Begraben: Pfarrkirche St. Brictius bei Tournai
Sohn des Franken-Königs
Merowech und Vater von Chlodwig
I.
Lexikon des Mittelalters: Band II Spalte 1817
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Childerich I., merowingischer König
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+ 481
Begraben: Tournai (1653 aufgefundenes reich ausgestattetes Grab, Childerichgrab)
Childerich I., der
Sohn des Heros eponymos Merowech und
Vater Chlodwigs I., war König
im fränkischen Kleinreich von Tournai, darüber hinaus offenbar
auch mit der Verwaltung der Provinz Belgica II betraut (Ewig); er blieb
aber den gallorömischen Heermeistern, die in Soissons residierten,
nachgeordnet. 463 kämpfte Childerich I.
unter dem magister militum Aegidius siegreich gegen die Westgoten bei Orleans.
Ein erneuter Angriff der Westgoten unter König
Eurich auf Orleans konnte von römischen und fränkischen
Truppen unter dem comes Paulus und Childerich
zurückgeschlagen werden. Anschließend befreiten Paulus und Childerich
I. die von sächsischen Seekriegern gefährdete Stadt
Angers; in diesem Kampf fiel Paulus. Childerichs
Franken eroberten noch weitere sächsische Stützpunkte auf den
Loireinseln.
Nach einer offenbar sagenhaft entstellten Nachricht Gregors
von Tours (Hist. Fr. II.,12) sollen die Franken Childerich
I., "der anfing, ihre Töchter zu mißbrauchen", vertrieben
und sich dem Heermeister Aegidius unterstellt haben; derweil sei Childerich
an
den Hof des Thüringer-Königs Bisinus
gegangen. Nach acht Jahren sei er von den Franken zurückgerufen worden
und mit Basena, der Gemahlin
Bisins,
zurückgekehrt. Childerichs Gattin
(und Mutter Chlodwigs) hieß wirklich
Basena; sie dürfte aber wohl nicht
Bisins Gattin (deren Name Menia
bezeugt ist), sondern eine Verwandte gewesen sein (auffällig der Weimarer
Grabfund eines Silberlöffels mit dem Namen BASENAE).
Auch unter Aegidius' (+ 464) Sohn und Nachfolger Syagrious
(von Gregor von Tours als rex Romanorum bezeichnet) blieb das partnerschaftliche
Verhältnis zwischen Franken und römischen Heermeistern erhalten.
Childerich
I., dem die fränkische Sage als tapfersten Krieger seiner
Zeit feiert, hat seinen Sohn Chlodwig
den Weg zum Aufstieg zur fränkischen Großmacht bereitet.
Quellen:
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Gregor v. Tours, Hisr. Fr. II, 9-27 (MGH SRM I²)
- Fredegar III, 11-12 (MGH SRM II) - Liber hist Fr. 6-9 (MGH SRM II) -
Literatur:
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Hoops² IV, 440-460 [R. Wenskus-K. Böhme] -
E. Zöllner, Gesch. der Franken bis zur Mitte des 6. Jh., 1970, 39-43
- HEG I, 1976, 253-255 [E. Ewig] -
Ewig Eugen:
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"Die Merowinger und das Frankenreich"
An der Seite des Aegidius und des Paulus erscheint
Childerich von Tournai als Führer der salischen Föderaten
463 und 469 in den Kämpfen gegen die Goten bei Orleans. Gemeinsam
mit Paulus wandte er sich 469 gegen die Sachsen, die sich an der Loiremündung
festgesetzt hatten und Angers belagerten. Nachdem Paulus vor Angers gefallen
war, vertrieb er die sächsischen Piraten von der Loire und unterwarf
anschließend, wie es scheint, rebellische Alanen im Orleanais (oder
Alamannen im Gebiet von Troyes?). Childerich
führte diese Aktionen offenbar als föderierter General durch,
nicht als König von Tournai. Dass ihm auch ein Militärsprengel
in der Belgica secunda (Provinz Reims) zugeteilt war, geht aus einem Schreiben
des Metropoliten Remigius von Reims zum Regierungsantritt Chlodwigs
hervor. Der Umfang des Sprengels bleibt freilich unklar, ebenso
die näheren Umstände der Verleihung. Denkbar ist, dass Childerich
469 in direkte Beziehungen zum Kaiser Anthemius
und später auch zu Julius Nepos
trat. Der Münzschatz, der ihm ins Grab gegeben wurde, läßt
erkennen, dass er Subsidien der Ostkaiser Leo
(457-474) und Zeno (474-492) erhalten
hatte. Die Subsidien Leos dürften
über Anthemius, die Hilfsgelder
Zenos
können über Julius Nepos
oder auch direkt aus Ostrom an den Frankenkönig gelangt sein.
Durch das römische Kommando wuchs
Childerich über die übrigen salischen Könige
hinaus, die ihm als Föderaten vielleicht sogar unterstellt waren.
Zum Episkopat seines Sprengels unterhielt er, obwohl Heide, gute
Beziehungen. Das Verhältnis zu Syagrius scheint sich in den 70-er
Jahren verschlechtert zu haben. Von einer Unterordnung konnte jedenfalls
nicht mehr die Rede sein. Wenn Childerich
seit 475 in direkter Beziehung zu Kaiser Zeno
stand, wenn seine thüringische Gattin Basena,
was freilich nicht feststeht, aus dem Haus der thüringischen Großkönige
stammte, dann ist er vielleicht schon über Syagrius hinausgewachsen,
jedenfalls aber ein ebenbürtiger Partner oder Rivale des Erben der
nordgallischen Heermeister geworden, den Gregor von Tours als rex Romanorum
bezeichnete.
Childerich starb
481 oder 482 und wurde bei seiner Residenz Tournai begraben. Die Wiederentdeckung
seines Grabes bei der Pfarrkirche St. Brictius im Jahre 1653 erregte internationales
Aufsehen. Der König war in voller Tracht mit Waffen, Insignien und
einem Schatz von Gold- und Silbermünzen bestattet worden. Die prunkvolle
Art der Bestattung, die Form der Waffen und der goldene Handgelenkring
kennzeichnen den fränkischen König, der Siegelring, die goldene
Zwiebelknopffibel und das paludamentum (der von der Fibel gehaltene Mantel)
den hohen römischen Offizier (K. Böhner). Ein goldener Stierkopf
erinnert an den göttlichen Ahnherrn der MEROWINGER.
Ausgrabungen, die seit 1983 durchgeführt wurden,
haben 93 Gräber "eines eindeutig fränkischen Gräberfeldes"
aufgedeckt, das in der 2. Hälfte des 5. Jahrhunderts, vielleicht im
Anschluß an das Königsgrab, angelegt wurde. Im Umkreis des Childerich-Grabes
zeugen 21 in drei Gruben beigesetzte Pferde des Königs für ein
heidnisch-germanisches Bestattungsritual (J. Werner).
Schneider Reinhard: Seite 66-69
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„Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter“
Mit der Gestalt Childerichs (460-482)
und späterer Könige werden die Bereiche sagenhafter und verzerrender
bis falscher Überlieferung zwar nie ganz verlassen werden, aber doch
ein Boden betreten, der historisch gesicherter ist. Childerich
I. ist auch der erste MEROWINGER,
für den ein objektives Zeugnis seines Königtums existiert bzw.
bis zum Jahre 1831 noch konkret vorgelegen hat, als der Siegelring mit
der Umschrift CHILDERICH REGIS verloren ging, den man bei seiner
Graböffnung in Tournai 1655 gefunden hatte. In ihrer Selbstaussage
benutzten die merowingischen Könige
nach Childerich I. den Königstitel
"N. rex Francorum", welcher auch für Chlodwig
I. schon anzusetzen ist, der das Königtum der Franken monopolisert
hatte. In seiner Nachfolge konnte es dann geschehen, daß auch mehrere
"reges Francorum" gleichzeitig nebeneinander existierten, die aber alle
ihre Herkunft und ihren Herrschaftsanspruch von Chlodwig
als dem ersten fränkischen "Großkönig" herleiteten.
König Childerich I. selbst
soll so zügellos gelebt haben, daß die gens Francorum sich darüber
empörte und ihn von der Königsherrschaft verstieß. In Gregors
Berichte leuchtet die Vorstellung von der notwendigen Eignung eines Königs
durch, der ohne diese "unwürdig" der Herrschaft und verstoßen
oder verlassen wird. Dabei handelt es sich zunächst um eine Verstoßung
ohne Tötung, obwohl diese nicht ausgeschlossen ist und in der Folgezeit
Childerichs
Furcht vor einem gewaltsamen Tode das Motiv für eine Flucht nach Thüringen
wird. Eine eventuelle Ermordung des Abgesetzten erscheint in des Chronisten
Bericht als eine Steigerungsstufe, nicht als zwangsläufige Folge oder
gar Voraussetzung der Absetzung. Die Verstoßung Childerichs
bedeutet
keinen Verzicht auf einen König überhaupt; vielmehr "begehren"
die Franci einmütig Aegidius, den kaiserlichen Heermeister von Gallien,
zu ihrem König. Die Erhebung eines Romanen ist angesichts besonders
ostgotischer Parallelen nicht ungewöhnlich, sie unterstreicht in diesem
Falle die politische Bedeutung der Entscheidung und kann vielleicht auch
als ein Zeugnis für eine größere Bedeutung des Ideoneitätsgedankens
angesehen werden. Gleichzeitig weist die Erhebung eines römischen
magister militum bzw. genauer magister equitum zu einem fränkischen
König eine derzeit vorwiegend militärische Funktion desselben
aus. Acht Jahre währte des Aegidius fränkisches Königtum,
bis Childerich, der eine Rückkehr
nie ausgeschlossen hatte, aus seinem thüringischen Exil zurückgerufen
und in seine Königsherrschaft wieder eingesetzt wurde. Gregor stellt
die Rückkehr ausdrücklich als ein Verlangen der Franken dar,
wenngleich er auch deutlich macht, daß Childerichs
Anhänger
diesem in die Hände spielten. Offen bleibt, ob das Verlangen der Franken
zu einer förmlichen "Einladung" geführt hat. Es gilt aber festzuhalten,
daß hier wie bei Childerichs
Verstoßung und des Aegidius Erhebung die gens Francorum bzw.
die Franci in der uns vorliegenden Überlieferung als bestimmenden
Faktoren der Herrschaftsbestellung entgegentreten. Childerichs
Wiedereinsetzung
setzt gewiß auch dessen sittliche Läuterung voraus, die herauszustellen
Gregor sehr am Herzen lag. Hierbei steht die
utilitas im Mittelpunkt,
deren Rühmen einer Frau in den Mund gelegt wird: Weil Basina,
die Gattin des Thüringer-Königs Bisin,
bei dem Childerich jahrelang im Exil
lebte, niemanden kennengelernt hatte, der utilior als Childerich
gewesen, folgte sie diesem in das Frankenreich nach. Ihrer neuen Ehe entstammte
Chlodwig.
oo Basena von Thüringen
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Kinder:
Chlodwig I.
466-27.11.511
Audafleda
um 470- nach 526
493
oo Theoderich der Große König der Ostgoten
um 454-30.8.526
Lantechild
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Literatur:
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Dahn Felix: Die Franken. Emil Vollmer Verlag 1899
- Dahn, Felix: Die Völkerwanderung. Kaiser Verlag Klagenfurth
1997, Seite 361 - Deutsche Geschichte Band 1 Von den Anfängen
bis zur Ausbildung des Feudalismus. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften
Berlin 1982, Seite 207,209,213,216 - Ewig Eugen: Die fränkischen
Teilungen und Teilreiche (511-613). Verlag der Akademie der Wissenschaften
und der Literatur in Mainz 1952 - Ewig, Eugen: Die Merowinger und
das Frankenreich. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln 1993,
Seite 16,20,21,78,80,88,92,106 - Geuenich, Dieter: Geschichte der
Alemannen. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln 1997, Seite
75,157 - Menghin, Wilhelm: Die Langobarden. Konrad Theiss Verlag
Stuttgart, Seite 45 - Nack Emil: Germanien. Ländern und
Völker der Germanen. Gondrom Verlag GmbH & Co. KG, Bindlach 1977,
Seite 237 - Schneider, Reinhard: Königswahl und Königserhebung
im Frühmittelalter. Anton Hirsemann Stuttgart 1972, Seite 66-69,221,224,233
- Schreiber, Hermann: Die Vandalen.Gondrom Verlag GmbH & Co.
Bindlach 1993, Seite 290 - Werner Karl Ferdinand: Die Ursprünge
Frankreichs bis zum Jahr 1000. Deutscher Taschenbuch Verlag München
1995, Seite 283,296,300-303,312-316,329,374 - Zöllner Erich:
Geschichte der Franken bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts. Verlag C. H.
Beck München 1970, Seite 28,30,37-46,71,106,113,122-124,156,159,161,167,
171,172,179,186,201,210,230,233-235 -