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Doch wenn es Nacht wird über Afrika und die dumpfe Einfalt in den Gemütern der Weißen, die sich auf dem absteigenden Ast befinden, sich ausbreitet wie Nebelschwaden, verwischen die Kontraste.

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Den Niger stromaufwärts
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Anfängliche Schwierigkeiten
Im Bannkreis des Aberglaubens
Lehmburgen der Somba
Durch den Sahel
Niamey
Mit der Piroge auf dem Niger
Erste Eindrücke von Mali
Aufenthalt in Gao
In den Hombori-Bergen
Legendäres Timbuktu
Fahrt auf dem Niger
Bei den Dogons
Ein Weltkulturerbe aus Lehm
Über den Bani nach Bamako
Vom Bakoye an den Senegal
Berg der Affen
Zu den Félou-Fällen und Steinkreisen
Dakar
Auf der Sklaveninsel

Anfängliche Schwierigkeiten

    Es ist bezeichnend, daß man bei Antritt beinahe jeder Reise etwas Neues, Überraschendes weil Ungewohntes erlebt. So bin ich denn schon oft nach Paris Charles de Gaulle geflogen, jedoch noch nie mit einem, man könnte fast sagen, größeren Kleinflugzeug, von dem ich noch nicht einmal den Typ angeben kann. Bereits beim Start erleben wir Turbulenzen, daß es einem fast schwindlig wird. Einmal in der Luft, verläuft der weitere Flug jedoch außerordentlich ruhig. Unter uns liegt "Deutschland ein Wintermärchen", erstarrt in sibirischer Kälte, so daß es angenehme Vorstellungen in einem erweckt, sich bald in wärmeren Gefilden aufzuhalten. Die nächste Überraschung, die wir erleben, ist, daß das Essen an Bord noch um einiges schlechter ist als das letzte Mal, als wir mit Lufthansa flogen, so daß man es fast als "Fraß" abtun kann. So also ändern sich die Zeiten, und ich frage mich, wie das noch weitergehen soll. Als wir über Paris in die Platzrunde einschwenken, versinkt die Sonne glutrot. In der Île de France liegt natürlich kein Schnee mehr, dafür ist die Nähe des Atlantiks zu groß.
    Wenn man den Flughafen Charles de Gaulle betritt, glaubt man sich bereits auf den Schwarzen Erdteil versetzt, obwohl uns noch mindestens tausend Kilometer Luftlinie von Westafrika trennen. Hier wimmelt es nur so von Mauren und Negern, und zuweilen gewinnt man den Eindruck, mehr Kopftücher anzutreffen als Barhäuptige. Man möchte kaum glauben, sich im Herzen des alten Europa zu befinden, und wozu, frage ich mich, fliegen wir nach Afrika, um neue Kulturen kennenzulernen, wenn wir sie schon im eigenen Lande so überaus reichhaltig vorfinden.
    Der Mann vom Abfertigungsschalter scheint nicht zu wissen, wo Cotonou liegt, und benimmt sich geradezu, als wären wir sein erster Fall. Auch findet er mein Visum nicht im Paß, und ich erst muß ihm erklären, daß ich ein Sammelvisum für verschiedene afrikanische Staaten besitze. Da niemand von den französischen Schalterbeamten die neuen Visabestimmungen kennt, läßt man uns nicht an Bord, mit der Begründung, wir hätten nur ein Visum für Togo, nicht aber für Benin. Kurz entschlossen rufe ich den Reiseveranstalter an, der mir persönlich erklärt, das Visum habe durchaus seine Gültigkeit, da es ein Sammelvisum sei für alle Länder, die im Wasserzeichen sichtbar seien. Tatsächlich sieht man dies erst bei genauerem Hinsehen, und nach langem und breitem Erklären gelingt es uns, die Beamten davon zu überzeugen, daß alles seine Richtigkeit habe, ohne daß diese sich in der Lage sähen, den Wahrheitsgehalt unserer Aussagen nachzuprüfen. Daraufhin wächst auch meine Sorge, ob unser Gepäck wirklich eingecheckt ist, denn eine Gepäckversicherung habe ich nicht abgeschlossen, dafür habe ich persönlich einfach viel zu gute Erfahrungen gemacht bisher. Bei der Gepäckkontrolle muß ich meine Phototasche öffnen. Der Beamtin hat es mein Polarisationsfilter angetan, doch mit Hilfe meiner Französischkenntnisse gelingt es mir, sie von der absoluten Harmlosigkeit dieses Zubehörs zu überzeugen.
    Als ich die Abfertigungshalle betrete, herrscht dort fast gähnende Leere. Nur der Pilot ist bereits da, und an seiner Seite sitzt eine hübsche Frau. Um so mehr bin ich verwundert, daß der Mann sich mehr für mich zu interessieren scheint als für seine Nachbarin. Er geht auf mich zu, und für eine Weile hatte ich geglaubt, er wolle mir die Hand reichen. Schwarze, so stellt man immer wieder fest, sind einfach viel unkomplizierter als Weiße, denn ein Weißer in seiner Position würde es als Herablassung ansehen, ein solches Ansinnen auch nur zu stellen. Zunächst frägt er mich: "Do you fly with us?" ersichtlich verwundert, daß einer wie ich es sich antut, einen sogenannten "Black flight" zu buchen, d.h. einen Flug, auf dem einschließlich der Crew nur Schwarze mitfliegen. Aus dem Gespräch entnehme ich schnell, daß es sich um einen feinen und versierten Menschen handelt, und unser nächstes Thema ist, wieviele Sprachen ich spräche und woher ich käme. "Je suis Allemand," antworte ich, "et je fais le voyage avec vous parsque le compagnie Sabena n‘existe plus." War diese Fluglinie doch unlängst in Konkurs gegangen! Und dies sei der Grund, erkläre ich ihm, warum ich umbuchen mußte und jetzt mit Cammeroon Airlines flöge. Wir wechseln noch einige Worte, wobei es ihm hauptsächlich um deutsche Wertarbeit geht, mir hingegen mehr darum, ihm zu erklären, daß ich bereits zum zweiten Mal nach Kamerun käme, und daß die Deutschen im Rufe stünden, gern und viel zu reisen, und daß der Zweck meiner Reise ausschließlich in meinem Interesse an fernen Ländern beruhe. Nun ist es offenbar selbst einem Piloten nicht so recht klarzumachen, was einer wie ich in einem so armen Land wie Mali wolle. Und weil ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wußte, daß ich es mit dem Piloten zu tun habe, frage ich ihn unbefangen, ob er der Stuart an Bord sei. "Non, je suis le pilote," antwortet er, für einen Moment nachdenklich geworden. Darauf entschuldigt er sich, daß er nun mit dem Durchchecken seiner Instrumente beginnen müsse. Dann ereignet sich ein aufsehenerregender Vorfall. Eine offensichtlich angetrunkene schwarze Lady, die sich wie eine Berserkerin aufführt, wird in Begleitung von mehreren Polizisten vorgeführt. Es handelt sich allem Anschein nach um eine Zwangsabschiebung.
    Über dem Lichtermeer von Paris steigen wir auf in einen wolkenlosen Himmel. Später begleitet uns das Sternbild des Orion, das auf der rechten Tragfläche aufzusitzen scheint, mit dem Schwert stets nach Süden weisend. Angenehm überrascht bin ich vom Service an Bord, der dem guten alten Air-France-Standard entspricht. Die Stewardessen haben sich zum Essenausgeben eigens für uns umgezogen. Das zweite Fläschchen Rotwein genießen wir in vollen Zügen. Unsere Flugroute führt zuerst zurück nach Brüssel, und erst von dort geht es dann nonstop nach Douala, der Hauptstadt Kameruns. Alles in allem haben wir uns durch das Debakel bei der Abfertigung eine mehr als einstündige Verspätung eingehandelt, die die anderen Fluggäste aussitzen müssen. In Brüssel sollte es nicht anders sein, so daß wir mit einer zweistündigen Verspätung in Douala eintreffen. Das Paar neben uns mit den zwei hübschen Kindern scheint Eheprobleme zu haben. Überhaupt sind die Schwarzen viel impulsiver und leidenschaftlicher im Zorn als unsereins. Mehrmals scheint die Spannung unter den Passagieren fast bis zur tätlichen Auseinandersetzung anzuwachsen.
    Nach einem etwa 7stündigen Flug, der abgesehen von gelegentlichen Turbulenzen ruhig verläuft, landen wir in Douala, dessen Einzugsgebiet von sattgrünen Nebelwäldern dominiert wird. Der Flughafen von Douala macht noch immer den gleichen heruntergekommenen und verwahrlosten Eindruck wie ehedem. Einzige Neuerung: der Airport hat jetzt Internet-Anschluß. Dafür gibt es aber vorübergehend kein fließendes Wasser. Da wir für Kamerun kein Visum besitzen, dürfen wir uns die sechs Stunden bis zu unserem Anschlußflug nur in den stickigen, von Fäkaliengerüchen geschwängerten Aufenthaltsräumen des Transitbereichs bewegen, ohne etwas zu trinken oder zu essen zu bekommen und ohne daß wir uns irgendwo frisch machen könnten. Wir kühlen nordischen Seelen ertragen dies alles mit stoischer Ruhe, unsere schwarzen Mitreisenden hingegen begehren hinwiederum mächtig auf, so daß wir zutreffend sagen können: "Die machen das für uns!" Sie besitzen offenbar nicht die Kraft zur Geduld und schreien ihren Unmut lautstark aus sich heraus. Obwohl nun unser Gepäck durchgehend eingecheckt ist, wird es in Douala wieder ausgeladen und muß persönlich von jedem einzelnen identifiziert werden. Dies machen die Gepäckträger aber nicht etwa, weil es so vorgeschrieben wäre, sondern nur, um ein Trinkgeld für die erwiesene Ehrlichkeit einzuheimsen. Sie hätten das Gepäck ja durchaus entwenden können, also leistet man lieber den Tribut, anstatt am Zielort ohne Gepäck dazustehen. Der Aufenthalt am Flughafen wird zunehmend zur Qual, die Schwüle ist schier unerträglich. Man kommt ohne größere Mengen Wasser zu trinken nicht aus. Zuerst hieß es, wir würden während unseres Transitaufenthaltes sowohl ein Mittagessen als auch ein Frühstück bekommen, inklusive Freigetränk versteht sich, dann aber heißt es plötzlich, ein zweites Essen sei für die Fluggesellschaft zu teuer und müsse deswegen entfallen. Auf unseren Bordkarten sind, wie das in der Luftfahrt eigentlich üblich ist, keinerlei Sitzplatznummern ausgewiesen. Sowohl die Angabe des Gates als auch die Boarding Time fehlen. Die Beschriftung auf den Glastüren der Abflughallen stimmt nicht mit den Flugzielen überein.
    Es hat etwas Bedrohliches an sich, bei Eintritt der Dämmerung in einen gewittergeschwängerten Tropenhimmel zu starten. Mächtige Wolkenmassive rauben uns sogleich jede Sicht. In den Tropen türmen sich die Wolken wegen der dort herrschenden größeren Luftfeuchte höher auf als in den gemäßigten Breiten. Kaum daß wir gestartet sind, wird schon wieder zur Landung angesetzt, noch ehe wir die Wolkendecke durchbrochen haben, und ohne es zu wissen, befinden wir uns plötzlich in Äquatorial-Guinea, auf der Douala vorgelagerten Insel Malabo, einstmals Fernando Po. Doch unser Flug geht weiter. Es muß nicht eigens erwähnt werden, daß die ganzen hinderlichen Ein- und Ausreiseformalitäten stets zu unerwünschten Verspätungen führen, denn irgend jemand ist immer dabei, dessen Papiere nicht in Ordnung sind. Als wir Fernando Po verlassen, fällt die Nacht. Unter uns schimmern die zahlreichen Feuer der Abfackelungsanlagen auf den Erdölplattformen vor der Küste Nigerias durch den Nebel. Als wir in Cotonou landen, ist dies bereits das dritte Land, in das wir an diesem Tag einreisen, und mit Togo soll noch ein weiteres hinzukommen.
    Da wir keinen Direktflug bekommen haben, sind wir gezwungen, noch gut zwei Stunden mit einem angemieteten Fahrzeug zu unserem Quartier nach Lomé zu fahren, immer die gut ausgebaute Küstenstraße entlang. Am Straßenrand haben die Händler ihre Buden aufgebaut, und an jedem Stand brennt hell eine Kerzenflamme, so daß das rege Nachtleben richtiggehend festlich aussieht. Benin befindet sich gerade in einer Aufbaueuphorie; dies merkt man beim Bau von Straßen, Schulen, Krankenhäusern usw. Cotonou selbst ist ein lärmender westafrikanischer Moloch, die größte Stadt Benins, die durch die zahllosen Mopeds in dem Gedränge in eine blaue Dunstwolke gehüllt ist. So leiden wir denn fast an Vergiftungserscheinungen, als wir gegen Mitternacht in unseren Bungalows ankommen, die direkt am Meer liegen. Die Bar öffnet eigens für uns noch einmal den Betrieb, und wir löschen unseren Durst reichlich mit Bier, dem hier entgegen unserem heimischen Reinheitsgebot Mais zugesetzt wird. Vorzüglich munden uns Ausgehungerten auch die gezuckerten Erdnüsse, die wir dazu serviert bekommen. Beim Rauschen der Brandung versinken wir dann alle in einen tiefen erholsamen Schlaf unter Palmen.

Im Bannkreis des Aberglaubens

    Der neue Tag beginnt spätmorgens mit einem Stadtrundgang durch die Hauptstadt Togos, Lomé. Leider werden, je näher wir der Stadt kommen, die endlosen gelben Strände durch die überall in der Stadt anzutreffenden Müllhalden erheblich beeinträchtigt. Man kann die Menschen nämlich ganz grob einteilen in solche, denen das Abfallproblem größtes Unbehagen bereitet - das sind die wenigsten -, und in die überwiegende Mehrheit, die darunter kaum oder überhaupt nicht leidet, und die letzteren sind unserer Zeit gewiß besser angepaßt und werden zweifelsfrei länger überleben. Die restlichen, die damit nicht zurechtkommen, werden untergehen und müssen verschwinden von einer Welt, in der der globale Verfall desto zügiger voranschreitet, je mehr Menschen die Erde bevölkern. Es gibt, nebenbei bemerkt, Reisende in Afrika, die ihren Müll auf Verdacht hinterlassen, in der scheinbaren Gewißheit, daß ihn die Einheimischen abholen werden, weil sie ihn "so sehr" brauchen. Wie aber kann es jemals eine Wendung zum Besseren geben, wenn Vorschläge ausgesprochen werden wie dieser hier, den ich soeben aus dem Munde eines Reisefreundes höre, daß nämlich nur ja keine Müllverbrennungsanlagen gebaut werden, da sonst noch weniger Leute Arbeit finden könnten. Es ist schon erstaunlich, wie manche Menschen argumentieren; genausogut könnte man auch vorschlagen, bei uns alle Müllverbrennungsanlagen stillzulegen, damit wir unsere hohen Arbeitslosenzahlen besser in den Griff bekommen.
    In Lomé gibt es nicht gerade viel zu besichtigen, um die Wahrheit zu sagen, überhaupt nichts. An Kolonialbauten hat sich kaum etwas erhalten, und falls doch, so läßt man es verfallen. Die Kathedrale wurde in ihren alten Farben frisch gestrichen, sie ist dem Kölner Dom nachempfunden. Das Zentrum der Stadt bildet der sogenannte Unabhängigkeitsplatz mit dem Unabhängigkeitsdenkmal, welches symbolisch einen Sklaven darstellt, der seine Fesseln sprengt. Vom 35. Stock des Hotels 2ième Fevrier genießt man einen weiten Blick über die Stadt, die Lagunen und die kilometerlangen Sandstrände. Hochhäuser besitzt die Stadt kaum, auch kann ich nirgends ein Villenviertel entdecken, statt dessen um so größere Armut. Die Aufdringlichkeit der Händler, während wir über den Markt schreiten, der mehr einem Basar ähnelt, ist unerträglich. Wer Berührungsängste hat, der möge tunlichst den Fleischmarkt meiden, denn der ist besonders ekelerregend. Tausende von Fliegen bevölkern dort das Fleisch, das die Schlächter auf herkömmliche Art mit dem Beil kleinhacken. Das einzig Interessante ist vielleicht das historische Nationalmuseum von Togo, das besonders kunstvoll geartete Exponate des hiesigen Kunsthandwerks zeigt, wo u.a. auch eine gute Dokumentation der nordtogolesischen Eisengewinnung und -verarbeitung zu finden ist. Von herausragender Qualität, wie fast überall in Afrika, sind die Schnitzereien, deren edelste Stücke in Monoblock-Technik gearbeitet sind, d.h. aus einem Stück gefertigt. Im Sousterrain befindet sich eine kurze Chronologie der Sklaverei mit einer Liste sämtlicher Forts von Staaten, die in den Menschenhandel verstrickt waren, darunter, was nur den wenigsten bekannt sein dürfte, auch das kleine Dänemark und Schweden. Schließlich zeigt die Ausstellung noch eine Galerie mit den Portraits der ehemaligen Gouverneure und Präsidenten seit Beginn der Unabhängigkeit. – Am Nachmittag können wir zum Abschluß unseres Lomé-Aufenthalts letzte ungetrübte Badefreuden im Golf von Guinea genießen, ehe wir uns dann morgen dem Landesinnern zuwenden.
    Niemand wird je bestreiten, daß Afrikaner wesentlich kontaktfreudiger sind als wir und mit gewissen Dingen auch viel natürlicher umgehen als Mitteleuropäer. So bedarf es denn für jemanden, der nachts nicht gern alleine bleibt, keiner großer Anstrengung, sich in den Urlaubszentren eine Bettgenossin zuzulegen. Meist reicht es dafür schon, die Dame seiner Wahl zum Essen einzuladen. Dafür bekommt man dann im Anschluß allerlei Vergünstigungen umsonst, und das gleich für die ganze Nacht. Die Liebesrituale spielen sich ab, als wären sie eine Selbstverständlichkeit, alles nimmt seinen gewohnten Gang, als sei es Normalität. Lediglich das Hotel wird vielleicht um seinen guten Ruf bangen, und man wird Belehrungen über sich ergehen lassen müssen, daß man nur ja auf sein Geld aufpassen solle und nichts sorglos herumliegen lasse. Eindringlich wird jeder Fremde ermahnt, sich tunlichst zu schützen, und wenn er das befolgt, kann die Liebesnacht ruck, zuck beginnen. Angebote für die stundenweise Nutzung eines Zimmers sind gegen den geringen Aufpreis eines Trinkgeldes nicht wesentlich günstiger, so daß man das Hotelbett am besten gleich für die ganze Nacht bestellt, um hinterher nur ja nichts bereuen zu müssen. Auch wenn das Mädchen vielleicht gar nichts kostet, wird man nicht umhin können, den doppelten Übernachtungspreis zu bestreiten und sich auf diese Weise erkenntlich zeigen müssen. Ob es dann bei aller Diskretion gelingt, sein Liebesabenteuer vor andern geheimzuhalten, wird ganz davon abhängen, wie geschickt man sich anschließend aus der Affäre zu ziehen versteht.
    Vor unserer endgültigen Abfahrt, die sich mehrfach verzögert, dürfen wir nicht verabsäumen, noch schnell den hiesigen Fetischmarkt aufzusuchen. Man betritt ihn wahrhaftig als einen mystischen Ort voll Schwarzer und Weißer Magie, taucht ein in eine Welt der Zauberer, Medizinmänner und des Aberglaubens. Bis heute ist unbegreiflich, warum gewisse dieser Wundermittel und Rituale einen wissenschaftlich nicht zu erklärenden Erfolg für sich verbuchen können, aus deren Wirksamkeit dereinst der Medizinmann gewissermaßen seine Rechtfertigung bezog. Was hier auf dem Fetischmarkt von Lomé, wo die Händler ausschließlich Männer aus Benin sind, feilgeboten wird, übersteigt schon fast das menschliche Vorstellungsvermögen: Gehörne, ja selbst ganze Köpfe von Tieren, Affenschädel, sogar getrocknete Schlangen, Leopardenfelle, Pferdeschwänze, Figürchen aus Schnitzwerk, Amulette, Aphrodisiaka, die aus abgehackten Ästen von Sträuchern gewonnen werden, heilige Steine und vieles andere, was irgendeine heilsame Wirkung entfaltet, werden fein zermahlen der Nahrung beigemengt und über diese aufgenommen. Da gibt es Glücksbringer, Figürchen, in die man seine Wünsche spricht und diese darin einschließt. Nichtsdestotrotz gehört zum Kauf solcher Wundermittel stets das Ritual des Handelns, und oftmals sind die Preise für deren Erstehung anfangs viel höher, als am Schluß dann wirklich zu entrichten ist.

Lehmburgen der Somba

    Die nun beginnende Strecke führt zunächst durch eine sowohl landschaftlich als auch, was Kultur anbelangt, reizlose Gegend, die von niedrigem, bereits von den Spuren der Trockenheit gezeichneten Busch bestanden ist, wo das großblättrige Teakholz, eine im übrigen nichtendemische Art, bestens gedeiht. Es ist als Edelholz insbesondere deshalb gefragt, weil es weitgehend astlos ist. Ansonsten wächst hier der sogenannte Kapokbaum (Bombax costatum oder Ceiba pentandra). Endemischer Urwald hat sich lediglich noch in den Hanglagen der Gebirge erhalten. Es hat auch etwas Bedrückendes an sich, daß wir so gut wie keine Tiere auf freier Wildbahn entdecken, mit Ausnahme einiger Bussarde vielleicht. An Menschen, die hier offenbar die einzige Art repräsentieren, mangelt es jedoch nicht, und die Übervölkerung hat bereits bedrohliche Ausmaße angenommen. Über Atakpamé, welches Bischofssitz ist, erreichen wir Sokodé, wo wir über Nacht bleiben, ohne daß sich irgend etwas Aufsehenerregendes ereignen würde. Man kann diesen Tag, an dem wir durch das Gebiet der Ewe reisen, nur als verloren ansehen, mit der einzigen Ausnahme vielleicht, daß die Ewe-Frauen dort zur Zierde eine Art Schmiß auf der linken Wange tragen, so daß man sie unentwegt ansehen muß.
    In der Nacht hat es merklich abgekühlt. Gleich am Morgen besichtigen wir den Markt von Sokodé, aber der bunte Trubel hält sich in Grenzen. Auf unserer Weiterfahrt erreichen wir das nördliche Togo. Von Tag zu Tag wird die hohe Luftfeuchtigkeit nun niedriger, je weiter wir uns auf unserer Fahrt in den Norden von der Küste entfernen. Den ersten landschaftlich reizvollen Eindruck erleben wir an der Gesteinsspalte von Aledjo, zu der wir auf einem mehr als 500 m hohen Gebirgspaß gelangen. Auf der abschüssigen Strecke ereignen sich regelmäßig Unfälle, wenn etwa bei dem einen oder anderen Fahrzeug die Bremsen versagen. Zahlreiche Autowracks, darunter ganze Tanklastzüge, liegen dort als abschreckende Beispiele im Abgrund. Kippt ein Tanklaster um, so strömen die Bewohner der Umgegend zusammen und füllen sich den auslaufenden Diesel in Kanister ab, ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen angesichts der bestehenden Explosionsgefahr. Ganz in der Nähe befindet sich der sogenannte Todesfelsen, von dem früher entlarvte Hexen und Zauberer hinabgestürzt wurden. Unten warteten dann meist hungrige Löwen oder Leoparden auf die Opfer.
    Über die Klippe von Bafilo kommen wir nach Überquerung eines Hochplateaus wieder hinab in niedrigere Gefilde. Bei Kara betreten wir das Land der Kabyé, die für ihre charakteristischen Runddörfer bekannt sind, die sich vielfach auch heute noch um einen heiligen Baum gruppieren, dem außergewöhnliche Kräfte zugeschrieben werden. Die Kabyé schätzen als lukullischen Genuß Hundefleisch, und während des Initiationsfestes verschlucken einzelne Männer sogar lebende Kröten oder durchbohren ihren Körper mit Pfeilen, um für würdig befunden zu werden, in die Kaste der Krieger aufgenommen zu werden. Hier, im äußersten Norden Togos, bei Sara-Kawa, wurde seinerzeit das Attentat auf den togolesischen Präsidenten Eyadéma verübt, das dieser als einziger Insasse beim Absturz seines Flugzeuges wie durch ein Wunder nahezu unverletzt überlebte.
    Über die Falaise de Défalé erreichen wir das Tamberna-Tal, wo die Somba, die sogenannten Nacktgeher, leben, die keine Ethnie im eigentlichen Sinn darstellen, sondern der in dieser Region typischen Architektur ihren Namen verdanken, den Speicherburgen. Diese erfüllen zugleich die beiden wichtigen Funktionen des Schutzes und des Speicherns. Die aus Stampferde errichteten Lehmburgen verleihen dem Siedlungsbild einen märchenhaften Zauber. Wie kleine Schlösser reihen sich Speicherburg an Speicherburg, und im weichsten Abendlicht leuchten die Lehmwände angenehm rot. Betritt man eine Sombafestung, so wird man sofort von den skurrilen Fetischen in den Bann gezogen. Warum zieht uns Europäer fast magisch alles an, was irgendwie mit Geheimwissen oder Animismus zu tun hat? Vielleicht ist dies die Erklärung: Ehe das Christentum auf uns kam, waren wir da nicht selbst Animisten, die an Elfen, Feen und Kobolde glaubten, an die Kräfte der Natur? In der Tat scheint diese Sinnverwandtschaft unserer Urreligion es zu sein, von der noch allzuviel hängengeblieben ist und welche dieses Interesse begründet und erklärt, warum wir uns sofort davon angezogen fühlen.
    Am Abend erreichen wir Natitingou, eine Stadt, in der nachts die Gehsteige hochgeklappt werden, wie wir sagen würden. Ein wenngleich bescheidenes Nachtleben finden wir nur an unserer Hotelbar. Die wohl einzige Attraktion Natitingous, es sei denn, man unternimmt von hier aus Ausflüge in die Bergwelt der nahegelegenen Atakora-Kette, dürfte das kleine landeskundliche Museum sein, das in einem ehemaligen Kolonialgebäude der Stadt untergebracht ist. Hier werden vor allem Kunsthandwerk, traditionelle Waffen, Kalebassen, die Somba-Architektur und ein kleiner Abriß der Sklaverei gezeigt. An traditionellen Musikinstrumenten finden Fideln, Tam-Tams, Trommeln und Flöten Verwendung. Als Waffen waren Pfeil und Bogen, Äxte und Lanzen in Gebrauch. Die Hutformen sind je nach Stamm verschieden. Besonderes Augenmerk verdienen die Initiationsriten. Bei der Beschneidung wurden sogenannte Penishüllen getragen. Unter Schmuckgegenstände fallen Armbänder, vor allem mit Kaurimuscheln besetzte Halsketten und allerlei Gegenstände, mit denen die durchbohrten Lippen geschmückt waren. Eine reiche Vielfalt weisen die als Modelle dargestellten Somba-Burgen auf, die in der Landessprache Tata genannt werden. Da gibt es die der Otammari, der Otossu, der Tamlaja, Berba und Otschoua, die sich hinsichtlich der Zahl der Stockwerke und vor allem im Verhältnis von Wohn- und Speichertürmen unterscheiden. Zum Besteigen der Dachterrassen werden Gabelbäume verwendet, die hochgezogen werden können. Eine Ausstellung einheimischer Künstler rundet das Ganze ab. Vor dem Museum stehen eine Reihe Anacardium-Bäume, deren Kerne die bekannten Cashew-Nüsse liefern.
    Beim Ort Bouré heißen uns die Kinder in der Sprache der Peul mit "Batouré" willkommen. Ansonsten bringt der Tag auch landschaftlich keine Höhepunkte, eher umgekehrt stundenlanges Fahren durch endlos monotonen Busch. Die erste Pflanze, die nach dem Abbrennen der Steppe aus dem Boden sprießt, eine Verwandte der Christrose, hat strahlend gelbe Blüten, was einen sehr schönen Kontrast zur abgebrannten Erde darstellt. Auf dem nächsten Markt, an dem wir vorüberkommen, ist das Nahrungsmittelangebot schon relativ knapp, vor allem frisches Obst und Gemüse fehlen. Die Baumwollernte hat gerade erst begonnen, daher hält sich der Schwerverkehr, der auf der Teerstraße von Cotonou aus in den Niger rollt, noch in Grenzen. Mit Ndali erreichen wir ein Bariba-Dorf. Die Bariba sprechen eine Bantu-Sprache. Neben ihnen finden wir aber auch noch andere Völker.
    Die Haussa etwa leben vom Schlachten der Rinder und besitzen eine sehr einfache Sprache. Sie gründeten im 14. und 15. Jahrhundert die Stadtkönigreiche von Kano, Kaduna, Katsina und Sokoto. In den Städten bewohnen sie eigene Viertel. Im Niger stellen die Haussa über 50 % des Bevölkerungsanteils. Ihre Dörfer sind noch vielfach in der traditionellen Bauweise errichtet, meist rechteckig und aus Lehm, und die Speicher ganz aus Stroh sowie auf Pfähle gebaut.
    Die Tuareg schließlich kümmern sich um die Dromedare. Das Dromedar kam erst im dritten vorchristlichen Jahrhundert nach Afrika. Es stammt aus Innerasien uns ist ein sogenannter Schwielen-sohlengeher. Die Römer lernten es in Ägypten kennen. Seine Gegenwart fehlt auf älteren ägyptischen Darstellungen.
    Wir übernachten heute im Busch bei einem Dorf mit dem illustren Namen Petit-Paris. In der mondlosen Nacht zeigt sich der Himmel von einer überwältigenden Pracht. Obwohl wir mitten in der Wildnis nächtigen, können wir unsere Anwesenheit nicht lange verbergen. Sowie wir entdeckt sind, strömen immer mehr Menschen aus der Umgebung zusammen, um uns zu mustern. Sie sind unbeschreiblich mager, viele haben aufgetriebene Leiber, Zeichen der Fehl- und Unterernährung.

Durch den Sahel

    Die Sahelzone - das Wort Sahel kommt aus dem Arabischen und bedeutet Ufer bzw. Rand - erstreckt sich zwischen dem 12. und 16. nördlichen Breitengrad. Sie ist geprägt durch eine einzige Regenzeit pro Jahr. Zwischen 1971 und 1975 blieb die Regenzeit völlig aus. Dies führte damals zu den berüchtigten Dürrekatastrophen und damit zu Hungersnöten in einem Rinderweideland.
    Über die Stadt Kandi streben wir der nigerischen Grenze zu. Die Grenze zwischen Niger und Benin bildet der gleichnamige Strom. Er trennt zwei Großlandschaften, die Wüste und die Parksavanne; die Parksavanne endet südlich davon. Im Jahre 95 n. Chr. dringt der römische Feldherr Flaccus Marcellus auf der Verfolgung der Garamanten bis zum Niger vor. Das Wort Niger hat allerdings mit dem lateinischen Begriff für "schwarz", wie man vielleicht vermuten könnte, nichts zu tun. Mitte des 19. Jahrhunderts kommen Heinrich Barth und Gustav Nachtigal in diese Gegend. Auch Alexander von Humboldt wollte ursprünglich Afrika erforschen, und nicht Südamerika. Letztendlich scheiterte sein Vorhaben daran, daß er für die Region, die ihn interessiert hätte, nicht die notwendigen Schutzbriefe bekam.
    Bei Malanville überschreiten wir die Grenze. Der Fluß führt noch relativ viel Wasser um diese Jahreszeit. An seinen Ufern liegen die typischen Pinassen, auf denen die Einheimischen zum Fischfang ausziehen. Weite Bereiche, auf denen sich Wasserrosen und Hyazinthen ausbreiten, sind überflutet. Ein charakteristischer Baum dieser Region, der gerade in voller Blüte steht, ist der prächtige Bombax costatum, dessen rote Blüten aussehen wie Korallen, was ihm letztlich seinen Namen verliehen hat.
    Mit Erreichen der Stadt Dosso vollziehen wir einen Richtungswechsel nach Westen. Dieses Gebiet wird bewohnt von den Djerma, den Songhay sowie den Gourmantché und den Tuareg. Tuareg und Berber gehören ethnologisch zusammen, und ein Targi - so heißt der Mann, die Frau nennt sich Targia - kann sich mit einiger Mühe mit einem Berber verständigen. Ihre Sprache, das Tamaschekische, hat mit dem Arabischen nichts zu tun, auch verwenden die Tuareg eine Tifinarschrift. Die Ureinwohner der Zentralsahara, als die sie sich selbst gerne sehen, sind sie auf keinen Fall. Sie sind auch keinesfalls die Nachfahren der Hyksos, da letztere in jedem Fall die Vorfahren der Juden sind. Das Wort Tuareg im Singular bezeichnet das ganze Volk, im Plural sind mit den Tuaregs die verschiedenen Stämme gemeint. Es gibt insgesamt vierzehn Tuareg-Stämme. Ein Stamm heißt in ihrer Sprache Kel. Der größte Stamm sind die Kel Iforas, andere bedeutende Stämme sind die Kel Azger sowie die Kel Aïr. Den Namen Tuareg erhielten sie von den Arabern, und das bedeutet "Die von Allah Verstoßenen." In ihrer eigenen Sprache nennen sie sich Imazighen, was soviel bedeutet wie Herrenrasse.
    An der Spitze der tamaschekischen Gesellschaft steht der Amenokal. Nobler kann jeder sein, die Hautfarbe spielt in der Hierarchie und Rangordnung keine Rolle, auch wenn die Schwarzen die Haratin, die Sklaven der Tuareg, waren. Der Grund, warum sich die Tuareg verschleiern, liegt in ihrer Religion begründet, und vieles aus ihrer ursprünglichen Naturreligion haben sie in den Islam hinübergerettet. Nach ihrem Glauben dringen die Djinns, die bösen Geister also, durch die Körperöffnungen ein, und das ist der Grund, warum sich die Targis den Schesch umwickeln. Die Farbe des Schesch gibt Auskunft über den Geldbeutel seines Trägers. Seine Farbe ist häufig blau, und man spricht auch von den "Blauen Leuten", weil das Tuch, frisch eingefärbt, auf die Haut blau abfärbt. Die Kunst des Verschleierns nennt man Tugulmust, und der Litham wird nur zum Essen und Rauchen abgenommen. Die Targias nehmen den Zipfel ihres Kopftuchs vor Mund und Nase, wenn sie sich mit einem Ungläubigen unterhalten haben.
    Bei den Tuaregs herrscht eine Art Matriarchat. Die Targia hat im Vergleich zu anderen islamischen Gesellschaften bedeutend mehr Rechte. Wenn eine Targia erfährt, daß ihr Mann in der Öffentlichkeit schlecht über sie gesprochen hat, reißt sie sich die Kleider vom Leib und rennt schreiend außer Haus, und sie ist in der Regel nur dann zu besänftigen, wenn er ihr neue Kleider kauft. Bei einer Scheidung reicht es im allgemeinen nicht, wie in den meisten islamischen Ländern, daß der Mann dreimal ruft: "Ich verstoße dich!"
    "Die Ritter der Wüste" haben mit unserem Verständnis von mittelalterlichem Rittertum wenig zu tun, eher mit Raubrittertum, zumal die Tuaregs früher Karawanen zu überfallen pflegten. Das einzige, was noch am ehesten eine Verbindung herzustellen vermag, ist das Takuba, das Schwert in seiner klassischen Form mit Kreuzgriff. Tuareg tragen keinen Goldschmuck, weil sie glauben, daß dies Unglück bringt. Ihr gesamter Schmuck ist daher aus Silber und Zink. Unter einem Gris-Gris versteht man ein Amulett zur Abwehr negativer magischer Kräfte, in dem oft ein Koranspruch steckt. Das berühmte Agadez-Kreuz schließlich ist ein Fruchtbarkeitssymbol, es stellt das männliche und weibliche Sexualorgan dar.

Niamey

    Unser Nachtquartier, das Grand Hotel in Niamey, der Hauptstadt des Niger, bietet einen prächtigen Ausblick auf den gemächlich dahinziehenden Fluß, über den die neuerbaute Kennedy-Brücke führt. An der Bar des Hotels begrüßen uns die Mädchen mit: "Voulez des affairs?" und unser einheimischer Führer verheißt uns die allerschönsten Mädchen, nicht weit vom Hotel entfernt, in den verlockendsten Tönen. Doch wer würde es wagen, angesichts der Gefahr, sich solchen Fährnissen auszusetzen? Im Botschaftsviertel ist besonders die Botschaft Libyens herausragend. Während etwa bei uns kaum Handwerker zu kriegen sind, wimmelt es in der Stadt Niamey nur so davon. Das Museum der Stadt, das für das schönste im gesamten Raum südlich der Sahara gilt, ist in Wahrheit wenig lohnend. Einzig interessant dürften die Dinosaurier- und die anthropologische Abteilung sein. Der dortigen Ausführung zufolge, die die Entstehung der menschlichen Rassen beschreibt, ist die weiße Rasse eindeutig die älteste. Der schwarze Mensch ist entwicklungsgeschichtlich der jüngste und erscheint zuletzt auf der Erde. Dies erscheint einleuchtend, weil insbesondere das Aussehen des Weißen, als des Ältesten, sich von dem anderer Primaten am meisten unterscheidet, seine Intelligenz auch am höchsten entwickelt ist und er für die Entwicklung seines Gehirns den härtesten Lebensbedingungen ausgesetzt war. Wenn nun die schwarze Rasse anthropologisch gesehen die jüngste ist, so heißt dies, daß einstmals alle weiß waren. Noch heute zeigen Schwarze bekanntlich weiße Innenhandflächen. Die dunkle Hautfärbung ist erst hinzugekommen, nachdem der Mensch sein Haarkleid immer mehr verlor, und verloren muß er es haben, als er sich zu kleiden begann und es nicht mehr benötigte. Kleiden aber mußte er sich, wo es kalt war, in den gemäßigten Zonen, denn dort erst hat der Mensch gelernt, seinen Körper zum Schutz gegen Kälte mit Tierfellen zu bedecken und seine natürliche Scheu überwunden, sich dem wärmenden Feuer zu nähern. Die Tatsache, daß die ältesten Skelettfunde in Afrika gemacht wurden, beweist nicht, auch wenn es scheinbar danach aussieht, daß der Mensch vom Schwarzen abstammt. Fast noch ein Tier, ging er aus Afrika fort, und als Mensch kehrte er dorthin zurück.
    Der Rindermarkt von Niamey ist leergefegt von Rindern; vermutlich wurden die meisten von ihnen zum Ende des größten islamischen Festes, des Ramadan, geschlachtet und verzehrt. Für viele Fotomotive, die dort zu holen sind, muß man bezahlen, aber man sollte nicht jeden Preis entrichten.
    Hinter Niamey verläuft unsere Fahrt nun immer am Fluß entlang, den Niger stromaufwärts. Es ist ein heißes Land, durch welches wir da reisen, und dumpf brütet die Hitze unter glasigem Himmel. Nur Dum-Palmen spenden ab und an ein wenig Schatten. Die Dum- oder Hyphaene-Palme versorgt nach ägyptischer Vorstellung den Toten mit Nahrung auf seiner Reise ins Jenseits. Ihr Bestand gilt als gefährdet.
    Die Etappe zwischen Niamey und Gao führt durch landschaftlich wie kulturell vollkommen bedeutungsloses Gebiet: unendliche Weiten, kaum Spuren einer Besiedlung, ausgebleichtes hellgelbes Gras, verbrannte Erde und eine Landschaft, in der nur noch die langstachelige Dornbuschakazie anzutreffen ist. Keine Tiere außer Gekkos und gelegentlich Dromedaren erfreuen das Herz des Besuchers; und dennoch leben hier verstreut Menschen, die ein karges Dasein fristen und deren einziges Fortbewegungsmittel der Esel ist, in erschütternder Armut, und dies zu Beginn des dritten Jahrtausends nach Christus. Die Natur gibt und nimmt, und hier in den einsamen Öden des Sahel nimmt sie ausschließlich, und so nicht das Leben, dann doch die Freude. Doch noch in den entlegensten Gebieten der Erde ringt die Natur dem Menschen ein Lächeln ab, sie macht ihn glücklicher als den, der umgeben ist von allen Annehmlichkeiten der Zivilisation. Und trotzdem möchte wohl kaum einer von uns, nicht einmal um des Glückes willen, zurück in die Ursprünglichkeit. Einmal ganz abgesehen davon, wären wir dieser auch gar nicht gewachsen.

Mit der Piroge auf dem Niger

    Bei Ayorou besteigen wir zwei Pirogen; das sind Einbäume, die dennoch eine gute Stabilität besitzen. Es geht hinaus in die Auen und Schilfgürtel des Niger, hinüber zu mehreren Inselchen, die nur mit dem Einbaum zu erreichen sind. Dort finden wir reizvolle Anwesen der Songhay, und vom Grill zum Speicher bis in das Schlafzimmer wird uns alles bereitwillig erklärt und gezeigt. Auf jeden von uns stürzen sich ungefähr fünf ungebetene Helfer, was die Suche nach Fotomotiven unglaublich erschwert. Die gegenseitige Verständigung beschränkt sich auf meine Französischkenntnisse aus der Schule, wobei die Einheimischen noch den Heimvorteil genießen. Zunächst müssen wir gegen die zum Teil erhebliche Strömung ankämpfen, was durch Rudern allein fast nicht zu machen ist, und nur durch zusätzliches Staken im Kehrwasser des Flusses, ganz dicht am Ufer, ist ein zähes Vorankommen möglich. Da uns die französischen Namen von Vogelwelt, Fauna und Flora nicht geläufig sind, beschränken sich die Eindrücke auf ein lediglich bildhaftes Verarbeiten des Gesehenen. Überaus reizvoll nehmen sich die zahlreichen Felsen aus, die aus dem Wasser ragen. Sie geben Anlaß zu mancherlei Phantasiegebilden, und als die Sonne im letzten Abendlicht nur mehr flach einfällt, verwandelt sich die ganze Wasseroberfläche in einen glitzernden Spiegel. Und nun tauchen unerwartet mehrere Pirogen auf, und die bunten Kleider der Frauen leuchten schrill in voller Farbenpracht. Wie von einer Neonröhre angestrahlt, heben sich im Gegenlicht die fluoreszierenden Zähne der Sonrhay-Frauen von ihrer dunklen Gesichtsfarbe ab, und da ist kein Mund, der noch geschlossen wäre, kein Gesicht, das nicht ein freudiges Lächeln zeigte. Soeben hat das Wasser noch still geplätschert, und plötzlich ist alles wieder vorbei wie nach einem kurzen Traum. Drinnen im Ort ist der schreiend-laute Tuareg-Markt in dichte Staubwolken gehüllt, doch schade, denn wir müssen weiter. Hätten wir doch nur etwas mehr Zeit! Doch wir können Gao nicht auf uns warten lassen.
    Da die Strecke für einen Tag zu weit ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als eine Wüstenübernachtung einzulegen. Der Mücken wegen meiden wir die Nähe zum Fluß. Schnell fällt die Dunkelheit ein, und als wir unser Lager aufschlagen, herrscht stockdunkle Nacht. In Ermangelung frischen Gemüses, das nirgendwo zu bekommen ist, haben wir uns einige Yamswurzeln gekauft, die ähnlich zubereitet werden wie Salzkartoffeln. Bei etwas mehr Würze in den Speisen - insbesondere Salz fehlt - hätte sich ein ganz geschmackvolles Essen ergeben. Ohnehin läßt der Appetit, der großen Hitze wegen, zunehmend nach. Einige Hirten, die uns bemerkt haben, kommen herbei und sehen uns still dabei zu, was wir da veranstalten. Es bleiben gewaltige Mengen an Essen übrig, und diese werden an die Einheimischen verteilt, die das Angebot dankend annehmen. Als diese sich ausgehungert über die Speisen hermachen, haben wir alle das Gefühl, ein gutes Werk verrichtet zu haben. So schnell wie sie gekommen sind, verschwinden unsere Gäste wieder.
    Nachts breitet sich ein klarer Sternenhimmel über uns aus; ca. 7000 Sterne sind es, die der Mensch mit bloßem Auge ausmachen kann, vorausgesetzt, daß störende Hintergrundlichter fehlen. In der Nacht kühlt es so sehr ab, daß ich vor Schüttelfrost zittere, als ich einmal heraus muß. Ein kühler Wind treibt mich rasch wieder unter die wärmende Bettdecke zurück. Morgens sitze ich appetitlos am Frühstückstisch. Lediglich der süße Tee weckt langsam die Lebensgeister. Dann geht die Sonne auf. In Kürze sieht der ganze Horizont aus wie in Brand gesteckt. Schäfchenwolken im Morgenrot gelten bei uns in Europa als Vorboten schlechteren Wetters, nicht so in den Tropen.

Erste Eindrücke von Mali

    Die Ausreise aus dem Niger verläuft reibungslos, ohne besondere Vorkommnisse, würde man sagen. Im Niemandsland zwischen den Grenzen stoßen wir auf einen arabischen Friedhof. Den Männern werden zwei Steine gesetzt, den Frauen ein dritter dazu. Die gesamte Aura kündet von der Unbedeutsamkeit des Menschen. Sie erinnert uns zugleich, daß wir uns in einem islamischen Land befinden. Anläßlich des größten Festes im Islam, dem sogenannten Hammelfest el-Kebir, womit das Ende des Ramadan eingeleitet wird, ist es der Brauch, daß selbst der ärmste Schlucker sich dazu ein neues Gewand anzieht und somit jedermann bestens gekleidet ist. Das Gewand der Männer nennt sich Bubu. Auch richten sich die Frauen ihre Haare zu diesem Anlaß. Nun ist es in einem islamischen Land wie Mali durchaus nicht einfach, Menschen zu portraitieren, da die meisten Frauen sich just in dem Moment, wo man sie ablichten will, das Gesicht verschleiern.
    Je weiter wir Richtung Mali vordringen, einen desto schrecklicheren Eindruck erwecken die Menschen. Es scheint sie überhaupt nicht zu stören, daß die Nase läuft, die Körperflüssigkeiten aus den Körperöffnungen treten, Haut und Haare von Schmutz bedeckt, Kleider und Schuhe verschlissen sind. Obwohl die Wassermassen des Niger ganz in der Nähe sind und ich Menschen dieses Wasser habe trinken sehen, fehlt es ihnen an Reinlichkeitsbedürfnis. Zur Reinigung des Körpers braucht man aber weder Seife noch Taschentücher.
    Auf unserer Fahrt, den Niger stromaufwärts, immer auf dem orographisch linken Ufer, kommen wir in das Gebiet der Peul, der nomadisierenden Rinderhirten. In Afrika ist nämlich ein Mann um so angesehener, je mehr Rinder er besitzt, gleich welcher Beschaffenheit diese sind. Die Peul oder Fulani (zu deutsch Fulbe) sind Semi-Bantus, und als Nomaden geben sie sich ganz der Rinderzucht hin. Ihr Chef nennt sich Lamido, was bei den Arabern etwa dem Sultan entspricht. Die nomadische Abteilung der Fulbe nennt man auch Bororo. Ihre Sprache ist das Fulfulde.
    Der Niger besitzt eine ganz eigenartige Flußlandschaft, sie gleicht zuweilen einem Überschwem-mungsgebiet, auch fernab des Binnendeltas. Da der Fluß sich praktisch nicht eingegraben hat, steht ihm die ganze weite Ebene als Bett zur Verfügung. Dennoch weiß er, im Gegensatz etwa zum Nil, von periodischen Überschwemmungen nichts. Stellenweise ist der Niger fast zugewachsen. Seine breiten Schilfgürtel muten an wie Oasen in der Wüste. Das geologische Untergrundmaterial besteht aus Granit, der an wenigen Stellen anliegt. Kleinere Felsaufbauten künden von den äußersten Resten eines abgetragenen Gebirges. Hier hat die Natur selbst phantasievolle Gebilde geschaffen. Der Bewuchs ist gekennzeichnet von einer typischen Wüstenrandvegetation. Das hervorstechende Gewächs ist der Besenginster (Sarothamnus scoparius), der so heißt, weil aus ihm tatsächlich Besen gemacht wurden. Das Drin-Gras ist perfekt an die Trockenheit angepaßt, es kann seine Blätter zum Schutz gegen Verdunstung seitlich einrollen und bildet als weitere Abschreckung gegen hungrige Pflanzenfresser spitze Stacheln aus. Die Sudanklette, auch Cram-Cram-Gras genannt, ist die typischste Pflanze des Sahel. Besonders prächtige Anblicke auf dem Fluß wird man wohl kaum jemals erhaschen, dazu sind die Niveauunterschiede zu flach, die Perspektive zu gering.
    Der Niger, in der Berbersprache Ghir-n-igheren, "Fluß der Flüsse", genannt, ist mit 4.200 km einer der längsten Flüsse der Welt. Er entspringt im Bergland Guineas, nahe den sogenannten Loma Mounts, zwischen Kurubonla und Kissidougou, an der Grenze zu Sierra Leone. Zunächst fließt er nach Norden und erreicht als ersten größeren Ort die Stadt Faranah. Beim Ort Bèlèya nimmt er einen Richtungswechsel nach Nordosten vor, nimmt vor Kouroussa zunächst den Mafou auf und dann den Niandan. Bei Niandakoro strömt der Milo hinzu und kurz vor Siguiri der Tinkisso. Zwischen Kangara und Kourouba mündet der Sankarani in ihn. Über Bamako und Ségou tritt der Niger seinen Weg ins Binnendelta an, das am Staudamm von Sansanding beginnt. Bei Mopti vereinigt er seine Wasser mit denen seines wasserreichsten Zulaufs, des Bani, was soviel heißt wie "Weißer Fluß". Ab Timbuktu fließt er wieder als einzelner geschlossener Strom, ohne Regulierung und Begradigung, auf großen Abschnitten so träge, daß man ihn mit einem See verwechseln könnte. Seinen spektakulärsten Verlauf nimmt er im Binnendelta, wo er sich in zahlreichen Verästelungen über eine Fläche von 30.000 km2 ergießt, die auch in der Trockenzeit nie unter 10.000 km2 zurückgeht. In diesem Delta finden sich mehrere große Seen, deren größter der Debosee ist, der noch im Quartär ein Binnenmeer war. Im Songhay-Land, bei Timbuktu, ändert der Niger erneut seine Richtung, wobei er Mali quer von West nach Ost durchfließt, bei den Tosaye-Schluchten seine engste Stelle erreicht, ehe er bei Bourem nach Südsüdost abbiegt. Dort, wo Gao liegt, trifft das heute trockene Tal von Tilemsi mit dem Flußbett des Niger zusammen. Durch dieses Tal floß der Niger einst, bevor er sich seinen heutigen Lauf bahnte. Nachdem er Niamey, die Hauptstadt der nach ihm benannten Republik, passiert hat, erreicht er beim Ort Pékinga die Landesgrenzen und wird etwa ab dort, wo der Dallol Bosso mündet, ein Stück weit Grenzfluß zu Benin. Bei Yelwa, am Ende des Kainji-Stausees, bereits auf nigerianischem Gebiet, wendet er sich vorübergehend südwärts, um dann bei Jebba die Strecke bis Lokoya wieder südöstlich zu fließen. Dabei hat er inzwischen bei Pategi den Kaduna aufgenommen und bei Lokoya, als seinen im Unterlauf wichtigsten Zufluß, den Benue. Ab da strebt der Niger schließlich in südlicher Richtung seinem Mündungsdelta entgegen, wo er sich in zahlreichen Armen in den Golf von Guinea ergießt.
Die Farbgebung des Nigerbeckens ist folgende: die Erde ist rötlich-braun bis orange; darauf wächst Gras, das von der Sonne bis ins Hellgelbe ausgebleicht ist; ein aufgelockerter Bestand an Akazien bildet nahezu die einzige über die Gräser hinauswachsende Flora. Das gelbe Gras geht ziemlich abrupt in die giftgrünen Schilfgürtel des Niger über, dessen blaues Band sich unendlich ausgedehnt über weite Strecken hinzieht. Direkt am Ufer findet sich auch regelmäßiger Bestand anderer Laubhölzer. Über der ausgebrannten Erde wölbt sich ein zart- bis milchig blauer Himmel, sofern nicht verschmierte Wolkenfelder den Himmel gänzlich zu überziehen drohen.
    Jenseits des Flusses ragen beim gleichnamigen Dorf die markanten Felsen von Ansongo aus dem Wasser. Vor Gao nimmt der feinsandige Anteil der Bodenkrume deutlich zu, und die Pistenverhältnisse ermöglichen nur mehr ein schleppendes Vorankommen. Tiefrote Dünen und olivfarbenes Grün wetteifern mit dem blauen Himmel im weichen Abendlicht. Wie zu riesigen Schneebällen aufgerollt, liegen hier kugelförmige Termitenbauten über den Boden verteilt, aus karminrotem Laterit gebacken. Unaufhaltsam nähern wir uns dem Nullmeridian, denn genau dort liegt Gao. Auch die Stadt Tours in Frankreich liegt auf demselben Längengrad. Für ein Photo von der Tageszeit her bereits zu spät, eröffnet sich kurz vor Gao ein phantastischer Blick auf die Nigerschleife unter uns. Ab hier führt die Piste dann ständig am Ufer des Flusses entlang. Für eine Etappe, die auf einer Teerstraße in wenigen Stunden zurückzulegen wäre, haben wir einen ganzen Tag benötigt, so daß wir schweißgebadet und erschöpft in Gao ankommen.

Aufenthalt in Gao

    Gao liegt im Schnittpunkt dreier wichtiger Pisten: der Bidon-5-Piste, der Hoggar-Piste, die von Tripolis über Murzuk, Bornu und Kanem (Zinder) verläuft, sowie der Mauretanien-Piste. Die Kolonialzeit haben nur wenige Bauten überlebt, während die Stadt heute recht großzügig angelegt ist. In Afrika war zudem nie die Notwendigkeit gegeben, die Städte zu Verteidigungszwecken mit einer Mauer zu umgeben. Die Gebäude sind in der Regel eingeschossig und aus Stampflehm errichtet, der allerdings die Härte von Gestein erreicht und damit die Zeiten zu überdauern durchaus imstande ist.
    Im Hafen von Gao liegen eine Unzahl Pirogen und Pinassen am Kai, und wie zu allen Zeiten herrscht auch heute geschäftiges Treiben, denn seit alters war er Umschlagplatz für Waren aus dem Norden gegen die Erzeugnisse des Südens. Die Handelsrouten waren die hier sich kreuzenden Karawanenwege; der weitere Warenverkehr fand ab dort auf dem Wasserwege statt.
    Zugleich war Gao Schmelztiegel der Kulturen. Die Araber brachten den Islam, die Songhay-Könige nahmen ihn bereitwillig auf. Vom höchsten Punkt Gaos, dem Minarett der Askia-Moschee, genießt man einen herrlichen Blick auf die Dünen am Niger-Bogen. Das Minarett ist dem Grabmal des ersten Mekka-Pilgers nachempfunden, der dort auf den roten Dünen begraben liegt. Der Mensch, der in der Wüste lebt, ständig von Einöde umgeben, in der als einzige Abwechslung nachts ein prächtiger Sternenhimmel sich über ihm ausbreitet, ist eher geneigt, an einen einzigen Gott zu glauben, als der, der im Urwald wohnt und den ständig wechselnden Lauten und Unbilden der Natur ausgesetzt ist. Wo sonst hätten die fünf Säulen des Islam besseren Nährboden finden können als hier?
    In Gao gibt es nicht eine Brücke, obwohl sie seit langem im Gespräch ist. Was es jedoch gibt, ist eine Fähre, mit der auch wir übersetzen. Die Überfahrt verläuft glatt und reibungslos. Die Fähren über den Niger tragen allesamt Namen; die unsrige heißt Heinrich Barth, obwohl es nicht die erste ihres Namens ist. Die originale Heinrich Barth ist gesunken und liegt kopfüber auf dem Grund des Flusses. Auf der gegenüberliegenden Seite erwartet uns leichtes Steilufer, und wir dürfen von jetzt an wieder mit einer Asphaltpiste vorliebnehmen. Wie Vogelschwärme so dicht schwirren hier die Insekten durch die Luft, und wenn sie sich hinsetzen, so wählen sie alle den gleichen Baum.

In den Hombori-Bergen

    Die Strecke von Gao nach Mopti durchzieht, von kaum erkennbaren Erhebungen abgesehen, unendlich ebene Wüstensavanne, von der ständigen Auszehrung durch die Sonne ausgebleichtes, in der Hitze schmachtendes Land, in dem selbst der Mensch selten geworden ist. Dazu ist der Himmel von einer unerbittlichen, gnadenlosen Klarheit, und das Zentralgestirn straft die Erde Sünden. Für mich sind die Tage anfänglichen Elends vorüber, und von Tag zu Tag fühle ich mich besser. Das liegt vielleicht und nicht zuletzt an dem täglichen Quantum Whiskey, ohne das man in den Tropen nicht auskommt.
    Unerwartet tauchen in der Ferne aus dem heißen Dunst die geheimnisvollen Ausläufer der Hombori-Berge auf, einzelne Tafelberge, die als Rest einer abgetragenen Hochfläche stehengeblieben sind und die mit ihren natürlichen Zinnen und Türmchen aussehen wie mittelalterliche Schlösser. In diesem Gebirge finden wir zugleich den höchsten Berg Malis, den 1155 m hohen Hombori Tondo. Er sieht aus wie ein riesiger, im Boden versunkener Zylinder. Diese Formationen erinnern an das Monument Valley in Arizona. Als nächste Überraschung wartet die "Hand der Fathma" auf, benannt nach der Tochter des Propheten Mohammed. Fingern gleich, wie zum Schwur erhoben, ragen diese Felsnadeln, endlos lang, in den strahlend blauen Himmel. Es ist eine einzigartige Landschaft mit senkrecht stehenden Felswänden, die dem Kletterer höchste Schwierigkeitgrade abverlangen, und das Faszinierende daran ist der abrupte Übergang, mit der diese Erhebungen monolithengleich aus der Ebene emporsteigen. Geologisch gesehen handelt sich um Urgestein, mit dem wir es hier zu tun haben, gewachsenen roten Trachyt, und die Szenerie ringsherum ist spektakulär genug, um eine Kulisse für jeden guten Science-Fiction-Film abgeben zu können. Die Wildheit dieser Landschaft ist ins Diabolische, Fratzenhafte gesteigert. Man könnte gut und gern einen vierwöchigen Aufenthalt in Hombori einlegen, und selbst dann würde man längst nicht alle Felstürme, die immer wieder mit den vielfältigsten Überraschungen aufwarten, bestiegen haben. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts kam der große deutsche Afrikaforscher Heinrich Barth auf seiner Durchreise hier vorbei und hat einige der Berggestalten auf seinen Holzschnitten festgehalten. Der größte Bildhauer aber ist die Natur selbst, es gibt sicher keinen größeren. Sie hat Formen hervorgebracht, an die keine menschliche Hand jemals heranreicht. Hinzu kommt, daß keine menschliche Behausung, kein liegengebliebener Unrat die Idylle stört - bis jetzt jedenfalls. Daher sollte dieses Gebiet, falls noch nicht geschehen, schnellstens unter Naturschutz gestellt werden.
    In der Nacht erkrankt der erste aus unserer Gruppe an der Ruhr. Diese Krankheit äußerst sich in galoppierendem blutigen Durchfall. Dazu kommen Fieber und Schüttelfrost. Er sagt, er möchte am liebsten sterben. Wir wissen zum jetzigen Zeitpunkt nicht, ob wir die Reise mit ihm fortsetzen können.

Legendäres Timbuktu

    Am Morgen treffen unsere lokalen Führer ein, die uns nach Timbuktu begleiten werden. Als wir noch in der Dämmerung aufbrechen, zeigen sich die Hombori-Berge in gespenstisch-düsterem Licht. Die "Klippen von Gourma" stehen wie furchteinflößende Zyklopen über uns. Zu ihren Füßen liegt, im Halbdunkel noch kaum erkennbar, ein idyllisches Dorf. Wir steigen mit staunenden, senkrecht nach oben gerichteten Blicken aus und stehen ehrfurchtsvoll vor einem wie von einem großen Meister geschaffenen Werk, als rötlich-violett die Sonne aufgeht und der morgende Tag die funkelnden Sterne vertreibt. In der fühlbaren Kühle ist die Fahrt noch angenehm, doch je höher die Sonne steigt, desto spürbarer wächst auch die Belastung für Kopf und Kreislauf. Neben der immer höher wandernden Sonne empfinden wir jede Rüttelbewegung zunehmend unangenehm im Gehirn, als unser Viererkonvoj in rasender Fahrt mit 80 Sachen über die ständig staubiger werdende Piste donnert. Irgendwann müssen wir dann auf Allradantrieb umschalten. Ausgebleicht und lichtüberflutet liegt die ausgedörrte Graslandschaft darnieder, und nur der alles verblasende Fahrtwind läßt die roten Staubwolken der hinter uns herkommenden Fahrzeuge sich lichten. Zahlreiche Salzkarawanen, die ihre Lasten wie seit undenklichen Zeiten noch immer auf Eseln transportieren, kommen uns entgegen. In umgekehrter Richtung transportieren sie Säcke voll Hirse und Reis, all ihre Geschäfte noch immer im gleichen Naturalientauschhandel abwickelnd. Die Händler sind aber keine Negriden, sondern Berberstämmige bzw. Araber. Sie benutzen ihre Tiere auch nicht zum Reiten, sondern laufen zu Fuß neben ihnen her, denn alle bis auf das letzte sind mit Waren vollbepackt. Nach etwa siebenstündiger Fahrt, die nur durch kürzere Pausen unterbrochen ist, stehen wir ohne jede Vorankündigung plötzlich am Niger, der hier sein sogenanntes Binnendelta bildet. An landschaftlichen Reizen haben wir auf diesem ganzen Abstecher keine sonderlichen Eindrücke gesammelt, so daß das Unternehmen, zu dem sich eigentlich nur halbverrückte Europäer entschließen können, zur Farce wird. Doch wer möchte Westafrika bereist haben, ohne in Timbuktu gewesen zu sein? Man kann den Ort, über dessen legendären Ruf wir bereits im Schulunterricht vernommen, nicht allen Ernstes aussparen wollen. Zudem befahren wir einen Weg, den bereits 150 Jahre vor uns Heinrich Barth auf seiner Reise zu den Hombori-Bergen genommen hat. Wer sich heute im offenen Jeep diesen "Strapazen" unterzieht, ahnt freilich nicht, welchen Anstrengungen und Fährnissen Heinrich Barth, dessen Haus in Timbuktu noch heute besichtigt werden kann, einst ausgesetzt war.
    Das Warten auf die Fähre zieht sich in die Länge, was die Belastungsprobe noch größer werden läßt. Zeit ist offenbar das einzige, was Afrika im Überfluß hat. Das Übersetzen mit der Fähre ist ein zähes Unterfangen. Mehr als unsere vier Fahrzeuge passen nicht auf das Boot, und unter der Last ihres Gewichts sinkt das Unterwasserschiff noch tiefer ab, so daß wir anfangs fast dauernd Grundberührung haben. Es währt eine Ewigkeit, bis das Gefährt frei ist und ungehindert Fahrt aufnehmen kann. Noch gut 20 km sind zurückzulegen, diesmal allerdings auf der Teerstraße, bis wir Timbuktu erreichen.
    Die Stadt ist in Steinbauweise errichtet, wenngleich die größeren Moscheen noch in ihrer traditionellen Stampflehmarchitektur erhalten sind. Der Islam kam, als die Marokkaner sich hier festsetzten. Es ist schade, daß die Menschen durch ihn ihrer Ursprünglichkeit beraubt wurden. Die Stadt als solche ist ein schmutziges Nest, zumal der ganze Unrat von den Einwohnern einfach auf die Straßen geworfen wird, die dann entweder gar nicht oder nur gelegentlich gereinigt werden. Abwasserkanäle gibt es in Timbuktu nicht, und falls doch, so fließen sie oberirdisch, Rinnsalen gleich. Man muß bei jedem Tritt aufpassen, wo man den Fuß hinsetzt, und während des Gehens Maulaffen feilhalten ist gefährlich. Timbuktu besitzt weder geteerte noch gepflasterte Straßen, und gäbe es sie, so wären sie vom Sande zugeweht. Aller Unrat bleibt liegen, wo er hinfällt. Man muß sich schon fragen, wie die Menschen unter diesen katastrophalen Bedingungen überhaupt hier leben können. Doch der Afrikaner hat ein anderes Empfinden als wir Weißen. Er verkraftet vieles leichter, was unsereinen aus der Fassung bringen würde. Bei all dem ist die Versorgungslage mehr als unzureichend. Wir haben schon seit Tagen nichts Vernünftiges mehr gegessen. Auch wenn aufgrund der großen Hitze der Appetit eingeschränkt ist, hängt dennoch die menschliche Laune davon ab, daß der Blutzuckerspiegel nicht zu tief absinkt. Untergebracht sind wir in einer Karawanserei. Die Betten sind schmutzig, voller Sand und Flecken, und ein zerrissenes Moskitonetz soll gegen die Mücken schützen. Unser örtlicher Führer spricht Englisch, doch mit mir lieber auf Französisch, weil ich ihn zuerst in dieser Sprache angesprochen habe. Neben seiner Tätigkeit als Fremdenführer geht er offenbar noch einem Nebenerwerb als Gärtner nach; ob dies sein Beruf ist, vermag ich allerdings nicht zu sagen. Stolz zeigt er mit dem Finger auf all die Bäume, die er gepflanzt hat. Eben deswegen kennen ihn auch viele Leute, und er kennt sie. Die Stadt beherbergt etwa 25.000 Menschen, von denen die meisten vom Handel leben.
    Auf unserem geführten Rundgang besichtigen wir drei der Moscheen der Stadt, den Basar und die Häuser, in denen die großen Afrikaforscher Heinrich Barth, René Caillié und Alexander Gordon Laing ihren Aufenthalt genommen hatten. Laing wurde ermordet, weil er nicht zum Islam übertreten wollte. René Caillié unternahm seine Reise als Araber verkleidet. Er trat zwar zum Islam über, legte diesen aber wieder ab, als er Timbuktu verlassen hatte. In dem Haus, in dem einst Heinrich Barth lebte, ist ein interessantes Museum untergebracht, in dem die wichtigsten Stationen seines Lebens gezeigt werden und die großen Leistungen des berühmten Afrikaforschers beschrieben sind. Es ist wahrhaft bewundernswert, mit welcher Begabung Barth gleich mehrere afrikanische Sprachen erlernte, arabisch lesen und schreiben konnte und sich um die Erforschung der Geschichte der afrikanischen Königreiche verdient gemacht hat.
    Am späten Vormittag treten wir die beschwerliche Rückfahrt an. Eine Flasche Wasser ist alles, was mir auf der neunstündigen Fahrt durch die Wüste als Wegzehrung dient, denn die Märkte haben vormittags alle noch geschlossen. Unsere einheimischen Führer kommen mit ein paar Datteln als Wegzehrung über die Runden.
    Wegen starker Militärpräsenz am Landesteg kommen nicht alle unsere Fahrzeuge auf die Fähre, denn das Militär hat ganz klar Vorrang. Somit muß eines unserer Fahrzeuge zurückbleiben und damit leider auch unsere Pässe, die wir eingesammelt und einem der Unseren anvertraut haben. Wir treten somit unsere Rückfahrt mit einem halben Dutzend Kalaschnikows im Nacken an. Die Soldaten machen einen verlotterten Eindruck: ihre Stiefel sind nicht geschnürt, wer will, trägt Sonnenbrille und als Kopfbedeckung einen Schesch. Daß es der Mannschaft gehörig an Disziplin fehlt und mit ihr kein Krieg zu gewinnen ist, ist offenkundig. Vorbei an den Uferdünen geht es in luftiger Fahrt hinaus auf den Strom. Ich persönlich fühle mich, obwohl ich nichts oder nur wenig gegessen haben, außerordentlich wohl heute, während die meisten anderen über Durchfall klagen. Da die Fähre aufgrund der Untiefen nicht direkt am Ufer anlegen kann, sondern ein Stück weit draußen liegenbleiben muß, muß ein Mann der Besatzung durch das seichte Wasser vorauslaufen, damit die Fahrzeuge die Furt finden und nicht in den Fluten untergehen.
    Ohnehin schon erheblich im Verzug, rasen wir zurück wie die Wilde Jagd. So kommt es zu dramatischen Überholmanövern, die uns bisweilen unsere bisherige Spitzenposition einbüßen lassen, die wir uns nur mühsam zurückerobern. Man kann schließlich den armen Fahrer, der ohnehin Blut schwitzt, nicht auch noch schlagen wie ein Pferd auf der Trabrennbahn.
    Als die Sonne nur mehr eine Handbreit über dem Horizont steht, tauchen vor uns wieder die rötlichen Hombori-Berge auf. Sie fallen mit nahezu senkrechten Wänden, ohne richtigen Übergang, zum Niger-Becken ab. Nur mehr schwachgelb glimmend versinkt nach einer knappen Stunde die Sonne, und messerscharf zeichnet sich jeder Baum, jeder Strauch wie Figuren eines Schattenspiels ab. Senkrecht fällt sie, bis sie innerhalb weniger Minuten den Blicken des Betrachters entzogen ist, ohne eine nennenswerte Rotfärbung am Himmel zu hinterlassen. Wie von einer unüberwindlichen Barriere zurückgeschmettert, fegen wir in unseren Jeeps zu Füßen der nun gänzlich violett erscheinenden Hombori-Berge dahin, und der lateritfarbene Sand wird zunehmend matt und fahl. Die gratigen Umrisse der Felstürme nehmen alsbald gespenstische Züge an, und nur die Zapfen gleichenden Termitenbauten legen uns Hindernisse in den Weg. Kein Lüftchen regt sich, als dünne Wolkenbänder rotglühend die Nacht ankündigen. Nacht ist es nach der Definition des Islam jedoch erst, wenn ein Wollfaden, der auf dem Boden liegt, keinen Schatten mehr wirft.

Fahrt auf dem Niger

    In Koma besteigen wir eine Pinasse, um einen Teil unserer Strecke auf dem Wasserweg zurückzulegen. Auch größere Schiffe verkehren auf dem Niger, doch haben wir keines in Fahrt befindlich gesehen. Nun ist so eine Fahrt auf dem Niger alles andere als aufregend, eher eintönig und langweilig: die Ufer sind flach, die Tiere weitgehend ausgerottet, und was an Boden vorhanden ist, wird landschaftlich genutzt. Ein besonderes Ambiente haben jedoch die zahlreichen Fischerboote, die ihre Netze ausbringen oder einholen. Ist der Fisch gefangen, wird er am Flußufer in der Sonne ausgebreitet. Ganze Teppiche silbern glitzernder Fische liegen dort zum Verkauf angeboten. Unsere Verpflegung für unterwegs muß mitgeführt werden. An Bord existieren alle Möglichkeiten der Zubereitung, wenngleich etwas bescheidene: der fangfrische Fisch wird gegrillt, die Kartoffeln geschält und gekocht, und fertig ist die Mahlzeit! Der Flußfisch schmeckt nicht schlecht, enthält aber viele Gräten.
    Nach mehreren kürzeren Aufenthalten in typischen Fischerdörfern, wo außer einer Lehmmoschee nichts geboten ist, erreichen wir nach längerer Fahrt Mopti, im gleißenden Gegenlicht. Der Ort hat einen natürlichen Hafen, und im stimmungsvollen Abendlicht kann man sich nicht satt sehen an dem bunten Treiben, dem ständigen Kommen und Gehen. Mopti ist eine Stadt, die jeglicher Attraktionen entbehrt, es sei denn, man ist fasziniert von dem Gedränge, dem Schmutz und dem Elend, in dem die Menschen hier leben. Eine Kanalisation gibt es nicht, d.h. die Kloake läuft oberirdisch ab. "Menschliches Begreifen zuckt zusammen, wenn es so etwas sieht." Staub und Fäkalien mischen sich zu einem infektionsträchtigen Herd. Wenn während der Regenzeit die Straßen der Stadt unter Wasser stehen, schwimmt die giftige Brühe buchstäblich durch die Stadt. Wen wundert es da, wenn immer wieder Epidemien ausbrechen. Was hier über die unzulängliche medizinische Versorgungslage und die unzureichenden hygienischen Zustände zutage tritt, vermag Wut auszulösen. Die Stadt selbst hat außer dem Markt, dem Hafen und der Moschee nichts, was einen Besuch lohnt. Auf dem Basar gibt es schöne Dogon-Masken. Man muß handeln und kann nicht selten um ein Drittel des geforderten Preises einkaufen.
    Wer Mali bereist, wird in vielfacher Hinsicht schockiert sein. Es gibt keine ordentliche Krankenversorgung, Bettler und Krüppel bevölkern das Stadtbild. In ganz Mali bekommt man nur sandiges Brot zu essen. Eine Belästigung der besonderen Art stellen die ständig bettelnden Kinder dar, die sehr hartnäckig sein können. Jeder möchte ein "Cadeau", ein Geschenk, doch könnte man so viele Mitbringsel gar nicht mitnehmen, wollte man allen etwas geben. Einige der Unseren verteilen irgendwelche wertlosen Dinge an die Kinder, die sich darum nicht selten die Köpfe blutig schlagen. Noch will es nicht in die Gehirne dringen, daß der gesamte Unrat der westlichen Welt hier in Afrika mehr Schaden anrichtet als Nutzen stiftet, und daß die eigentlichen Probleme durch kleine Geschenke, die zwar die Freundschaft erhalten, keineswegs aus der Welt geschafft sind.

Bei den Dogons

    Nachdem wir Mopti hinter uns gebracht haben, brechen wir auf zu einem Abstecher ins Dogon-Land. Es kündigt sich durch eigenartige Felsformationen an, die aus nubischem Sandstein aufgebaut sind. Vermehrt tauchen nun diese turmähnlichen Felsstöcke auf, von natürlich gepflastertem Boden umgeben, dem die Erdkrume abhanden gekommen ist. Unter einem ausgehöhlten Felsen, der an einen steinzeitlichen Unterschlupf erinnert, legen wir Mittagsrast ein. Ringsum hat die Natur spektakuläre Winderosionsformen geschaffen, Felsen, denen die Natur ein pilzförmiges Aussehen verliehen hat und die rundherum überhängen und von keiner Seite zu ersteigen sind. In den rötlichen Sandstein hat sich der Wüstenlack eingebrannt. Zahlreiche Auswaschungen und Durchbrüche haben ein geheimnisvolles Labyrinth geschaffen. Hinzu kommt der großartige Ausblick auf das allmählich sich absenkende Hinterland, aus dem, so weit das Auge reicht, einzelne Sandsteintürme herausragen.
    Eine schlechte, schwer fahrbare Piste führt abseits der Hauptroute zu dem Dorf Songo. An einen steilen Felsen geschmiegt, der tafelbergartig über den Ort hinausragt, liegt die Grotte von Songo, keine Höhle im eigentlichen Sinne, sondern ein gewaltiger Felsüberhang, der noch heute als Zeremonienplatz dient. Hier findet alle vier Jahre die rituelle Beschneidung statt. Auch sind die Felsmalereien keineswegs prähistorisch, sondern sie wurden von den Beschneidungskindern angefertigt. Das typische Symbol der Dogon, das darin immer wieder auftaucht, ist das sogenannte Kanaga-Kreuz. Es finden nur die Farben weiß, rot und schwarz Verwendung. Rot hat die Bedeutung des Göttlichen, Weiß steht für die Natur und Schwarz für den Tod. Auch wenn wir hier nicht auf Altes stoßen, so ist es dennoch die einzigartige Aura, die diesen Ort umgibt, so daß man sich gut und gern um zehntausend Jahre zurückversetzt fühlen könnte. Äußerst malerisch fügen sich die typischen Rundhäuser der Dogon in die Landschaft ein.
    Hinter Bandiagara bildet der Yawe-Fluß einen kleinen Canyon, an dessen Rand wir uns nur mühsam voranquälen. Die noch verbleibende Strecke bis zur Falaise ist weiter nichts als ein Trümmerfeld. Dieses wechselt dort, wo bewässert wird, mit einzigartig grünem Kulturland ab. Der heutige Tag ist wettermäßig total untypisch: der Himmel ist mit dünnen Staubwolken bedeckt und es ist schwül-heiß.
    Im Gebiet der Dogon ist der gefährliche Guinea-Wurm beheimatet. Seine Larven dringen durch die Fußsohlen in den Körper ein, bis sie sich schließlich, wenn es für eine Bekämpfung schon zu spät ist, im Muskelgewebe festsetzen. Darum hüte man sich davor, barfuß in Schlammtümpeln zu waten.
    Nach einer windigen Vollmondnacht steigen wir im Morgenlicht des nächsten Tages die Klippe von Bandiagara hinab. Man stößt auf sie völlig unerwartet. Plötzlich steht man am Abgrund und erblickt unter sich eine weit ausgedehnte, etwa hundert Meter tiefer liegende Ebene. Im geologischen Sprachgebrauch nennt man eine solche Auffälligkeit im Gelände Abbruchkante. Der Abstieg ist steil, aber nicht schwierig. Je tiefer man kommt, desto imposanter kommt das Stufenartige zum Ausdruck. Durch Kräfte der Erdkruste sind die beiden zerbrochenen Plattenhälften gegeneinander verrutscht. Die Falaise von Bandiagara zieht sich auf einer Länge von über einhundert Kilometern hin, und sie zu überwinden ist ein fast archaisches Unternehmen. Läge nicht am Fuße des Abstiegs ein Dogon-Dorf, so könnte man sich gut und gern in die Vorzeit versetzt fühlen, in der Flugsaurier und andere Urweltechsen ihr Unwesen trieben.
    Im Ort Tereli führen die Dogon ihre traditionellen Maskentänze auf. Das Sirige-Fest der Dogon, das alle sechzig Jahre gefeiert wird, was etwa dem Leben eines Menschen entspricht, hängt mit den Monden des Sirius zusammen. Der Festplatz liegt malerisch zwischen Felsblöcken eingebettet zu Füßen der Klippe, die einen majestätischen Rahmen zu den bunten Kostümen absteckt. Unter dem eindringlichen und mitreißenden Schlagen der Trommeln werden zuerst paarweise, dann kollektiv die verschiedenen Tanzmasken vorgeführt, darunter die des Kalo-Vogels, des Büffels, der Antilope, Hyäne, Hirschkuh und des Hasen, die allesamt Tiere repräsentieren. Einige spezielle Masken, die nichts mit Tieren zu tun haben, sind die Maske des Kanaga-Kreuzes, die Mutter der Masken, die Maske des Kropfs, die Peul-Maske, welche die Freundschaft repräsentiert, die Maske der jungen Mädchen, deren Träger auf Stelzen gehen und die sogenannte Stockwerksmaske. Es tanzen stets nur die Männer, und zwar aus relativ bedeutungslosen Anlässen, z.B. wenn ein Kind die Mittlere Reife bestanden hat. Nach einem einheimischen Essen, dessen besondere Note in einer landestypischen Erdnußsoße besteht, machen wir uns auf den beschwerlichen Rückweg. Zwischen zyklopenhaften Felsblöcken hindurch, vorbei an riesenhaften Baobabs, steigen wir die Steilklippe auf einem anderen Weg, als wir ihn gekommen sind, wieder hinauf. Die Einheimischen, überwiegend Kinder, begleiten uns in großer Zahl und reißen sich förmlich darum, unser Gepäck tragen zu dürfen. In der glühenden Mittagshitze fließt der Schweiß reichlich, und wir konsumieren ungeheure Mengen Flüssigkeit. Gegen Mittag ist die tiefer liegende Ebene vollständig in milchigen Dunst getaucht, die Dünen haben ihre morgendliche Leuchtkraft eingebüßt und sehen jetzt blaß aus. Wir sind um jedes Stückchen Schatten froh, weil dort immer ein frisches Lüftchen weht. Oben angelangt, geht es nach kurzer Verschnaufpause den gleichen Weg, auf dem wir gekommen sind, wieder zurück, bis wir schließlich, als es Abend wird, unser Buschcamp erreichen. Es ist dies auch der Tag, als schon um eine Woche verspätet das erste Mal der Harmattan durchbricht, ein trocken-heißer Wind aus der Sahara, der für den Sahel typisch ist. Er hat sich bereits in gestriger Nacht mit dem Halo des Mondes angekündigt.
    Vor Einbuch der Dämmerung schlagen wir an einer Furt, direkt am Bani-Fluß, unser Lager. Pausenlos treffen hier schwere Lkw ein, die auf der kleinen Fähre übersetzen wollen. Auch Händler und Kinder, zahlreicher als die Fliegen, bedrängen uns wieder, kaum daß wir ausgestiegen sind. Es scheint uns fast unmöglich, ungestört unser Abendbrot einzunehmen. Die Art, wie die Kontaktaufnahme erfolgt, läuft immer nach dem gleichen Schema ab: "Madame, Monsieur, ça va? Donnez les pics!" So lautet das französische Wort für Kugelschreiber, und wer es versäumt haben sollte, seinen Stift zu verbergen, der wird seines Lebens nicht mehr froh. Denn sowie ihn der erste nicht erhält, wagt unverdrossen der nächste den Versuch, wohl in der Annahme, es könne Gründe geben, die ihm eine bevorzugte Behandlung angedeihen ließen, und so fort.
    Die Nacht ist mondhell, und der volle Mond beleuchtet den Fluß, der das Licht tausendfach wiedergibt, als würden die schaukelnden Wellen nicht vom Winde, sondern vom lauten Zirpen der Grillen sich kräuseln. Es wird angenehm kühl in der Nacht, und wegen der ständigen leichten Brise gibt es keine Mücken. Als die Stimmen der Kinder verstummt sind, sind es nur noch diese Laute, die in stiller werdender Nacht desto eindringlicher klingen. Was stört, ist allerdings der nicht enden wollende Fährbetrieb über den Fluß, der hier so seicht ist, daß ein Pferd ohne einzutauchen hinüberwaten kann.

Ein Weltkulturerbe aus Lehm

    Am nächsten Morgen besteigen wir zwei Pinassen, die uns in wenigen Minuten ans jenseitige Ufer übersetzen. Dort warten bereits zwei Buschtaxis auf uns, die uns in nur zehn Minuten ins Zentrum von Djenné bringen, wo heute Markttag abgehalten wird. Dadurch ist uns ein wenig die Sicht verstellt auf die von der UNESCO unter das Weltkulturerbe aufgenommene Moschee, die größte ihrer Art in ganz Mali, ja vielleicht in Afrika. Sie ist im sogenannten sudanesischen Baustil errichtet, dessen großer Förderer während der Kolonialzeit der Franzose Poincarré war. Das in Stampflehmarchitektur errichtete Bauwerk wurde in den Dreißiger Jahren restauriert, wenngleich seine Anfänge bis weit ins 14. Jahrhundert zurückreichen. Typisches Merkmal sind die von Längsrippen unterbrochenen Wände, die der Stützung dienen, denn Lehmmauern haben nun einmal die Eigenschaft, daß sie nicht über größere Längen stabil bleiben. Wohl auch zum Erhalt der Festigkeit sind die Hölzer der Borassuspalme als Streben eingefügt. Ihre Enden ragen aus den sonst glatten Mauern heraus wie die Stacheln eines Igels. Wenngleich das Bauwerk einigermaßen eindrucksvoll ist, so ist es dennoch nichts, was Afrika aus sich hervorgebracht hätte, sondern etwas, das vom Islam und seinen Bautraditionen beeinflußt war, ähnlich wie auch die Indios Südamerikas unter dem Einfluß der Jesuiten wahre Prachtbauten errichtet haben. Von der Dachterrasse eines dem Hauptplatz gegenüberliegenden Gebäudes hat man einen umfassenden Rundblick, nicht nur auf den darunterliegenden Markt, sondern auch auf die Moschee. Ein Rundgang durch die Stadt führt uns zu einigen alten Häusern, wie etwa dem des Marabout und dem von René Caillié, dem großen Afrikaforscher.
    Es muß nicht ausdrücklich wiederholt werden, daß selbstverständlich auch Djenné unter einer fehlenden Kanalisation leidet und Berge von Müll und Unrat die Stadt zu einem Herd von Krankheitserregern werden lassen, die der einsetzende Harmattan in die Augen und Atemwege der Menschen trägt. Den Markt erleben wir wie immer, und ich glaube, daß wir außer einigen zwergenhaften Bananen nichts Vernünftiges an Lebensmitteln entdecken konnten. Leider ist Djenné, gewissermaßen als Hauptattraktion der Region, auch vom Tourismus bereits entdeckt worden, und so sollte man sich nicht allzusehr darüber ärgern, wenn man viele Deutsche in der Stadt herumlaufen sieht. Obwohl auch das Automobil Einzug gehalten hat, sind der Eselskarren oder die Pferdekutsche noch immer ein unverzichtbares Beförderungsmittel.
    In San, das einer Kloake gleicht, füllen wir unsere Wasserkanister auf. Als ich bei der Gelegenheit eine Cola kaufe, gibt mir der Händler mehr Geld zurück, als ich ihm gegeben habe. Ich bin immer wieder überrascht, wenn mich ein Einheimischer auf offener Straße anspricht und mir auf den Kopf zusagt, ich sei Deutscher. Umgekehrt hätte ich erhebliche Probleme, die Angehörigen der verschiedenen Ethnien Afrikas auseinanderzuhalten. Das tägliche Wohlbefinden ist nun neben der Hitze hauptsächlich durch den leichten Durchfall getrübt, der uns alle heimgesucht hat, sowie durch die zahllosen Mückenstiche, mit denen trotz Verwendung eines Mückenmittels der Körper besonders an Beinen und Armen übersät ist. Die Mücken sind so klein, daß man sie nicht sieht, und die Stiche so schmerzhaft und verursachen einen derartigen Juckreiz, daß es einem den Urlaub stark verdrießen kann. Die Wunden sondern unbehandelt am Ende einen eitrig-blutigen Ausfluß ab.

Über den Bani nach Bamako

    Hinter dem Ort Bla, der bekannt ist für seine Kalebassenherstellung, überqueren wir den Bani, diesmal auf einer Brücke. Kalebassen sind Nachtschattengewächse ähnlich unserer Tomate, sie werden jedoch nicht gegessen, sondern dienen ausschließlich zu Transportzwecken. Die Fahrt durch die Parksavanne ist unendlich monoton, und man versäumt nichts, was anzuschauen sich lohnen könnte.
    Als der Mond an diesem Abend über der Savanne aufgeht, sind die Stunden des alten Jahres gezählt. Wir lagern unter einem mächtigen Baum, einer sogenannten Parkia. Anstelle der Geräusche in gewohnt lauschiger Nacht dröhnen nun die Klänge der Rockmusik hinaus in den Busch und läuten das Neue Jahr ein. Bei Sherry und anderen Spirituosen werden Glückwünsche ausgetauscht, und nun ist die Nacht nur noch kurz, denn schon frühmorgens stehen wieder die Kinder vor den Zelten, so wie sie uns gestern abend umlagert haben, staunend und mit großen Augen. Sie sind scheu und schüchtern und warten darauf, daß ein Geschenk für sie abfällt. Wenn sie in großen Scharen auftreten, können sie zu einer richtigen Plage werden, denn man hat alle Mühe, sie von seinen persönlichen Sachen fernzuhalten. Und über eines muß man sich klar sein: Kinder trifft man in Mali überall an, denn ein Platz kann so entlegen nicht sein, daß er unentdeckt bliebe. Im dichter bevölkerten Europa kann man einsamere Stellen finden als hier in den Weiten der afrikanischen Savanne.
    Es ist dies bereits unsere dritte Buschübernachtung in Serie, und ich hätte gegen ein reinigendes Duschbad nichts einzuwenden. Der Afrikaner, den ich kenne, besitzt kein ausgeprägtes Reinlichkeits- und Sauberkeitsbedürfnis, hier nicht und auch nicht anderswo. Seine Einstellung gegenüber Schmutz und Unrat ist von der unsrigen grundverschieden, oder diese Begriffe werden anders empfunden. Wir Europäer zwingen ihm unsere Vorstellungen von Sauberkeit und Hygiene weitgehend auf, und wir haben ihn dadurch verändert. Der Schwarze hat bekanntlich eine andere Mentalität als der Weiße, jedenfalls in seinen Ursprungsländern. Er hat im Grunde eine gutmütige und friedfertige Seele, die allerdings auch zu unerwarteten Gefühlsausbrüchen neigt. Er ist äußerst kontaktfreudig, streckt freiwillig die Hand entgegen und schämt sich keineswegs zu betteln. Die hier leben haben eine eher leise Stimme, und wenn sie etwas fordern, so tun sie das nicht gerade mit drohendem Nachdruck, sondern eher mit lästig fallender Ausdauer. Die Frauen scheinen das fleißigere Geschlecht zu sein, jedenfalls sind sie mit vielfältigen Arbeiten betraut, auch mit Tätigkeiten, die in unserer Gesellschaft mehr dem Manne zukommen, etwa mit dem Tragen von schweren Lasten. Sie alle sind unterernährt, besonders den Kindern fehlt es entsprechend an Muskulatur. Daher werden die meisten auch nur mittelgroß. Eine besondere Sorgfalt verwenden Afrikaner auf ihre Frisur, die manchmal geradezu kunstvoll hergerichtet ist. Ihre Kleidung ist ärmlich, aber bunt. Das Analphabetentum liegt in Mali trotz allgemeiner Schulpflicht relativ hoch. Wer nicht in der Landwirtschaft oder als Straßenhändler tätig ist, verdient seinen Lebensunterhalt mit der Herstellung von Kunsthandwerk, worin Afrikaner manchmal eine erstaunliche Geschicklichkeit aufbringen. Die große Hitze dürfte dem Dunkelhäutigen aufgrund seiner an die klimatischen Verhältnisse angepaßten Konstitution nichts ausmachen. Er verhält sich aber genauso wie ein Europäer in diesen Breiten, der unter tropischen Bedingungen zu keiner schweren körperlichen Arbeit oder anspruchsvollen geistigen Tätigkeit fähig ist. Negride sind oft seichte, man möchte fast sagen, "seelenlose" Wesen, zumeist ohne starke Persönlichkeit. Ein ernsthaftes oder tiefgreifendes Gespräch mit ihnen zu führen, ist schier unmöglich, so hat es wenigstens den Anschein.
    Dem Kindersegen in den afrikanischen Ländern begegnen Menschen aus der westlichen Welt häufig mit spöttischer Verachtung. Die Armen ahnen freilich nicht, daß die Natur andere Wertmaßstäbe anlegt, und daß sie ob ihrer Kinderlosigkeit bereits ausgestorben sein werden, wenn die anderen die Erde noch immer bevölkern. Insofern muß der Begriff "edle Rasse" neu definiert werden, denn was helfen die beste Veranlagung und gute Eigenschaften, wenn sie nicht weitergegeben werden. Insofern stuft die Natur besonders diejenigen als minderwertig ein, die kinderlos bleiben, weil sie sich aus irgendeinem Grund nicht fortpflanzen können. Eine Rasse wie die sogenannte "arische" kann sich daher anderen Rassen gegenüber nicht als überlegen präsentieren, wenn sie nicht imstande ist, sich durchzusetzen.
    Bei Ségou erreichen wir kurz nach Abfahrt den Niger, wo übrigens auch der schottische Arzt Mungo Park auf ihn stieß. Man hält es kaum für möglich, daß es hier am fruchtbaren Nigerufer vor Jahren zu einer Hungerkatastrophe kommen konnte, die auf Schwierigkeiten bei der Nahrungsmittelproduktion zurückzuführen war, denn offenbar hatte man nicht daran gedacht, die reichlich fließenden Wasser des Niger zur Bewässerung der Felder zu nutzen. Über das regelmäßige Fehlschlagen von Entwicklungs-projekten kommt man überdies zu der Einsicht, daß es schade ist um die unnötigen Ausgaben.
    Kurz vor Bamako verschwindet der rote Laterit, und es bilden plötzlich wieder Felsen den Untergrund, die Landschaft wird leicht hügelig. Im Dunst der Mittagshitze gelangen wir nach Bamako, der Hauptstadt Malis. Abgesehen vom neuerbauten Fußballstadion, wo dieses Jahr der Africa‘s Cup ausgetragen wird, erfüllt die Stadt alle Erwartungen einer afrikanischen Metropole: Unrat und Elendsviertel, dichten Verkehr und blauen Dunst, ein rigoroses Durcheinander von allem, das perfekte Chaos. Dennoch hat die Stadt auch das gewisse Etwas. Bis auf einige wenige repräsentative Gebäude, zumeist Banken, besteht die Stadt aus Baracken. Ein Stadtzentrum gibt es nicht. Am ehesten könnte wohl noch das ehemalige koloniale Zentrum als solches bezeichnet werden, denn hier haben sich gleich mehrere alte Kolonialgebäude erhalten. Afrika ist die Welt der Masken, einige schöne und interessante Exemplare werden in dem kleinen Museum von Bamako ausgestellt.
    Düfte von verdorbenem Fisch und Jauche ziehen sich die gesamte Uferpromenade entlang. Männer wie Frauen, gleich welcher Abkunft, spucken bei Bedarf einfach auf der Straße aus. Dabei ist Bamako eine Stadt des Denunziantentums: Bettler, Krüppel und Uniformen dürfen in der Stadt nicht photographiert werden; man schämt sich seiner Armut. Einen anderen anzuzeigen, weil er einen Bettler, Krüppel, Polizisten oder militärische Einrichtungen photographiert hat, wird von den Behörden sogar honoriert.
    Nach Tagen der Entbehrung mundet das erste Steak des neuen Jahres in einem libanesich geführten Restaurant vorzüglich. Auch das Wiener Gebäck hätte noch einigen Reiz auf uns ausgeübt, doch hat es den Anschein, als wären wir größeren Portionen nicht mehr gewachsen.
    Bamako, was in der Sprache der Malinke nichts anderes als "Krokodiltümpel" bedeutet, stellt in jeder Hinsicht den Tiefpunkt der bisherigen Reise dar, sowohl was Klima und Hygiene anbelangt als auch die Moral meiner Mitreisenden. Es beginnt nun ein neuer Härtetest, denn bis zur Grenze Malis mit dem Senegal müssen wir insgesamt dreimal im Busch übernachten. Die tägliche Menge Waschwasser ist nicht größer, als ein Wassersack sie aufnehmen kann. Mir wird auch sonst alles knapp, was man tagtäglich braucht: Seife, Papier, Kleidung. Das einzig Erfreuliche, was es zu berichten gibt, ist, daß sich meine Unpäßlichkeit mittlerweile gelegt hat, das ständige Bangen hat ein Ende genommen.

Vom Bakoye an den Senegal

    Bereits während der Kolonialzeit wurde eine Eisenbahn von Bamako nach Dakar geplant, sehr zum Leidwesen der parallel verlaufenden Straßen, die deswegen Pisten geblieben sind. Als wir den Talkessel von Bamako verlassen, ist die Stadt vollständig in Smog eingehüllt, man kann so gut wie nichts erkennen. Hinter dem Ort Kati endet die Asphaltstraße, und die Rüttelpiste wird uns nun für mehrere Tage begleiten. Unser Weg verläuft ein gutes Stück immer längs der Bahnlinie, durch ausgebrannten Busch, Richtung Mauretanien. Es hat etwas Erhabenes an sich, stundenlang nur durch Baumsavanne und Galeriewälder zu fahren, und nicht einem einzigen Fahrzeug zu begegnen. Die Rundhüttendörfer, durch die wir kommen, zeigen an ihrem Erscheinungsbild, daß wir uns noch im Gebiet der Bambara befinden. Die Bambara-Männer pflegen auf sogenannten Palavertischen zu sitzen und dabei, wie der Name schon sagt, der übrigens aus dem Portugiesischen kommt, zu plaudern. Wenngleich selten, so überrascht diese Landschaft, die im großen und ganzen monoton und uninteressant ist, doch immer wieder aufs neue durch äußerst reizvolle Felsformationen, die zumeist die Winderosion hinterlassen hat. Man kann sich von diesen Orten gut vorstellen, daß sie ehemals Schauplatz von Kultstätten waren. An prähistorischen Ausgrabungen in Mali sind zu erwähnen: Yélimaré bei Diara, die prähistorische Grotte von Kourounkorokalé zwischen Sibi und Bamako, Kobadi bei Nampala, Asselar - hier wurden die ältesten Überreste eines Menschen mit negroiden Zügen gefunden - und Karkarichinkat im Vallée du Tilemsi, die "Werkstätten" von Lagreich bei Tademaket und Ibalaghan bei Ménaka.
    In Kita führen wir einen Richtungswechsel nach Süden durch. Mühsam zwängen wir uns durch die engen Straßen eines Dorfes, die kaum breit genug für die Durchfahrt sind. Diese romantisch gelegenen Dörfer schmiegen sich stets an den Steilabfall irgendwelcher Bergrücken, die aufgrund ihres Bewuchses aussehen wie Pilzfelsen. Unser heutiges Ziel ist die Überquerung des Schwarzen Flusses, des Bakoye.
    Auf dem Gebiet des heutigen Mali bestand bereits Mitte des 1. Jahrtausends das Königreich von Ghana, das übrigens nichts mit dem heutigen Staat Ghana zu tun hat. Die einzigen Quellen, die wir über dieses frühe Königreich haben, stammen von den arabischen Reisenden Ibn Havkal und El-Bekri. Bemerkenswert ist, daß die ersten Herrscher dieser frühen Königreiche Weiße, sprich Berber, gewesen sein sollen. Aus der Herrscherdynastie von Ghana gingen später die in Marokko an die Macht gekommenen Almoraviden hervor.
    Mühsam kämpfen wir uns voran, schweißgebadet, Meter für Meter durch Dunst und Staub, durch von Brandrodung verstümmeltes Land. Es muß nicht eigens darauf hingewiesen werden, daß der Mensch durch diesen Eingriff, wenngleich er bereits seit Jahrtausenden auf die ewig gleiche Weise vorgenommen wird, die Natur beinahe total zerstört hat. Durch lodernde Brände, von denen bereits in Hannos Fahrtenbericht die Rede ist, geht es nach einer weiteren Buschübernachtung, nach dem Hahnenschrei, auch am nächsten Morgen weiter, in Richtung Fähre und Stausee, vorbei an Weilern mit kalebassenverzierten Dächern. Wir haben den Bafing, den Weißen Fluß, zu überqueren, was uns bei einem Mißlingen zu einem langen Umweg zwingen würde. Immer wieder ragen malerische Felswände zu beiden Seiten der Piste auf, Reste eines abgetragenen Gebirges. Wegen der rasch einbrechenden Dunkelheit reicht abends die Zeit nicht mehr für irgendwelche Erkundungsgänge.
    Ziemlich steil geht es hinab zum Bafing, der an dieser Stelle von einer gigantischen Mauer aufgestaut ist. Es braucht nicht ausdrücklich darauf verwiesen werden, daß solche Staudammprojekte der Natur unermeßlichen Schaden zufügen, nicht nur dem Landschaftsbild, sondern auch der Tier- und Pflanzenwelt. Was wir heute in Afrika vorfinden, ist sicher nicht mehr die ursprüngliche Natur. Leider wissen wir nicht, wie sie einmal ausgesehen hat. Gewiß aber ist, daß sie einmal wesentlich artenreicher gewesen sein muß. Der Bafing entspringt im Fouta Djalon, einem Gebirgsmassiv in Guinea. Nach dem Zusammenfluß mit dem Bakoye trägt er den Namen Senegal. Dieser mündet bei St. Louis in den Atlantik und stellt auf einer Länge von 850 km die Grenze zwischen Senegal und Mauretanien dar.
    Bei Mahina betreten wir die Fähre, die uns zunächst bis zur Landzunge am Zusammenfluß des Bafing mit dem Bakoye bringt, dann über den Bakoye ans andere Ufer setzt, wo wir erst vom eigentlichen Senegal sprechen. Der Senegal-Fluß, an sich ein Traum, ist von Palmen und Galeriewäldern gesäumt. Durch zahlreiche Inselchen aufgelockert, fließt er fast steigungslos dem Meer zu. So, wie der Himmel heute aussieht, bleich und unentschlossen, hat uns nun auch der Harmattan in seinen Bann gezogen. Diese Trübheit werden wir, wenn er uns erst eingeholt hat, so schnell nicht wieder los, zumindest, solange wir noch unterwegs sind. Dies hat aber den Vorteil, daß es nun auch nicht mehr so heiß ist, sondern das Thermometer sich zwischen angenehmen 25 und 30 Grad bewegt. Nach schwierigem und schwierigstem Gelände - das Gestein jener Gegend besteht aus Schiefer - erreichen wir am späten Nachmittag die aufgelassenen Marmorbrüche von Sélinnkegni, wo die Straße, der wir folgen, einen Knick nach Westen macht. Etwas bedaure ich es schon, daß wir nicht die landschaftlich schönere Strecke entlang der Falaise de Tambaoura nehmen konnten, aber unser Zeitlimit würde dadurch überschritten.

Berg der Affen

    Hinter unserem hiesigen Übernachtungsplatz ragt ein etwa einhundert Meter hoher Berg auf, der über und über mit Affen bevölkert ist. Es handelt sich hierbei um eine Art von Pavianen, die den Berg zu Hunderten in Besitz genommen haben. Der Hügel ist von einem schützenden Schiefergürtel umgeben, so daß es einer kleinen Kletterei bedarf, ihn zu erklimmen. Ganz oben im Gipfelaufbau wachsen Dutzende von Affenbrotbäumen, mit mächtigen Stämmen und ausladenden Baumkronen. Übrigens verdankt der Affenbrotbaum sein Überleben allein dem Umstand, daß sein Holz relativ wertlos ist, sonst wäre er wahrscheinlich längst ausgerottet. Um nun den Sonnenuntergang möglichst vom Gipfel aus genießen zu können und den Blick über die phantastische Umgebung schweifen zu lassen, entschließe ich mich kurzerhand, die Felskuppe zu besteigen. Warnende Stimmen raten mir von meinem Vorhaben ab, mutmaßen, daß die Affen mich angreifen würden. Allen Unkenrufen zum Trotz bewaffne ich mich mit einem feststehenden Messer und trete den Affen mutig entgegen. Doch weichen diese vor mir zurück wie vor einem anrückenden Feind, ziehen sich in immer höhere, immer unwegsamere Schlupfwinkel zurück, je weiter ich klimme. Über zerklüftete Felsen, die wie Schweizer Käse durchlöchert sind, scharfkantig wie Rasierklingen, arbeite ich mich, stets der Gefahr ausgesetzt abzurutschen, mit Händen und Füßen höher hinauf. Die Affen halten beständig Sicherheitsabstand zu mir. Es sind auch einige Jungtiere darunter, die von der schützenden Hand der Muttertiere meinem Zugriff entzogen werden. Paviane zählen zu den Hundeaffen, sie bellen auch ganz ähnlich wie Hunde. Sie besitzen ein ausgeprägtes Sozialverhalten und stellen Wachposten auf, wenn man sich ihnen nähert. Für die Savannenbauern können sie zu einer großen Plage werden.
    "Wie sie wohl reagieren würden, wenn sie in die Enge getrieben werden?" frage ich mich. "Vielleicht rotten sie sich zusammen und schmeißen mit Steinen nach mir, oder aber sie beißen zu? Das Leittier könnte mich möglicherweise zum Zweikampf herausfordern, um seiner Herde die Flucht zu ermöglichen."
    Doch nichts von alledem geschieht. Sie haben sich so weit in Sicherheit gebracht, daß der gesamte Berg von ihnen wie leergefegt scheint. Lediglich ihren Kot haben sie hinterlassen, und ich muß höllisch aufpassen, nicht hineinzutreten. Dafür habe ich nun einen Standpunkt erreicht, der einzigartig ist, an Wildheit und Unberührtheit seinesgleichen sucht. Zwischen den knorrigen Stämmen sehe ich durch die blattlosen Baumkronen der Affenbrotbäume auf die Savanne hinab, hinüber zu den Nachbarkuppen, die in größeren Abständen aus der Ebene aufragen, und als sich ein violettes Abendrot ausbreitet, trete ich fast fluchtartig, da ich keine Taschenlampe bei mir habe, den beschwerlichen Rückweg an. Denn die Nacht fällt schnell, und ich habe alle Mühe, das schützende Lager noch vor Anbruch der Dunkelheit zu erreichen. Doch schaffe ich es rechtzeitig. Schweigen breitet sich nun aus über der Savanne, und wo vor einer Stunde noch wetteiferndes Gebrüll den Busch durchdrang, macht sich jetzt eine fast beklemmende Stille breit. Die Affen kehren die ganze Nacht nicht wieder, augenscheinlich habe ich sie in ihrer Ruhe gestört.

Zu den Félou-Fällen und Steinkreisen

    Nach angenehm kühler Nacht, bei bewölktem Himmel, brechen wir im Morgengrauen des nächsten Tages auf, um unsere Fahrt durch den afrikanischen Busch fortzusetzen. In der luftigen Kühle fliegen einige Rabenvögel neben der Straße auf, die wir offenbar im Vorbeifahren aufgescheucht haben. Von ferne grüßen, wie zwei Trutzburgen, zwei Tafelberge, zu deren Füßen sich ein Dorf an den Hang schmiegt, an dem wir anschließend vorbeifahren. Der Harmattan scheint heute, entgegen seiner Gewohnheit, zu pausieren, denn der Himmel zeigt sich stellenweise wieder blau. Gleich hinter den Bergen wartet auf uns eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch und eröffnet uns einen kurzen Blick ins Paradies. Zwischen Tafelbergen hindurch tritt der Senegal, soeben noch, dem Gihon gleich, in grünen Auen breit dahinfließend, durch teuflisch enge Klammen und wird zum Acheron, dem Fluß der Unterwelt. Über eine Brücke gelangen wir wieder auf sein südliches Ufer. Die Tafelberglandschaft am oberen Senegal ist in der Tat einzigartig, und fast möchte man an eine Fortsetzung der Hombori-Berge glauben.
    Es ist das Schicksal vieler Flüsse, so auch des Senegal, durch großangelegte Energiegewinnungs- und Bewässerungsprojekte zerstört zu werden. Nachdem der Mensch die Kernenergie entdeckt hat, um damit über eine Energieform zu verfügen, die die Eigenschaft hätte, Schaden vom Landschaftsbild abzuwenden, bekommt er es mit der Angst zu tun und fällt zurück in die vorsintflutliche Energiegewinnung durch Wasserkraft. Sehr störend wirken auch die Strommasten. Sie bieten ein gutes Beispiel dafür, wie der Mensch das Antlitz der Natur verunstaltet.
    Häufiger sehen wir ab jetzt die charakteristischen Webervogelnester. Auch kreuzen wir noch einmal die alte Bahnlinie, die nach Bamako führt. Bei den Félou-Wasserfällen legen wir eine länger andauernde Mittagsrast ein. Was hier als Wasserfall bezeichnet wird, sind im Grunde nichts anderes als kleinere Stromschnellen, über die der Senegal herabstürzt. Unterhalb der Stromschnellen findet sich fast stehendes Wasser. Leider gelingt es von keiner Seite, sich an die Wasserfälle heranzutasten. Lediglich ein erfrischendes Bad lädt zum Verweilen ein. Hier stehen die jungen Frauen, so wie Gott sie schuf, bis zum Bauchnabel in den Fluten und waschen sich und ihre Wäsche. Beim Schwimmen sollte man jedoch aufpassen, sich nur in fließendes Wasser zu begeben, auch wenn die Einheimischen mit schlechtem Beispiel vorangehen, denn die Bilharziose-Gefahr ist nicht zu unterschätzen.
    Etwas unterhalb der Félou-Fälle liegt das 1855 von den Franzosen erbaute Fort Médine, welches Schauplatz erbitterter Kämpfe war, insbesondere gegen die Truppen der Toucouleur unter El Hadji Omar Tall. Es ist uralte afrikanische Tradition, in wechselnden Koalitionen, Stamm gegen Stamm, untereinander Krieg zu führen; dies haben die Kolonialmächte geschickt auszunutzen gewußt.
    Über Kayes, einem Ort reger Betriebsamkeit, wo wir unsere Benzintanks auffüllen, die bis auf den letzten Tropfen leergefahren sind, erreichen wir unseren Übernachtungsplatz. In der mondlosen Nacht klart es auf, und der sternklare Himmel zeigt sich in voller Pracht. Morgens herrschen frostige Temperaturen; der Gegensatz zwischen Tag und Nacht ist extrem, er beträgt etwa dreißig Grad.
    Auf unserer Weiterfahrt Richtung Grenze kommen wir durch einen riesigen Wald aus Baobabs. Diese blattlosen Riesen üben einen eigenartigen Zauber auf den Menschen aus, der sich sogleich beim Betreten in eine Märchenwelt versetzt fühlt. Bunte Vögel, hell- und dunkelblau gefiedert, bevölkern diese Welt. Für die Einheimischen ist der Baobab Fetischträger, dem Opfergaben dargebracht werden. Bei den Toucouleur ist er zugleich Grabstätte, zumal er in seinem Innern hohl ist. Die Schädeldecken der Griots - dies sind Bänkelsänger - scheinen durch die Öffnungen nach draußen. Seinen Namen hat dieser Baum von den ersten Siedlern bekommen, die alles, was sie sahen, nach Bekanntem aus der Heimat benannten, wenngleich noch niemals jemand einen Affen in seiner Baumkrone gesehen haben dürfte.
    Bei Diboli, am Grenzfluß Falémé, erledigen wir unsere letzten Ausreiseformalitäten. Der Harmattan hat uns zum Glück seit zwei Tagen in Frieden gelassen, und ein zartes Blau, mit weißen Cirren vermischt, begleitet uns, wohin wir auch kommen. Über den Falémé führt heute eine neuerbaute Brücke. Früher mußte die Eisenbahnbrücke auch vom Kraftverkehr mitbenutzt werden. Zumindest am Grenzort fällt uns noch nicht sogleich auf, daß wir Mali bereits hinter uns gelassen haben, denn Menschen und Verhältnisse unterscheiden sich hüben wie drüben kaum, mit einer Ausnahme: die Straße ist wieder geteert. Es ist gerade die Zeit, wo der Elefantenfuß blüht. Der, den wir zu Gesicht bekommen, hat rosafarbene Blüten, es gibt ihn aber auch in Weiß. Unter den Vögeln dieser Gegend ragt aufgrund ihres blauen Gefieders die Blaurückengoldschwanzrake heraus. Auch von einer Herde Papins werden wir überrascht. Leider sind die Tiere sehr scheu. Seit es keine wildlebenden Raubkatzen mehr gibt, fehlen ihnen ihre natürlichen Feinde. Unter einem riesenhaften Baobab, den größten, den wir auf der ganzen Reise gesehen haben, legen wir die Mittagsrast ein. Er dürfte ein Alter von etwa 350 Jahren haben. Die Früchte des Affenbrotbaums kann man essen, den Einheimischen zumindest scheinen sie eine willkommene Wegzehrung.
    Der Senegal ist ein Erdnußland. Die Erdnuß ist ein Lippenblütler, sieht aus wie Klee und stammt ursprünglich aus Afrika. Sie ist an den Zyklus des Wechsels von Regen- und Trockenzeit hervorragend angepaßt und ist aus der afrikanischen Küche nicht wegzudenken.
    Die beiden großen Ethnien im Senegal sind die Toucouleur, die tapferen Krieger, und die Wolof. Auch eine portugiesische Minderheit ist erwähnenswert. Die Landessprache der Wolof klingt wie ein Bellen.
    Die meisten Senegalesen sind sehr fromm, und die nächtlichen Gesänge sind aus dem Land nicht wegzudenken. Überall in Afrika noch verbreitet ist der Animismus als die einzig echte afrikanische Religion. Seine rituelle Ausdrucksform sind die fast überall gebräuchlichen Masken, die Beschneidung und der Fetischismus. Alles in allem ist Afrika von einer relativ einheitlichen Kultur geprägt. Größere signifikante Gegensätze sind auf keinem Gebiet auszumachen, einmal abgesehen von den islamischen Beigaben, die nicht afrikanischen, sondern arabischen Ursprungs sind. Mögen die Völker auch noch so unterschiedliche Namen haben und eine Vielzahl verschiedener Sprachen sprechen, so sind die Menschen doch von einem sehr einheitlichen, homogenen Typus geprägt, mit einfacheren Worten: sie sehen alle gleich aus. Ihre Lebens- und Siedlungsweise weist ebenfalls nur geringe Unterschiede auf; sie alle sind Ackerbauern oder Viehzüchter. Fast alle leben in Lehmhütten, zumeist von runder Form, mit Stroh gedeckt und von schützenden Zäunen umgeben. Besonders herausragende Gebäude gibt es nicht, denn Schulen, Kirchen und Moscheen gegen auf die Kolonialzeit zurück oder sind morgenländischen Ursprungs.
    In Tambacounda übernachten wir das erste Mal seit drei Tagen wieder in einem Hotel. Dort tobt die ganze Nacht die Lebensfreude, und es besitzt sogar einen Swimming-Pool, über dem abends die Fledermäuse auf Beutefang ausgehen. Dutzende von Fledermäusen stürzen sich auf die Wasseroberfläche herab, wo durch das Scheinwerferlicht angelockt unzählige Insekten schwirren.
    Manch einer, der diese Reise tut, tut dies wohl nur, um sich daheim herablassend über die Bevölkerung und die Zustände äußern zu können und sich selbst in dem Gefühl zu wiegen, wie gut er es doch zu Hause hat. Diese Armen ahnen freilich nicht, daß sie nur desto häßlicher erscheinen, und daß sie dadurch kein bißchen besser sind, als sie sich vielleicht wähnen. Sie kennen weder die Geschichte noch die Umstände genau, die dazu führten, warum Afrika zurückblieb, und nehmen es als gottgewolltes Schicksal hin, daß es ihnen so gut geht. Doch wenn es Nacht wird über Afrika und die dumpfe Einfalt in den Gemütern der Weißen, die sich auf dem absteigenden Ast befinden, sich ausbreitet wie Nebelschwaden, verwischen die Kontraste.
    Bei Koungheul, genauer gesagt bei Keur Ali Lobé, und Diam-Diam läßt sich ein Abstecher zu den prähistorischen Megalithbauten einlegen, Menhiren und Steinkreisen, über deren Herkunft man nichts Genaues weiß. Ein fremdes Volk soll es gewesen sein, das sie errichtet hat; es ist im Dunkel der Geschichte entschwunden, wie überhaupt jede Megalithkultur bis heute rätselhaft ist.
    Seit wir unterwegs sind, waren es im wesentlichen nur die Dachfirste der Hütten und die Art der Umzäunungen, die sich geändert haben, alles andere ist gleichgeblieben, oder aber wir haben eben nicht den Sinn für die "feinen" Unterschiede. Wer Westafrika bereist, sollte sich im klaren darüber sein, daß er oft tagelang nichts Interessantes vorfindet oder erleben wird. Noch immer müssen die Menschen in äußerster Kargheit ein bescheidenes Dasein fristen. Dabei ist es eine Mär zu glauben: lieber arm aber glücklich. Glückliche Menschen sieht man, wenn überhaupt, nur unter den Kindern, und auch bei den Händlern ist die Freundlichkeit nur aufgesetzt. Besonders schmerzhaft trifft den Westafrikareisenden das beinahe völlige Fehlen von wildlebenden Tieren, und der Menschen wegen braucht man heute ohnehin nicht mehr nach Afrika reisen, man kennt sie von den Straßen von Paris und London.
    Unser letztes Wegstück ab Tambacounda bietet landschaftlich keinerlei Abwechslung mehr. Eine unendlich ausgedehnte, monotone Ebene begleitet uns bis nach Dakar. Dieses Teilstück der Reise hätte man sich schenken können, doch findet unser Heimflug nun einmal von Dakar aus statt, so daß es uns nicht erspart bleibt, uns dorthin zu begeben. Bei der Stadt Kaolack treffen wir auf den Fluß Saloum, an dessen Ufern Salz gewonnen wird. Die Stadt selbst hat eine portugiesische Vergangenheit. Auch im Westen Senegals gibt es noch größere Baobabwälder, mit dem Unterschied, daß diese hier, jahreszeitlich bedingt, Blätter tragen.
    Bei Mbour erreichen wir die senegalesische Riviera. Unser Übernachtungsplatz liegt direkt am Meer, etwas außerhalb der Stadt Rufisque. Am Strand, der gegen Abend in gleißendes Licht getaucht ist, liegen die bunt bemalten Fischerboote im Sand. Draußen auf dem Meer ziehen in unmerklicher Fahrt riesige Öltanker vorüber. Die Abendstimmung ist wirklich grandios, und nach Anbruch der Dunkelheit fließt das Bier reichlich durch die Kehlen. Einige Wüstendurchquerer beäugen uns dabei argwöhnisch, und umgekehrt wir sie. Das Gespräch mit dem Campingplatz-Besitzer, einem Deutschen, der sich hier im fernen Afrika mit Kind und Kegel niedergelassen hat, fördert zutage, mit welch einfältigen Erwartungen so mancher Aussteiger nach Afrika kommt, in der Hoffnung, sich hier eine neue Existenz aufzubauen. Denn auch hier gelingt kaum, was schon zu Hause nicht gelungen ist, zumal jeder Fremde sich erst einmal über den Tisch ziehen lassen muß, ehe es ihm gelingen kann, sich zu etablieren. Bei vielen fehlen bereits die sprachlichen Voraussetzungen, was besonders im Umgang mit Behörden große Probleme bereitet. Ohne fremde Hilfe kommt so jemand nur schwer zurecht; außerdem gilt im Senegal wie überall in Afrika französisches Recht, d.h. auch hier ist nichts weniger bürokratisch als im Ursprungsland. Viele glauben, mit dem Startkapital, das sie aus dem Erlös eines verkauften, überführten Fahrzeuges erzielt haben, hier von vorne anfangen zu können. Doch manchem wird von raffinierten Prostituierten, die darauf abgerichtet sind, ihre Kunden zu schröpfen, das Geld noch in der ersten Nacht wieder abgenommen, und so stehen sie mit nichts in Händen vor dem Konsulat der deutschen Botschaft, wo sie in der Regel auf private Spenden angewiesen sind.

Dakar

    Auf der Fahrt am nächsten Morgen ins Zentrum von Dakar werden wir voll von der Rush hour erfaßt. Die kleinen Busse scheinen überzuquellen von Menschen, denn was in Afrika ganz sicherlich fehlt, sind Fahrzeuge, deren es angesichts der Menschenmassen gar nicht genug geben kann. Die Große Moschee von Dakar wurde von König Hassan II. von Marokko gestiftet und ist historisch bedeutungslos. Auf dem Kermelmarkt beeindruckt die Vielfalt des Angebots im Vergleich zu anderen Märkten; ansonsten sieht er gepflegter aus wie jeder andere Markt in Afrika.
    Für die Einheimischen völlig uninteressant - da sie keinerlei Interesse für ihre eigene Geschichte haben -, für die Fremden dafür um so interessanter, ist das I.F.A.N.-Museum, das Museum afrikanischer Kunst, das eine Dauerausstellung von Masken beherbergt sowie eine Wanderausstellung über die Geschichte der Sklaverei auf Gorée. Letztere ist außerordentlich kitschig aufgezogen, mit grob modellierten Figuren aus Ton, um das Leidwesen der Sklaverei nicht nur anschaulich, sondern auch noch möglichst häßlich zu vermitteln. Gezeigt werden vor allem Jagd- und Fangmethoden Schwarzer durch Weiße, die vergeblichen Kämpfe gegen überlegene Waffen, Methoden der Deportation, die Unterbringung der Sklaven im Schiffsrumpf, Bestrafung und Mißhandlung entflohener Sklaven sowie deren sexueller Mißbrauch durch ihre männlichen und weiblichen Herren. Drei Jahrhunderte Sklaverei haben Afrika ausbluten lassen und ihm einen Schlag versetzt, von dem es sich bis heute nicht erholt hat. Überlebt haben die mehrwöchige Überfahrt über den Atlantik stets nur die Stärksten an Konstitution und Gesundheit. In den Bestimmungsländern hatte dann bereits eine natürliche Auswahl der Besten stattgefunden, denn wer lebend dort ankam, mußte sich in Anbetracht der durchlebten Strapazen und Qualen im Sinne der Evolution bewährt haben. Dies ist auch der Grund, warum heute unter den amerikanischen Staatsbürgern die besten Sportler, die größten Athleten unter der schwarzen Bevölkerung zu finden sind. Besonders ausgesuchte Sklaven, die aufgrund ihrer Größe, ihrer Körper- wie Zeugungskraft herausragten, hatte man im weiteren wie Zuchthengste zu Paarungszwecken und zur Zeugung einer biologisch wertvollen Nachkommenschaft bestimmt - mit Erfolg, wie man sieht. Hätten die Weißen unter sich die Sklaverei zu der Zeit nicht längst abgeschafft gehabt, so wäre es heute wahrscheinlich um ihre biologische Wertigkeit nicht so schlecht bestellt. Besonders begehrte Sklaven waren die Yoruba, weil sie ausgesprochen groß und stark waren.
    Während die Maskenausstellung in ihren Exponaten weit über die Landesgrenzen des Senegal hinausgeht, uns quasi auch mit Stämmen konfrontiert, die wir gar nicht aufgesucht haben, ist die Gorée-Ausstellung eine gute Einstimmung auf den anschließenden Besuch der ehemaligen Sklaveninsel. Der erste Europäer, der 1444 auf Gorée ankam, war der Portugiese Dinis Dias. Von dort aus wurden im Laufe dreier Jahrhunderte, wobei man mit diesen Zahlen vorsichtig umgehen muß, zwanzig Millionen Menschen deportiert, und weitere sechs Millionen sind dabei umgekommen. Das Sklavenhaus, welches wie die gesamte Insel zum Weltkulturerbe zählt, wurde stellvertretend für viele weitere Häuser, die der Verschiffung von Sklaven dienten, stehengelassen. Das rot bemalte, zweistöckige Haus enthält zum Meer hin das berühmte Tor ohne Wiederkehr, hinter dem es, sobald man erst hinausgetreten, keine Rückkehr mehr gab, denn es führte direkt auf die Schiffsverladestelle. Die Menschen, die hier für die Deportation bereitgehalten wurden, waren nach Geschlecht und Alter getrennt in verschiedenen Räumen verwahrt. Noch vor ihrer Abreise wurden die Stärksten und Kräftigsten zur Paarung gezwungen, womit werdende Mütter bereits einen künftigen Sklaven im Leibe trugen, noch ehe sie angekommen waren. Nur einmal am Tag durften die wie Tiere zusammengepferchten Menschen ihre Notdurft verrichten. Was darüber hinausging, mußte direkt in den Schlaf- und Aufenthaltsräumen geschehen. Nun kann man sich unschwer vorstellen, daß es unter diesen katastrophalen hygienischen Zuständen, unter denen die Gefangenen leben und Nahrung zu sich nehmen mußten, im Geruch des Erbrochenen und ihrer Ausscheidungen, zum Ausbruch von Seuchen kam, so daß viele wegstarben wie die Fliegen.

Auf der Sklaveninsel

    Gorée ist von Dakar aus mit der Fähre in weniger als einer halben Stunde zu erreichen. Wir haben wie auf der ganzen Reise unverschämtes Glück mit dem Wetter, das heute einfach traumhaft ist. Somit ist auch die Stimmung an Bord des Schiffes großartig, und es fahren auch viele Einheimische zur Insel hinüber, die von zumeist jungen Menschen bewohnt wird. Ganze tausend Seelen zählt das Dorf, das durchweg noch Elemente des portugiesischen, holländischen und französischen Kolonialstils aufzuweisen hat, mit Häusern aus Naturstein, engen Gassen, gepflasterten Straßen und vielen schönen Innenhöfen. Die Fassaden sind mit herrlich bunten Blumenkästen geschmückt, und Souvenirladen reiht sich an Souvenirladen. Den höchsten Punkt der Insel nimmt das ehemalige französische Fort ein, wo unbrauchbar gemachte Kanonen still vor sich hinrosten. Hier wurde der Film "Die Kanonen von Navarone" gedreht, mit Anthony Quinn in der Hauptrolle. Ein Teil der Insel erhebt sich auf pechschwarzen Basaltsäulen, woran man erkennen kann, daß sie vulkanischen Ursprungs ist. Vom höchsten Punkt aus genießt man einen fabelhaften Blick auf den Ort und das tiefblaue Meer, bis hinüber zur Skyline von Dakar.
    Wie sooft in Touristenzentren verstehen es auch hier die Frauen, die Männer zu umgarnen, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Es ist ein durchaus reizvolles Unterfangen, ein Spiel mit dem Feuer, den Verführungskünsten der jungen Mädchen beim Feilschen zu erliegen, wenn ein gut Teil Erotik dabei mitschwingt, auch wenn der Krimskrams noch so wertlos ist. Die raffinierte Anmache, die verzehrenden Blicke, der Hauch einer weiblichen Stimme im Ohr und die Umarmungen machen jeden Mann gefügig. Keinesfalls darf man es versäumen, in einem der zahlreichen Hafenrestaurants fangfrischen Fisch zu essen, und gewiß stimmungsvoll wäre es, auf der Insel zu übernachten und von dem Fort über der Stadt den Sonnenuntergang zu genießen, abends durch die von einer leichten Brise abgekühlten Gassen zu spazieren und in der Frische des nächsten Morgens die Rückfahrt anzutreten. Doch uns bleibt für weitere Romantik keine Zeit, denn unser Rückflug läßt nicht einen Tag auf sich warten. Über die letzten Stunden unseres Aufenthalts gibt es nicht mehr viel zu berichten. Beim Gang durch die Gepäckkontrolle muß ich zu meinem Erschrecken feststellen, daß ich mein feststehendes Messer im Handgepäck gelassen habe. Natürlich entschuldige ich mich beim Kontrolleur für das Versehen und schenke ihm das Stilett, welches er auch gerne annimmt. Für mich bedeutet es natürlich einen echten Verlust, den einzigen jedoch, den ich auf der ganzen Reise zu beklagen hatte. Doch was war geschehen? Solange ich meinen Glücksbringer, den ich auf dem Fetischmarkt in Lomé erstanden hatte, um den Hals trug, war mir nichts Negatives widerfahren. Sowie ich ihn aber nach dem letzten Waschgang umzuhängen vergessen habe, passierte das erste Malheur. Erstaunlich, nicht wahr? Doch wer könnte je die Geheimnisse Afrikas ergründen?

Copyright © Manfred Hiebl, 2002. Alle rechte vorbehalten