Isabeau von Bayern                               Königin von Frankreich
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1370-24.9.1435
München Paris

Begraben: Abtei Saint-Denis bei Paris
 

Einzige Tochter des Herzogs Stephan III. der Kneißl von Bayern-Ingolstadt aus seiner 1. Ehe mit der Taddaea Visconti, Tochter von Herzog Bernabo
 

Lexikon des Mittelalters: Band I Spalte 668
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Isabella von Bayern (Isabeau de Baviere), Königin von Frankreich
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* 1370, + 24. September 1435

Begraben: Paris Saint-Denis

Tochter Herzog Stephans III. von Bayern-Ingolstadt und der Thaddäa Visconti

 14.7.1385
  oo König Karl VI. von Frankreich
Amiens

12 Kinder, unter ihnen Karl VII.

Ein Hauptmotiv der Heirat war der Wunsch Frankreichs nach einem Bündnis mit den WITTELSBACHERN als mächtiger Dynastie im Reich und seinen westlichen Gebieten. 1389 hielt Isabella ihren feierlichen Einzug in Paris und empfing Krönung und Weihe. Ihre großen, kontinuierlich steigenden Einkünfte (um 1400: 120.000 Francs jährlich) sicherte sie durch umsichtige Verwaltung ihrer Güter (St-Omer, Hotel Barbette zu Paris und andere). Infolge der Geisteskrankheit ihres Mannes (seit 1392) geriet sie in eine zunehmend schwierige Position. Durch Ordonnanz von 1403 zur Regentin „in Abwesenheit des Königs“ erklärt, schloß sie sich als politisch nicht aktive Persönlichkeit dem jeweils mächtigsten unter ihren Schwägern an (zunächst Herzog Ludwig von Orleans, nach dessen Ermordung dann Herzog Jean von Burgund). Wichtigster Vertrauter am französischen Hof war ihr Bruder, Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt, der den Orleans-Armagnacs eng verbunden war. Die Königin, die während des Bürgerkrieges Exil in Tours gesucht hatte, wurde von Herzog Jean entführt und als Regentin eingesetzt, bis die Truppen des Burgunders Paris einnahmen. Nach Montereau stimmte Isabella 1420 dem Vertrag von Troyes zu, der ihren Sohn Karl VII. vom Erbe ausschloß. Dieser hat sich nie mit seiner Mutter ausgesöhnt. - Die Legende dass Karl VII. ein Bastard gewesen sei, wurde wohl von Engländern in Umlauf gesetzt und von Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) verbreitet.

Literatur:
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M. Thibault, I. de B., reine de France. La jeunesse (1370-1405), 1903 - Y. Grandeau, Itineraire d’I. de B., Bull. Philol. Et hist., 1964, 569-670 - H. Kimm, I. de B. reine de France (1370-1435), Misc. Bavaria Monacensia 13, 1969 - R. C. Famiglietti, Royal intrigue Crisis at the Court of Charles VI., 1392-1420, 1986.


Bosl‘s Bayerische Biographie: Seite 387
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Isabeau (Isabella, Ysabel, Elisabeth), Königin von Frankreich
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* 1370, + 30.9.1435
München  Paris

Begraben: Saint Denis

Vater:
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Herzog Stephan III. (um 1338-1413)

Mutter:
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Thaddäa Visconti (+ 1381)

  oo 1385 König Karl VI. von Frankreich (1368-1422)

Erziehung in München.
Führte in Frankreich unbestritten den Vorsitz im Staatsrat, nachdem ihr Gatte zeitweilig wahnsinnig und krank geworden war.
1393-1404 de facto-Regierung Herzog Philipps von Burgund.
Isabeau war der Vormund des Dauphins und Vorsitzende des Familienrates.
Später wurde sie noch Präsidentin des Kronrates und erhielt die Oberaufsicht über die gesamte Finanzverwaltung.
Nach schweren Machtkämpfen 1417 Verbannung nach Tours durch die orleanistische Partei (Armagnaken).
Sie erlebte noch die Krönung ihres Sohnes Karl VII. durch Jeanne d’Arc und verbrachte die letzten Lebensjahre in großer Armut. Schickte Schätze nach Bayern, darunter das „Goldene Rößl“ (Heute Schatzkammer von Altötting).

Literatur:
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NDB 10; H. Kimm, Isabeau de Baviere, Reine de France (1370-1435) (= MGM 13), 1969, R.J. Praetorius, Wittelsbacher Prinzessinnen auf fremden Thronen, 1975.



Rall, Hans und Marga: Seite 77
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"Die Wittelsbacher. Von Otto I. bis Elisabeth I."

2. ELISABETH (Isabeau de Baviere)
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   * 1371, + 30.9.1435
                Paris

Grabstätte: St. Denis bei Paris

  oo 17. (10.?) 7.1385 in Amiens
       KARL VI., König von Frankreich
       * 3.12.1368, + 22.10.1422

Grabstätte: St. Denis bei Paris

Eltern: Karl V., König von Frankreich, und Johanna, Tochter Peters I., Herzogs von Bourbon



Treffer Gerd: Seite 197-207
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"Die französischen Königinnen. Von Bertrada bis Marie Antoinette (8.-18. Jahrhundert)"

                                      ELISABETH VON BAYERN - Schillers verleumdete "Bayern-Fürstin"
                                         * um 1370, + 30. September 1435
                                          München    Paris

Gemahlin Karls VI. des Wahnsinnigen (* 1368; König: 1380-1422) Heirat 17. Juli 1385 Amiens

Keiner anderen ist von der Geschichtsschreibung so übel nachgeredet worden wie Elisabeth, der ersten und einzigen Frau aus dem Hause BAYERN-WITTELSBACH, die als Isabeau de Baviere auf dem französischen Thron Platz nahm. Als sittenloses Frauenzimmer, als selbstsüchtige Megäre, als treulose Mutter, die ihren Sohn, den künftigen Karl VII. verraten habe, wurde sie verleumdet, als die "Ausländerin", die Frankreich an den Erzfeind England verkauft habe, wurde sie beschimpft. Johanna von Orleans mußte kommen, um ihres Sohnes Karl Erbe zu sichern. Die Lichtegstalt der Jeanne d'Arc wurde zum Pedant der finsteren Königin. Die französischen Chronisten und Geschichtsschreiber schien Jahrhunderte hindurch wild entschlossen, kein gutes Haar an dieser verrufenen, verruchten Königin zu lassen. Auch Friedrich von Schiller, der die Johanna in seiner "romantischen Tragödie" bis zur historischen Unkenntnis idealisiert, hat sich vom bösen Leumund die Feder führen lassen, wenn er schreibt:
  "Auch die alte Königin sieht man,
  die stolze Isabeau, die Bayern-Fürstin
  in Stahl gekleidet durch das Lager reiten,
  mit giftigen Stachelworten alle Völker
  zur Wut aufregen wider ihren Sohn,
  den sie in ihrem Mutterschoß getragen ..."
Der selbst wohl kaum eines untadeligen Lebenswandels wegen bekannnte Marquis de Sade stilisierte die Königin in seinem ominösen Spätwerk (von 1813) "Die geheime Geschichte der Isabel von Bayern" zu einer Heroin kalter Mordintrigen und lasziver Lust. Alexandre Dumas, der Großmeister des historischen Unterhaltungsromans in Frankreich, entfaltet ein Zerrbild wenigstens mit literarischer Meisterschaft.
Elisabeth kommt 1370 in der Münchener Herzogsresidenz, dem "Alten Hof", zur Welt. Dort regiert noch ihr Großvater, Herzog Stephan II., ein Sohn Kaiser LUDWIGS DES BAYERN. Der hat drei Söhne: Elisabeths Vater, Stephan III., den Kneißl - will heißen: den Prachtliebenden -, Friedrich und Johann II. Später (1392) werden sich die Söhne Bayern teilen und dem Ältesten wird Bayern-Ingolstadt zufallen. Stephan ist klein, drahtig, ein mutiger Turnierkämpfer und in zahllosen Fehden wohl erprobt, klug verheiratet mit Thaddäa, der Tochter des Mailänder Tyrannen Barnabas Visconti. Elisabeth hat einen älteren Bruder Ludwig, den man später "den Gebarteten" nennen wird.
Als Elisabeth zehn Jahre alt ist, stirbt in Frankreich Karl V., der Weise. Der fünfzehnjährige Karl VI., - der vierte Erbkönig aus dem Hause VALOIS - folgt ihm nach. Auch hier gibt es drei Brüder (des Verstorbenen): die Herzöge von Burgund, Berry und Bourbon [Richtigstelleung: Der Herzog von Bourbon entstammte einer Seitenlienie des Hauses der KAPETINGER. Der dritte Bruder war Ludwig I., Herzog von Anjou.]. Sie übernehmen die Regentschaft. In Frankreich ist Herzog Philipp von Burgund der führende Politiker. In Bayern ist Friedrich der außenpolitische Kopf.
1383 findet sich Friedrich im Kriegslager des jungen Karl in Arras ein. Frankreich sammelt gegen den Erzfeind England, der in Flandern eingefallen ist. Philipp eröffnet ihm, man suche nach einer passenden Braut für den jungen König: eine anti-kaiserliche Allianz. Auch die WITELSBACHER sind Rivalen des luxemburgisch-böhmischen Kaiserhauses. Friedrich bedauert: er selbst habe keien Tochter, wohl aber eine Nichte, Elisabeth. Stephan der Kneißl, der Vater der in Aussicht genommenen Braut, zaudert. Nichts wäre schlimmer, als seine Tochter abgewiesen zurückgesandt zu erhalten. In München wägt man die politische Lage in Europa. Auf Frankreichs Thron lastet das Verhängnis des Hundertjährigen Krieges, des Thronstreits zwischen dem Haus VALOIS und den PLANTAGENETS von England. Französische Niederlagen hatten zu Aufständen und Revolten geführt, von denen sich das Land nur mühsan erholt. Frankreich sucht Rückendeckung gegen England im Deutschen Reich. 1377/78 hatte ein europäisches Gipfeltreffen mit Kaiser KARL IV. stattgefunden. Visionen einer quasi karolingischen deutsch-französischen Dopplemonarchie hatte man gehegt, die im Westen dem Störenfried England, im Osten dem Feind der Christenheit, dem Türken-Sultan, wehren und so einen europäischen Frieden gewährleisten könnte. Kaiser KARLS Sohn WENZEL aber bevorzugt eine Verbindung mit England. So wendet sich der Vormundschaftsrat in Frankreich fast notgedrungen dem anderen deutschen Kaiserhaus, den WITTELSBACHERN, zu - das von den LUXEMBURGERN um die Kaiserwürde LUDWIGS DES BAYERN - Isabeaus Großvater - gebracht und im Reich nachhaltig zurückgedrängt worden war. In Frankreich mochte man also wohl auf das politische Gewicht der WITTELSBACHER im Reich spekulieren. Für die Heiratsofferte gibt es also einen soliden politischen Grund in der Gesamtstruktur der europäischen Mächtekonstellation.
Vater Stephan läßt seine Tochter ziehen, nicht ohne seinem Bruder Friedrich mitzuteilen, sollte Elisabeth abgewiesen, schmachbedeckt zurückkehren, werde er auf ewig sein Feind sein. Vorsichtshalber tarnt man daher die Reise Elisabeths nach Frankreich als Wallfahrt zum Haupt des heiligen Johannes in der Kathedrale von Amiens. Am 14. Juli 1385 wird die blutjunge Herzogs-Tochter, in Seide und kostbarem Damast aufgeputzt, im großen Saal des bischöflichen Palais dem französischen König vorgestellt. Der flämische Chronist Jean Froissart berichtet: "Als sie vor ihm war, kniete sie nieder und verbeugte sich tief. Der König ging auf sie zu, nahm sie an der Hand und zog sie hoch. Liebe umfing sein Herz, denn er sah, daß sie jung und schön war; und er begehrte sehr, sie zur Frau zu nehmen ..." Drei Tage später findet die Hochzeit statt. Der Überlieferung nach war Amiens eine Blitzhochzeit, eine Liebesheirat und entsprach damit überhaupt nicht den Gepflogenheiten der Zeit. Die Damen des Hofes hatten nicht einmal Zeit, ihre Toiletten zu einem so herausragenden Ereignis wie einer Königshochzeit kommen zu lassen. Zum Ausgleich findet an diesem denkwürdigen 17. Juli abends ein Tanzvergnügen statt - es ist der erste bekannte Ball der Weltgeschichte. Die Höfe der Welt werden die hier begründete Tradition gern und oft aufgreifen. Vier Tage später ist König Karl untwerwegs nach Flandern, um Krieg zu führen. Froissart zufolge ist der junge König glücklich, und sein Onkel, Philipp der Kühne, der Schöpfer des burgundischen Großreichs und Urheber dieser valois-wittelsbachischen Allianz, zufrieden.
Noch vor Amiens hatte er im selben Jahr für seinen Erben Johann Ohnefurcht und seine Tochter Margarete die Doppelhochzeit zu Cambrai mit dem Hause BAYERN-STRAUNING-HOLLAND zustandegebracht. Damit war der englische Einfluß auf die Interessen Burgunds in Flandern und Brabant kräftig abgeblockt und der burgundische Einfluß auf den König gefestigt. Den Hochzeiten von Cambrai und Amiens folgt ein ganzer Kranz von bayerisch-französischen, bayerisch-burgundischen und burgundisch-französischen Heiratsallianzen. Nie zuvor und nie danach gestaltet sich das Verhältnis der WITTELSBACHER zu Frankreich so eng und vielfältig.
Nur sieben Jahre des Glücks mit Reisen, Wallfahrten, Kinderfreuden und Festlichkeiten und Festlichkeiten sind der Ingolstädter Herzogs-Tochter dann beschieden, beeinträchtigt vielleicht von den häufigen Abwesenheiten des Königs auf Heerfahrten und Regierungsreisen. Gedämpft sicher durch häufige Schwangerschaften und die Trauer um früh verstorbene Kinder. Zwölfmal liegt sie im Wochenbett; achtmal steht sie Am Grab eines Kindes.
Isabeau lebt in Vincennes. An den Staatsgeschäften hat sie keinen Anteil. Sie beobachtet. Es sind Lehrjahre. Karl ist ein unsteter Geist. Kaum hat er einige Tege mit ihr verbracht, treibt ihn seine innere Unruhe fort. Er liebt seine Frau, zweifellos, giert aber nach Abwechslung. nach lauter Geselligkeit, nach neuen Amouren. Ständiger Begleiter dabei ist sein vier Jahre jüngerer Bruder Ludwig. Auch Isabeau überläßt sich kurzweiligem Zeitvertreib, verwendet Sorgfalt auf die Mode. Es ist eine Zeit skurriler Übertreibungen: ballonartig gepuffte Ärmel, körpereng, geschnittene Oberteile, gewaltige Bauschröcke, wetteifernd mit Edelsteinen und Glitzerwerk besetzt. Das Dekollete kommt auf und wird von Jahr zu Jahr kühner. Die Prunkhauben haben gewltige Seitenflügel und nötigen die Damen zu großer Behutsamkeit beim Durchschreiten von Türen. Eine neue Welle bringt dann halbmeterhohe zurckerhutförmige Spitzenhauben mit bis zum Boden wallenden Schleiern.
1388 reißt der 20-jährige König die Zügel der Regierung an sich, entledigt sich der Vormundschaft seiner Onkel. Er bildet einen eigenen Verwaltungsstab. Die Onkel nennen die Leute bissig die marmousets" (die Gnomen). Ihr zähes Bemühen um Stärkung der königlichen Zerntralmacht, Mehrung des Kronbesitzes, geordnetes Finanz- und Steuerwesen ist den Interessen der Herzöge nicht immer zuträglich.
Am Sonntag, den 22. August 1389, erlebt Frankreich das gewaltigste Spektakel des 14. Jahrhunderts: Karl VI. entschädigt seine Frau für die entgangene Hochzeitsfeier mit dem prächtigsten Krönungsfest einer Königin, das Paris bis dahin jemals gesehen hatte. Acht Tage lang folgen dem Festeinzug in die Hauptstadt Mysterienspile, Festgottesdienste, Krönung, Salbung und Weihe der Königin, Turniere, Bankette und Bälle in Anwesenheit zehntausender Schaulustiger und zahlreicher Gäste. Die 19-jährige Königin, zierlich, jugendfrisch, "kostbar herausgeputzt wie ein Engel", glänzt einen rauschenden historischen Augenblick lang als der strahlende Mittelpunkt Frankreichs. Der Erzbischof von Rouen, Guillaume de Vienne, salbt sie in Notre-Dame mit dem Heiligen Öl an Haupt und Brust, setzt ihr die Staatskrone aufs Haupt, überreicht ihr die Insignien ihrer königlichen Würde: Ring, Zepter, Hand der Gerechtigkeit, "ut scias ti esse consortem regni" ("Damit Du Dir der Teilhabe an der Herrschaft bewußt seist"). Die feierliche Bekräftigung ihrer helfenden Teilnahme an der Regierung eröffnet ihr breite legale Einflußnahme. Sie macht vorerst keinen Gebrauch davon. In Paris bezieht Isabeau nun ihr eigenes Palais, das Palais Saint-Pol, eine eigene an die Bastille angelehnte kleine Hofstadt mit einem Ratsaal für 200 Personen und - päpstliches Privileg - eigener Hofkapelle und umfangreichen Hofstaat.
1391 kommt ihr Bruder Ludwig nach Paris. König Karl nimmt den gleichaltrigen Schwager in seine Dienste (mit einer Jahrespension, die der eines Marschalls von Frankreich entspricht) und in den Orden der Ritter von der Goldenen Sonne auf. Im Februar 1392 kommt der ersehnte Thronfolger zur Welt. Das Lebensglück des Königspaares scheint fest begründet. Doch die Katastrophe steht kurz bevor. Im Sommer desselben Jahres ereilt den jungen König sein Geschick. In den Wäldern von Le Mans erleidet er einen Tobsuchtsanfall. Er zieht das Schwert gegen das eigene Gefolge und kann nur mit Mühe überwältigt werden. Da diese Anfälle immer wieder auftreten, deutet alles auf eine beginnende Geisteskrankheit hin. Karl fällt in unheilbaren Wahnsinn. Ärzte und Heilkundige versagen. Karl "der Wahnsinnige" ist fortan ein Bild des Jammers. Vierundvierzig Anfälle wird es in den folgenden 30 Jahren bis zu seinem Tod geben. Während seiner Absenzen beschimpft und bedroht er seine Umgebung, nicht zuletzt auch die Königin, widersetzt sich selbst der notdürftigsten Versorgung. Zu verantwortlicher Regierungstätigkeit ist er dann nicht mehr fähig.
Ist der König gesund, steigt der Einfluß Ludwigs von Orleans, ist er umnachtet, der des Herzogs von Burgund. Beide heben jeweils gegenseitig ihre Verordnungen auf. Der Hof ist heillos zerstritten. Karl selbst ist in hellen Momenten verzweifelt. Er sorgt sich um seine Frau und seinen Dauphin. Isabeau wird mit gewaltigen Ländereien und eigener "argenterie" (Finanzverwltung) ausgestattet. Der Königin werden als Regent - Ludwig von Orleans, der Bruder des Königs - und ein vierköpfiger Regentschaftsrat aus den drei Onkeln Karls - den Herzögen von Berry, Burgund und Bourbon - und ihrem Bruder Ludwig dem Gebarteten beigestellt.
Dreißig Ehejahre verbringt Isabeau an der Seite eines schizoiden Gemahls. Sie weicht kaum von seiner Seite. Sie sorgt sich um seine Gesundheit, kümmert sich um den Hof sowie um die Erziehung und die Zukunft der Kinder. Zu unerfahren, zu wenig energisch, immer wieder schwanger, kann sie das Ruder des Staatsschiffes nicht kräftig genug steuern. Dazu reichen auch ihre begrenzten verfassungsrechtlichen Möglichkeiten nicht aus. Solange Herzog Philipp von Burgund die französsiche Politik (ganz im Sinne der französisch-burgundisch-wittelsbachischen Interessen) bestimmt, hat es damit auch keine Not. Sein Tod im Jahre 1404 aber führt in die Katastrophe. Ein Machtkampf zwischen den Häusern BURGUND - dem neuen Herzog Johann Ohnefurcht - und ORLEANS, Ludwig, ist unausweichlich. "Je l'ennuie" - ich bedränge ihn - lautet die Devise Orleans. "Je houd" - ich halte stand - setzt Johann dagegen. Das Volk fürchtet den Bruderkrieg. Isabeau flieht nach Melun - man schließt Waffenstilstände, kommuniziert miteinander, versichert sich aufrichtiger Freundschaft und kämpft erbittert weiter. Isabeau schlägt sich schließlich auf seiten Orleans. Ludwig ist ihr Vertrauter. Am 23. November 1407 ist er bei der Königin im Hotel Saint-Pol. Am späten Abend wird er aufgefordert, zum König zu kommen Auf offener Straße wird er erschlagen. Niemand zweifelt daran, daß Johann Ohnefurcht der Auftraggeber war. Johann erobert Paris. Das Königspaar und der Dauphin sind nach Orleans ausgewichen. Johann ist zu stark, als daß der Mord gesühnt werden könnte.
Die ausweglose Situation führt in einen mörderischen Adelskrieg zwischen "Burgundern" und "Armagnacen". In Paris kommt es zur Revolutionsherrschaft der Metzgergilde unter Caboche. Der englisch-französische Krieg flammt wieder auf. Heinrich V. (seit 1413 König von England) schlägt 1415 bei Azincourt das französische Ritterheer vernichtend. Ein Jahr zuvor hatte Johann Ohnefurcht mit dem Engländer einen Geheimbund geschlossen. Isabeau verliert in diesem Jahr ihre zwei älteren Söhne Ludwig und Johann [Richtigstellung: Johann Graf von Touraine starb erst am 5.4.1417.]; der 1403 geborene Karl ist nun Dauphin. 1417 wird Isabeau nach Tours verbannt. Nach Monaten wird sie Johann Ohnefurcht befreien. 1418 besetzt die Burgunder Partei Paris. Johann und Isabeau bilden in Troyes einen Gegenregierung zud er des Dauphin Karl in Bourges, dessen sich die Burgunder bemächtight haben, während die Engländer von der Normandie her Frankreich erobern. Diese von den Umständen diktierete Umkehr ihrer Allianzen bringt die Königin gänzlich ins Kreuzfeuer der Kritik. Dennoch versucht sie zwischen den Parteien zu vermitteln.
Bei dem von der Königin angeregten Friedensgespräch mit dem Dauphin kommt es 1419 zu der gräßlichen Bluttat an Johann Ohnefurcht auf der Brücke von Montereau-sur-Yonne. Anläßlich eines Treffens  zwischen Karl und Johann wird dieser vom inzwischen 15-jährigen Dauphin und dessen Begleitern erschlagen. Isabeau steht wieder auf der Verliererseite, hat wieder einen Verbündeten durch Mord verloren. Diesmal von der Hand ihres Sohnes [PersönlicherEinwurf: Nach Meinung der verschiedenen Chronisten ist es nicht einmal sicher, daß der Dauphin Karl in die Mordpläne eingeweiht war. Keineswegs war er aktiv an der Mordtat  beteiligt.]. Und auch diesmal kann der Mord nicht gesühnt. Da die Orleans-Partei den Dauphin als Täter weder dem König noch der Königin ausliefern, ihn aber von der Blutschuld auch nicht reinigen kann, sieht die Königin (mit dem neuen, jungen Herzog Philipp von Burgund) nur noch den Ausweg, zwischen Frankreich und England Frieden zu schließen und im Vertrag von Troyes 1420 den Thronanspruch des Hauses LANCASTER anzuerkennen. Der Dauphin Karl wird enterbt. Heinrich V. von England heiratet Isabeaus 19-jährige Tochter Katharina. Soe wird eine französisch-englische Doppelmonarchie angedacht. Die Orleans-Partei wertet das Verhalten der Königin als Verrrat am eigenen Sohn und an Frankreich. Isabeaus Versuch, mit Hilfe des kunstsinnigen, alten Herzogs von Berry und ihres Bruders wenigstens das Königreich und die Person des (jeweiligen) Thronfolgers dem Zugriff der Parteien zu entziehen, schlägt fehl. Im Intrigennest ist ein Neutralitätskurs zwischen den Fehdeparteien unmöglich. Isabeau wird zwischen den Parteien zerrieben.
Zwanzig Jahre lang hatte sie als Inbegriff aller Königinnentugenden: der Schönheit, der Weisheit, der Güte, der Mildtätigkeit, des Kunstverstandes, der hohen Abkunft gegolten. Jetzt schlägt ihr Haß entgegen. Ein Pamphletist der enttäuschten burgundischen Hofpartei dichtet: "Toy Royne, Dame Isabeau, Enveloppee en laide peau" - "Du Königin ... verpackt in ein garv häßlich Fell" ... Einst habe sie guten Ruf besessen, jetzt aber sie sie zur "Royne mal clameee" - zur "verrufenen Königin" geworden. Ab 1405 setzt eine systematische Diffamierungskampgane ein. Das einst strahlende Königinnenbild wird umgekehrt: Nun schimpft man sie sittenlos, verschwenderisch, kaltherzig, frivol, vergnügungsdsüchtig, Rabenmutter, untreue Ehefrau, Verräterin an Frankreich. Politische Propaganda ist nicht wählerisch.
Mit dem kraftvollen Heinrich V. an der Spitze (von Frankreich und England) scheinen die Wirren gelöst. Doch Heinrich srtirbt am 31. August 1422, kurtz darauf, im Oktober auch Isabeaus Gemahl, der bedauernswerte KarlVI. - Karl der Wahnsinnige, Karl der Vielgeliebte. Isabeau ist Witwe. Ihr Schwiegersohn, der verstorbene Heinrich von England, hinterläßt einen einjährigen Sohn, Isabeaus "englischen " Enkel: Heinrich VI., der zum König von England und nun auch von Frankreich ausgerufen wird. Sein Onkel Herzog Johann von Bedford führt für ihn die Regentschaft in Frankreich. Aber auch Isabeaus Sohn Karl VII. beharrt auf seinem Thronanspruch. Frankreich hat nun zwei - ungekrönte - Könige, zwei Kronräte, zwei Parlamente, zwei Kronfeldherren, zwei Geldsorten, zwei Hauptstädte - Paris und Bourges - zwei unversöhnliche Prätendenten mit Alleinvertretungsanspruch. Es herrscht unbeschreiblicher Wirrwarr - und Krieg.
1424 notiert der anonyme Chronist "Bürger von Paris", Isabaeau verlasse Paris nicht mehr, lebe zurückgezogen und eher ärmlich in ihrer Residenz, dem Palais Saint-Pol, wo ihr Mann verstorben war, ein Witwendasein. Man hat der Königin vorgeworfen, Frankreich an England verraten zu haben. Als Frau hatte sie zu wählen zwischen ihrem Sohn Karl und ihrem Enkel Heinrich. Eine grausame Wahl für eine nun verwitwete Frau. 1429 befreit Johanna, die merkwürdige Jungfrau von Orleans, Isabeaus Sohn von seinen Zweifeln an seiner Legitimität (geschickt war dei Legende genährt worden, Karl sei kein Kind seines Vaters) und führt Karl zur Krönung in Reims. (Ein Jahr später wird sie von burgundischen Truppen bei Compiegne gefangengenommen, den Engländern ausgeliefert und 1431 in Rouen verbrannt, während Heinrich VI. in Paris zum König von Frankreich gekrönt wird.)
1435 wird der neue gordische Knoten gelsöt. In Arras gibt es eine "europäische Friedenskonferenz". Philipp ("der Gute") von Burgund söhnt sich am 20. September mit Karl von Frankreich aus. Die englische Delegation hat die von Banmketten und Turnieren gerahmte Veranstaltung wütend und knurrend verlassen. Die Bündnisse haben sich verkehrt. Der englische Erzgegner steht isoliert da. Isabeaus Enkel hat ausgespielt, ihr Sohn trägt den Siehg davon. Karl hat damit praktisch den Hundertjährigen Krieg gewonnen. Die Franzosen sind wieder unter sich. Der Vertzrag wird eine Woche nach dem Tod des tüchtigen Regenten Bedford unterzeichnet, der den Traum einer englisch-französischen Doppelmonarchie mit in sein Grab nahm. Es ist ein "burgundischer Friede": Karl muß alle Eroberungen Philipps bestätigen, ihn aus der Vasallenpflicht für französische Lehen entlassen,  moralische Genugtuung für den Mord an seinem Vater leisten. Aber: Der unansehnliche fünfte VALOIS auf Frankreichs Thron, für den sich Nichstun und Sichtreibenlassen als der politischen Weisheit letzter Schluß erwiesen hatte, ist nun Herr von Frankreich und beginnt, sich als unvermuteter Sieger zu einem umsichtigen König zu mausern, der ein wenig an seinen Großvater Karl V. erinnert.
Isabeau mag wehmütig zurückedacht haben an ihren Karl, den glanzvollen, dynamischen, aufstrebenden Jüngling, dem sie 1385 zu Amiens für gute wie für böse Tage die Hand gereicht hatte. Ihre Kinder und Enkelkinder haben sich zerstritten. Sie hat alles erlebt, Freud und Leid. Und jetzt: auf ihrem Totenbett ereilt sie die Nacricht vom Frieden von Arras. Wie um den Verratsvorwurf zu widerlegen, berichtet ein Chronist, ihr Tod sei Folge der Freude über die drei Tage zuvor im Vertzrag von Arras (endlich) zustandegekommene Aussöhnung der zerstittenen französischen Adelsparteien gewesen. Am 30. September 1435 stirbt Isabeau, 65-jährig, in ihrer verödeten Residenz Saint-Pol zu Paris.
Am 13. Oktober wird dihr Sarg nach Notre-Dame überführt. Adel fehlt im Trauergeleit. Er ist in Arras. Aber das Volk erinnert sich der beisiete geschobenen Königin. Es säumt so zahlreich die Straßen des Fackelzuges, daß ordner den Weg bahnen müssen. Ein Chronist schreibtt: "Sie war zu ihrer Zeit sehr freigebig ... und sie wurde daher sehr beweint und beklagt ...". Die Überführung des Leichnams aus Paris zur Grablege der französischen Könige in Saint-Denis ist eine triste Demonstration der Wirren der Zeit. Die (noch) englische Macht in Paris kann kein sicheres Geleit garantieren. Der Sarg der Isabeau wird daher in einem ärmlichen Flußboot seineabwärts gesandt.
In Arras, wo sich die Staatchefs versammelt haben, gedenkt man der verstorbenen Königin. Herzog Philippp ehrt die Königin mit einem feierlichen Trauergottesdienst, und König Karl läßt für die "sehr liebe verstorbene Herrin und Mutter" Gedenkgottesdienste lesen. Isabeau wird im rechten Seitenschiff von Saint-Denis begraben. Schon ein Jahrzehnt zuvor hatte sie den Auftrag für eine Doppelgruft erteilt. Pierere de Thoira hatte Abbilder nach der Totenmaske Karls VI. und dem Bild der noch lebenden Königin erstellt, erste Meisterwerke leebnsnaher Darstellungen in der Grablege der französischen Monarchen. Der Isabeau-Biograph Martin Saller schreibt: "Die dunkle, sanfte Einfalt im Totenantlitz Karls spiegelt die ganze Tragik seines Lebens wider, das der Wahn vergiftet und dessen Last die Königin mitzutragen hatte. Isabeaus herbes Matronengesicht prägt die stolze Resignation einer Frau, die nach einem randvollen Leben nichts mehr zu erwarten hat und nichts mehr erwartet. Um den Marmormund zuckt eine bitere,hochmütige Ironie, als spotte sie rückschauend der Eitelkeiten des Daseins undd er Kapriolen des Zufalls, der sie am Ende auf die Seiten der Verlierwer spülte."
Zunehmend werden heute die Versdienste der Königin um die Aufrechterhaltung der Würde und eines geregelten Lebens am Königshof, ihr vergebliches Bemühen um Ausgleich und Frieden, ihre Förderung von Kunst und Literatur anerkannt.An ihrem Hof blühte die Goldschmiedekunst, wurde italiensiche Literatur ins Französische übertragen, entstand mit einem "Minnehof" die erste literarische Gesellschaft Frankreichs, erhielt mit Christine de Pisan erstmals in Frankreich eine Frau die Chance zu einer schriftstellerischen Existenz und verteidigt Würde und Recht der Frauen.
Den Ausschlag für das zerrbild des Rufes der Isabeau in der Geschichte gibt die politische Gegenpartei (die Partei Karls VII.) nicht zuletzt mit dem Auftreten der Jungfrau von Orleans, die den Sieg davontrögt. Der Sieger hat immer recht und schreibt die Geschichte nach seiner Art. In dem Maße, wie das seltsame Mädchen aus domremy in der Gloriole einer Retterin zur Nationalheiligen aufstieg, wurde umgekehrt das Andenken der Königin aus Bayern verdunkelt. Alle Propagandavorwürfe blieben in der Hofgeschichte als bare Münze an ihr hängen und schließen in der historischen Popularitätsliteratur (gerade des 19. und 20. Jahrhunderts) üppig ins Kraut. Die Überleebnskraft der Jeanne-d'Arc-Legende genährt. Nachdem heute die Gloriole der jungfräulichen Heiligen des militanten Nationalstaates zu verblassen beginnt, muß sich zeigen, wieviel das historische Porträt der Isabeau nun an eigener Kraft gewinnen kann.
Den Einzug ihres Sohnes in Paris, seinen Triumph 1436, hat Isabeau nicht mehr erlebt.


Isabeau heiratete 1385 den französischen König Karl VI. Nicht nur die Geisteskrankheit ihres Gemahls, auch die korrupten Zustände am Königshof übten auf die Königin einen denkbar schlechten Einfluß aus, so dass sie einem leichten Leben und dem Ränkespiel verfiel. Schön, sittenlos und intrigant, überließ sie sich, nachdem ihr Gemahl 1392 in Wahnsinn gefallen war, einem ausschweifenden Lebenswandel. Nach der Ermordung ihres Schwagers, des Herzogs Ludwig von Orleans, dessen Geliebte sie war, im Jahre 1407, verließ sie die königliche Partei der Armagnacs zugunsten der Burgunder. Schließlich wurde sie sogar von den Armagnacs verhaftet und in Tours eingekerkert. Der burgundische Herzog Johann Ohnefurcht befreite sie jedoch und brachte sie nach Troyes in Sicherheit. Seitdem stand Isabeau in leidenschaftlicher Opposition zu den Armagnacs. 1418 zog sie in Paris ein und zögerte keinen Augenblick mehr, mit den Engländern zu paktieren, indem sie ihre Tochter Katharina dem englischen König Heinrich V. zur Gemahlin gab. Damit lieferte sie Frankreich an England aus, erst recht, als mit dem Vertrag von Troyes im Jahre 1420 der Sohn Heinrichs V. als rechtmäßiger Erbe der Krone anerkannt wurde, nicht aber ihr leiblicher Sohn, der Dauphin Karl (VII.). Dieser Vertrag erschien im ersten Augenblick als eine Krönung ihres Intrigenspiels. Isabeau ließ sich in Paris nieder, ganz in der Nähe ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes. Bald jedoch starben Heinrich V. und auch Isabeaus Gemahl, der französische König Karl VI. Die englische Herrschaft in Frankreich wurde durch die Erfolge der Jungfrau von Orleans erschüttert. Allein und isoliert blieb die Witwe Karls VI. in der Hauptstadt, deren englische Besatzung in den letzten Zügen lag, zurück, von ihren Beschützern verachtet und von der Pariser Bevölkerung verhöhnt. Ihr Tod im Jahre 1435, ein Jahr vor der Befreiung der Hauptstadt durch die Truppen ihres Sohnes Karl VII., bewahrte sie vor der Schmach, als Verräterin verurteilt zu werden.

Markale Jean:
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„Isabeau de Bavarie“

Seite 90
Der neue Krankheitsfall des Königs zog sich, unterbrochen von Phasen gewisser Besserung, über zehn Monate hin. Vor allem aber wurde ihm die Gegenwart der Königin unerträglich. Wahrscheinlich hatte er nicht den geringsten Grund ihr böse zu sein. Es handelte sich um eine jener unerklärlichen Aversionen, die in dem kranken Hirn eines Umnachteten keimen können. Es steht jedoch fest, dass von 1394 an zwischen Karl VI. und Isabeau de Bavarie „nichts mehr lief“. Wenn sie von ihrem Gemahl trotzdem noch sieben Kinder bekam - und wir haben keinerlei sicheren Beweis dafür, dass sie nicht vom König stammten -, so deshalb, weil man seine wenigen Momente geistiger Klarheit dazu nutzte, ihm die Königin zuzuführen. Dies war notwendig, um die Thronfolge zusichern, und Isabeau sah sich daher gezwungen, ihre ehelichen Pflichten zu erfüllen.
Letzten Endes führte man die Kuh zum Stier, nicht mehr und nicht weniger. Und dies war nicht das reinste Vergnügen, denn Karl VI. ließ sich im abstoßenden Dreck verkommen. Er lehnte es ab, sich zu waschen, er erging sich in Verwünschungen, wenn man ihm deshalb Vorhaltungen machte, und zerriß sich die Gewänder. Er vegetierte in Sack und Asche dahin, wobei er sich zuweilen jedoch beklagte, man ließe ihn nackt du bloß im Stich. Man kann sich also denken, wieviel Geduld Isabeau aufbringen mußte, um der Staatsraison Genüge zu tun. Sie, die den König so sehr geliebt hatte, mußte sich nun zwingen, ihn zu erdulden, um sich schwängern zu lassen. Doch dies war ja ohnehin der einzige wahre Nutzen einer Königin von Frankreich. Auch wenn der König Isabeau de Bavarie nicht mehr ausstehen konnte, brauchte er trotzdem noch eine Frau, um seine Sinnenlust zu befriedigen, die trotz seiner Krankheit beileibe nicht abnahm, sondern sich sogar noch gewaltig entfesselte.
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Im Grunde war Isabeau de Bavarie bis dahin nichts anderes gewesen als eine Gebärerin, deren Funktion darin bestand, der französischen Krone einen oder mehrere Erben zu schenken. In jenem entscheidenden Jahr 1403 war sie 33 Jahre alt. Seit ihrer Hochzeit mit Karl VI. und ihrer Ankunft in Frankreich waren inzwischen 18 Jahre vergangen, und während dieser Zeit war sie 8 Jahre lang schwanger gewesen. Aber sie besaß noch viel Charme, und dieser Charme beruhte im wesentlichen auf jener erstaunlichen Mischung aus germanischen Temperament und südländischen Äußeren, denn man darf nicht vergessen dass sie über ihre Mutter, eine VISCONTI Mailänderin war. Sie wird beschrieben als eine Frau mit glühenden Augen, dunklem Teint, tiefschwarzem Haar und einer mächtigen Stirn, die in eine majestätische Nase auslief. Sie war von tadelloser Haltung, obgleich klein an Gestalt. Im übrigen trug sie stets Holzpantinen mit hohen Absätzen. Sie war sehr stolz auf ihren Busen, aber durch die zahlreichen Schwangerschaften waren ihre Hüften in die Breite gegangen, und durch übermäßiges Essen hatte sie einen Bauch bekommen, der eines Tages monströse Ausmaße annehmen sollte.
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Sobald Philipp der Kühne in seiner Gruft ruhte, fühlte Isabeau die Dämonen von ihr Besitz ergriffen. Sie kam in ein Alter, in dem man weniger das Vergnügen sucht, dafür umso mehr vom Ehrgeiz gefressen wird. Und dann war da noch Ludwig von Orleans, der ausschweifende Lebemann der Jahre um 1390, auch er kam in die Jahre und tauschte einige fleischliche gegen Machtgelüste. War er in Isabeau de Bavarie verliebt? Vielleicht. Fühlte er sich geschmeichelt, er, der so viele Eroberungen sowohl in der Welt der Fürsten als auch im niederen Volk gemacht hatte, wenn er einer Königin von Frankreich gefiel, die noch dazu, - und das verlieh der Sache eine pikante Würze - die Frau seines Bruders war? Der Inzest entsprach ganz dem Geschmack der Zeit, und wenn es eine Liaison zwischen Isabeau und Ludwig gab, dann konnte es sich dabei nach kanonischem Recht nur um Inzest handeln. Das mußte dem Herzog von Orleans gefallen. Kurzum, eine Liaison zwischen Louis d’Orleans und Isabeau de Bavarie wäre nicht verwunderlich gewesen. Wir haben zwar keine Beweise, doch die Zeugnisse aus der damaligen Zeit spielen immer wieder darauf an, und bei näherer Betrachtung sieht es ganz danach aus, als beruhten die Klatschgeschichten doch auf gewissen Tatsachen. Zumindest ab 1404 wäre es denkbar. Denn zuvor liegt alles im Dunkel, obwohl man an der Abstammung des Dauphins, des zukünftigen Karl VII., zweifelte, obwohl ach der Dauphin selbst an der Legitimität zweifelte und obwohl Isabeau durch ihr Verhalten zu verstehen gab, dass sie ihren Sohn haßte. Sicher ist aber, dass die Königin in der ersten Zeit der Krankheit des Königs viel gebetet und geweint hat. Aufgrund ihrer tiefen Zuneigung zu ihrem Gemahl hatte sie sich lange Zeit in ihr Schicksal gefügt, von ihm verstoßen zu werden, wenn er sich im Zustand der Schwachsinnigkeit befand, und wieder so etwa wie eine Eheleben zu führen, sobald er bei klarem Verstand war. Die Hoffnung Karl VI. könne wieder vollkommen genesen, hatte sie sich unerschütterlicher bewahrt als irgend jemand sonst aus der Entourage des Königs. Aber dann war der wahnsinnige König von gemeinen Worten zu Tätlichkeiten gegen seine Frau übergegangen, ja, er schlug sie zuweilen so heftig, dass die Prinzen stets befürchteten, es könnte ein Unglück geschehen.
Da überkam die Königin bereits ein Schaudern, wenn sie den Besessenen nur erblickte, der sie mit einem tödlichen Haß verfolgte, und sie begann sich vor ihm zu ekeln, ohne dass man darüber schockiert sein könnte. Schließlich kam der Moment, wo ihr klar wurde, dass der Verfall des Königs unabänderlich war. Von da an existierte der König in ihren Augen nicht mehr als Gemahl. Isabeau respektierte in ihm nur noch den rechtmäßigen König. Etwa um das Jahr 1404 betrachtete sie sich wahrscheinlich als frei von ihren Verpflichtungen gegenüber dem so tragisch „unabkömmlichen“ Gatten.
Obwohl keinerlei geistige Affinität zwischen Ludwig von Orleans und der Königin herrschte, brachten die Liebe zum Luxus, die Organisation von Festen und Divertissements sowie bestimmte politische oder finanzielle Interessen die beiden einander immer näher. Daher konnte Brantome schreiben: „Ludwig von Orleans fiel es nicht schwer, seine Schwägerin Isabeau de Bavaerie zu lieben.“ Doch auch Brantome führt genau sowenig wie die anderen einen Beweis an. Es war eben öffentlicher Klatsch. Die Königin läßt sich nämlich mit ihrem Schwager auch in der Öffentlichkeit sehen. Im Juli 1405 begaben sich Isabeau und Ludwig nach Poissy, um Marie de France aus dem Kloster zu holen. Juvenal des Ursins, der von dieser Unterredung berichtet, fügt noch jenen etwas rätselhaften Satz hinzu: „Und es geschahen, wie man erzählt, mehrere nicht ehrenhafte Dinge in jener Abtei, und was es auch immer gewesen sein mag, es machte als Gerücht die Runde.“ Es wurde also der Verdacht nahegelegt, dass es im Juni 1405 zu „sonderbaren Dingen“ zwischen der Königin und ihrem Schwager kam. Im übrigen kehrten sie anschließend auch nicht sofort wieder nach Paris zurück.
Tatsächlich versäumte Isabeau nie ihre Familie in Bayern zu bereichern, sooft sie nur konnte, und ihr Bruder Ludwig im Barte, eine sonderbare Person, feig und auf den eigenen Vorteil bedacht, hatte schon manches Mal ihre Freigebigkeit ausgenutzt, das heißt er hatte sich aus der königlichen Schatzkasse bedient.
Dem ist hinzuzufügen, dass Isabeau und Ludwig ihre intime Beziehung nun auch nicht mehr verbargen. Anläßlich einer Fastenmesse nahmen sie gemeinsam an den Gebeten teil. Sie besuchten Hospitäler und verteilten großzügige Almosen, bei denen sie sich jedoch nicht in große Unkosten stürzten, denn sie kamen auf direktem Wege aus der öffentlichen Staatskasse. Böse Zungen sahen in dieser Geste eher den Skandal einer zu intimen Liaison als den Ausdruck echter Nächstenliebe. Massenhaft verbreitete Flugschriften diffamierten, so sehr es irgend ging, jede Aktion, die von den beiden Protagonisten ausging.
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Inmitten all dieser Frauen, deren Leben recht bewegt verläuft, macht Königin Isabeau de Bavarie eine eher einsame, wenn nicht gar seßhafte Figur. Gewiß, ab 1413 hatte die Königin infolge ihres unmäßigen Appetits und ihrer 12 Schwangerschaften an Fülle zugenommen und konnte sich so leicht nicht mehr bewegen. Außerdem fühlte sie sich alt werden. In einer Zeit, wo die Lebensmitte bei etwa 30 Jahren lag, hatte sie dieses Kap bereits überwunden und wußte, dass für sie nun die Gnadenfrist begann. Nach den Aussagen ihrer Zeitgenossen stellte sich bei ihr eine tiefe Angst vor dem Tod ein. In den Augen der Königin bot das Leben nur noch Kummer und Elend: Die Zeit der Schönheit und der Genüsse war nun zu Ende. Für Isabeau, die in den Jahren ihrer Jugend wegen ihrer Schönheit gefeiert, umschmeichelt und gerühmt worden, muß diese Erkenntnis besonders schmerzlich gewesen sein.
Im Dezember 1415 kehrte die Königin von Melun nach Paris zurück. Sie ließ sich auf den Schultern von Männern, die einander schichtweise ablösten, in einer Sänfte tragen. Während dieser Reise dürfte sie mit Wehmut den wilden Galoppritte hoch zu Roß in ihrer Jugend nachgetrauert haben, die sie stets so sehr geliebt hatte. Sich in den Sattel zu schwingen, sei es auch nur zu einem Spazierritt in gemächlichem Schritt, daran war nun nicht mehr zu denken. Auf jene schnellen, leichten Reisekutschen, die sie bis dahin benutzte, mußte sie einfach verzichten: Die Erschütterungen der Fahrt wurden ihr unerträglich.
Im April 1416 wurde die Königin vom Podagra, der Fußgicht befallen. Wollte sie sich durch die Räume ihrer Residenz bewegen, war sie gezwungen, sich in einem Rollstuhl schieben zu lassen. Zeitweise konnte sie zwar wieder ihre Beine gebrauchen, doch dies reichte nur zu kurzen Wegen mit langsamen, kraftlosen Schritten. Diese immer größer werdende Schwerfälligkeit in der Bewegung wirkte sich in gewisser Weise auch ihre Psyche aus und verstärkte ihre entsetzliche Angst, man könnte sie angreifen, ohne dass sie zu fliehen imstande wäre.
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Zu jenem Zeitpunkt, da Philipp von Burgund den Vertrag von Arras unterzeichnete, hat Isabeau nur noch 8 Tage zu leben.

Journal d’un Bourgeois de Paris, Nr. 679f
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Item verschied die Königin von Frankreich, Isabeau, Frau Karls VI. selig, am Samstag, dem 29. Septembertag des Jahres 1435 im Hotel Saint-Pol. Und drei Tage lang sah sie jeder, der es wollte; und danach ward alles angeordnet, was einer solchen Dame gebührt, und sie blieb aufgebahrt bis zum 13. Tag (Donnerstag) des Oktober, wo sie um 4 Uhr nach dem diner (= Nachmittag) nach Notre-Dame überführt wurde; und es zogen 14 Totenglöckner vor dem Leichnam einher und 100 Kerzen, und als Geleit folgten an Damen von Stand nur die Dame de Baviere (= Katharina von Alencon, ihre Schwiegertochter) und ich weiß nicht wie viele adlige Demoisellen. Und sie war so kunstvoll gebettet das es schien, als schliefe sie, und sie hielt in ihrer Rechten ein königliches Szepter. An jenem Tag wurden gar feierlich ihre Vigilien gelesen.
Item wurde sie am folgenden Tag nach der Totenmesse auf der Seine in ein Boot gebracht und zur Beisetzung nach Saint-Denis in Frankreich verschifft denn wagte nicht, sie über Land zu transportieren, wegen der Armagnacs, die die Felder und alle Städte um Paris immer noch in Fülle beherrschten.
 
 
 
 

17.7.1385
   oo Karl VI. der Wahnsinnige König von Frankreich
       3.12.1368-21.10.1422
 
 
 
 

12 Kinder:

  Charles
  25.9.1386-28.12.1386
  Vincennes

  Jeanne
  14.6.1388-   1390
  Saint-Ouen

  Isabella
  9.11.1389-13.9.1409
  Louvre

  19.4.1396
  1. oo Richard II. König von England
          6.1.1367-14.2.1400

  29.6.1406
  2. oo Karl I. Herzog von Orleans
          26.5.1391-4.1.1465

  Johanna
  24.1.1391-27.9.1433
  Melun

 19.9.1396
    oo Johann VI. Herzog von der Bretagne
         24.12.1389-29.8.1442

  Dauphin Karl
  5.2.1392-11.1.1400
  Hotel Saint-Paul

  Marie Priorin in Poissy
  22.8.1393-19.8.1438
  Vincennes

  Michaela (Michelle)
  11.1.1395-8.7.1422
  Hotel Saint-Paul Gent

 1409
  oo 1. Philipp I. der Gute Herzog von Burgund
  x     13.6.1396-15.6.1467

  Dauphin Ludwig von Guyenne
  22.1.1397-18.12.1415

  Dauphin Johann Graf von Touraine
  31.8.1398-5.4.1417

  Katharina
  27.10.1401-3.1.1438
  Hotel Saint-Paul

   2.6.1420
  1. oo Heinrich V. König von England
          1387-31.8.1422

    1429
  2. oo Owen Tudor
          um 1400-4.2.1461 hingerichtet

  Karl VII. der Siegreiche
  22.2.1403-22.7.1461
  Hotel Saint-Paul

  Philipp
  10.11.1407-10.11.1407
 
 
 
 

Literatur:
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Adalbert Prinz von Bayern: Die Wittelsbacher. Geschichte unserer Familie. Prestel Verlag München 1979 Seite 95,96,99 - Calmette, Joseph: Die großen Herzöge von Burgund. Eugen Diederichs Verlag München 1996 Seite 70,90,95,101,109,113,117,143,145,148,238 - Ehlers Joachim: Geschichte Frankreichs im Mittelalter. W. Kohlhammer GmbH 1987 Seite 265,267,278,301,303,307,312 - Ehlers Joachim/Müller Heribert/Schneidmüller Bernd: Die französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888-1498. Verlag C. H. Beck München 1996 Seite 303,307,309,311,318,321,323 - Ennen, Edith: Frauen im Mittelalter. Verlag C.H. Beck München 1994, Seite 209 - Favier, Jean: Frankreich im Zeitalter der Landesherrschaft 1000-1515. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1989 Seite 362,366, 369,371,379,383,390 - Jurewitz-Freischmidt Sylvia: Die Herrinnen der Loire-Schlösser. Königinnen und Mätressen um den Lilienthron. Casimir Katz Verlag, Gernsbach 1996 Seite 9-16,19,21-30,32,34-46,57-58,63,75,130,434 - Markale Jean: Isabeau de Baviere. Eine Wittelsbacherin auf Frankreichs Thron. Eugen Diederichs Verlag München 1994 - Martin Jean-Joseph: Die Valois. Edition Rencontre Lausanne 1969 - Nöhbauer, Hans F.: Die Wittelsbacher. Eine europäische Dynastie - eine deutsche Chronik Scherz Verlag Bern und München 1979 Seite 84,85,91 - Rall, Hans und Marga: Die Wittelsbacher. Von Otto I. bis Elisabeth I., Verlag Styria Graz/Wien/Köln 1986 Seite 77 - Saller Martin: Königin Isabeau. Die Wittelsbacherin auf dem Lilienthron. Nymphenburger Verlagshandlung GmbH, München 1979 - Schelle, Klaus: Karl der Kühne. Burgund zwischen Lilienbanner und Reichsadler. Magnus Verlag Essen Seite 28,36,38 - Schnith Karl: Frauen des Mittelalters in Lebensbildern. Verlag Styria Graz Wien Köln 1997 Seite 351-368,370,373 - Treffer Gerd: Die französischen Königinnen. Von Bertrada bis Marie Antoinette (8.-18. Jahrhundert) Verlag Friedrich Pustet Regensburg 1996 Seite 197-207 - Tuchmann Barbara: Der ferne Spiegel. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1995 Seite 374-378,410,466,511 -
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 


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