BRISTOL


Lexikon des Mittelalters:
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Bristol
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I. Geschichte und Topographie:
B
ristol, Stadt in England (Co. Avon), am Avon.
B
ristol liegt westlich des römerzeitlichen Hauptübergangs über den Avon und nahe bei der römischen Siedlung Sea Mills (Abona), die mit den Römerstädten Bath (Aquae Sulis) und Gloucester (Glevum) durch Strassen verbunden war.
Der Ortsname, von altenglisch brycg stow, deutet auf einen Versammlungsplatz (von Kaufleuten?) an der untersten Brücke über den stark dem Gezeitenwechsel ausgesetzten Flußlauf des Avon hin. Erste sichere Belege stellen Münzen aus der Zeit um 1020 dar, die voraussetzen, daß B
ristol zu dieser Zeit eine mit königlicher Zustimmung errichtete Befestigung (burh) war. Diese befestigte Siedlung (8 ha) war in vier Viertel unterteilt, von denen ein jedes eine Pfarrkirche hatte, obwohl die vermutlich älteste Kirche die unmittelbar außerhalb der ursprünglichen Befestigung gelegene Peterskirche war. Die mittelalterliche Stadt entstand auf einer schmalen Landzunge, die fast völlig von den Flüssen Avon und Frome eingeschlossen ist; der Landzugang wurde von einer mächtigen Burg kontrolliert. Ein neuer Hafen wurde in den 40-er Jahren des 13. Jh. angelegt, wobei es zu ständigen Konkurrenzkämpfen zwischen Bristol und der jenseits der Brücke gelegenen Vorstadt Redcliff kam, die sich im Besitz der Herren des Berkeley Castle befand. Um 1300 umschloß das ummauerte Areal nördlich des Avon mehr als 60 acres (24,3 ha), dazu kamen noch 70 acres (28,3 ha) südlich des Flusses. Größte mittelalterliche Kirche in Bristol war die 1148 von den Augustinerchorherren begründete Abteikirche, die heutige Kathedrale. Die im 13. Jh. von den Dominikanern, Franziskanern und Karmelitern errichteten Klöster wurden zu Ausgangspunkten der Stadterweiterung an der nördlichen Peripherie.
Während des größten Teils des 12. Jh. war B
ristol Teil des Earldom Gloucester; während der Bürgerkriege zwischen den Anhängern des Hauses ANJOU (Plantagenêt) und denen des Hauses BLOS in den 40-er Jahren des 12. Jh. (England) war die Stadt das Hauptquartier der angevinischen Kräfte.
König
Heinrich II. Plantagenêt belohnte die Treue der B
ristoler Bürger im Jahre 1155 mit einem städtischen Privileg. Außerdem wurde, im Zuge der englischen Expansion nach Irland, 1171 die Ansiedlung von Bürgern aus Bristol in Dublin gefördert, was die Verbindungen der Stadt mit Irland verstärkte. 1189 gingen Stadt und Burg durch Heirat an Prinz Johann über. Die anomale administrative Situation der Stadt, die durch die Lage an der Grenze der Grafschaften Gloucestershire und Somerset bedingt war, wurde 1373 durch Schaffung einer eigenen Grafschaft Bristol beseitigt. Die neue Grafschaft hatte Gerichtsbarkeit über insgesamt 755 acres (305,8 ha); sie umfaßte das Avongebiet bis zu dessen Mündung in den Severn.
Im 13. und 14. Jh., nach der Übertragung von Burg und Stadt an den späteren König Johann im Jahre 1189, stand B
ristol zumeist unter der Aufsicht der Constables der Burg, was eine Quelle ständiger Spannungen mit der städtischen Bevölkerung darstellte. Die Möglichkeiten einer städtischen Selbstverwaltung waren stets begrenzt; wichtigster Vorkämpfer der städtischen Freiheit war die Kaufmannsgilde. Der erste überlieferte lord mayor (Bürgermeister) wurde 1216 gewählt, schließlich wurde die Guild Hall zum Sitz der Administration und Jurisdiktion der Stadt. Die Zahl der Mitglieder des regulären städtischen Rates ist unbekannt, doch hatte sich bis zur Mitte des 14. Jh. ein allgemeiner Bürgerausschuß ('common' council) mit 48 Mitgliedern herausgebildet; seine Aufgabe bestand in der Abwehr willkürlichen Handlungen durch den mayor oder die bailiffs. Trotz dieser Institution des Bürgerausschusses blieb die städtische Verwaltung wesentlich oligarchisch.

II. Wirtschaft und Bevölkerung:
B
ristols wirtschaftliche Stärke beruhte auf dem reichen und ökonomisch vielseitigen Hinterland der Stadt und ihrer günstigen Verkehrslage mit Zugang zum Atlantik. Im Früh-Mittelalter unterhielt Bristol bereits Handelsbeziehungen mit dem südlichen Wales, Irland und möglicherweise auch mit Norwegen; wichtigste Ware waren Sklaven. Der Bericht über Bristol im Domesday Book ist unvollständig, zeigt aber eine Handelsbedeutung des königlichen Hofes Barton Regis, der 84 Pfund jährliche Abgaben zu entrichten hatte. Die obengenannte politische Entwicklung um die Mitte des 12. Jh. (Parteinahme von Bristol für das siegreiche Haus PLANTAGENET) führte zu wirtschaftlichem Aufschwung, der unter anderem auf der Einfuhr von Wein aus den englisch-angevinischen Besitzungen in Aquitanien beruhte. In den späten 60-er Jahren des 14. Jh. wurden über Bristol ca. 60% aller englischen Tuche exportiert, welche hauptsächlich in die Gascogne, nach Portugal und nach Irland gingen. Bristol war auch Umschlagplatz für Waren aus West-Frankreich, die nach Irland weiterbefördert wurden. Die Reichweite des lokalen Bristoler Handels wird durch die Verbreitung der Keramik aus Ham Green, dem Sitz einer bedeutenden, 6 km nordwestlich von Bristol gelegenen Töpferwerkstatt, dokumentiert. Für das mittelalterliche Bristol sind keine genauen Bevölkerungszahlen überliefert, doch ergibt sich aus den Steuerlisten der Kopfsteuer (poll tax, Steuerwesen) von 1377, das heißt eine Generation nach der ersten Pestwelle von 1348, die Zahl von 6.345 Steuerpflichtigen, woraus sich eine ungefähre Zahl von 9.500 Einwohnern ermitteln läßt.
Seit dem späten 14. Jh. wurden durch die politischen Verbindungen zwischen England und Portugal die Handelsbeziehungen von B
ristol mit der Iberischen Halbinsel gefördert, auf denen der Wohlstand der Stadt in der 2. Hälfte des 15. Jh. im wesentlichen beruhte. Besonders bemerkenswert ist die Bristoler Fischerei in den isländischen Gewässern. Die Konkurrenz der Hanse zwang die Bristoler Fischer zur Suche nach neuen, weiter außerhalb im Atlantik gelegenen Fanggebieten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß Neufundland von Bristoler Fischern entdeckt wurde und diese damit noch vor Kolumbus' Reise von 1492 amerikanisches Gebiet erreichten.
H.B. Clarke