ORLEANS


Lexikon des Mittelalters:
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Orléans
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Stadt und Bistum in Mittel-Frankreich, am rechten Ufer der Loire, Sitz einer bedeutenden Universität.
I. Spätantike und Frühmittelalter:
Die gallorömische Stadt Genabum (Cenabum) wurde zwischen 337 (Tabula Peutingeriana) und 346 (Pseudo-Konzil von Köln) zur 'civitas Aurelianorum', die um 385 an die Kirchen-Provinz Sens kam (bis 1626). Die Stadt beherrschte eine Brücke zwischen dem nördlichen Gallien und Aquitanien. Eine spätrömische Stdtmauer (4. Jh.?), flankiert von Türmen, teilweise noch erkennbar, schloß ein viereckiges Castrum von 25, 50 ha ein, dessen Zugang 5 Tore bildeten, vor denen sich bereits seit spätantiker Zeit Vorstädte ausbildeten.
Im 4. Jh. christianisiert (der hl. Eortius/Euverte, um 374, gilt der Überlieferung als 3. Bischof), wurde die von Attila (Mai-Juni 451) belagerte Civitas vom Bischof Aignan gerettet; er rief Truppen des Heermeisters Aëtius, verstärkt durch Franken und Westgoten, zu Hilfe. Über den Grabstätten der Bischöfe Anianus/Aignan und Avitus (des möglichen Gründers der Abtei Micy, um 527) bildeten sich vorstädtische Basilika-Klöster, erwähnt bei Gregor von Tours und besucht von König Guntram (585); die Coemeterialkirche St-Michel soll dem 8. Jh. entstammen; den inneren nordwestlichen Winkel der Befestigung nahm die Kathedralgruppe ein, deren Hauptkirche, ursprünglich dem hl. Stephan geweiht, später (seit Ende 7. Jh./Anfang 8. Jh.) das Hl. Kreuz-Patrozinium (Ste-Croix) annahm. Die Lebenskraft der Civitas in merowingischer Zeit fand ihren Ausdruck zum einen in der Präsenz von Fernkaufleuten, »Syrern« und Juden (Synagoge im Castrum, Friedhof im O der civitas, extra muros), zum anderen in den Stiftungen von Kaufleuten aus O
rléans.: Der 'negociator' Johannes steht am Beginn der Abtei Fleury (um 625), noch vor Leodebod, dem Abt von St-Aignan ( um 651). Orléans, das zu Neustrien gehörte, zählte zum Reichsteil Chlodomers (511-524), Guntrams (561-592) und Chlodwigs II. (639-657), dessen Frau Balthild die Klöster in Orléans zur Einführung der columbanischen und benediktinischen Regel drängte. »Hauptstadt« (zumindest theoretisch) und Tagungsort von Konzilien, wurde Orléans verwaltet von comites, deren Namen nur selten überliefert sind (Villacharius, 584; Fulcarius, 609).
KARL DER GROSSE installierte als Bischof den berühmten Gelehrten Theodulf (798); O
rléans war faktisch Sitz eines missaticum (802; missus), bedingt durch die Grenzlage zu Aquitanien und Burgund. Graf Matfrid (818-828) stand als Anhänger Kaiser LOTHARS in Gegensatz zu LUDWIG DEM FROMMEN, derjedoch in Orléans von Bischof Jonas (818-843) unterstützt wurde; dieser bedeutende Autor von Streitschriften war führender Parteigänger des künftigen Kaisers KARLS DES KAHLEN. In der karolingischen Blütezeit großer Bischofs-Persönlichkeiten könnte die Kanoniker-Reform in Orléans starke Wirkung entfaltet haben (Kirche von St-Pierre-Lentin, Kathedralmosaik, Hôtel Dieu).
Im 9. und 10. Jh. hielten sich die westfränkischen KAROLINGER oft im Orléanais auf und bestätigten die Münzstätte; das Grafenamt kam an die Bischöfe, erstmals wohl an Bischof Agius, der bemüht war, seine Civitas gegen die Normannen zu verteidigen; diese brannten 856 und 865 Teile der Stadt nieder. O
rléans kam als Teil von Neustrien an Hugo Abbas ( 886 ebenda). Um die vor den Normannen-Einfällen geflohenen Bevölkerungsgruppen (insbesondere Religiosen) aufnehmen zu können, wurden die Mauern instandgesetzt (die Pfarreien L'Alleu-Saint-Mesmin und St-Benoît du Retour erinnern hieran). Bischof Gauthier (867-891) förderte den Aufstieg der ROBERTINER, seiner Verwandten; Odo ( 898) residierte in der ihm loyal ergebenen Stadt, und Robert ( 923) ließ hier Münzen prägen. Orléans wurde zum Herzen des Fürstentums der neuen Dynastie der KAPETINGER.

II. Hoch- und Spätmittelalter:
Hugo Capet begründete die dynastische Herrschaft über Frankreich, indem er in O
rléans seinen Sohn Robert II. krönen ließ (987). Der überwundene karolingische Konkurrent des KAPETINGERS, Herzog Karl von Nieder-Lothringen, wurde in Orléans gefangengehalten. Angeregt von Bischof Arnulf, sorgte Robert II. als Wohltäter seiner Heimatstadt nach der Feuersbrunst von 999 für den Wiederaufbau von St-Aignan (erhaltene Krypten von 1029), der Kathedrale und dreier anderer Kirchen. 1022 ließ der König die Häretiker (Orléans, Häretiker von) verfolgen. Die Stiftungstätigkeit der KAPETINGER hatte auch zur Folge, daß königliche Vertraute in hohe Kirchenämter gelangten: Étienne de Garlande war zugleich Dekan zweier Kollegiatsstifte und des Kathedralkapitels, sein Neffe Manassès wurde Bischof (1147-1185).
Als Stadt der Krondomäne und wirtschaftliches Zentrum, gelegen am Kreuzungspunkt der Loire mit diversen Landverbindungen, verblieb O
rléans in den alten Abmessungen seiner spätantiken Befestigung; einige ihrer Türme dienten als Wohnsitze, vor allem den Kathedral-Kanonikern; die vorstädtische Viertel (Burgi) verzeichneten ein starkes Wachstum. Im Osten des Stifts St-Aignan, seit dem 9. Jh. in Nachbarschaft des Klosters St-Euverte (ab dem 12. Jh. Regularkanonikerstift), entstand der Bourg Dunois (Kirchen St-Paul et St-Sulpice und Le Martroi au blé), in dem sich rege Handels- und Gewerbetätigkeit ansiedelte und der wohl frühzeitig befestigt wurde (Gräben, Tore). Neue Pfarreien entstanden an den Ausfallstraßen: St-Laurent, St-Paterne (Hospiz), St-Vincent, St-Marc (Templerkomturei), St-Marceau (am linken Loireufer). War die Stadt von Handwerk und Verwaltungstätigkeit geprägt, so herrschte im Umland der Weinbau vor; die ältesten städtischen Privilegien (1052) betreffen die Öffnung der Stadt in der Zeit der Weinernte. Ein kommunaler Schwurverband (commune jurée, 1137) scheiterte; danach erwarb Orléans lediglich eine Reihe von franchises zur Begrenzung des Mißbrauchs von Amtsträgern (1138), Aufhebung der Feudalabgaben auf Wein und Heu, Fremdenschutz, Regelung gerichtl. Zweikämpfe (1178), schließlich Abschaffung der Unfreiheit (servage) in der Stadt und einem Umkreis von fünf Meilen (1180). König Philipp August, der den Bürgern 1183 diese Rechte garantierte, beteiligte die »gewählten« Repräsentanten der Bürgerschaft an der Erhebung der Kopfsteuer (taille); dieses Privileg wurde 1281 und 1325 bestätigt.
Die Königsmacht schaltete sich seit Philipp August stärker in das städtische Leben ein:
1198 erscheint der erste namentlich bekannte Bailli; eine imposante Festung, die 'Tour Neuve', wurde am Flußufer, in der Südwest-Ecke des Mauerzugs, errichtet. Trotz der königlichen Präsenz kam es zu innerstädtischen Spannungen:
1211 zwischen dem Bischof und den Kanonikern von St-Aignan,
1251 zwischen Bevölkerung und Klerus anläßlich des Durchzugs von Pastorellen.
O
rléans hatte die alte, im 11. Jh. gelegentlich erkennbare Rolle einer Quasi-Hauptstadt zwar an Paris abgegeben, blieb aber eine der wichtigsten Städte der KAPETINGER. Dies wird belegt durch die Bildung von Schulen, schließlich der Universität, aber auch durch die Entstehung von 18 innerstädtischen Pfarreien und die rapide Entwicklung der Bettelordenskonvente. Der Bischof Manassès de Seignelay und der Dekan Reginald förderten 1219 die Niederlassung der Dominikaner; 1240 entstand das Franziskaner-Kloster; die Augustiner-Eremiten installierten sich am südlichen Punkt der Brücke; 1265 kamen auch die Karmeliter nach OrléansBischof Robert von Courtenay (1259-1279), aus großer Familie, begann mit einer Restauration des Kathedralbaues, die in ein großangelegtes Neubauprojekt einmündete, das erst 1829 seinen Abschluß fand. Lediglich der Chor wurde am Ende des 15. Jh. vollendet.
Das 14. und 15. Jh. war für O
rléans eine oft unruhige Zeit (Hundertjähriger Krieg, wirtschaftliche Krisen). Bereits die Gründung der Universität (1306) löste Unruhen aus wegen der Privilegien der Magister, Studenten und ihres Gesindes (niedrige Mieten, begünstigter Wein- und Getreidekauf, Befreiung vom städtischen Wachdienst). Die Stadtbürger nutzten die Konfliktsituation zur Wahl eigener, vom König unabhängiger Repräsentanten aus; doch sprach Philipp der Schöne den Bürgern energisch das Recht auf »corps de ville ni commune« ab (1313). Ein Aufstand brach im Frühjahr 1343 aus gegen die geplante Ausfuhr von Getreide in das unter Hungersnot leidende Burgund; die Anführer wurden hingerichtet. Die Errichtung einer Apanage für das Haus ORLEANS, eine Linie der VALOIS-Dynastie, lockerte die Verbindung der »bonne ville« zur Zentralgewalt und ließ die kirchlichen Autoritäten in die zweite Reihe zurücktreten.
Das erste Herzogtum O
rléans. wurde am 16. April 1344 für Philipp (Herzog 1344-1375), den Sohn König Philipps VI. von Valois und Bruder König Johanns II., geschaffen. Es bestand aus zehn Kastellaneien:
Boiscommun, Châteauneuf, Château-Renard, Janville, Lorris, Montargis, Nesploy, O
rléans., Vitryaux-Loges und Yèvre-le-Châtel.
Die dem König reservierten Gerichtsfälle (cas royaux) wurden von einem in Cepoy, nahe Montargis, residierenden königlichen Bailli gerichtet. Die geistlichen Institutionen protestierten gegen die »Entfremdung«. Wegen der Gefahr, die die Errichtung der Apanage (von der O
rléans nur einen Teil bildete) für den Bestand der Krondomäne beinhaltete, verpflichtete König Karl V. seinen Onkel, die Apanage zurückzugeben, mit der Zusicherung, sie (mit königlichem Retraktrecht bei Ausbleiben eines männlichen Erben) aus den Händen des Königs erneut zu empfangen (1367).
Die Angriffe der Bretonen (1358) und vor allem der Engländer unter Robert Knolles lösten in der Stadt Unruhen aus. Zur Verteidigung ließen die Kanoniker von St-Aignan eine Festung errichten, die durch einen städtischen Aufstand, unterstützt von den herzoglichen Beamten, zerstört wurde (1359). Im übrigen bestand wohl eine Befestigungsmauer um den Bourg Dunois. Die städtische Bevölkerung soll eine Zeitlang (1356?) Karl von Navarra unterstützt haben (bewaffneter, gegen den Herzog gerichteter Aufstand). Herzog und König kamen für die Kosten des Wiederaufbaus von St-Aignan auf. Während der Aufstandswelle von 1382 brachen auch in O
rléans Unruhen aus (studentische Aufläufe, antijüdische Ausschreitungen, antifiskale Demonstrationen, verbunden mit finanziellen Reformforderungen der Bürger). Die Herrschaft reagierte mit Repressionen (Schleifung der Stadttore), aber auch mit Zugeständnissen (Charta, 2. März 1385: eigene Stadt- und Finanzverwaltung).
Ludwig, Bruder Karls VI., erhielt 1392 das Herzogtum. Er ließ durch seinen Gouverneur die Modernisierung der Stadtmauer, die zur regelrechten (dem Einsatz der Artillerie angepaßten) Festung ausgebaut wurde, überwachen. Sie hatte sich im Bürgerkrieg, der nach der Ermordung Ludwigs (1407) ausbrach, zu bewähren. Nach der Gefangennahme des jüngeren Herzogs Karl (Charles d'O
rléans) 1415 bei Azincourt (Agincourt) wurde die Stadt unter Führung von Jean Dunois, dem »Bastard von Orléans«, verteidigt (Verstärkung des Brückenkopfes und Befestigung der zentralen Insel). Orléans blieb auch nach dem Vertrag von Troyes (1420) dem Herzog und dem Dauphin Karl (VII.) treu.
Am 8. Oktober 1428 legte Thomas Montagu, Graf von Salisbury, den Belagerungsring um die Stadt. Die von den englischen Belagerungstürmen (bastilles) eingeschlossene, schlecht verproviantierte und von ihrem Bischof Jean Kirkmichael aufgegebene Stadt hielt aus dank der Verteidigung durch Dunois, den Gouverneur Gaucourt und den städtischen Magistrat, der selbständig mit dem Herzog von Burgund zu verhandeln suchte. Im Augenblick starker Gefährdung erschien Jeanne d'Arc mit einem Teil des königlichen Heeres. Sie gewann das Vertrauen der Stadtbewohner wie der Befehlshaber; die Erstürmung dreier englischer Belagerungstürme (bis zum 7. Mai 1429) erzwang den Abzug der Angreifer. Seither feiert O
rléans jedes Jahr am 8. Mai das »Fest der Befreiung«.
Im Zuge des Wiederaufbaus der Kirchen und Häuser wurden zwei neue Befestigungsmauern errichtet, die erste (1466-1478) nach dem Willen Ludwigs XI. um St-Aignan und St-Euverte; die zweite (1485-1555), die auf Initiative Ludwigs XII. entstand, umfaßte die gesamte Stadt (heutigen Boulevards), die ummauerte Fläche betrug 130 ha; Baugrundstücke traten an die Stelle der früheren Gärten und Weinberge, und die Place du Martroi wurde an die heutige Stelle verlegt. Die Stadt hatte ca. 15 000 Einwohner; sie wurde jedoch von mehreren Pest-Epidemien (besonders 1482) betroffen (Erweiterung des Friedhofs, 1492, und des Hôtel Dieu). Die Finanzierung der städtischen Bautätigkeit erfolgte zum Teil durch die Abgaben auf Wein und Salz; als Depot diente das neue Rathaus (Hôtel des crénaux mit Uhrturm, errichtet auf der gallorömischen Stadtmauer 1443-1498). Auch die Universität führte aufwendige Neubauten durch. Die Wiederaufnahme des Kathedralbaues erfolgte unter Schonung der Bischofsgrablege. 1478 wurde eine große Versammlung des Klerus von Frankreich abgehalten, auf der die Notwendigkeit von Reformen diskutiert wurde. Starken Zulauf der Stadtbevölkerung fanden die großen Bußprediger Franziskus von Paola (1482) und Olivier Maillart (1497). Belebte, dichtbebaute Stadt und aktives intellektuelles Zentrum (Aufenthaltsort der Humanisten Guillaume Budé und Erasmus), war O
rléans jedoch nicht die eigentliche Residenz der großen Herzöge Charles (1407-1465) und Louis II. (1465-1498). Als letzterer König wurde, fiel das Herzogtum an die Krondomäne zurück.
F. Michaud-Fréjaville

III. Rechtsschule/Universität:
Die früheste Erwähnung des Rechtsunterrichts in O
rléans findet sich in einer päpstlichen Bulle von 1235, die dem Bischof von Orléans bestätigt, daß er das Lesen der leges, das in Paris seit 1219 verboten war, in Orléans zulassen könne. Die ersten Professoren, deren Namen uns bekannt sind - unter anderem Guido de Cumis, Petrus de Ausonia, Symon Parisiensis, Petrus de Petris Grossis - hatten in Bologna studiert, wahrscheinlich als Schüler der Gegner des Accursius, vor allem des Jacobus Balduini und des Odofredus. Es entstand in Orléans eine eigene Tradition, die zwar auf der bolognesischen fußte, jedoch durch kritische Haltung gegenüber der Accursischen Glosse gekennzeichnet war. Neue Theorien und Begriffe wurden frühzeitig entwickelt; so schuf zum Beispiel Johannes de Monciaco (Jean de Monchy) den Begriff der Rechtsperson ('persona repraesentata'). Die Blütezeit der Rechtsschule von Orléans, in der sie Bologna zeitweise in den Schatten stellte, fällt in die 2. Hälfte des 13. Jh., als Jacobus de Ravenneio (Jacques de Révigny, 1296) und Petrus de Bellapertica (Pierre de Belleperche, 1308) hier lehrten; zu erwähnen sind auch zwei Schüler von Jacques de Révigny, Radulphus de Haricuria (Raoul d'Harcourt, Lehrer von Pierre de Belleperche) und Jacobus de Bolonia (Jacques de Boulogne). Die meisten Professoren im Orléans des 13. und 14. Jh. übten nur einige Zeit nach dem Abschluß ihres Studiums die Lehrtätigkeit aus; danach bekleideten sie hohe kirchliche und weltliche Ämter, manche als königliche Legisten. Auch für die meisten Studenten französischer Herkunft war die Vorbereitung auf eine Karriere in kirchlicher Hierarchie und königlicher Verwaltung (Beamtenwesen A.IV) Hauptziel des Studiums. Es gab jedoch in Orléans auch viele Studenten ausländischer Herkunft, im 13. Jh. wohl an erster Stelle aus England, später jedoch hauptsächlich aus Deutschland, den Niederlanden und Schottland, die Orléans wegen der räumlichen Nähe den italienischen und südfranzösischen Universitäten vorzogen.
1306 verlieh Clemens V. der Rechtsschule die Privilegien einer Universität, und einige Jahre später wurde sie auch vom König von Frankreich privilegiert. Die Professoren des 14. Jh. hatten jedoch nicht das Ansehen der Koryphäen des 13. Jh. Um 1300 konnte Lambertus de Salinis (Lambert de Salins), ein Schüler von Pierre de Belleperche, für kurze Zeit noch die Tradition fortsetzen, doch unterrichteten danach nur mehr wenige Lehrer von Bedeutung (Jean Nicot, Bertrand Chabrol und Jean de Mâcon, alle in der 2. Hälfte des 14. Jh.). Im Laufe des 14. Jh. erstreckte der Unterricht sich auch auf den (zunächst nur in Italien beachteten) Liber feudorum. Das kanonische Recht wurde schon in der 2. Hälfte des 13. Jh. gelehrt, unter anderem von einem Schüler des Jacques de Révigny, Radulphus de Cheneveriis (Raoul de Chennevières), doch gewann es in O
rléans kaum die Bedeutung, die es im nahen Paris und in Italien hatte. Im 15. Jh. hat es in Orléans keine namhaften Professoren mehr gegeben. Die Universität von Orléans gewann dessenungeachtet, besonders seit den vierziger Jahren des 15. Jh., steigende Beliebtheit bei ausländischen Studenten (Deutschland, Niederländer) und behielt diese bis ins 17. Jh.
Die Bedeutung der Rechtsschule von O
rléans für die europäische Rechtswissenschaft beruht vor allem auf den Schriften von und Jacques de Révigny Pierre de Belleperche (Kommentatoren; Kommentare zu Teilen des Corpus iuris civilis, Sammlungen von Repetitionen und Quaestiones), deren Verbreitung aber geringer war als diejenige der italienischen Juristen des 13. und 14. Jh. Infolge des weniger entwickelten Buchwesens war eine gute Textüberlieferung häufig nicht gesichert (Verluste, falsche Zuschreibungen, besonders in Drucken des 16. Jh.). Zahlreiche Lehrmeinungen von Jacques de Révigny und Pierre de Belleperche sind uns nur durch italienische Autoren des 14. Jh. bekannt, vor allem Cino da Pistoia (der seinerseits wieder die Lehrer im Orléans des 14. Jh. beeinflußte) und dessen Schüler Bartolus de Saxoferrato. Die Rechtsschule von Orléans übte besonders starken Einfluß aus im Prozeßrecht, im internationalen Privatrecht und in bestimmten Bereichen des bürgerlichen Rechts (zum Beispiel Rechtspersönlickeit, Eigentumslehre, einige Lehren des Obligationenrechts); sie befaßte sich (gemäß den politischen Ansätzen der französischen Monarchie zur Vereinheitlichung der Rechtspraxis; Justiz, I) viel mit dem Gewohnheitsrecht (Coutume), sowohl hinsichtlich der theoretischen Begründung seiner Geltung als auch der Anpassung von gewohnheitsrechtliche Regeln an das System des gelehrten Rechts (Gemeines Recht) und der Interpretation einiger dieser Regeln.
R. Feenstra/M. C.I.M. Duynstee