BRISTOL
Lexikon des Mittelalters:
********************
Bristol
---------
I. Geschichte und Topographie:
Bristol, Stadt in England
(Co. Avon), am Avon.
Bristol liegt westlich des
römerzeitlichen Hauptübergangs über den Avon und nahe
bei der römischen Siedlung Sea Mills (Abona), die mit den
Römerstädten Bath (Aquae
Sulis) und Gloucester (Glevum)
durch
Strassen verbunden war.
Der Ortsname, von altenglisch brycg
stow, deutet auf einen
Versammlungsplatz (von Kaufleuten?) an der untersten Brücke
über den stark dem Gezeitenwechsel ausgesetzten Flußlauf des
Avon hin. Erste sichere Belege stellen Münzen aus der Zeit um 1020
dar, die voraussetzen, daß Bristol
zu dieser Zeit eine mit königlicher Zustimmung errichtete
Befestigung (burh) war. Diese
befestigte Siedlung (8 ha) war in vier Viertel unterteilt, von denen
ein jedes eine Pfarrkirche hatte, obwohl die vermutlich älteste
Kirche die unmittelbar außerhalb der ursprünglichen
Befestigung gelegene Peterskirche war. Die mittelalterliche Stadt
entstand auf einer schmalen Landzunge, die fast völlig von den
Flüssen Avon und Frome eingeschlossen ist; der Landzugang wurde
von einer mächtigen Burg kontrolliert. Ein neuer Hafen wurde in
den 40-er Jahren des 13. Jh. angelegt, wobei es zu ständigen
Konkurrenzkämpfen zwischen Bristol
und der jenseits der Brücke gelegenen Vorstadt Redcliff kam, die
sich im Besitz der Herren des Berkeley
Castle befand. Um 1300
umschloß das ummauerte Areal nördlich des Avon mehr als 60
acres (24,3 ha), dazu kamen noch 70 acres (28,3 ha) südlich des
Flusses. Größte mittelalterliche Kirche in Bristol
war die 1148 von den Augustinerchorherren begründete Abteikirche,
die heutige Kathedrale. Die im 13. Jh. von den Dominikanern,
Franziskanern und Karmelitern errichteten Klöster wurden zu
Ausgangspunkten der Stadterweiterung an der nördlichen Peripherie.
Während des größten Teils des 12. Jh. war Bristol
Teil des Earldom
Gloucester;
während der Bürgerkriege zwischen den Anhängern des
Hauses ANJOU (Plantagenêt) und denen des Hauses BLOS
in den 40-er Jahren des 12. Jh. (England)
war die Stadt das Hauptquartier der angevinischen
Kräfte.
König Heinrich II. Plantagenêt
belohnte die Treue der Bristoler
Bürger im Jahre 1155 mit einem städtischen Privileg.
Außerdem wurde, im Zuge der englischen Expansion nach Irland, 1171 die Ansiedlung von
Bürgern aus Bristol in
Dublin gefördert, was die Verbindungen der Stadt mit Irland
verstärkte. 1189 gingen Stadt und Burg durch Heirat an Prinz Johann über. Die
anomale administrative Situation der Stadt, die durch die Lage an der
Grenze der Grafschaften Gloucestershire und Somerset bedingt war, wurde
1373 durch Schaffung einer eigenen Grafschaft Bristol
beseitigt. Die neue Grafschaft hatte Gerichtsbarkeit über
insgesamt 755 acres (305,8 ha); sie umfaßte das Avongebiet bis zu
dessen Mündung in den Severn.
Im 13. und 14. Jh., nach der Übertragung von Burg und Stadt an den späteren König Johann im Jahre 1189,
stand Bristol zumeist unter
der Aufsicht der Constables
der Burg, was eine Quelle ständiger Spannungen mit der
städtischen Bevölkerung darstellte. Die Möglichkeiten
einer städtischen Selbstverwaltung waren stets begrenzt;
wichtigster Vorkämpfer der städtischen Freiheit war die
Kaufmannsgilde. Der erste überlieferte lord mayor (Bürgermeister)
wurde 1216 gewählt, schließlich wurde die Guild Hall zum
Sitz der Administration und Jurisdiktion der Stadt. Die Zahl der
Mitglieder des regulären städtischen Rates ist unbekannt,
doch hatte sich bis zur Mitte des 14. Jh. ein allgemeiner
Bürgerausschuß ('common'
council) mit 48 Mitgliedern herausgebildet; seine Aufgabe
bestand in der Abwehr willkürlichen Handlungen durch den mayor oder die bailiffs.
Trotz dieser Institution
des Bürgerausschusses blieb die städtische Verwaltung
wesentlich oligarchisch.
II. Wirtschaft und Bevölkerung:
Bristols wirtschaftliche
Stärke beruhte auf dem reichen und ökonomisch vielseitigen
Hinterland der Stadt und ihrer günstigen Verkehrslage mit Zugang
zum Atlantik. Im Früh-Mittelalter unterhielt Bristol
bereits Handelsbeziehungen mit dem südlichen Wales, Irland und
möglicherweise auch mit Norwegen; wichtigste Ware waren Sklaven.
Der Bericht über Bristol
im Domesday
Book ist unvollständig, zeigt aber eine
Handelsbedeutung des königlichen Hofes Barton Regis, der 84 Pfund
jährliche Abgaben zu entrichten hatte. Die obengenannte politische
Entwicklung um die Mitte des 12. Jh. (Parteinahme von Bristol
für das siegreiche Haus PLANTAGENET)
führte zu wirtschaftlichem Aufschwung, der unter anderem auf der
Einfuhr von Wein aus den englisch-angevinischen
Besitzungen in
Aquitanien beruhte. In den späten 60-er Jahren des 14. Jh. wurden
über Bristol ca. 60%
aller englischen Tuche exportiert, welche hauptsächlich in die
Gascogne, nach Portugal und nach Irland gingen. Bristol
war auch Umschlagplatz für Waren aus West-Frankreich, die nach
Irland weiterbefördert wurden. Die Reichweite des lokalen Bristoler
Handels wird durch die Verbreitung der Keramik aus Ham Green, dem Sitz
einer bedeutenden, 6 km nordwestlich von Bristol
gelegenen Töpferwerkstatt, dokumentiert. Für das
mittelalterliche Bristol
sind keine genauen Bevölkerungszahlen überliefert, doch
ergibt sich aus den Steuerlisten der Kopfsteuer (poll tax, Steuerwesen) von 1377,
das heißt eine Generation nach der ersten Pestwelle von 1348, die
Zahl von 6.345 Steuerpflichtigen, woraus sich eine ungefähre Zahl
von 9.500 Einwohnern ermitteln läßt.
Seit dem späten 14. Jh. wurden durch die politischen Verbindungen
zwischen England und Portugal die Handelsbeziehungen von Bristol
mit der Iberischen Halbinsel gefördert, auf denen der Wohlstand
der Stadt in der 2. Hälfte des 15. Jh. im wesentlichen beruhte.
Besonders bemerkenswert ist die Bristoler
Fischerei in den isländischen Gewässern. Die Konkurrenz der
Hanse zwang die Bristoler
Fischer zur Suche nach neuen, weiter außerhalb im Atlantik
gelegenen Fanggebieten. Es ist sehr wahrscheinlich, daß
Neufundland von Bristoler
Fischern entdeckt wurde und diese damit noch vor Kolumbus' Reise von 1492
amerikanisches Gebiet erreichten.
H.B. Clarke