OXFORD
Lexikon des Mittelalters:
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Oxford
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I. Stadtgeschichte:
Oxford, Hauptstadt der
südenglischen Grafschaft Oxfordshire an der Themse,
entwickelte sich aus einem sächsischen borough, der zuerst 912 in der
Angelsächsischen Chronik erwähnt wird, aber wohl bereits im
8. Jh. bestand.
Ursprünglich diente er als Befestigung gegen die Dänen; das
regelmäßige Straßennetz läßt auf eine
Plananlage schließen, wahrscheinlich einer königlichen
Siedlung. Oxford lag
strategisch im Mittelpunkt des englischen Königreiches, auf halbem
Weg zwischen
Northampton und Southampton, ein Schnittpunkt
von
Verbindungsstraßen zwischen bedeutenden Städten, wie vor
allem
London, Bristol, Winchester, Bedford, Buckingham,
Worcester und
Warwick. Die Errichtung
des königlichen Palastes von Woodstock
durch Heinrich
I. um 1100 in unmittelbarer Nähe sowie die Einrichtung
von drei
Augustinerchorherrenstiften und einem Benediktinerinnen-Kloster
erhöhten Oxfords
politischen und kirchlichen Einfluß im späten 11.
und frühen 12. Jh. Doch wurde es im Mittelalter kein
Bischofssitz. Die
zentrale Lage Oxfords
innerhalb der Kirchenprovinz von Canterbury ließ
die Stadt zu einem bevorzugten Tagungsort von kirchlichen
Gerichtshöfen und Synoden werden. Die Folge war eine Zunahme von
Rechtshandlungen sowie eine Verbindung zwischen Rechtslehre und
Rechtspraxis
an den Gerichtshöfen. Kennzeichen für die wirtschaftliche
Entwicklung Oxfords im
12. Jh. waren die Zünfte der Weber und der
Lederhersteller. Auch bestand eine jüdische Gemeinde, deren
Mitglieder
hauptsächlich Leih- bzw. Zinsgeschäfte und Handel mit
Luxusgütern betrieben. Der Domesday
Survey von 1086 verzeichnet 946
Häuser innerhalb und außerhalb der Mauern. Im 12. Jh.
war Oxford wahrscheinlich
die acht- oder neuntgrößte Stadt in
England. Doch folgte im 14. und
15. Jh. ein Niedergang, der bis
zum 16. Jh. anhielt.
II. Universität:
Oxford war die erste
Universität im mittelalterlichen England. Wie die
Universitäten von Paris,
Bologna und Montpellier war die Oxforder
Universität eine allmählich
»gewachsene« Universität, die sich im Verlauf des 12.
Jh.
entwickelte. Sie beinhaltete zu Beginn des 13. Jh. ein Studium generale
und war auf die Artes liberales, das römische und Zivilrecht, das
kanonische Recht und die Theologie spezialisiert. In Oxford
verbreiteten im
späten 12. und frühen 13. Jh. einige prominente Gelehrte
die logischen, metaphysischen und naturwissenschaftlichen Werke von
Aristoteles und
seinen arabischen und jüdischen Kommentatoren, und Oxford
wurde zu einem europäischen
Zentrum für diese in Paris 1210 und 1215 unterdrückten
Bereiche der aristotelischer Lehre. Tatsächlich war Oxford
in der 1.
Hälfte des 13. Jh. eine Universität, die an einigen der
fortschrittlichsten Bereiche der europäischen Wissenschaft Anteil
hatte. Die
Semestereinteilung basierte auf dem Modell von Paris, doch gab es
bemerkenswerte Abweichungen hinsichtlich der Stellung und Aufgaben des
Kanzlers, der Proktoren und Nationen. Der Kanzler verfügte in
bezug auf die geistliche, zivile und Kriminalgerichtsbarkeit über
eine größere Autorität als irgendein Kanzler an den
Universitäten auf dem Festland. Außerdem besaß er im
wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Leben der Stadt Oxford
eine herausragende Stellung. Im
späten 14. Jh. betrug die Zahl der akademischen
Bevölkerung
in Oxford
schätzungsweise über 1.500 (in Cambridge zwischen 400 und
700), in der Mitte des 15. Jh. wohl 1700 (in Cambridge ca. 1.300).
Im späten 15. und im 16. Jh. stieg die Zahl in Cambridge an,
und um 1600 war wohl ein Gleichstand erreicht. Einer der Gründe
für die sinkende Popularität Oxfords
im späten Mittelalter war die
Verwicklung der Universität in die Häresien der Wyclifiten
und der
Lollarden. Noch im Jahre 1500 war die Universität Oxford
keine wohlhabende
Körperschaft. Da eine feste Finanzierung fehlte, war eine
langfristige akademische Planung selten durchführbar, so daß
im
Mittelaler ein dem Zufall überlassenes Wachstum für die
Entwicklung
Oxfords charakteristischer
blieb. Der Mangel an Ressourcen verzögerte
auch die Errichtung von zweckdienlichen Gebäuden. So spielte sich
ein
großer Teil des akademischen Lebens außerhalb der Kollegien
in
gemieteten Unterkünften ab.
Der traditionelle Lehrplan wurde teilweise durch das Eindringen der
humanistischen Lehre modifiziert. Dieser Prozeß erfolgte in der
2.
Hälfte des 15. Jh. zunächst stufenweise und
oberflächlich, verstärkte sich aber an der Wende zum
16. Jh., als für die Lehre des Humanismus dotierte
Professuren und Lehrstühle eingerichtet wurden. Allgemein
läßt sich feststellen, daß Oxford
nur die Elemente des
kontinentaleuropäischen Humanismus aufnahm, die sich mit den
überkommenen Lernmodellen vereinbaren ließen. Oxford
war also im
Vergleich zum Beispiel zu Italien oder zu vielen deutschen
Universitäten, deren
Lehrpläne nach humanistischen Kriterien radikal geändert
wurden,
kein bedeutendes humanistisches Zentrum.
III. Kollegien:
Die Einrichtung von Säkularkollegien erfolgte in Oxford
später
als in Paris. Die Geschichte der englischen Kollegien begann 1264 mit
der
Gründung des Merton College
in Oxford. Es folgten
das University
College um 1280 und das Balliol
College 1282. Vor 1500 wurden in Oxford
zehn Säkularkollegien gegründet: drei im 13. Jh., vier
im
14. Jh. und drei im 15. Jh. Zusätzlich zu den
Säkularkollegien unterhielt Oxford
vor 1500 fünf
Mönchskollegien und auch Häuser für Franziskaner und
Regularkanoniker. Stärker als in Cambridge waren die
Säkularkollegien in Oxford
dem kirchlichen Einfluß ausgesetzt. Von
den zehn Säkularkollegien hatten neun kirchliche Gründer. Nur
das Balliol College war eine
weltliche Gründung. Seine Gründer,
John de Balliol, Lord of
Barnard Castle, und dessen Witwe Dervorguilla,
gaben dem College 1282 die ersten Statuten. Die meisten Gründer
unterstellten - nach Pariser Vorbild - die Kollegien der kirchlichen
Aufsicht. Von besonderer Bedeutung war die Gründung des New College
durch William of Wykeham
1379.
Sowohl die Zahl der Mitglieder als auch
die Anlage der Gebäude übertrafen alle bestehenden
Gründungen. An dem 1427 durch Richard
Fleming, Bischof von Lincoln,
gegründeten Lincoln College
wurden Graduierte der Theologie ausgebildet, die
die Häresie bekämpfen sollten. Das Vorherrschen kirchlicher
Kollegiengründer in Oxford
bewirkte, daß die Institution der
»Verwandtschaft des Gründers« ein wichtiges
Kennzeichen der Kollegien darstellte. Da ein Geistlicher keine direkten
Erben hatte, wurde bei der Einbringung von wesentlichen Einkünften
in
eine Kollegiengründung seinen Verwandten durch die
Möglichkeit einer Ausbildung am Kollegium Ersatz geleistet. Dieses
System fand zuerst 1264 am Merton
College Anwendung, dann folgten
Queen's College, New College und All Souls College. Am Lincoln College
und Magdalen College, obwohl
von Geistlichen gegründet, wurden keine
derartigen Vereinbarungen getroffen. Es ist aber anzunehmen, daß
einige Kollegien bis zu einem gewissen Grad
»Familien-Kollegien« waren. Außerdem weiteten einige
Kollegien ihre Verpflichtung gegenüber der Verwandtschaft auf die
Hilfe bei der Sicherung von kirchlichen Positionen für ihre
graduierten Mitglieder aus, was sich als besonders wertvoll
herausstellte,
als im frühen 15. Jh. die päpstlichen Quellen der
Patronage stark
reduziert wurden. Bis zum späten 15. und frühen 16. Jh.
dienten die Kollegien in Oxford
in erster Linie der Unterbringung und
Unterstützung graduierter Mitglieder. Ausnahmen bildeten das New
College und - früher als in Cambridge - das königliche
College of King's
Hall, die beide seit dem 14. Jh. auch nichtgraduierte
Mitglieder
zuließen. Die nichtausgestatteten Studienhäuser (Oxford halls)
bildeten den üblichen Universitätsrahmen für den
größten Teil der Nichtgraduierten und für viele
Graduierte bis weit in das 16. Jh. Mertonschule.
A.B. Cobban