WORCESTER, -SHIRE
Lexikon des Mittelalters:
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Worcester, -shire
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Stadt am Severn und Grafschaft in Mittel-England
[1] Grafschaft und Bistum:
Seit dem 6. Jh. lebten die Hwicce im späteren Worcestershire;
um 679 wurde das Königreich der Hwicce auf Betreiben des Erzbischofs von Canterbury, Theodoros, zu einer
eigenständigen Diözese mit dem Bischofssitz in Worcester
(formale Bestätigung aufgrund der Intervention des Bischofs von
Lichfield erst 780). In
wohl keiner der englischen Graschaften hat die
religiöse Komponente eine größere Rolle für die
Entwicklung gespielt als in Worcestershire
(administrative Einheit seit der Rückgewinnung Merciens von den
Dänen). Im 8. Jh. bestanden bereits geistliche Zentren in Worcester,
Evesham, Pershore und Fladbury, im 11. Jh. in Great Malvern und zu
Ausgang des 12. Jh. in Little Malvern, Westwood, Bordesley, Whistone,
Cookhill, Dudley, Halesowen und Astley.
1086 befand sich mehr als die
Hälfte der Grafschft in geistlichem Besitz. Sämtliche
Einkünfte der örtlichen Gerichte flossen gleichfalls an den
Bischof. Die beiden hundreds,
die im Besitz von Westminster
waren, und das im Besitz von Pershore
befindliche gleichen Namens wurden im 13. Jh. zusammengefügt, das hundred Evesham befand sich im
Besitz der dortigen Abtei. Die größtenteils
unregelmäßigen Grenzverläufe der hundreds mit ihren zahlreichen
Sprengeln lassen sich auf den frühen geistlichen Besitz
zurückführen. Die übrigen hundreds des Domesday, Came,
Clent, Cresselaw und Esch, wurden im 13. Jh. administrativ zum hundred Halfshire
zusammengefaßt; die Einheit des verbliebenen hundred Doddington blieb jedoch
bestehen. Der shire-court der
Grafschaft tagte in Worcester. Die
umfangreichen Liegenschaften der Kirche verhinderten die Ausbildung
eines politisch starken Landadels; das von William Fitz-Ansculf errichtete
Dudley Castle fiel an die PAYNEL und die SOMERI; die BEAUCHAMP-Familie hielt im 12. Jh.
die Burgen von Elmley und Hanley, bevor Heinrich
III. Gilbert
de Clare († 1295) mit
Hanley belehnte. Nach
seiner Rebellion fielen die Besitzungen
William FitzOsberns († 1071)
an die Krone zurück und wurden der MORTIMER-Familie
übertragen.
Das Domesday
Book verzeichnet die starke wirtschaftliche Bedeutung der
Salzgewinnung in Droitwich für die Grafschaft. Im 13. und 14. Jh.
exportierten das Kloster Bordesley und die Abteien Evesham und Pershore
Wolle zu den florentinischen und flämischen Märkten, und zu
Ausgang des Mittelalters war die Tuchproduktion der wesentlichste
Wirtschaftszweig der Grafschaft. Seit 1295 entsandte die Grafschaft
zwei Abgeordnete in das Parliament; Bromsgrove, Dudley,
Evesham,
Kidderminster und Pershore waren lediglich 1295 mit jeweils zwei
Vertretern im Parliament
repräsentiert. Droitwich entsandte
1295-1311 Parlamentarier.
[2] Stadt:
Das seit römischer Zeit nachweisbare und günstig am Severn
gelegene (Furt) Worcester
war ein Knotenpunkt zahlreicher Straßen von den Midlands nach
Wales. Ein Freibrief aus der
Regierungszeit Alfreds
des
Großen verweist auf die Anlage eines burh in Worcester
durch
Æthelred und Æthelflæd
von Mercien auf Betreiben des dortigen Bischofs, der von ihnen
auch das Marktrecht und die Hälfte der Liegenschaftsrenten
erhielt. Worcester
entwickelte sich auf dem erhöhten östlichen Ufer des Severn
zwischen der am südlichen Ende gelegenen Kathedrale und der im 14.
Jh. in Stein erweiterten Brücke, die zur Vorstadt St. John
führte. Die Kathedrale und die unmittelbar neben dieser nach der
normannischen Eroberung angelegte Burg bildeten Enklaven; der Burghof
wurde von König Johann Ohneland der
Kathedrale überschrieben, so daß die Burg jegliche
militärische Bedeutung verlor. Nordwestlich der Burg befand sich
der Bischfspalast, der von den Bischöfen jedoch wenig genutzt
wurde, da diese in der Regel im ländlichen Hartlebury residierten.
Seit 1226 waren Franziskaner im Ostteil Worcesters
ansässig. Das Straßenraster ist unregelmäßig und
dem Flußverlauf angepaßt. An der Kreuzung von High und
Broad Street befand sich mit dem Grass Cross der Hauptmarktplatz der
Stadt; der im Osten Worcesters
gelegene Corn Market war wenig mehr als eine
Straßenverbreiterung. Worcester
war in 10 Pfarreien aufgeteilt. Das Domesday
Book verzeichnet lediglich
einen Markt, eine Münze und eine nicht genauer spezifizierte Zahl
von burgesses in Worcester. Insgesamt
sind rund 160 Häuser erwähnt, was auf eine
Gesamtbevölkerung von maximal 1.000 Personen hindeutet. 1139 wurde
Worcester von den Truppen
der Kaiserin Mathilde erobert, 1149
von Stephan
von Blois größtenteils niedergebrannt. Im Jahre 1189
überschrieb Richard
I. Worcester
gegen eine feste Jahresrente von £ 24 an die Bürger der
Stadt. Heinrich
III. erhöhte die Jahresrente in seinem Freibrief von 1227
auf £ 30. Gleichzeitig entband das Privileg die Stadt aus der
Jurisdiktion der königlichen Sheriffs,
gewährte den Bürgern die Zollfreiheit im gesamten
Königreich und enthielt die Bestimmung, daß Zuzüglern
das städtische Bürgerrecht nach einer Residenzzeit von einem
Jahr und einem Tag verliehen werden konnte. Das wohl wesentlichste
Moment dieses Freibriefs war die Gewährung der Merchant Gild, aus
deren Mitgliedern sich wohl die Vertreter der innerstädtischen
Selbstverwaltung rekrutierten. Verbindliche Angaben sind allerdings
kaum zu machen, da erst die formale Inkorporationsurk. Worcesters
aus dem Jahre 1554 die Verwaltungsstruktur offenlegt. Es ist davon
auszugehen, daß seit dem frühen 13. Jh. zwei bailiffs der innerstädtischen
Administration vorstanden. Einer Quelle des Jahres 1392 zufolge standen
ihnen zwei aldermen zur
Seite. Dieses Dokument verzeichnet weitere 31 Namen, was die Existenz
eines städtischen Rats nahelegt. Vorausgesetzt, daß die
Verwaltungsstruktur Worcesters
der anderer englischer Städte glich, dürfte dieser Rat in
zwei Kammern mit jeweils 12 bzw. 24 Mitgliedern gegliedert gewesen
sein. 1448 hatte sich die Mitgliederzahl dieser Gremien auf 24
(»Great Clothing«)
und 48 (»Commoners«)
verdoppelt. Zugleich sind seit 1434 zwei chamberlains
belegt, die
alljährlich von den Mitgliedern der beiden Räte gewählt
wurden. 1496 entschied der Rat der Stadt, daß in Zukunft nur
Angehörige der »Great
Clothing« zu bailiffs
gewählt werden
konnten; eine Mitgliedschaft im Gremium der »Great
Clothing« hatte durch Kooptation aus den Reihen der
»Commoners« zu
erfolgen. Beide Räte traten im
Quartalsrhythmus zusammen (März, Juni, September, Dezember). Seit
dem 14. Jh. wurde in Worcester
zwischen dem »high«
bailiff und dem »low« bailiff unterschieden. Beide
Ämter wurden jährlich vergeben, wobei der »low« bailiff im folgenden Jahr in der
Mehrzahl der Fälle als »high«
bailiff bestätigt wurde.
Die bailiffs waren
primär mit der Rechtsprechung in der Stadt betraut; zusammen mit
den aldermen überwachten
sie den Marktbetrieb und die Wahrung der Bier- und Brotakzise. Die
Einkünfte aus den Gerichtsangelegenheiten, den Zöllen und
Strafzahlungen dienten den bailiffs
zur Finanzierung ihres Amtsjahres, nach dessen Ablauf sie in der Regel
als aldermen weiterhin in der
innerstädtischen Administration verblieben. Worcester
ist für englische Mittelstädte insoweit untypisch, als hier
das Amt der aldermen nicht
auf Lebenszeit vergeben wurde. Ebenfalls untypisch ist die mit zwei bailiffs sehr geringe Zahl dieser
Offiziellen, besonders in Hinblick auf die seit dem 13. Jh. bestehende
Aufteilung Worcesters in
sieben administrative Einheiten, die wards.
Seit angelsächsischer Zeit war Worcester
befestigt, doch läßt sich nicht mit Gewißheit sagen,
inwieweit diese Befestigungen in ihrem Verlauf denen des späteren
Mittelalters entsprachen. Zum Zeitpunkt der Eroberung Worcesters
durch Mathilde
waren die Befestigungen nicht mehr vollständig, im Jahre 1216
hingegen war der Neubau mit vier Haupttoranlagen abgeschlossen.
1224-1239 wurden weitere murage
grants zur Instandhaltung der Mauern erteilt. Der Krieg der
Barone, in dem Worcester
erobert wurde, und die Niederbrennung der Brücke bei der
königlichen Rückeroberung 1265 hatten weitere acht grants bis 1310 zur Folge. Im
späten 13. und frühen 14. Jh. war Worcester
Ausgangspunkt für königliche Feldzüge nach Wales. Die
Lay Subsidy des Jahres 1334
besteuerte Worcester
mit dem städtischen Zehnten und einer Summe von £ 20. Die
Poll Tax des Jahres 1377
verzeichnet 1557 steuerpflichtige Einwohner in
der Stadt, deren Wirtschaftskraft neben der Tuchproduktion primär
auf den drei Wochenmärkten und insgesamt vier Jahrmärkten
beruhte.
B. Brodt