Begraben: Abtei Saint-Denis bei Paris
Einzige Tochter des Herzogs Stephan
III. der Kneißl von Bayern-Ingolstadt aus seiner 1. Ehe
mit der Taddaea Visconti, Tochter von Herzog Bernabo
Lexikon des Mittelalters: Band I Spalte 668
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Isabella von Bayern (Isabeau de Baviere), Königin
von Frankreich
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* 1370, + 24. September 1435
Begraben: Paris Saint-Denis
Tochter Herzog Stephans III. von Bayern-Ingolstadt und der Thaddäa Visconti
14.7.1385
oo König Karl VI. von Frankreich
Amiens
12 Kinder, unter ihnen Karl VII.
Ein Hauptmotiv der Heirat war der Wunsch Frankreichs nach einem Bündnis mit den WITTELSBACHERN als mächtiger Dynastie im Reich und seinen westlichen Gebieten. 1389 hielt Isabella ihren feierlichen Einzug in Paris und empfing Krönung und Weihe. Ihre großen, kontinuierlich steigenden Einkünfte (um 1400: 120.000 Francs jährlich) sicherte sie durch umsichtige Verwaltung ihrer Güter (St-Omer, Hotel Barbette zu Paris und andere). Infolge der Geisteskrankheit ihres Mannes (seit 1392) geriet sie in eine zunehmend schwierige Position. Durch Ordonnanz von 1403 zur Regentin „in Abwesenheit des Königs“ erklärt, schloß sie sich als politisch nicht aktive Persönlichkeit dem jeweils mächtigsten unter ihren Schwägern an (zunächst Herzog Ludwig von Orleans, nach dessen Ermordung dann Herzog Jean von Burgund). Wichtigster Vertrauter am französischen Hof war ihr Bruder, Herzog Ludwig VII. von Bayern-Ingolstadt, der den Orleans-Armagnacs eng verbunden war. Die Königin, die während des Bürgerkrieges Exil in Tours gesucht hatte, wurde von Herzog Jean entführt und als Regentin eingesetzt, bis die Truppen des Burgunders Paris einnahmen. Nach Montereau stimmte Isabella 1420 dem Vertrag von Troyes zu, der ihren Sohn Karl VII. vom Erbe ausschloß. Dieser hat sich nie mit seiner Mutter ausgesöhnt. - Die Legende dass Karl VII. ein Bastard gewesen sei, wurde wohl von Engländern in Umlauf gesetzt und von Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) verbreitet.
Literatur:
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M. Thibault, I. de B., reine de France. La jeunesse (1370-1405),
1903 - Y. Grandeau, Itineraire d’I. de B., Bull. Philol. Et hist., 1964,
569-670 - H. Kimm, I. de B. reine de France (1370-1435), Misc. Bavaria
Monacensia 13, 1969 - R. C. Famiglietti, Royal intrigue Crisis at the Court
of Charles VI., 1392-1420, 1986.
Begraben: Saint Denis
Vater:
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Herzog Stephan III. (um 1338-1413)
Mutter:
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Thaddäa Visconti (+ 1381)
oo 1385 König Karl VI. von Frankreich (1368-1422)
Erziehung in München.
Führte in Frankreich unbestritten den Vorsitz im
Staatsrat, nachdem ihr Gatte zeitweilig wahnsinnig und krank geworden war.
1393-1404 de facto-Regierung Herzog
Philipps von Burgund.
Isabeau war der Vormund
des Dauphins und Vorsitzende des Familienrates.
Später wurde sie noch Präsidentin des Kronrates
und erhielt die Oberaufsicht über die gesamte Finanzverwaltung.
Nach schweren Machtkämpfen 1417 Verbannung nach
Tours durch die orleanistische Partei (Armagnaken).
Sie erlebte noch die Krönung ihres Sohnes Karl
VII. durch Jeanne d’Arc und verbrachte die letzten Lebensjahre
in großer Armut. Schickte Schätze nach Bayern, darunter das
„Goldene Rößl“ (Heute Schatzkammer von Altötting).
Literatur:
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NDB 10; H. Kimm, Isabeau de Baviere, Reine de France
(1370-1435) (= MGM 13), 1969, R.J. Praetorius, Wittelsbacher Prinzessinnen
auf fremden Thronen, 1975.
2. ELISABETH (Isabeau de Baviere)
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* 1371, + 30.9.1435
Paris
Grabstätte: St. Denis bei Paris
oo 17. (10.?) 7.1385 in Amiens
KARL
VI., König von Frankreich
* 3.12.1368, + 22.10.1422
Grabstätte: St. Denis bei Paris
Eltern: Karl V., König von
Frankreich, und Johanna,
Tochter Peters I., Herzogs von Bourbon
ELISABETH VON BAYERN - Schillers verleumdete "Bayern-Fürstin"
* um 1370, + 30. September 1435
München Paris
Gemahlin Karls VI. des Wahnsinnigen (* 1368; König: 1380-1422) Heirat 17. Juli 1385 Amiens
Keiner anderen ist von der Geschichtsschreibung so übel
nachgeredet worden wie Elisabeth, der
ersten und einzigen Frau aus dem Hause BAYERN-WITTELSBACH,
die als
Isabeau de Baviere auf dem
französischen Thron Platz nahm. Als sittenloses Frauenzimmer, als
selbstsüchtige Megäre, als treulose Mutter, die ihren Sohn, den
künftigen Karl VII. verraten habe,
wurde sie verleumdet, als die "Ausländerin", die Frankreich an den
Erzfeind England verkauft habe, wurde sie beschimpft. Johanna von Orleans
mußte kommen, um ihres Sohnes Karl
Erbe zu sichern. Die Lichtegstalt der Jeanne d'Arc wurde zum Pedant der
finsteren Königin. Die französischen Chronisten und Geschichtsschreiber
schien Jahrhunderte hindurch wild entschlossen, kein gutes Haar an dieser
verrufenen, verruchten Königin zu lassen. Auch Friedrich von Schiller,
der die Johanna in seiner "romantischen Tragödie" bis zur historischen
Unkenntnis idealisiert, hat sich vom bösen Leumund die Feder führen
lassen, wenn er schreibt:
"Auch die alte Königin sieht man,
die stolze Isabeau,
die Bayern-Fürstin
in Stahl gekleidet durch das Lager reiten,
mit giftigen Stachelworten alle Völker
zur Wut aufregen wider ihren Sohn,
den sie in ihrem Mutterschoß getragen ..."
Der selbst wohl kaum eines untadeligen Lebenswandels
wegen bekannnte Marquis de Sade stilisierte die Königin in seinem
ominösen Spätwerk (von 1813) "Die geheime Geschichte der Isabel
von Bayern" zu einer Heroin kalter Mordintrigen und lasziver Lust. Alexandre
Dumas, der Großmeister des historischen Unterhaltungsromans in Frankreich,
entfaltet ein Zerrbild wenigstens mit literarischer Meisterschaft.
Elisabeth kommt 1370
in der Münchener Herzogsresidenz, dem "Alten Hof", zur Welt. Dort
regiert noch ihr Großvater, Herzog Stephan
II., ein Sohn Kaiser LUDWIGS DES BAYERN.
Der hat drei Söhne: Elisabeths
Vater, Stephan III., den Kneißl -
will heißen: den Prachtliebenden -, Friedrich
und Johann II. Später (1392) werden
sich die Söhne Bayern teilen und dem Ältesten wird Bayern-Ingolstadt
zufallen. Stephan ist klein, drahtig,
ein mutiger Turnierkämpfer und in zahllosen Fehden wohl erprobt, klug
verheiratet mit Thaddäa, der Tochter des Mailänder Tyrannen
Barnabas Visconti. Elisabeth hat einen
älteren Bruder Ludwig, den man
später "den Gebarteten" nennen
wird.
Als Elisabeth zehn
Jahre alt ist, stirbt in Frankreich Karl V.,
der
Weise. Der fünfzehnjährige
Karl VI., - der vierte Erbkönig aus dem Hause
VALOIS - folgt ihm nach. Auch hier gibt es drei Brüder
(des Verstorbenen): die Herzöge von Burgund, Berry und Bourbon [Richtigstelleung:
Der
Herzog von Bourbon entstammte einer Seitenlienie des Hauses der KAPETINGER.
Der dritte Bruder war Ludwig I., Herzog
von Anjou.]. Sie übernehmen die Regentschaft. In Frankreich
ist Herzog Philipp von Burgund der
führende Politiker. In Bayern ist Friedrich
der außenpolitische Kopf.
1383 findet sich Friedrich im
Kriegslager des jungen Karl in Arras
ein. Frankreich sammelt gegen den Erzfeind England, der in Flandern eingefallen
ist. Philipp eröffnet ihm, man
suche nach einer passenden Braut für den jungen König: eine anti-kaiserliche
Allianz. Auch die WITELSBACHER sind
Rivalen des luxemburgisch-böhmischen
Kaiserhauses. Friedrich bedauert: er
selbst habe keien Tochter, wohl aber eine Nichte, Elisabeth.
Stephan
der Kneißl, der Vater der in Aussicht genommenen Braut,
zaudert. Nichts wäre schlimmer, als seine Tochter abgewiesen zurückgesandt
zu erhalten. In München wägt man die politische Lage in Europa.
Auf Frankreichs Thron lastet das Verhängnis des Hundertjährigen
Krieges, des Thronstreits zwischen dem Haus VALOIS
und den PLANTAGENETS
von England. Französische
Niederlagen hatten zu Aufständen und Revolten geführt, von denen
sich das Land nur mühsan erholt. Frankreich sucht Rückendeckung
gegen England im Deutschen Reich. 1377/78 hatte ein europäisches Gipfeltreffen
mit Kaiser KARL IV. stattgefunden.
Visionen einer quasi karolingischen
deutsch-französischen Dopplemonarchie hatte man gehegt, die im Westen
dem Störenfried England, im Osten dem Feind der Christenheit, dem
Türken-Sultan, wehren und so einen europäischen Frieden gewährleisten
könnte. Kaiser KARLS Sohn WENZEL
aber bevorzugt eine Verbindung mit England. So wendet sich der Vormundschaftsrat
in Frankreich fast notgedrungen dem anderen deutschen Kaiserhaus, den WITTELSBACHERN,
zu - das von den LUXEMBURGERN um die
Kaiserwürde LUDWIGS DES BAYERN
- Isabeaus Großvater - gebracht
und im Reich nachhaltig zurückgedrängt worden war. In Frankreich
mochte man also wohl auf das politische Gewicht der WITTELSBACHER
im Reich spekulieren. Für die Heiratsofferte gibt es also einen soliden
politischen Grund in der Gesamtstruktur der europäischen Mächtekonstellation.
Vater Stephan läßt
seine Tochter ziehen, nicht ohne seinem Bruder Friedrich
mitzuteilen,
sollte Elisabeth abgewiesen, schmachbedeckt
zurückkehren, werde er auf ewig sein Feind sein. Vorsichtshalber tarnt
man daher die Reise Elisabeths nach
Frankreich als Wallfahrt zum Haupt des heiligen Johannes in der Kathedrale
von Amiens. Am 14. Juli 1385 wird die blutjunge Herzogs-Tochter, in Seide
und kostbarem Damast aufgeputzt, im großen Saal des bischöflichen
Palais dem französischen König vorgestellt. Der flämische
Chronist Jean Froissart berichtet: "Als sie vor ihm war, kniete sie nieder
und verbeugte sich tief. Der König ging auf sie zu, nahm sie an der
Hand und zog sie hoch. Liebe umfing sein Herz, denn er sah, daß sie
jung und schön war; und er begehrte sehr, sie zur Frau zu nehmen ..."
Drei Tage später findet die Hochzeit statt. Der Überlieferung
nach war Amiens eine Blitzhochzeit, eine Liebesheirat und entsprach damit
überhaupt nicht den Gepflogenheiten der Zeit. Die Damen des Hofes
hatten nicht einmal Zeit, ihre Toiletten zu einem so herausragenden Ereignis
wie einer Königshochzeit kommen zu lassen. Zum Ausgleich findet an
diesem denkwürdigen 17. Juli abends ein Tanzvergnügen statt -
es ist der erste bekannte Ball der Weltgeschichte. Die Höfe der Welt
werden die hier begründete Tradition gern und oft aufgreifen. Vier
Tage später ist König Karl untwerwegs
nach Flandern, um Krieg zu führen. Froissart zufolge ist der junge
König glücklich, und sein Onkel, Philipp
der Kühne, der Schöpfer des burgundischen Großreichs
und Urheber dieser
valois-wittelsbachischen
Allianz, zufrieden.
Noch vor Amiens hatte er im selben Jahr für seinen
Erben Johann Ohnefurcht und seine Tochter
Margarete
die Doppelhochzeit zu Cambrai mit dem Hause BAYERN-STRAUNING-HOLLAND
zustandegebracht. Damit war der englische Einfluß auf
die Interessen Burgunds in Flandern und Brabant kräftig abgeblockt
und der burgundische Einfluß auf den König gefestigt. Den Hochzeiten
von Cambrai und Amiens folgt ein ganzer Kranz von bayerisch-französischen,
bayerisch-burgundischen und burgundisch-französischen Heiratsallianzen.
Nie zuvor und nie danach gestaltet sich das Verhältnis der WITTELSBACHER
zu
Frankreich so eng und vielfältig.
Nur sieben Jahre des Glücks mit Reisen, Wallfahrten,
Kinderfreuden und Festlichkeiten und Festlichkeiten sind der Ingolstädter
Herzogs-Tochter dann beschieden, beeinträchtigt vielleicht von
den häufigen Abwesenheiten des Königs auf Heerfahrten und Regierungsreisen.
Gedämpft sicher durch häufige Schwangerschaften und die Trauer
um früh verstorbene Kinder. Zwölfmal liegt sie im Wochenbett;
achtmal steht sie Am Grab eines Kindes.
Isabeau lebt in Vincennes.
An den Staatsgeschäften hat sie keinen Anteil. Sie beobachtet. Es
sind Lehrjahre. Karl ist ein unsteter
Geist. Kaum hat er einige Tege mit ihr verbracht, treibt ihn seine innere
Unruhe fort. Er liebt seine Frau, zweifellos, giert aber nach Abwechslung.
nach lauter Geselligkeit, nach neuen Amouren. Ständiger Begleiter
dabei ist sein vier Jahre jüngerer Bruder Ludwig.
Auch Isabeau überläßt
sich kurzweiligem Zeitvertreib, verwendet Sorgfalt auf die Mode. Es ist
eine Zeit skurriler Übertreibungen: ballonartig gepuffte Ärmel,
körpereng, geschnittene Oberteile, gewaltige Bauschröcke, wetteifernd
mit Edelsteinen und Glitzerwerk besetzt. Das Dekollete kommt auf und wird
von Jahr zu Jahr kühner. Die Prunkhauben haben gewltige Seitenflügel
und
nötigen die Damen zu großer Behutsamkeit beim Durchschreiten
von Türen. Eine neue Welle bringt dann halbmeterhohe zurckerhutförmige
Spitzenhauben mit bis zum Boden wallenden Schleiern.
1388 reißt der 20-jährige König die Zügel
der Regierung an sich, entledigt sich der Vormundschaft seiner Onkel. Er
bildet einen eigenen Verwaltungsstab. Die Onkel nennen die Leute bissig
die marmousets" (die Gnomen). Ihr zähes Bemühen um Stärkung
der königlichen Zerntralmacht, Mehrung des Kronbesitzes, geordnetes
Finanz- und Steuerwesen ist den Interessen der Herzöge nicht immer
zuträglich.
Am Sonntag, den 22. August 1389, erlebt Frankreich das
gewaltigste Spektakel des 14. Jahrhunderts: Karl
VI. entschädigt seine Frau für die entgangene Hochzeitsfeier
mit dem prächtigsten Krönungsfest einer Königin, das Paris
bis dahin jemals gesehen hatte. Acht Tage lang folgen dem Festeinzug in
die Hauptstadt Mysterienspile, Festgottesdienste, Krönung, Salbung
und Weihe der Königin, Turniere, Bankette und Bälle in Anwesenheit
zehntausender Schaulustiger und zahlreicher Gäste. Die 19-jährige
Königin, zierlich, jugendfrisch, "kostbar herausgeputzt wie ein Engel",
glänzt einen rauschenden historischen Augenblick lang als der strahlende
Mittelpunkt Frankreichs. Der Erzbischof von Rouen, Guillaume de Vienne,
salbt sie in Notre-Dame mit dem Heiligen Öl an Haupt und Brust, setzt
ihr die Staatskrone aufs Haupt, überreicht ihr die Insignien ihrer
königlichen Würde: Ring, Zepter, Hand der Gerechtigkeit, "ut
scias ti esse consortem regni" ("Damit Du Dir der Teilhabe an der Herrschaft
bewußt seist"). Die feierliche Bekräftigung ihrer helfenden
Teilnahme an der Regierung eröffnet ihr breite legale Einflußnahme.
Sie macht vorerst keinen Gebrauch davon. In Paris bezieht Isabeau
nun ihr eigenes Palais, das Palais Saint-Pol, eine eigene an die Bastille
angelehnte kleine Hofstadt mit einem Ratsaal für 200 Personen und
- päpstliches Privileg - eigener Hofkapelle und umfangreichen Hofstaat.
1391 kommt ihr Bruder Ludwig
nach Paris. König Karl nimmt den
gleichaltrigen Schwager in seine Dienste (mit einer Jahrespension, die
der eines Marschalls von Frankreich entspricht) und in den Orden der Ritter
von der Goldenen Sonne auf. Im Februar 1392 kommt der ersehnte Thronfolger
zur Welt. Das Lebensglück des Königspaares scheint fest begründet.
Doch die Katastrophe steht kurz bevor. Im Sommer desselben Jahres ereilt
den jungen König sein Geschick. In den Wäldern von Le Mans erleidet
er einen Tobsuchtsanfall. Er zieht das Schwert gegen das eigene Gefolge
und kann nur mit Mühe überwältigt werden. Da diese Anfälle
immer wieder auftreten, deutet alles auf eine beginnende Geisteskrankheit
hin. Karl fällt in unheilbaren
Wahnsinn. Ärzte und Heilkundige versagen. Karl
"der Wahnsinnige" ist fortan ein Bild des Jammers. Vierundvierzig
Anfälle wird es in den folgenden 30 Jahren bis zu seinem Tod geben.
Während seiner Absenzen beschimpft und bedroht er seine Umgebung,
nicht zuletzt auch die Königin, widersetzt sich selbst der notdürftigsten
Versorgung. Zu verantwortlicher Regierungstätigkeit ist er dann nicht
mehr fähig.
Ist der König gesund, steigt der Einfluß Ludwigs
von Orleans, ist er umnachtet, der des Herzogs von Burgund.
Beide heben jeweils gegenseitig ihre Verordnungen auf. Der Hof ist heillos
zerstritten. Karl selbst ist in hellen
Momenten verzweifelt. Er sorgt sich um seine Frau und seinen Dauphin. Isabeau
wird mit gewaltigen Ländereien und eigener "argenterie" (Finanzverwltung)
ausgestattet. Der Königin werden als Regent - Ludwig
von Orleans, der Bruder des Königs - und ein vierköpfiger
Regentschaftsrat aus den drei Onkeln Karls -
den Herzögen von Berry, Burgund und Bourbon - und ihrem Bruder Ludwig
dem Gebarteten beigestellt.
Dreißig Ehejahre verbringt Isabeau
an
der Seite eines schizoiden Gemahls. Sie weicht kaum von seiner Seite. Sie
sorgt sich um seine Gesundheit, kümmert sich um den Hof sowie um die
Erziehung und die Zukunft der Kinder. Zu unerfahren, zu wenig energisch,
immer wieder schwanger, kann sie das Ruder des Staatsschiffes nicht kräftig
genug steuern. Dazu reichen auch ihre begrenzten verfassungsrechtlichen
Möglichkeiten nicht aus. Solange Herzog Philipp
von Burgund die französsiche Politik (ganz im Sinne der
französisch-burgundisch-wittelsbachischen
Interessen) bestimmt, hat es damit auch keine Not. Sein Tod im Jahre 1404
aber führt in die Katastrophe. Ein Machtkampf zwischen den Häusern
BURGUND - dem neuen Herzog Johann Ohnefurcht
- und ORLEANS, Ludwig,
ist unausweichlich. "Je l'ennuie" - ich bedränge ihn - lautet die
Devise Orleans. "Je houd" - ich halte stand - setzt Johann
dagegen. Das Volk fürchtet den Bruderkrieg. Isabeau flieht nach Melun
- man schließt Waffenstilstände, kommuniziert miteinander, versichert
sich aufrichtiger Freundschaft und kämpft erbittert weiter. Isabeau
schlägt sich schließlich auf seiten Orleans. Ludwig
ist ihr Vertrauter. Am 23. November 1407 ist er bei der Königin im
Hotel Saint-Pol. Am späten Abend wird er aufgefordert, zum König
zu kommen Auf offener Straße wird er erschlagen. Niemand zweifelt
daran, daß Johann Ohnefurcht
der Auftraggeber war. Johann erobert
Paris. Das Königspaar und der Dauphin sind nach Orleans ausgewichen.
Johann
ist zu stark, als daß der Mord gesühnt werden könnte.
Die ausweglose Situation führt in einen mörderischen
Adelskrieg zwischen "Burgundern" und "Armagnacen". In Paris kommt es zur
Revolutionsherrschaft der Metzgergilde unter Caboche. Der englisch-französische
Krieg flammt wieder auf. Heinrich V. (seit
1413 König von England) schlägt 1415 bei Azincourt das französische
Ritterheer vernichtend. Ein Jahr zuvor hatte Johann
Ohnefurcht mit dem Engländer einen Geheimbund geschlossen.
Isabeau verliert in diesem Jahr ihre zwei älteren Söhne
Ludwig und Johann [Richtigstellung:
Johann
Graf von Touraine starb erst am 5.4.1417.]; der 1403 geborene
Karl
ist nun Dauphin. 1417 wird Isabeau
nach
Tours verbannt. Nach Monaten wird sie Johann Ohnefurcht
befreien. 1418 besetzt die Burgunder Partei Paris.
Johann
und Isabeau
bilden in Troyes einen
Gegenregierung zud er des Dauphin Karl in
Bourges, dessen sich die Burgunder bemächtight haben, während
die Engländer von der Normandie her Frankreich erobern. Diese von
den Umständen diktierete Umkehr ihrer Allianzen bringt die Königin
gänzlich ins Kreuzfeuer der Kritik. Dennoch versucht sie zwischen
den Parteien zu vermitteln.
Bei dem von der Königin angeregten Friedensgespräch
mit dem Dauphin kommt es 1419 zu der gräßlichen Bluttat an Johann
Ohnefurcht auf der Brücke von Montereau-sur-Yonne. Anläßlich
eines Treffens zwischen Karl
und Johann wird dieser vom inzwischen
15-jährigen Dauphin und dessen Begleitern erschlagen. Isabeau
steht wieder auf der Verliererseite, hat wieder einen Verbündeten
durch Mord verloren. Diesmal von der Hand ihres Sohnes [PersönlicherEinwurf:
Nach Meinung der verschiedenen Chronisten ist es nicht einmal sicher,
daß der Dauphin Karl in die Mordpläne
eingeweiht war. Keineswegs war er aktiv an der Mordtat beteiligt.].
Und auch diesmal kann der Mord nicht gesühnt. Da die Orleans-Partei
den Dauphin als Täter weder dem König noch der Königin ausliefern,
ihn aber von der Blutschuld auch nicht reinigen kann, sieht die Königin
(mit dem neuen, jungen Herzog Philipp von
Burgund) nur noch den Ausweg, zwischen
Frankreich und England Frieden zu schließen und im Vertrag von Troyes
1420 den Thronanspruch des Hauses LANCASTER anzuerkennen.
Der Dauphin Karl wird enterbt. Heinrich
V. von England heiratet Isabeaus
19-jährige Tochter Katharina. Soe wird eine französisch-englische
Doppelmonarchie angedacht. Die Orleans-Partei wertet das Verhalten der
Königin als Verrrat am eigenen Sohn und an Frankreich.
Isabeaus Versuch, mit Hilfe des kunstsinnigen, alten Herzogs
von Berry und ihres Bruders wenigstens das Königreich und die Person
des (jeweiligen) Thronfolgers dem Zugriff der Parteien zu entziehen, schlägt
fehl. Im Intrigennest ist ein Neutralitätskurs zwischen den Fehdeparteien
unmöglich. Isabeau wird zwischen den Parteien zerrieben.
Zwanzig Jahre lang hatte sie als Inbegriff aller Königinnentugenden:
der Schönheit, der Weisheit, der Güte, der Mildtätigkeit,
des Kunstverstandes, der hohen Abkunft gegolten. Jetzt schlägt ihr
Haß entgegen. Ein Pamphletist der enttäuschten burgundischen
Hofpartei dichtet: "Toy Royne, Dame Isabeau, Enveloppee en laide peau"
- "Du Königin ... verpackt in ein garv häßlich Fell" ...
Einst habe sie guten Ruf besessen, jetzt aber sie sie zur "Royne mal clameee"
- zur "verrufenen Königin" geworden. Ab 1405 setzt eine systematische
Diffamierungskampgane ein. Das einst strahlende Königinnenbild wird
umgekehrt: Nun schimpft man sie sittenlos, verschwenderisch, kaltherzig,
frivol, vergnügungsdsüchtig, Rabenmutter, untreue Ehefrau, Verräterin
an Frankreich. Politische Propaganda ist nicht wählerisch.
Mit dem kraftvollen Heinrich
V. an der Spitze (von Frankreich und England) scheinen die Wirren
gelöst. Doch Heinrich srtirbt
am 31. August 1422, kurtz darauf, im Oktober auch Isabeaus Gemahl, der
bedauernswerte KarlVI. - Karl der Wahnsinnige,
Karl
der Vielgeliebte. Isabeau
ist Witwe. Ihr Schwiegersohn, der verstorbene Heinrich
von England, hinterläßt einen einjährigen Sohn,
Isabeaus
"englischen " Enkel: Heinrich VI.,
der zum König von England und nun auch von Frankreich ausgerufen wird.
Sein Onkel Herzog Johann von Bedford führt
für ihn die Regentschaft in Frankreich. Aber auch Isabeaus
Sohn Karl VII. beharrt auf seinem Thronanspruch.
Frankreich hat nun zwei - ungekrönte - Könige, zwei Kronräte,
zwei Parlamente, zwei Kronfeldherren, zwei Geldsorten, zwei Hauptstädte
- Paris und Bourges - zwei unversöhnliche Prätendenten mit Alleinvertretungsanspruch.
Es herrscht unbeschreiblicher Wirrwarr - und Krieg.
1424 notiert der anonyme Chronist "Bürger von Paris",
Isabaeau verlasse Paris nicht mehr, lebe zurückgezogen und eher ärmlich
in ihrer Residenz, dem Palais Saint-Pol, wo ihr Mann verstorben war, ein
Witwendasein. Man hat der Königin vorgeworfen, Frankreich an England
verraten zu haben. Als Frau hatte sie zu wählen zwischen ihrem Sohn
Karl und ihrem Enkel Heinrich. Eine grausame Wahl für eine nun verwitwete
Frau. 1429 befreit Johanna, die merkwürdige Jungfrau von Orleans,
Isabeaus Sohn von seinen Zweifeln an seiner Legitimität (geschickt
war dei Legende genährt worden, Karl sei kein Kind seines Vaters)
und führt Karl zur Krönung in Reims. (Ein Jahr später wird
sie von burgundischen Truppen bei Compiegne gefangengenommen, den Engländern
ausgeliefert und 1431 in Rouen verbrannt, während Heinrich VI. in
Paris zum König von Frankreich gekrönt wird.)
1435 wird der neue gordische Knoten gelsöt. In Arras
gibt es eine "europäische Friedenskonferenz". Philipp ("der Gute")
von Burgund söhnt sich am 20. September mit Karl von Frankreich aus.
Die englische Delegation hat die von Banmketten und Turnieren gerahmte
Veranstaltung wütend und knurrend verlassen. Die Bündnisse haben
sich verkehrt. Der englische Erzgegner steht isoliert da. Isabeaus Enkel
hat ausgespielt, ihr Sohn trägt den Siehg davon. Karl hat damit praktisch
den Hundertjährigen Krieg gewonnen. Die Franzosen sind wieder unter
sich. Der Vertzrag wird eine Woche nach dem Tod des tüchtigen Regenten
Bedford unterzeichnet, der den Traum einer englisch-französischen
Doppelmonarchie mit in sein Grab nahm. Es ist ein "burgundischer Friede":
Karl muß alle Eroberungen Philipps bestätigen, ihn aus der Vasallenpflicht
für französische Lehen entlassen, moralische Genugtuung
für den Mord an seinem Vater leisten. Aber: Der unansehnliche fünfte
VALOIS auf Frankreichs Thron, für den sich Nichstun und Sichtreibenlassen
als der politischen Weisheit letzter Schluß erwiesen hatte, ist nun
Herr von Frankreich und beginnt, sich als unvermuteter Sieger zu einem
umsichtigen König zu mausern, der ein wenig an seinen Großvater
Karl V. erinnert.
Isabeau mag wehmütig
zurückedacht haben an ihren Karl, den glanzvollen, dynamischen, aufstrebenden
Jüngling, dem sie 1385 zu Amiens für gute wie für böse
Tage die Hand gereicht hatte. Ihre Kinder und Enkelkinder haben sich zerstritten.
Sie hat alles erlebt, Freud und Leid. Und jetzt: auf ihrem Totenbett ereilt
sie die Nacricht vom Frieden von Arras. Wie um den Verratsvorwurf zu widerlegen,
berichtet ein Chronist, ihr Tod sei Folge der Freude über die drei
Tage zuvor im Vertzrag von Arras (endlich) zustandegekommene Aussöhnung
der zerstittenen französischen Adelsparteien gewesen. Am 30. September
1435 stirbt Isabeau, 65-jährig, in ihrer verödeten Residenz Saint-Pol
zu Paris.
Am 13. Oktober wird dihr Sarg nach Notre-Dame überführt.
Adel fehlt im Trauergeleit. Er ist in Arras. Aber das Volk erinnert sich
der beisiete geschobenen Königin. Es säumt so zahlreich die Straßen
des Fackelzuges, daß ordner den Weg bahnen müssen. Ein Chronist
schreibtt: "Sie war zu ihrer Zeit sehr freigebig ... und sie wurde daher
sehr beweint und beklagt ...". Die Überführung des Leichnams
aus Paris zur Grablege der französischen Könige in Saint-Denis
ist eine triste Demonstration der Wirren der Zeit. Die (noch) englische
Macht in Paris kann kein sicheres Geleit garantieren. Der Sarg der Isabeau
wird daher in einem ärmlichen Flußboot seineabwärts gesandt.
In Arras, wo sich die Staatchefs versammelt haben, gedenkt
man der verstorbenen Königin. Herzog Philippp ehrt die Königin
mit einem feierlichen Trauergottesdienst, und König Karl läßt
für die "sehr liebe verstorbene Herrin und Mutter" Gedenkgottesdienste
lesen. Isabeau wird im rechten Seitenschiff von Saint-Denis begraben. Schon
ein Jahrzehnt zuvor hatte sie den Auftrag für eine Doppelgruft erteilt.
Pierere de Thoira hatte Abbilder nach der Totenmaske Karls VI. und dem
Bild der noch lebenden Königin erstellt, erste Meisterwerke leebnsnaher
Darstellungen in der Grablege der französischen Monarchen. Der Isabeau-Biograph
Martin Saller schreibt: "Die dunkle, sanfte Einfalt im Totenantlitz Karls
spiegelt die ganze Tragik seines Lebens wider, das der Wahn vergiftet und
dessen Last die Königin mitzutragen hatte. Isabeaus herbes Matronengesicht
prägt die stolze Resignation einer Frau, die nach einem randvollen
Leben nichts mehr zu erwarten hat und nichts mehr erwartet. Um den Marmormund
zuckt eine bitere,hochmütige Ironie, als spotte sie rückschauend
der Eitelkeiten des Daseins undd er Kapriolen des Zufalls, der sie am Ende
auf die Seiten der Verlierwer spülte."
Zunehmend werden heute die Versdienste der Königin
um die Aufrechterhaltung der Würde und eines geregelten Lebens am
Königshof, ihr vergebliches Bemühen um Ausgleich und Frieden,
ihre Förderung von Kunst und Literatur anerkannt.An ihrem Hof blühte
die Goldschmiedekunst, wurde italiensiche Literatur ins Französische
übertragen, entstand mit einem "Minnehof" die erste literarische Gesellschaft
Frankreichs, erhielt mit Christine de Pisan erstmals in Frankreich eine
Frau die Chance zu einer schriftstellerischen Existenz und verteidigt Würde
und Recht der Frauen.
Den Ausschlag für das zerrbild des Rufes der Isabeau
in der Geschichte gibt die politische Gegenpartei (die Partei Karls VII.)
nicht zuletzt mit dem Auftreten der Jungfrau von Orleans, die den Sieg
davontrögt. Der Sieger hat immer recht und schreibt die Geschichte
nach seiner Art. In dem Maße, wie das seltsame Mädchen aus domremy
in der Gloriole einer Retterin zur Nationalheiligen aufstieg, wurde umgekehrt
das Andenken der Königin aus Bayern verdunkelt. Alle Propagandavorwürfe
blieben in der Hofgeschichte als bare Münze an ihr hängen und
schließen in der historischen Popularitätsliteratur (gerade
des 19. und 20. Jahrhunderts) üppig ins Kraut. Die Überleebnskraft
der Jeanne-d'Arc-Legende genährt. Nachdem heute die Gloriole der jungfräulichen
Heiligen des militanten Nationalstaates zu verblassen beginnt, muß
sich zeigen, wieviel das historische Porträt der Isabeau nun an eigener
Kraft gewinnen kann.
Den Einzug ihres Sohnes in Paris, seinen Triumph 1436,
hat Isabeau nicht mehr erlebt.
Markale Jean:
************
„Isabeau de Bavarie“
Seite 90
Der neue Krankheitsfall des Königs zog sich, unterbrochen
von Phasen gewisser Besserung, über zehn Monate hin. Vor allem aber
wurde ihm die Gegenwart der Königin unerträglich. Wahrscheinlich
hatte er nicht den geringsten Grund ihr böse zu sein. Es handelte
sich um eine jener unerklärlichen Aversionen, die in dem kranken Hirn
eines Umnachteten keimen können. Es steht jedoch fest, dass von 1394
an zwischen Karl VI. und Isabeau
de Bavarie „nichts mehr lief“. Wenn sie von ihrem Gemahl trotzdem
noch sieben Kinder bekam - und wir haben keinerlei sicheren Beweis dafür,
dass sie nicht vom König stammten -, so deshalb, weil man seine wenigen
Momente geistiger Klarheit dazu nutzte, ihm die Königin zuzuführen.
Dies war notwendig, um die Thronfolge zusichern, und
Isabeau sah sich daher gezwungen, ihre ehelichen Pflichten zu
erfüllen.
Letzten Endes führte man die Kuh zum Stier, nicht
mehr und nicht weniger. Und dies war nicht das reinste Vergnügen,
denn Karl VI. ließ sich im abstoßenden
Dreck verkommen. Er lehnte es ab, sich zu waschen, er erging sich in Verwünschungen,
wenn man ihm deshalb Vorhaltungen machte, und zerriß sich die Gewänder.
Er vegetierte in Sack und Asche dahin, wobei er sich zuweilen jedoch beklagte,
man ließe ihn nackt du bloß im Stich. Man kann sich also denken,
wieviel Geduld Isabeau aufbringen mußte,
um der Staatsraison Genüge zu tun. Sie, die den König so sehr
geliebt hatte, mußte sich nun zwingen, ihn zu erdulden, um sich schwängern
zu lassen. Doch dies war ja ohnehin der einzige wahre Nutzen einer Königin
von Frankreich. Auch wenn der König Isabeau
de Bavarie nicht mehr ausstehen konnte, brauchte er trotzdem
noch eine Frau, um seine Sinnenlust zu befriedigen, die trotz seiner Krankheit
beileibe nicht abnahm, sondern sich sogar noch gewaltig entfesselte.
Seite 122
Im Grunde war Isabeau de Bavarie
bis dahin nichts anderes gewesen als eine Gebärerin, deren Funktion
darin bestand, der französischen Krone einen oder mehrere Erben zu
schenken. In jenem entscheidenden Jahr 1403 war sie 33 Jahre alt. Seit
ihrer Hochzeit mit Karl VI. und ihrer
Ankunft in Frankreich waren inzwischen 18 Jahre vergangen, und während
dieser Zeit war sie 8 Jahre lang schwanger gewesen. Aber sie besaß
noch viel Charme, und dieser Charme beruhte im wesentlichen auf jener erstaunlichen
Mischung aus germanischen Temperament und südländischen Äußeren,
denn man darf nicht vergessen dass sie über ihre Mutter, eine VISCONTI
Mailänderin war. Sie wird beschrieben als eine Frau mit glühenden
Augen, dunklem Teint, tiefschwarzem Haar und einer mächtigen
Stirn, die in eine majestätische Nase auslief. Sie war von
tadelloser Haltung, obgleich klein an Gestalt. Im übrigen
trug sie stets Holzpantinen mit hohen Absätzen. Sie war sehr stolz
auf ihren Busen, aber durch die zahlreichen Schwangerschaften waren ihre
Hüften in die Breite gegangen, und durch übermäßiges
Essen hatte sie einen Bauch bekommen, der eines Tages monströse Ausmaße
annehmen sollte.
Seite 128
Sobald Philipp der Kühne
in seiner Gruft ruhte, fühlte Isabeau
die Dämonen von ihr Besitz ergriffen. Sie kam in ein Alter, in dem
man weniger das Vergnügen sucht, dafür umso mehr vom Ehrgeiz
gefressen wird. Und dann war da noch Ludwig von
Orleans, der ausschweifende Lebemann der Jahre um 1390, auch
er kam in die Jahre und tauschte einige fleischliche gegen Machtgelüste.
War er in Isabeau de Bavarie verliebt?
Vielleicht. Fühlte er sich geschmeichelt, er, der so viele Eroberungen
sowohl in der Welt der Fürsten als auch im niederen Volk gemacht hatte,
wenn er einer Königin von Frankreich gefiel, die noch dazu, - und
das verlieh der Sache eine pikante Würze - die Frau seines Bruders
war? Der Inzest entsprach ganz dem Geschmack der Zeit, und wenn es eine
Liaison zwischen Isabeau und Ludwig
gab, dann konnte es sich dabei nach kanonischem Recht nur um Inzest handeln.
Das mußte dem Herzog von Orleans gefallen. Kurzum, eine Liaison zwischen
Louis
d’Orleans und Isabeau de Bavarie
wäre nicht verwunderlich gewesen. Wir haben zwar keine Beweise, doch
die Zeugnisse aus der damaligen Zeit spielen immer wieder darauf an, und
bei näherer Betrachtung sieht es ganz danach aus, als beruhten die
Klatschgeschichten doch auf gewissen Tatsachen. Zumindest ab 1404 wäre
es denkbar. Denn zuvor liegt alles im Dunkel, obwohl man an der Abstammung
des Dauphins, des zukünftigen Karl VII.,
zweifelte, obwohl ach der Dauphin selbst an der Legitimität zweifelte
und obwohl Isabeau durch ihr Verhalten
zu verstehen gab, dass sie ihren Sohn haßte. Sicher ist aber, dass
die Königin in der ersten Zeit der Krankheit des Königs viel
gebetet und geweint hat. Aufgrund ihrer tiefen Zuneigung zu ihrem Gemahl
hatte sie sich lange Zeit in ihr Schicksal gefügt, von ihm verstoßen
zu werden, wenn er sich im Zustand der Schwachsinnigkeit befand, und wieder
so etwa wie eine Eheleben zu führen, sobald er bei klarem Verstand
war. Die Hoffnung Karl VI. könne
wieder vollkommen genesen, hatte sie sich unerschütterlicher bewahrt
als irgend jemand sonst aus der Entourage des Königs. Aber dann war
der wahnsinnige König von gemeinen Worten zu Tätlichkeiten gegen
seine Frau übergegangen, ja, er schlug sie zuweilen so heftig, dass
die Prinzen stets befürchteten, es könnte ein Unglück geschehen.
Da überkam die Königin bereits ein Schaudern,
wenn sie den Besessenen nur erblickte, der sie mit einem tödlichen
Haß verfolgte, und sie begann sich vor ihm zu ekeln, ohne dass man
darüber schockiert sein könnte. Schließlich kam der Moment,
wo ihr klar wurde, dass der Verfall des Königs unabänderlich
war. Von da an existierte der König in ihren Augen nicht mehr als
Gemahl. Isabeau respektierte in ihm
nur noch den rechtmäßigen König. Etwa um das Jahr 1404
betrachtete sie sich wahrscheinlich als frei von ihren Verpflichtungen
gegenüber dem so tragisch „unabkömmlichen“ Gatten.
Obwohl keinerlei geistige Affinität zwischen
Ludwig von Orleans und der Königin herrschte, brachten
die Liebe zum Luxus, die Organisation von Festen und Divertissements sowie
bestimmte politische oder finanzielle Interessen die beiden einander immer
näher. Daher konnte Brantome schreiben: „Ludwig
von Orleans fiel es nicht schwer, seine Schwägerin Isabeau
de Bavaerie zu lieben.“ Doch auch Brantome führt genau
sowenig wie die anderen einen Beweis an. Es war eben öffentlicher
Klatsch. Die Königin läßt sich nämlich mit ihrem Schwager
auch in der Öffentlichkeit sehen. Im Juli 1405 begaben sich
Isabeau und Ludwig nach
Poissy, um Marie de France aus dem
Kloster zu holen. Juvenal des Ursins, der von dieser Unterredung berichtet,
fügt noch jenen etwas rätselhaften Satz hinzu: „Und es geschahen,
wie man erzählt, mehrere nicht ehrenhafte Dinge in jener Abtei, und
was es auch immer gewesen sein mag, es machte als Gerücht die Runde.“
Es wurde also der Verdacht nahegelegt, dass es im Juni 1405 zu „sonderbaren
Dingen“ zwischen der Königin und ihrem Schwager kam. Im übrigen
kehrten sie anschließend auch nicht sofort wieder nach Paris zurück.
Tatsächlich versäumte
Isabeau nie ihre Familie in Bayern zu bereichern, sooft sie
nur konnte, und ihr Bruder Ludwig im Barte,
eine sonderbare Person, feig und auf den eigenen Vorteil bedacht, hatte
schon manches Mal ihre Freigebigkeit ausgenutzt, das heißt er hatte
sich aus der königlichen Schatzkasse bedient.
Dem ist hinzuzufügen, dass Isabeau
und Ludwig ihre intime Beziehung nun
auch nicht mehr verbargen. Anläßlich einer Fastenmesse nahmen
sie gemeinsam an den Gebeten teil. Sie besuchten Hospitäler und verteilten
großzügige Almosen, bei denen sie sich jedoch nicht in große
Unkosten stürzten, denn sie kamen auf direktem Wege aus der öffentlichen
Staatskasse. Böse Zungen sahen in dieser Geste eher den Skandal einer
zu intimen Liaison als den Ausdruck echter Nächstenliebe. Massenhaft
verbreitete Flugschriften diffamierten, so sehr es irgend ging, jede Aktion,
die von den beiden Protagonisten ausging.
Seite 281
Inmitten all dieser Frauen, deren Leben recht bewegt
verläuft, macht Königin Isabeau de Bavarie
eine eher einsame, wenn nicht gar seßhafte Figur. Gewiß, ab
1413 hatte die Königin infolge ihres unmäßigen Appetits
und ihrer 12 Schwangerschaften an Fülle zugenommen und konnte sich
so leicht nicht mehr bewegen. Außerdem fühlte sie sich alt werden.
In einer Zeit, wo die Lebensmitte bei etwa 30 Jahren lag, hatte sie dieses
Kap bereits überwunden und wußte, dass für sie nun die
Gnadenfrist begann. Nach den Aussagen ihrer Zeitgenossen stellte sich bei
ihr eine tiefe Angst vor dem Tod ein. In den Augen der Königin bot
das Leben nur noch Kummer und Elend: Die Zeit der Schönheit und der
Genüsse war nun zu Ende. Für Isabeau,
die in den Jahren ihrer Jugend wegen ihrer Schönheit gefeiert, umschmeichelt
und gerühmt worden, muß diese Erkenntnis besonders schmerzlich
gewesen sein.
Im Dezember 1415 kehrte die Königin von Melun nach
Paris zurück. Sie ließ sich auf den Schultern von Männern,
die einander schichtweise ablösten, in einer Sänfte tragen. Während
dieser Reise dürfte sie mit Wehmut den wilden Galoppritte hoch zu
Roß in ihrer Jugend nachgetrauert haben, die sie stets so sehr geliebt
hatte. Sich in den Sattel zu schwingen, sei es auch nur zu einem Spazierritt
in gemächlichem Schritt, daran war nun nicht mehr zu denken. Auf jene
schnellen, leichten Reisekutschen, die sie bis dahin benutzte, mußte
sie einfach verzichten: Die Erschütterungen der Fahrt wurden ihr unerträglich.
Im April 1416 wurde die Königin vom Podagra,
der Fußgicht befallen. Wollte sie sich durch die Räume
ihrer Residenz bewegen, war sie gezwungen, sich in einem Rollstuhl schieben
zu lassen. Zeitweise konnte sie zwar wieder ihre Beine gebrauchen, doch
dies reichte nur zu kurzen Wegen mit langsamen, kraftlosen Schritten. Diese
immer größer werdende Schwerfälligkeit in der Bewegung
wirkte sich in gewisser Weise auch ihre Psyche aus und verstärkte
ihre entsetzliche Angst, man könnte sie angreifen, ohne dass sie zu
fliehen imstande wäre.
Seite 383
Zu jenem Zeitpunkt, da Philipp
von Burgund den Vertrag von Arras unterzeichnete, hat Isabeau
nur noch 8 Tage zu leben.
Journal d’un Bourgeois de Paris, Nr. 679f
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Item verschied die Königin von Frankreich, Isabeau,
Frau Karls VI. selig, am Samstag, dem
29. Septembertag des Jahres 1435 im Hotel Saint-Pol. Und drei Tage
lang sah sie jeder, der es wollte; und danach ward alles angeordnet, was
einer solchen Dame gebührt, und sie blieb aufgebahrt bis zum 13. Tag
(Donnerstag) des Oktober, wo sie um 4 Uhr nach dem diner (= Nachmittag)
nach Notre-Dame überführt wurde; und es zogen 14 Totenglöckner
vor dem Leichnam einher und 100 Kerzen, und als Geleit folgten an Damen
von Stand nur die Dame de Baviere (= Katharina
von Alencon, ihre Schwiegertochter) und ich weiß nicht
wie viele adlige Demoisellen. Und sie war so kunstvoll gebettet das es
schien, als schliefe sie, und sie hielt in ihrer Rechten ein königliches
Szepter. An jenem Tag wurden gar feierlich ihre Vigilien gelesen.
Item wurde sie am folgenden Tag nach der Totenmesse auf
der Seine in ein Boot gebracht und zur Beisetzung nach Saint-Denis in Frankreich
verschifft denn wagte nicht, sie über Land zu transportieren, wegen
der Armagnacs, die die Felder und alle Städte um Paris immer noch
in Fülle beherrschten.
17.7.1385
oo Karl VI. der Wahnsinnige König von
Frankreich
3.12.1368-21.10.1422
12 Kinder:
Charles
25.9.1386-28.12.1386
Vincennes
Jeanne
14.6.1388- 1390
Saint-Ouen
Isabella
9.11.1389-13.9.1409
Louvre
19.4.1396
1. oo Richard II. König von England
6.1.1367-14.2.1400
29.6.1406
2. oo Karl I. Herzog von Orleans
26.5.1391-4.1.1465
Johanna
24.1.1391-27.9.1433
Melun
19.9.1396
oo Johann VI. Herzog von der Bretagne
24.12.1389-29.8.1442
Dauphin Karl
5.2.1392-11.1.1400
Hotel Saint-Paul
Marie Priorin in Poissy
22.8.1393-19.8.1438
Vincennes
Michaela (Michelle)
11.1.1395-8.7.1422
Hotel Saint-Paul Gent
1409
oo 1. Philipp I. der Gute Herzog von Burgund
x 13.6.1396-15.6.1467
Dauphin Ludwig von Guyenne
22.1.1397-18.12.1415
Dauphin Johann Graf von Touraine
31.8.1398-5.4.1417
Katharina
27.10.1401-3.1.1438
Hotel Saint-Paul
2.6.1420
1. oo Heinrich V. König von England
1387-31.8.1422
1429
2. oo Owen Tudor
um 1400-4.2.1461 hingerichtet
Karl VII. der Siegreiche
22.2.1403-22.7.1461
Hotel Saint-Paul
Philipp
10.11.1407-10.11.1407
Literatur:
-----------
Adalbert Prinz von Bayern: Die Wittelsbacher.
Geschichte unserer Familie. Prestel Verlag München 1979 Seite 95,96,99
- Calmette, Joseph: Die großen Herzöge von Burgund. Eugen
Diederichs Verlag München 1996 Seite 70,90,95,101,109,113,117,143,145,148,238
- Ehlers Joachim: Geschichte Frankreichs im Mittelalter. W. Kohlhammer
GmbH 1987 Seite 265,267,278,301,303,307,312 - Ehlers Joachim/Müller
Heribert/Schneidmüller Bernd: Die französischen Könige
des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888-1498. Verlag C. H. Beck München
1996 Seite 303,307,309,311,318,321,323 - Ennen, Edith: Frauen im
Mittelalter. Verlag C.H. Beck München 1994, Seite 209 - Favier,
Jean: Frankreich im Zeitalter der Landesherrschaft 1000-1515. Deutsche
Verlagsanstalt Stuttgart 1989 Seite 362,366, 369,371,379,383,390 - Jurewitz-Freischmidt
Sylvia: Die Herrinnen der Loire-Schlösser. Königinnen und Mätressen
um den Lilienthron. Casimir Katz Verlag, Gernsbach 1996 Seite 9-16,19,21-30,32,34-46,57-58,63,75,130,434
- Markale Jean: Isabeau de Baviere. Eine Wittelsbacherin auf Frankreichs
Thron. Eugen Diederichs Verlag München 1994 - Martin Jean-Joseph:
Die Valois. Edition Rencontre Lausanne 1969 - Nöhbauer, Hans
F.: Die Wittelsbacher. Eine europäische Dynastie - eine deutsche Chronik
Scherz Verlag Bern und München 1979 Seite 84,85,91 - Rall,
Hans und Marga: Die Wittelsbacher. Von Otto I. bis Elisabeth I., Verlag
Styria Graz/Wien/Köln 1986 Seite 77 - Saller Martin: Königin
Isabeau. Die Wittelsbacherin auf dem Lilienthron. Nymphenburger Verlagshandlung
GmbH, München 1979 - Schelle, Klaus: Karl der Kühne. Burgund
zwischen Lilienbanner und Reichsadler. Magnus Verlag Essen Seite 28,36,38
- Schnith Karl: Frauen des Mittelalters in Lebensbildern. Verlag
Styria Graz Wien Köln 1997 Seite 351-368,370,373 - Treffer
Gerd: Die französischen Königinnen. Von Bertrada bis Marie Antoinette
(8.-18. Jahrhundert) Verlag Friedrich Pustet Regensburg 1996 Seite 197-207
- Tuchmann Barbara: Der ferne Spiegel. Deutscher Taschenbuch Verlag
München 1995 Seite 374-378,410,466,511 -