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ZWEI BERGE, ZWEI LEGENDEN,
ZWEI EROBERUNGEN
Wenn ich in der Stille und Wärme meines Hauses meine Seele in der Erinnerung vieler Bilder und Abenteuer umherwandeln lasse, erscheinen die Spitzen Patagoniens so unwirklich, von einer solch phantastischen Schlankheit, daß ich den Eindruck habe, diese Bilder entstammten einem grotesken Traum. Lionnel Terray
Lionnel Terray, Guido Magnone und die Eroberung des Fitz Roy
Nachdem der Fitz Roy oder Chaltén in allen Berichten der Entdeckungsreisenden Südpatagoniens erwähnt wurde, wird er dank Pater Alberto Maria de Agostini, der sich in den dreißiger Jahren in der Region wegen seiner hervorragenden Forschungen auszeichnete (der größte Teil der Ortsnamen des Gebiets, die auf eine italienische Abstammung zurückgehen, sind auf ihn zurückzuführen) im alpinen Wirkungskreis bekannt. Zu dieser Zeit hatte man die mächtigsten Alpengipfel schon erobert, und die Bilder des Salesianer haben unter der europäischen Bergsteigerelite, die begierig darauf war, neue Herausforderungen in anderen Szenerien zu erleben, die Eroberungsgelüste nach diesem Unbesiegten König Patagoniens geweckt.
Der erste Versuch, den Gipfel zu erreichen, wird 1937 von einer italienischen Expedition durchgeführt, die nicht einmal bis zur Basis der Bergwand kommt. Mehrere Versuche folgen nacheinander, doch keiner findet die schwache Seite der unerreichbaren Granitbastion.
1950 erreicht eine französische Expedition den Gipfel des Annapurna in der Gebirgskette des Himalaya. Es handelte sich um den ersten Achttausender, der von Menschen erobert wurde und eines der bedeutendsten Ziele in der Geschichte des Bergsteigens. Lionel Terray, die Lokomotive der Alpen, und einige Mitglieder dieser Expedition kommen 1951 von Paris nach Buenos Aires, mit zweieinhalb Tonnen Material und dem kühnsten Traum, den ein Alpinist in dieser Zeit haben konnte: der Eroberung des Fitz Roy.
Sie wurden von dem damaligen Präsidenten Peron mit allen Ehren empfangen (er war in der Vergangenheit auch Bergsteiger der Anden und Alpen gewesen), der argentinische Staat stellte der Gruppe Verkehrs- und Kommunikationsmittel zur Verfügung, die die Aufgabe erleichtern sollten.
Gerade vor Beginn der Ersteigung erschüttert eine Tragödie die Expedition: Jacques Poincenot, einer der großen Bergsteiger der Zeit, ertrinkt im Fluß Fitz Roy, einige Meter von der gegenwärtigen Zementbrücke, die sich neben der Ortschaft Chaltén befindet. Ihm zu Ehren wird man später eine der schönsten an den Fitz Roy angrenzenden Nadeln benennen. Doch eine andere Version spricht sich unter den Einwohnern der Gegend herum: Poincenot wurde von einem Estanciero getötet, der auf ihn eifersüchtig war, weil seine Frau den Komplimenten des hübschen Franzosen erlag.
Am 5. Januar 1952 beginnen sie nach 10 Tagen des Transports, der Beförderung und Flüsse, die man durchwaten mußte, ihr Ausgangslager am linken Ufer des Blanco-Flusses zu errichten, unter dem Wald vor den Windböen, die die Region strafen, geschützt, ein behagliches Vorspiel für das, was auf sie wartete. Sie bauen einige Blockhütten aus Bäumen, die auf dem Boden liegen, sie ebnen die wenigen freien Plätze für die Zelte, sie bearbeiten einige Baumstämme, um als Tische und Bänke zu dienen ... kurz und gut, sie versuchen diesen ungastlichen Ort, der einen Monat lang als Hütte und Basislager für den Angriff auf den Berggipfel dienen sollte, so bewohnbar wie möglich zu machen.
Die Expedition schwärmt in verschiedene Richtungen aus: Während einige beginnen, das Material zu den hochliegenden Lagern zu tragen, kartographierte der Geograph und Physiker Louis Lliboutry das Areal (er gab den Nadeln, die den Koloß umgeben, zum Gedenken an die Pioniere der französischen Luftfahrt die Namen Saint-Exupery, Mermoz, Guillaumet ...).
Eine erste Seilmannschaft beginnt die Marschroute zwischen dem Ausgangslager und der Basis der Steilwand zu erforschen. Sie müssen zwischen Spalten und Eistürmen hindurch, um den Weg zu kennzeichnen, den sie später bergauf und bergab ohne Pause zurücklegen werden, um die hochliegenden Lagerplätze mit allem Nötigen zu versorgen: Nahrungsmittel, Seile, Klettermaterial, Brennstoff ... Es ist eine schleppende und mühsame Technik, doch in dieser Zeit, mit den Materialien, die sie zur Verfügung hatten, war es die einzige, die ihnen den Erfolg zu solch einen Vorhaben garantierte.
Die sogenannten hochliegenden Lagerplätze sind nichts als kleine Höhlen, aus Schnee und Eis gehöhlt, und im Inneren stellt man ein oder zwei Zelte auf, und man richtet einen kleinen Platz als Küche ein. Die Männer können im geschützten Innern Witterungsbedingungen aushalten, die es ansonsten unmöglich machen würden zu überleben.
Fünfzehn Tage nach Beginn des Besteigung und nach übermenschlichen Anstrengungen gegen einen Wind, den keiner bis zu diesem Moment in seiner langen Bergsteigerkarriere erlebt hatte, setzt sich eine mutlose Bilanz durch: am ersten Tag, an dem sie in der Bergwand kletterten, schaffen sie nur zwanzig Meter, von den siebenhundert, die sie bis zum Gipfel klettern müssen. Die technischen Schwierigkeiten überschreiten das Machbare und vor allem, der furchtbare Wind umgibt das Gebirge mit betäubenden und dantesken Windstößen.
Die Nahrungsmittel werden knapp, der Brennstoff geht aus ... nach einem ergiebigen Schneefall, der eine der Höhlen, die sie als Lagerplatz benutzten, zudeckt, steigen alle Expeditionsmitglieder zum Ausgangslager ab. Die Asados und der Schnaps, den die Estancieros freundlicherweise spenden, reichen nicht aus, um die gedrückte Stimmung zu heben. Die Prophezeiung von Madsen, die besagt, daß der Fitz Roy jener Berg sei, den Gott auf die Erde stellte, um den Stolz der Menschen zu brechen und ihnen die äußerste Grenze ihrer Möglichkeiten aufzuzeigen, geht in Erfüllung
Am 28. Januar ermutigt ein hoffnungsvoller Wind aus Südwesten, der den Einwohnern jener Gegend zufolge gutes Wetter bringt, die Gruppe erneut.
Alles beginnt noch einmal mit frischer Kraft: wieder sieht das Gebirge diese Prozession hartnäckiger Visionäre den Berg heraufkommen. Noch einmal werden die Lagerplätze verproviantiert, und drei Tage später nehmen Terray und Magnone den Angriff wieder auf. Langsam befestigen sie Haken und Holzstücke in den Spalten und schaffen so 120 Meter vertikaler Wand. Sie rutschen die befestigten Seile hinunter, die ihnen am nächsten Tag ermöglichen werden, schnell an diesen Platz zurückzukommen. Danach gehen sie zur Eishöhle zurück zur Basis, wo sie übernachten werden.
Am nächsten Tag war das Wetter weiterhin günstig, und die Bergsteiger fühlen, daß es endlich Zeit sei. Jetzt oder nie. Dieser Berg bietet keine zweite Möglichkeit. Sie starten mit dem Mindestgewicht, das schwer genug ist. Sie müssen eine Nacht in der Wand übernachten und am Morgen, wenn weiter alles gut ginge, den Endangriff auf den Gipfel vornehmen, alles oder gar nichts, die bedeutendste und gefahrvollste Wette, die sie je eingegangen sind. Die Kletterei ist erschöpfend, doch langsam steigen sie durch Spalten und felsige Stellen hinauf. In einer winzigen Plattform und an der Wand mit Seilen und Haken befestigt, übernachten sie über dem Nichts. Die Nacht ist nicht zu kalt und der Wind ist still.
Mit nur einem Schluck Wasser und einigen Zuckerwürfeln beginnt der Tag, auf den sie seit Monaten warteten. Die fernen Bergspitzen hüllen sich mit Wolken ein, und die schlimmste aller Ankündigungen durchzieht die Abgründe: der gefürchtete Westwind. Die Schwierigkeiten lassen nicht nach, und der Wind nimmt zu. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt Lionnel sich besiegt: der große Terray, die lebende Legende unter den Bergsteigern seiner Zeit, wegen seiner körperlichen Zähigkeit in Nepal selbst von den Sherpas bewundert und ohne Zweifel einer der größten aller Zeiten, entscheidet sich für den Rückzug.
Es soll ein verrückter Einfall von seinem Kameraden Guido Magnone werden (man kann die Idee, unter diesen Bedingungen weiter bergauf zu gehen, nicht anders beschreiben).
Er würde von diesem Zeitpunkt an die Führung der Seilschaft übernehmen und ist derjenige, der die Eroberungsflamme in Gang hält. Das Risiko ist die einzige Lösung. Die Schnelligkeit, die sie während des Aufstiegs besaßen und ihre Geschicklichkeit bei der Felskletterei wird entscheidend sein.
Am Ende ihrer Kraft, ohne Haken, um sich zu sichern, ohne etwas in den letzten 48 Stunden gegessen und getrunken zu haben, umarmen sich die zwei Männer um fünf Uhr am Nachmittag des 2. Februar 1952 auf der Bergspitze.
Welches war der Preis für soviel Anstrengung? Ein kleiner Stein, den jeder als Erinnerung in die Tasche steckt, bevor sie den Abstieg beginnen. Die geistige Genugtuung des Preises überlasse ich dem Leser.Aus dem Spanischen nach dem Original von Miguel Alonso