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ZWEI BERGE, ZWEI LEGENDEN,
ZWEI EROBERUNGEN
Lionnel Terray, Guido Magnone und die Eroberung des Fitz Roy
Wenn ich in der Stille und Wärme meines Hauses meine Seele in der Erinnerung vieler Bilder und Abenteuer umherwandeln lasse, erscheinen die Spitzen Patagoniens so unwirklich, von einer solch phantastischen Schlankheit, daß ich den Eindruck habe, diese Bilder entstammten einem grotesken Traum. Lionnel Terray
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Cesare Maestri und der Cerro Torre: ein Mythos aus Stein
Jeder Reisende, der aus der Pampa kommend den Nadeln der Anden sich nähert, wird zweifellos zuerst von der gewaltigen Masse des Fitz Roy angezogen. Dank seiner Höhe im Vergleich zu anderen ihn umgebenden Bergspitzen und dank der perfekten Gestalt einer stolzen Pyramide übt der Berg, sowie man auch nur sein Gesamtmassiv erblickt, schon von weitem eine so fokussierende Anziehungskraft aus, daß kaum ein anderer Gipfel in der Umgebung zur Geltung kommt.
Inmitten der Anden tritt dann aber doch ein Berg mit eigener Note hervor: der Cerro Torre. Die ersten Bergsteiger, die sich ihm auf geringere Distanz näherten, kamen nicht umhin, ihn mit durch Mark und Bein gehenden Attributen zu überhäufen: verwunschener Berg, zu Stein gewordener Schrei, eiskalte Hölle, unerreichbarer Gipfel ... Allein die Idee, ihn zu besteigen, ist bedeutungslos und lächerlich, schrieb Dr. Azema, Arzt der erwähnten französischen Expedition zum Fitz Roy, in sein Tagebuch.
Nachdem der Fitz Roy besiegt ist, tritt für jene, die ewig auf der Suche nach unberührten Gipfeln sind, diese neue Herausforderung in den Vordergrund. Der Cerro Torre ist niedriger als der Fitz Roy, bietet aber bedeutend schwierigere klettertechnische Probleme: die Ausgesetztheit gegenüber den feuchten Winden des Pazifiks mit seinen plötzlichen Gewittern, die senkrechten Felswände, die sich in wenigen Stunden mit Eis bedecken können, und die Eisplatten, die nach einer geringfügigen Erwärmung mit derselben Geschwindigkeit abrutschen können und denjenigen, der gerade in der Wand klettert, hilflos einschnüren. Diese Faktoren rechtfertigten übergenug die legendären Attribute, die seinen Namen stets begleiteten.
Seit den ersten Versuchen, ihn zu besteigen, verwandelte sich der Cerro Torre in eine Art italienischer Wettkampf: Da versammelten sich die großen Bergsteiger dieser Nation in einem wahren Gipfelwettlauf, in dem es an Streitigkeiten und Rivalitäten nicht fehlte.
1957 versuchen zwei italienische Expeditionen, den Gipfel zu erreichen: an der Westwand die, die von Bonatti und Mauri geführt wurde, eine der großen Seilschaften in der Geschichte des Bergsteigens. Sie kommen bis zu dem Paß, der den Torre vom Berg Adela trennt, dem sie den Namen Paß der Hoffnung geben. Diese Hoffnung verliert sich ca. 100 Meter höher, wo die technischen Schwierigkeiten und ein Gewitter die Expedition dazu zwingen, den Rückzug anzutreten. An der Ostwand wird die andere Expedition dasselbe Schicksal erleiden: Der Cerro Torre ist unerreichbar, und zur allgemeinen Sicherheit verbiete ich jegliche Versuche, diesen Berg zu nehmen; dem Expeditionsleiter, jenem berühmten Bruno Detassis, bleibt keine andere Wahl der Entscheidung.
Eines der Mitglieder dieser letzterwähnten Expedition, Cesare Maestri, Spinne der Dolomiten genannt, fühlte aber sein Schicksal dermaßen an den Berg gekettet, daß er während des traurigen Rückwegs in sein Tagebuch schrieb:
Wir haben an dem Ort, wo wir uns befinden, das Gefühl, dort oben etwas unterlassen zu haben. Doch ich denke, daß ich mein Möglichstes geben werde, damit sich das nicht wiederholt. Ich muß zurückkehren und ich werde es.
Zwei Jahre später finden wir Maestri wieder von seiner Besessenheit gepackt, gerade zu Beginn eines der verschwommensten Kapitel in der Geschichte des Bergsteigens, die von einer Tragödie und Auseinandersetzung überschattet war: der Erstbesteigung des Torre.
Während der ersten Tage hatte man die gesamte Ausrüstung durch das Tal des Flusses Fitz Roy bis zur Basis der Bergwand geschleppt. Nachdem die drei Lagerplätze eingerichtet waren, einer an der Torre-Lagune, der andere am Fuße des Mocho-Berges, der dritte befand sich auf 1650 Metern Höhe, und die ersten Vorsprünge mit fixen Seilen ausgerüstet waren, zieht sich die Expedition zum Ausgangslager an der Torre-Lagune zurück, um auf günstiges Wetter zu warten.
Am 28. Januar 1959 entscheidet man sich für den Angriff: Cesare Maestri, Cesarino Fava und Toni Egger kommen mit Hilfe der fixen Seile schnell voran, und in elf Stunden schaffen sie es, bis zu einem Paß in der Nordwand vorzustoßen, den sie Paß der Bezwingung taufen, im Unterschied zu dem anderen, den Bonatti und Mauri vor Jahren über die Südseite erreicht hatten, und der Paß der Hoffung genannt wurde.
Die Hoffnung ist die Waffe der Schwachen, hatte Maestri in einer abfälligen Anspielung auf seine Vorgänger geäußert. Dort biwakierten sie die erste Nacht, und am nächsten Morgen kehrt Fava zum Ausgangslager zurück, während Egger und Maestri die Kletterei fortsetzen.
Einige Absätze aus dem Tagebuch Maestris geben uns eine Vorstellung von der Atmosphäre des Alptraums, der sie umgibt: ... über uns steigt schwindelerregend die Nordwand auf: Platten, Rinnen, Spalten, alles von einer Eisplatte überzogen, daß es uns vorkommt, als ob das alles unwirklich und nur von kurzer Dauer wäre. Toni guckt mich an; ich schweige. So beginnt unser Kampf ... manchmal stürzen weite Schneeflächen beim geringsten Hauch zusammen und bewirken wahre Schüttelfröste. Nach zwölf Stunden, in denen jeder Moment der letzte sein kann, erreichen beide Bergsteiger eine kleine Bergterrasse im Eis, wo sie unter den großen vereisten Pilzen des Berggipfels ein einfaches Biwak einrichten. Die Nacht geht schnell herum, das Wetter ist günstig, und in Gedanken gibt es nur Kampfeswillen, schreibt Maestri.
Noch ein Tag mit denselben Gefahren und Unwägbarkeiten, mit den gleichen senkrechten Eisplatten, die wie Damoklesschwerter aussehen, immer bereit, sich zu lösen. Noch eine Nacht, in der sie in der Wand hingen, diesmal nur 200 Meter vom Gipfel entfernt. Bevor es dunkel wird, beginnen die Bergketten des Pazifiks sich mit Wolken zu bedecken, die Temperatur steigt, das Barometer fällt ... eindeutiges Zeichen, daß aus Westen ein Gewitter näherkommt. Morgen wird es ein Kampf nicht nur gegen das Gebirge sein, sondern auch gegen die Zeit.
Ich überlasse das Wort wieder Maestri: Toni beginnt zu klettern und überwindet eine sehr steile Wand, fast vertikal. Er klettert, indem er einen Haken nach dem anderen befestigt. Er überwindet einen Vorsprung im Eis und schreit: Cesare, der Gipfel!
So viele Monate mit Träumen und Vorbereitungen, soviel Mühen und Risiken, und letzten Endes einige Sekunden auf dem Gipfel, vom Gewitter umgeben. Was danach beginnt, ist nicht nur ein Abstieg, sondern eine gewaltige Flucht bergab. Der Wind frischt auf, und die Eiskruste gibt nach und bricht nach allen Seiten ab.
Noch ein Biwak in der Wand, es ist schon das fünfte, und am nächsten Tag erreichen sie wieder den Paß der Bezwingung, endlich im Schutz vor dem Wind ... doch nicht vor den Lawinen, die weiter von den höchsten Stellen des Gebirges donnern: kurz bevor sie die festen Seile erreichen, ... während ich bergab klettere, erzählt Maestri, richte ich plötzlich den Blick nach oben wegen eines ohrenbetäubendes Lärmes: eine gewaltige Schnee- und Eismasse kommt von der Wand herunter. Ich schreie: Toni, aufpassen! und befestige mich an der Wand. Ein harter Schlag, das Seil spannt sich, die Lawine reißt Toni weg und deckt ihn zu ... danach - Stille; ich höre nur das Heulen des Windes, während ich das gewichtlose Seil wieder ergreife.
Die Tragödie, die sie ab dem Moment, in dem sie ihre Füße auf diesen bösen Berg setzten, verfolgte, hatte ihren tödlichen Schlag in letzter Sekunde geführt, als die Rettung durch die Festseile schon griffbereit war. Die Nacht ist endlos: einsam und erschöpft, bei Tagesanbruch, beginnt der Abstieg: Heute entscheidet sich mein Leben. Ich werde den Blick nicht nach oben richten, wenn ein täuschender Hinweis mich aufmerksam macht auf den Abgang einer Lawine. Ich werde nicht schreien, falls plötzlich alles erwartungsvoll und still ist. Ich werde mich nicht glücklich fühlen können, wenn ich die Basis erreiche.
Wie das Erklettern ein Alptraum war, war auch die Rückkehr in seine Heimat kein Triumphzug für Maestri: In einigen Alpenvereinskreisen beginnt man an seinem Bericht zu zweifeln. Die Bilder des Berggipfels, einziges Beweisdokument, blieben im Photoapparat von Toni Egger (vier Jahre nach seinem Tode fanden englische Alpinisten seinen Körper im Torre-Gletscher, doch sie fanden keine Spur von der Kamera). Man verlangt Beweise von ihm, die er nicht liefern kann, und man beschuldigt ihn, ein Lügner zu sein. Die Auseinandersetzung beginnt.
Der Mythos des Torre wird von Tag zu Tag größer: die besten Bergsteiger der Welt bemühen sich um seine Eroberung; Engländer und Italiener hatten verschiedene Angriffe im Osten und im Westen versucht, doch alle mißlangen wegen des schlechten Wetters und den ewigen extremen Schwierigkeiten, mit denen sich der Granitausläufer auf allen Seiten verteidigt.
Maestri wird 1970, kritisiert, verärgert und beleidigt, noch einmal zum Berg Torre zurückkehren, um die Revanche, auf die er solange gewartet hat, anzunehmen; sein Vorschlag ist zugleich aberwitzig und schicksalherausfordernd: den Torre im Winter zu besteigen, wenn in Patagonien der Wind aufhört und das Wetter, obwohl es dann kälter ist, auch stabiler wird.
Maestri läßt für die Unternehmung kein Mittel unversucht: einige technische Neuerungen, die für diesen Zweck ausgedacht wurden, sind heute im Bergsteigen weit verbreitet, wie z. B. die Doppelstiefel mit Außenplastik oder die Anoraks mit Aluminiumverkleidung im Innern. Doch die verwegenste Idee, wegen der Maestri wieder Staubwolken von Anfeindungen in Bergsteigerkreisen aufwirbelte, war der Gebrauch eines Hochdruckkompressors, um die Haken in der Wand zu befestigen. Ohne von dem Aufsehen zu wissen, das sein Wagemut hervorrief, bergauf mit hundertachtzig Kilo von Maschine, Werkzeugen, Röhren und Brennstoff neben dem für diese Art Klettern notwendigen Material, leitet Maestri seine Expedition ein. Wie ein Fitzcarraldo der Vertikalen ist Maestri zu einem unter Wahnvorstellungen Leidenden geworden, der nur nach oben blickt; er schreibt kurz vor Beginn des Aufstiegs in sein Tagebuch: ... ab diesem Moment werden die Tage keine Minuten und Stunden mehr haben, sondern nur noch Zentimeter oder Meter:
Doch das Klima wird wieder zum Grund dafür - diesmal waren es starke Schneefälle -, daß Maestri entscheidet, die Expedition 400 Meter unter dem Gipfel abzubrechen. Er kehrt nach Italien zurück, und dort beginnt dieser Irrsinnige unter den Bergsteigern, in den sich Maestri für viele verwandelt hatte, die Rückkehr vorzubereiten, und schon im Sommer 1970 treffen wir ihn wieder, um das, was für ihn noch nicht zu Ende ist, abzuschließen.
Endlich gibt es mehrere Tage hintereinander gutes Wetter, und am 2. Dezember vollendet sich für Maestri diese Art Traum von einem Alptraum, der ihn so lange an Halluzinationen leiden ließ. Ghe son, ghe son! (hier sind wir, hier sind wir) schreit er zusammen mit seinen Kameraden. Sie hatten die Grenze des Möglichen im Fels erreicht, und vor ihnen ragte nur noch der charakteristische Eispilz, der den Berg Torre bedeckt, empor. Weil er den Pilz nicht als einen Teil des Berges ansah, (irgendwann kann er runterfallen, habe Maestri geäußert), auch weil er das nötige Material dafür nicht besaß, überschreiten Maestri und seine Kameraden die letzten Meter des Eises nicht, und das warf natürlich Glut ins Feuer der Anfeindungen, mit denen der berühmte Bergsteiger ständig von seinen unzähligen Neidern verfolgt wurde.
Mit Gipfel oder ohne ihn hatte sich ein entscheidender Haltepunkt in seinem Lebens erledigt sowie eines der eindringlichsten und umstrittensten Kapitel der Geschichte des Bergsteigens: der Cerro Torre war bestiegen.Aus dem Spanischen nach dem Original von Miguel Alonso