einem Atemzug, OTTO habe Reginlind gnädig empfangen und seinem Sohn Liudolf das Herzogtum Alemannien anvertraut. Eines aber ist klar: Liudolf kann das Herzogtum nur "anvertraut" worden sein, wenn zuvor eine passable Regelung der Ansprüche Burchards gefunden worden war.
Worin bestand nun der Wormser Kompromiß im März 950? OTTO faßte offenbar schon zu diesem frühen Zeitpunkt ins Auge, Liudolf nach einer Übergangszeit in Schwaben in Italien einzusetzen, wenn die Krone erst gewonnen wäre. Dieser Plan setzte beträchtliche Zugeständnisse an Reginlind und Burchard für deren vorläufigen Verzicht voraus: das Herzogtum wurde ihnen zumindest mittelfristig in Aussicht gestellt. Und Burchard mag die angestammten Grafschaften seines Hauses - Rätien hatte zuvor Hermann selbst innegehabt - schon im Worms zurück erhalten haben. Vielleicht gehörte auch OTTOS italienisches "Objekt der Begierde", Königin Adelheid (sie war Nichte von Liudolfs Gemahlin Ita), zur Verhandlungsmasse. Sie hätte in diesem Falle sozusagen das Unterpfand für die italienische Krone und gleichzeitig für das Herzogtum Schwaben gebildet. Für Schwaben wichtiger sollte ein weiteres Zugeständnis des Königs gegenüber Burchard werden, das ebenfalls in Worms ausgehandelt worden sein muß. Es gelang dem König, die Ehe Burchards mit seiner bayerischen Nichte Hadwig anzubahnen [75 In Worms bzw. wenig später weilten Herzog Heinrich, der Vater Hadwigs, und Brun, der andere Bruder König OTTOS, ebenfalls am Hofe: J.F. Böhmer/E. von Ottenthal, Regsta Imperii II/1, Innsbruck 1893 ND Hildesheim 1967, Nr. 186.]. Diese dürfter das zweite entscheidende Unterpfand Burchards für das Herzogtum gewesen sein - genauso wie diese Ehe Grund genug für Liudolf bot, seine Potestas in Schwaben durch Heinrichs Machenschaften gemindert zu sehen. Widukind trifft genau diesen Punkt, wenn er Burchard vorstellt und charakterisiert allein mit dem Halbsatz "verheiratet mit der Tochter des Bruders des Königs"! Unter diesen Voraussetzungen erscheint Liudolf von Anfang an eher als Verweser des Herzogtums in Schwaben und als "Herzog auf Zeit", wie es seinem hohen Rang als Thronfolger in der königlichen Familie eigentlich auch entsprach.
Unter ihnen findet sich an vierter Stelle nach dem letzten Herimannus der Name Purchardus, der sich kaum auf den zu Worms im Frühjahr 950 vertrösteten späteren Herzog bezieht, sondern eher auf einen anderen Gefolgsmann Liudolfs, vielleicht den, der beim Hoftag in Worms einen Zweikampf mit dem Grafensohn Konrad in Sachen einer Nichte des Königs für sich entschied [84 Vgl. Adalberti Continuatio Reginonis ad a. 950, ed. A. Bauer/R. Rau, Quellen zur Geschichte der sächsischen Kaiserzeit (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 8), Darmstadt 1977, Seite 204f. - Es sei noch angemerkt, daß es sich bei der hier erwähnten "Nichte des Königs" sehr wohl sogar um Hadwig, seither Gemahlin Burchards II. von Schwaben, gehandelt haben.
Persönlicher Einwurf: Warum soll sich ein Gefolgsmann Liudolfs mit dem KONRADINER schlagen, wenn es sich bei der beleidigten "neptis" entweder um Herzog Burchards (spätere) Gemahlin Hadwig, seine Halbschwester Ida oder die Schwester seines Schwagers Liudolf, Herzogin Liutgard von Lothringen, handelt. Naheliegend wäre es also, in dem "Sachsen" Burkhard den späteren Herzog von Schwaben zu sehen, der als von den Chronisten bezeugter ausgezeichneter Feldherr sicher im Umgang mit den Waffen gewesen sein dürfte.].
Gemäß den Absprachen, die bereits bei Liudolfs Antritt als Herzog auf den Tag zu Worms 950 getroffen worden waren, händigte König OTTO das Herzogtum im Dezember 954 Burchard, dem Sohn Herzog Burchards I. und Reginlinds, aus. Seit Worms war die Nachfolge Burchards II. in Anerkennung seiner väterlichen Ansprüche vorgesehen gewesen, abgesichert durch die mit großer Wahrscheinlichkeit schon dort, zumindest im Sinne einer Verlobung, arrangierte Ehe Burchards mit Heinrichs Tochter Hadwig, der Nichte König OTTOS.
Mit dem Herzogspaar Burchard und Hadwig beginnt einerseits eine Periode herrschaftlicher Kontinuität in Schwaben, die bis zum Tode der Herzogin 994 andauerte. Andererseits setzte mit der Sukzession Burchards II. im Herzogtum 954 und seiner nahezu zwanzigjährigen Herrschaft ein Wettstreit zwischen den drei Adelsfamilien der BURCHARDE, der KONRADINER und der LIUDOLFINGER in ihren beiden Zweigen, dem ottonischen wie dem bayerischen, ein.
Von Burchard berichten die zeitgenössischen Chronisten wenig, doch handelt es sich bei dem Wenigen vorwiegend um Gutes. Widukind von Corvey stellt Burchard in seiner berühmten Schilderung der Schlacht gegen die Ungarn auf dem Lechfeld bei Augsburg 955, das bekanntlich in Schwaben lag, seinem Publikum vor. Der Akzent liegt auf der Charakterisierung Burchards als Herzog und Fürst: "Burchard, verheiratet mit der Tochter des Bruders des Königs". Das Heer, das Anfang August auf dem Lechfeld Aufstellung nahm, bestand aus acht Legionen. Die ersten drei bildeten die Bayern, deren Befehlshaber, der Königsbruder Heinrich, allerdings krank darniederlag (+ 955). Die Franken unter dem Befehl Herzog Konrads - er kam am Rande der Schlacht durch einen ungarischen Pfeil zu Tode - formten die vierte Legion, während die fünfte, die mittlere also, von König OTTO selbst angeführt wurde. Auf der anderen Flanke der Schlachtordnung standen die beiden schwäbischen Legionen unter Herzog Burchard und ein böhmischer Verband ohne eigenen Kommandantern. Auf den ersten Blick verhüllen Widukinds knappe Worte eher seine Einschätzung des Schwaben-Herzogs als daß sie eine solche erkennen ließen. Doch wird Burchard hier neben dem König auf eine Weise als Ungarnbezwinger hervorgehoben, die ihresgleichen sucht. Denn aufs Ganze betrachtet, porträtiert ihn der Chronist als einzigen ernst zu nehmenden Heerführer neben König OTTO auf dem Lechfeld, der folglich entscheidend zum großen Ungarnsieg im August 955 beitrug!
Eine Erzählung aus der Feder des Regino-Fortsetzers beleuchtet beispielhaft, auf welche Weise Burchard II. die schon zur Tradition gewordene Italien-Politik der schwäbischen Herzöge weiterführte. Kaiser OTTO I. konnte König Berengar nach erfolgreicher Belagerung der Festung San Leo 963 in seine Gewalt bringen und nach Bamberg in die Verbannung schicken. Zu Beginn des Jahres 965 fiel indes eine Fraktion der Langobarden vom Kaiser ab und führte Berengars Sohn Adalbert, dem die Flucht geglückt war, nach Italien zurück. Es war Herzog Burchard von Schwaben, der OTTO bereits auf dem Italienzug 961/62 begleitet hatte und jetzt vom Kaiser nach Italien entsandt wurde, um diese Scharte auszuwetzen. In der Lombardei angelangt, lieferte Burchard ein Kabinettstück seiner Kriegskunst. Er fuhr, so meldet der Chronist, mit den kasiertreuen Langobarden und seinen Alemannen zu Schiff den Po hinab und landete in der Gegend, wo sich Adalbert versteckt hielt. Sofort bei der Landung schlugen die vereinigten lombardisch-alemannischen Ritter den Adalbert in die Flucht. Die meisten seiner Anhänger, darunter Adalberts Bruder Wido, blieben auf dem Schlachtfeld, und stolz konnte der Herzog nach seiner Rückkehr dem Kaiser über den militärischen Erfolg berichten.
Aber nicht nur militärische Großtaten in Italien vollbrachte Burchard im Auftrag des Kaisers, sondern zu seinen Aufgaben gehörte auch die Bereitung der Transitwege durch Schwaben, das Geleit und die Teilnahme an den Italien-Expeditionen der Herrscher. Wie schon erwähnt, begleitete Burchard König OTTO zur Kaiserkrönung nach Rom 962, und bei der Rückkehr des Kaisers aus Italien im Winter 964/65 führte er den Hof über Rätien und durch sein Herzogtum bis nach Heimsheim genau an der Grenze zwischen Schwaben und Franken, wo OTTO von seinen Söhnen König OTTO II. und Erzbischof Wilhelm von Mainz in Empfang genommen wurde.
Was die Rechte und Besitzungen in seinem Regnum Schwaben angeht, so ist es in der geboteten Kürze schwierig, auch nur einigermaßen einen Überblick zu gewinnen. Die altangestammte Grafschaft (oder Grafschaften) der BURCHARDE in Rätien scheint noch unter dem Dukat Hermanns I. oder spätestens in Worms 950 an Liudolf übergegangen zu sein. Das bezeugt unter anderem der oben näher besprochene Eintrag Liudolfs in das Gedenkbuch des rätischen Klosters Pfäfers (oben Seite 114). Bei Liudolfs Tod kam die Grafschaft wahrscheinlich an dessen 954 geborenen Sohn Otto, der sie jedenfalls in der Zeit seines Dukats 973 bis 982 inne hatte. Der Besitz Rätiens spielte eine wichtige Rolle, wenn nicht gar die entscheidende Rolle bei der Entscheidung König OTTOS II. für die Ernennung Ottos im Herzogtum Schwaben 973. Über dieses Land seiner Vorväter, Gravitationszentrum des frühen Herzogtums und Ausgangspunkt von Burchards I. und Hermanns Herrschaft, konnte Burchard II. - wie auch seine Nachfolger nicht mehr verfügen. Im Ganzen betrachtet, bedeutete dies eine Schwächung seines Dukats, doch hatte er die ebenfalls von seinen Väern überkommene Grafschaft im Thurgau inne. Mit der Münze in Breisach, dem traditionsreichen Vorort des Breisgaus, dem ebendort gelegenen Kloster Waldkirch, das er zusammen mit Hadwig Kaiser OTTO I. tradierte, sowie dem reichen Fiskus Sasbach, den Burchard vom Kaiser zu Lehen trug, zeichnet sich des Weiteren ein Besitzschwerpunkt Burchards am Westrand Schwabens ab. Vielleicht geht die ausdrückliche Bezeichnung des Herzogs als kaiserlicher Lehnsmann in einer 967 in Ravenna ausgestellten päpstlich-kaiserlichen Gerichtsurkunde gerade auf dieses wichtige Lehen zurück.
Als Inhaber der Grafschaft im Thurgau, deren Besitz aufgrund ihrer Zentralität, ihrer Ausdehnung und ihres Reichtums auch noch für spätere Herzöge und Anwärter auf das Herzogtum in Schwaben unverzichtbar war, richtete sich Burchard besonderes Augenmerk auf das Bodensee- und Hochrheingebiet, das sich im Verlauf der Geschichte immer wieder als Hauptsache des Regnum Alamannorum erwies. Den monastischen und kirchlichen Zentren Schwabens, Reichenau, St. Gallen, Einsiedeln, Zürich, wo seine Mutter Reginlind dem Frauenmünster als Äbtissin vorstand (+ nach 958), und Konstanz scheint der Herzog mit seiner Familie engstens verbunden gewesen zu sein. Nachweislich suchte er die altehrwürdige Abtei Reichenau mehrfach gemeinsam mit dem kaiserlichen Hof auf, und den Inselmönchen machte er mit der Übertragung des königlichen Fiskus Schleitheim bei Schaffhausen (Klettgau) eine große Zuwendung - vermutlich im Zusammenhang seines Bestrebens, wies ein Vorgänger Hermann unter deren Augen im Mittelzeller Kloster Grab und Seelenheil zu finden. Auch Konstanz und St. Gallen besuchte Herzog Burchard gegen Ende seines Lebens gemeinsam mit dem kaiserlichen Hof .
Als Herzog Burchard am 11. oder 12. November 973, wenige Monate nach Kaiser OTTO, starb, fand er seine letzte Ruhe in dem von ihm beschenkten Kloster Reichenau. Laut Hermann dem Lahmen wurde er in eben jener Kapelle des hl. Erasmus bestattet, wo sein Vorgänger Hermann I. ruhte. Dessen an ein "Herrschergrab" gemahnende Ruhestätte und die Tatsache, daß König OTTO und Liudolf für jenen ein Seelgerät am selben ort, in der Erasmuskapelle, eingerichtet hatten, mag Burchard bewogen haben, sich an Hermann "anzuschließen", zumal er ja mit namhaften Dotationen an die Abtei im Untersee dieses schon vorbereitet hatte.