Begraben: St-Denis
Ältester Sohn des Königs
Philipp IV. der Schöne von Frankreich und der Johanna
von Navarra, Tochter von König
Heinrich I. der Dicke
Lexikon des Mittelalters: Band V Spalte 2186
********************
Ludwig X. (Louis Hutin, auch Hustin, Ludwig Zank),
König von Frankreich 1314-1316
----------------------------------------------------------------
König von Navarra 1305-1314
* 4. Oktober 1289, + 5. Juni 1316
Paris
Vincennes
Ältester Sohn von Philipp IV. dem Schönen und Jeanne de Navarre
1. oo Margarete von Burgund, die Ludwig X. 1314 wegen Untreue verstieß und die im Kerker starb
Tochter:
----------
Jeanne, Gräfin von Champagne und Königin von
Navarra, Mutter Karls des Bösen
2. oo Klementia von Ungarn
postumer Sohn:
-------------------
Johann I.
Während seiner kurzen Regierung sah er sich mit einer
feudalen Reaktion konfrontiert, den schon zu Lebzeiten des Vaters gegründeten
"Ligen" der großen Adligen; Ludwig X. gestand
ihnen Privilegien zu (Chartes aux Bourguignons, Picards, Champenois, Normands
usw.). Andererseits bekämpften mächtige Persönlichkeiten
am Königshof, insbesondere Ludwigs
Onkel Karl von Valois, die Räte
Philipps
des Schönen; der einst
einflußreiche Ratgeber Enguerren de Marigny wurde 1315 gehenkt, andere
verloren ihre Güter. Außenpolitisch versuchte die Regierung
Ludwigs
ohne größere Erfole, Flandern wieder zu unterwerfen (Heeresaufgebot/ost
von 1315).
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Im April 1305, nach dem Tode seiner Mutter, erbte Ludwig
X. der Zänker das Königreich Navarra und wurde neun
Jahre später König von Frankreich. Er hatte wenig Autorität
und stand völlig unter dem Einfluß seines Onkels Karl
von Valois. Frankreich befand sich damals in einer schweren
Wirtschaftskrise, und die neuen Ratgeber, durchweg Adlige, benutzten die
Gelegenheit, die Schuld daran auf die Hofbeamten des verstorbenen Königs,
achtbare Männer von geringer Herkunft, abzuwälzen. Eine blutige
Auseinandersetzung folgte diesem Streit, die dem Ansehen des Königs
erheblichen Schaden zufügte, ebenso wie die Skandalaffäre des
Turms von Nesle, in den seine Gemahlin Margarete
verwickelt war. Der König ließ sie 1315 ins Gefängnis werfen
und heiratete nach ihrem gewaltsamen Tode Klementine,
die Tochter des ungarischen Königs Karl.
Aus seiner ersten Ehe hatte er eine Tochter, Johanna,
die später Königin von Navarra und Mutter Karls
II. des Bösen wurde. Aus seiner zweiten Ehe hingegen hatte
er einen Sohn, Johann I., der bald
nach seiner Geburt starb. Ludwig starb
in der Nacht vom 4. zum 5. Juni 1316 im Schloß Vincennes an
einer Lungenentzündung. Er wurde in St-Denis begraben. Ihm
folgte sein Bruder Philipp V. auf dem
Thron.
Ehlers Joachim: Seite 223
*************
"Die Kapetinger"
Hinsichtlich der Thronfolge konnte Philipp
der Schöne weder sicher sein, daß seine Erben wieder
heiraten noch daß sie Söhne zeugen würden und er mußte
nach dem dynastischen Bewußtsein zumindest des Thronfolgers fragen,
der das Treiben seiner Frau offenbar nicht hatte verhindern wollen.
23.9.1305
1. oo Margarete von Burgund, Tochter des Herzogs
Robert II.
um 1292-30.4.1315 ermordet
Chateau Gaillard
31.7.1315
2. oo Klementia von Ungarn, Tochter des Königs
Karl I.
2.1293-13.10.1328
Kinder:
1. Ehe
Johanna II. Erbin von Champagne-Navarra
28.1.1311-6.10.1349
9.10.1329
oo Philipp III. Graf von Evreux
1301-16.9.1343
2. Ehe
Johann I.
13./14.11.1316-19.11.1316
Illegitim
Eidelinde Äbtissin von St.Marcell in Paris
-
Literatur:
-----------
Ehlers Joachim: Die Kapetinger. W. Kohlhammer
GmbH Stuttgart Berlin Köln 2000 Seite 167,192,223,226,228-235,237,239,243
- Ehlers Joachim: Geschichte Frankreichs im Mittelalter. W. Kohlhammer
GmbH 1987 Seite 190,198,201,223,225 - Ehlers Joachim/Müller
Heribert/Schneidmüller Bernd: Die französischen Könige
des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888-1498. Verlag C. H. Beck München
1996 Seite 203,231-238,245,251,254,270 - Favier, Jean: Frankreich
im Zeitalter der Landesherrschaft 1000-1515. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart
1989 Seite 248,282,299 - Hundt, Barbara: Ludwig der Bayer. Der Kaiser
aus dem Hause Wittelsbach Bechtle Verlag Esslingen München 1989 Seite
141,213 - Le Goff Jacques: Ludwig der Heilige, Klett-Cotta Stuttgart
2000 Seite 417,439,803 - Mexandeau Louis: Die Kapetinger. Editions
Rencontre Lausanne 1969 - Prutz Hans: Die Ritterorden. Mönche
als Kämpfer, Helden, Abenteurer Bechtermünz Verlag Berlin 1908
Seite 387,440,441 - Treffer Gerd: Die französischen Königinnen.
Von Bertrada bis Marie Antoinette (8.-18. Jahrhundert) Verlag Friedrich
Pustet Regensburg 1996 Seite 144,162,167,171,179 - Tuchmann Barbara:
Der ferne Spiegel. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1995 Seite
49,52,131 - Vones Ludwig: Geschichte der Iberischen Halbinsel im
Mittelalter 711-1480. Reiche - Kronen - Regionen. Jan Thorbecke Verlag
Sigmaringen 1993 Seite 215 A. 45 -
------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Ehlers Joachim/Müller Heribert/Schneidmüller
Bernd: Seite 231-237
*******************************************
"Die französischen Könige des Mittelalters"
LUDWIG X. (HUTIN, DER ZÄNKER)
--------------------------------------------------
* 4.10.1289, + 5.6.1316
Vincennes
Begraben: 7.6.1316 St-Denis
Vater: König Philipp IV.
Mutter: Johanna von Navarra (+ 2.4.1305)
April 1305 König von Navarra und Graf der Champagne
1. Oktober 1307 in Pamplona Krönung zum König
von Navarra
29.11.1314 König von Frankreich, gekrönt am
3.8.1315
1. oo 23.9.1305
MARGARETE, Tochter Herzog Roberts von Burgund
+ 30.4.1315
Chateau Gaillard
Tochter:
-----------
Johanna
* 1312, + 1349
oo 1318 Graf Philipp von Evreux
2. oo 31.7.1315
CLEMENTIA, Tochter des Königs Karl Robert von Ungarn
+13.10.1328
Sohn:
-------
Johann (König Johann I.)
* 13./14.11.1316, + 19.11.1316
Als König Philipp IV.
am 29. November 1314 starb, folgte ihm den anerkannten Grundsätzen
des französischen Thronfolgerechts entsprechend sofort und ohne Probleme
sein ältester, 1289 geborener Sohn Ludwig.
Seit dem Tod seiner Mutter (2. April 1305) war er als deren Erbe König
von Navarra und Graf der Champagne. Offenbar auf Grund des letzten
Titels beauftragte ihn Philipp kurz
vor seinem Tode, in Provins mit den rebellierenden Adligen der Champagne
und benachbarter Gebiete zu verhandeln. Da der Thronfolger hierbei nachdrücklich
die königlichen Rechte betonte und den verbündeten Adligen Gewalt
androhte, dürfte diese Unterredung die Entschlossenheit der Adelsopposition
eher bestärkt und deren Mißtrauen gegenüber dem künftigen
König gefördert haben.
So befand sich König Ludwig
X. zum Zeitpunkt der Übernahme des Königsamtes in
einer überaus schwierigen Situation. Die Steuererhebungen im Zusammenhang
mit dem im September 1314 vorzeitig abgebrochenen Feldzug gegen die Grafschaft
Flandern hatten dazu geführt, dass sich im Laufe des November Adlige
und teilweise auch Städte der Champagne, des Herzogtums Burgund einschließlich
der Region Auxerre/Tonnerre sowie weiter nördlich gelegener, zur königlichen
Domäne gehörender Gebiete (Vermandois, Amiens) und der Grafschaften
Artois und Pontoise zuerst in regionalen Bündnissen, dann in einer
übergreifenden Allianz zusammenschlossen, um den Steueranforderungen,
Münzverschlechterungen und sonstigen Eingriffen königlicher Amtsträger
entgegenzuwirken. Auch in anderen Gebieten, insbesondere in den Städten
des Languedoc, wuchs der Widerstand gegen die Erhebung von Steuern, zumal
diese trotz der von Philipp IV. kurz
vor seinem Tode verfügten Einstellung von eifrigen Amtsträgern
häufig weiter eingetrieben wurden. Daher erließ Ludwig
X. im Januar und Februar 1315 Mandate, in denen er die königlichen
Beauftragten dringend anwies, die von seinem Vater angeordnete Einstellung
der Besteuerung zu beachten und danach erhobene Gelder zurückzuzahlen.
Während jener unruhigen ersten Monate seiner Regierung
formierte sich um den König ein neuer Kreis von Ratgebern, so dass
der Einfluß der unter Philipp IV.
maßgeblichen Persönlichkeiten weitgehend ausgeschaltet wurde.
Bereits um die Jahreswende wurde ein neuer Kanzler eingesetzt, Etienne
de Mornay, der bis dahin im Dienste des Grafen
Karl von Valois, des Onkels des Königs, gestanden hatte.
Dies deutete zugleich darauf hin, dass Karl von
Valois selbst einen starken Einfluß auf das Handeln des
Königs gewann; das gleiche gilt vom Bruder des Königs, dem Grafen
Philipp von Poitiers. Aus dem bisherigen Kreis um Ludwig
stieg der Connetabel der Champagne, Beruad de Mercoeur, in den engeren
Kreis der königlichen Berater auf. Auf diese Weise formierte sich
in Gestalt des sogenannten Großen Rats (Grand conseil) ein engerer,
abgegrenzter Kreis von Ratgebern, welche die Politik der königlichen
Regierung in hohem Maße mitbestimmten und im Unterschied zu den Verhältnissen
unter König Philipp IV. teils
Fürsten, teils Hochadlige waren, so dass die Rolle der sogenannten
Legisten deutlich zurückgedrängt wurde. Der spektakulärste
Fall in diesem Zusammenhang war die Entmachtung des Enguerrand de Marigny,
der in den letzten Jahres des vorherigen Königs dessen entscheidender
Berater gewesen war. Die Tatsache, dass die königliche Kasse beim
Antritt Ludwigs X. absolut leer war,
veranlaßte Karl von Valois, den
Verdacht zu schüren, dass sich Enguerrand persönlich unrechtmäßig
bereichert habe. Nach einem offenen Zusammenstoß zwischen Karl
und
Enguerrand am königlichen Hof wurde letzterer im März 1315 gefangengesetzt
und am 30. April öffentlich in Paris hingerichtet, sein Vermögen
ebenso wie das anderer Ratgeber Philipps IV.
konfisziert.
In dem Gestalt gewinnenden Großen Rat dominierten
also hochadlige Kräfte, die schwerlich geneigt waren, im Geiste der
Politik Philipps IV. dem opponierenden
Adel in entschiedener Weise entgegenzutreten. Erstmalig zeigte sich das
Eingehen auf Beschwerden des Adels und der hohen Geistlichkeit in einer
Mitte März 1315 ausgestellten Urkunde des Königs; sie betraf
allerdings ein Gebiet, dessen Adel sich Ende 1314 nicht an den Ligen beteiligt
hatte, nämlich die Normandie. Normannische Adlige und Prälaten
waren am königlichen Hof in Vincennes erschienen und hatten sich beklagt,
dass seit dem "idealen" Zeiten König Ludwigs
IX. unter Mißachtung ihrer Rechte und Freiheiten beschwerliche
Neuerungen und Steuern verschiedener Art eingeführt worden seien.
In der ausführlichen königlichen Urkunde wurde ihnen darauf unter
anderem zugesichert, künftig nur in Fällen offensichtlicher,
dringender Notwendigkeit außerordentliche Steuern zu erheben und
Vasallen nicht über Gebühr zu Diensten heranzuziehen. Diese von
nachfolgenden Königen wiederholt bestätigte Urkunde fand Eingang
in das Gewohnheitsrecht der Normandie und wurde so zu einem Kernstück
der ständischen Rechte dieses Gebietes. Kurze Zeit später, am
1. April, erlangten Vertreter der Städte des Languedoc eine ihre Beschwerden
berücksichtigende, 19 Artikel umfassende Urkunde. Danach sollte etwa
die Eintreibung von Strafgeldern für die im Süden sehr häufige
Überlassung von Lehen an Nichtadlige und kirchliche Institutionen
eingeschränkt werden, ebenso die vom König geforderte Zahlung
der Schulden, welche die Bewohner dieses Gebietes bei den unter Philipp
IV. vertriebenen Juden gemacht hatten. Hinzu kamen Zusagen,
welche die Ausübung der Gerichtsbarkeit betrafen. Diese Festlegungen
wurden zum einen in königlichen Briefen den dort tätigen Seneschällen
übermittelt, zum anderen erhielten die einzelnen Städte entsprechende
Urkunden, so dass im Register der königlichen Kanzlei etwa 30 Ausfertigungen
eingetragen sind. Es zeigt sich damit deutlich, dass im Süden nicht
wie im Norden die Adligen, sondern die zahlreichen Städte die wirksamste
Kraft im Widerstand gegen Eingriffe königlicher Amtsträger waren.
Die entscheidenden Verhandlungen mit Vertretern des Adels
der nördlichen Gebiete fanden erst im Mai 1315 um die Pfingstzeit
in Anwesenheit zahlreicher Mitglieder des grand conseil in Paris und Vincennes
statt. Zum Auftakt gewährte Ludwig X.,
offenbar um die Spannungen zu überwinden, am 10. Mai eine Bestätigung
der großen Ordonanz pro reformatione regni, die König
Philipp IV. in der kritischen Situation des Jahres 1303 den
Adligen und Prälaten zugestanden hatte. Nach Prüfung der zahlreichen
erhobenen Forderungen durch den Großen Rat folgten dann Mitte Mai
königliche Urkunden für den Adel der Picardie (Amiens, Vermandois),
das Herzogtum Burgund und der Grafschaft Champagne. Auch ein führender
Vertreter des Adels der Grafschaft Artois, dem die Gräfin
Mathilde in allerdings nur vager Form die Wahrung der alten
Gewohnheiten aus der Zeit König Ludwigs IX.
versprochen
hatte, war anwesend und erhielt vom König entsprechende Zusicherungen
sowie einen in befehlendem Ton gehaltenen Brief an die Gräfin, sich
an ihre Zusagen zu halten.
Die meist relativ ausführlichen, in Anlehnung an
die vorgelegten Beschwerden formulierten königlichen Urkunden enthielten
unter anderem Zusicherungen hinsichtlich der Besteuerung, der königlichen
Münzprägung, der eigenen Gerichtsrechte der Adligen sowie deren
vasallitischer Pflichten gegenüber dem König. In bestimmten Fällen
wurde auch das Fehderecht des Adels anerkannt. Zur Eindämmung der
Übergriffe königlicher Amtsträger versprach der Herrscher
die Entsendung von Untersuchungsrichtern, und überdies sollten jene
Amtsträger künftig bei Dienstantritt einen Eid leisten, dass
sie die gemachten Zusagen einhalten und die Rechte der Adligen und Prälaten
nicht beeinträchtigen würden. Schließlich vereinbarte man,
noch offene Fragen bis zum Pfingstfest des nächsten Jahres zu klären.
Bis dahin sollte Karl von Valois die
Bündnisurkunden verwahren; falls bis zu diesem Zeitpunkt Streitfragen
offen blieben, hätte er den Verbündeten die Urkunden zurückzugeben
und damit deren Widerstandsrecht anzuerkennen. Würde aber allgemeines
Einverständnis erreicht, sollten die Urkunden dem König übergeben
werden zum Zeichen dafür, dass kein Anlaß mehr für einen
Fortbestand der Ligen bestand.
Eine endgültige Klärung der Streitfragen wurde
demnach bis Pfingsten 1315 noch nicht erreicht, aber durch das Eingehen
auf die Forderungen des verbündeten Adels hatten der König und
sein Rat doch eine weitgehende Beruhigung der Situation erreicht. Die nächsten
größeren Vorhaben Ludwigs X.
waren jetzt die noch immer ausstehende Salbung in der in der Champagne
gelegenen Krönungsstadt Reims und vor allem ein Kriegszug gegen den
weiter widerspenstigen Grafen Robert III. von Flandern. In der Zwischenzeit
geleiteten Beauftragte Ludwigs X. die
für dessen zweite Ehe vorgesehene Frau, Clementia
- eine Tochter des dem Hause ANJOU
angehörenden
ungarischen Königs - nach Frankreich. Die erste Frau, Margarete,
eine Tochter des 1306 verstorbenen Herzogs Robert
von Burgund, war im letzten Regierungsjahr Philipps
IV. ebenso wie die Frau Philipps von
Poitiers wegen Ehebruchs im Chateau Gaillard eingekerkert worden,
wo sie im Frühjahr 1315 starb. So stand der Hochzeit des Königs
mit Clementia, die am 31. Juli stattfinden
sollte, nichts mehr im Wege; nach der Trauung begab sich das Paar nach
Reims, wo der Erzbischof am 3. August die Salbung und Krönung vornahm.
Schon vor diesem Akt hatte der von
Ludwig X. zusammengerufene Gerichtshof der Pairs den Grafen
von Flandern, der ein Erscheinen verweigert hatte, die Grafschaft abgesprochen.
Darauf erklärte der König am 12. Juli 1315 dem Grafen für
den Fall, dass er sich nicht bis zum 29. Juli stelle, den Krieg. Noch vor
der Krönung holte er zum Zeichen des Beginns der Kriegshandlungen
am 24. Juli die Oriflamme im Kloster St-Denis ein. Von Reims aus begab
er sich zu seinem Heeresaufgebot, das bei Lille nahe dem Fluß Lys
lagerte. Aber das kriegerische Unternehmen endete ergebnislos im Morast,
da anhaltende Regenfälle jede Kampfhandlung unmöglich machten.
Das Heer war kaum mit Lebensmitteln zu versorgen; um eine Tonne Wein
zu transportieren, habe man - wie die Grandes Chroniques berichteten -
30 Pferde benötigt. So mußte das Unternehmen im September abgebrochen
werden. Die zum Kriegszug erschienenen Adligen der Auvergne nutzten die
Gelegenheit, um vom König als Dank für ihre Bereitschaft eine
Urkunde zu erbitten, derzufolge auch für sie die anderen Regionen
gewährten Rechte gelten sollten.
Für den König bedeutete der ruhmlose Abbruch
des Angriffs gegen Flandern eine persönliche Enttäuschung. Er
hatte bereits 1314 am Kriegszug seines Vaters gegen Flandern als Führer
einer Heeresabteilung teilgenommen und dabei auf eine Weiterführung
des Kampfes gedrängt. Nach Aussage der im frühen 15. Jahrhundert
unter Verwendung älterer Aufzeichnungen in St-Denis verfaßten
"Chronographia regnum Francorum" soll sein Beiname "Hutin" (Zank, der
Zänker) darauf zurückzuführen sein, dass er stets mit
aller Leidenschaft den Kampf mit Flandern wünschte.
Der Zug gegen sie verursachte ungeachtet seines vorzeitigen
Abbruchs hohe Kosten. Natürlich hatte die königliche Regierung
wie stets im Falle eines Krieges die Eintreibung von Subsidien angeordnet.
Aber diese Gelder gingen erst mit einer gewissen Verspätung ein, zumal
den Steuereintreibern wegen der Rebellion gegen die Belastungen beim vorherigen
Zug gegen Flandern ein gemäßigtes Vorgehen nahegelegt worden
war. Daher war man genötigt, vor Beginn der Kriegshandlungen zusätzliche
Einnahmequellen zu erschließen. Im Juli erlaubte Ludwig
X. den unter seinem Vater vertriebenen Juden und Lombarden die
Rückkehr - eine Maßnahme, die natürlich mit Geldzahlungen
verknüpft war; unter anderem beanspruchte der König zwei Drittel
der den Juden geschuldeten Summen. Etwa zur gleichen Zeit, am 3. Juli,
ordnete er eine umfassende Freilassungs- bzw. Freikaufaktion für die
seiner Herrschaft unterstehenden Leibeigenen (serfs) an. Beauftragte
wurden in die einzelnen bailliages entsandt, um mit den dort ansässigen
serfs gegen eine "soffisant recompensation" die Entlassung aus der servitude
auszuhandeln. In der Präambel der entsprechenden Ordonnanz erklärt
der König, dass nach Naturrecht alle Menschen frei geboren werden;
aber seit langem seien entsprechend dem Gewohnheitsrecht viele unfrei geworden,
"was uns sehr mißfällt". Das ihm unterstehende Königreich
trage den Namen "royaume des Francs" (franc = frei), und er wünsche,
dass Namen und Realität übereinstimmen sollten; deshalb verfüge
er nach Beratungen mit dem Grand conseil die Freilassung der königlichen
Leibeigenen.
Die hier vertretene Auffassung, dass nach dem Naturrecht
alle Menschen frei seien, war damals allgemein verbreitet, aber eine Aufhebung
der auf menschlichem Recht beruhenden Unfreiheit wurde daraus in der Regel
nicht abgeleitet. Auch in diesem Fall ist nicht zu verkennen, dass die
königliche Regierung den Freikauf keineswegs in dem hehren Wunsch,
naturrechtlichen Prinzipien Geltung zu verschaffen, sondern aus fiskalischen
Interessen beschloß. Zwei Tage später erging eine weitere Anordnung,
der zufolge von denjenigen, die im Status eines serf verbleiben wollten,
als "Hilfe für unseren gegenwärtigen Krieg" eine ihrem Besitz
entsprechende Abgabe erhoben werden sollte. Die Leibeigenen unterstanden
voll der Herrschaft des Königs und konnten daher im Bedarfsfall ohne
besondere Bewilligung zu Leistungen herangezogen werden.
Außerdem drängte Ludwig
X. die französische Kirche, den Krieg gegen Flandern durch
Zahlungen zu unterstützen. Im Herbst 1315 traten Provinzialsynoden
zusammen, die dem König einen Zehnt bewilligten. Dafür erhielten
zahlreiche Bischofskirchen im Dezember königliche Privilegien, in
denen ihre Rechte und Freiheiten sowie die Zusicherungen, die dem Adel
im Mai 1315 gemacht worden waren, bestätigt wurden.
Um Weihnachten brach der König, dem Brauch seiner
Vorgänger entsprechend, die zumindest sporadisch auch entferntere
Gebiete ihres Machtbereichs persönlich aufsuchten, zu einer größeren
Reise auf. Sie führte über Fontainebleau zunächst nach Orleans,
wo er im Januar 1316 den Adligen des Languedoc eine umfassende Urkunde
ausstellte, in der er ihnen eine weitgehende Verfügungsfreiheit über
ihren Besitz garantierte und das Fehderecht bestätigte. In den ersten
Februartagen war der König in der Normandie, um sich sodann über
Compiegne und Meaux nach Sens zu begeben, wo er Anfang März einer
Abordnung des Adels der Champagne in eriner weiteren Urkunde neue Zusicherungen
gab. Anschließend traf er in Bourges mit den dorthin berufenen, aber
nur spärlich erschienenen Vertretern der drei Stände des Languedoc
zusammen. Hier kündigte er für den Sommer einen neuen Kriegszug
gegen Flandern an. Zugleich erhielten die Adligen des Gebietes um Bourges,
des Berry, auf ihre Beschwerden über Bedrückungen durch königliche
Amtsträger hin ebenfalls eine ausführliche Urkunde mit entsprechenden
Zugeständnissen.
Nachdem der König im Beisein des Großen Rates
Anfang Mai nochmals ergebnislose Verhandlungen mit Vertretern des Grafen
von Flandern geführt hatten, starb er plötzlich am 5. Juni
1316 in Vincennes an einer fiebrigen Erkrankung; er soll zuvor,
erhitzt durch Ballspielen, in einem kalten Keller Abkühlung suchend,
eine große Menge Wein getrunken haben.
Ludwigs X. kurze
Regierungszeit war geprägt durch die starke, allerdings nicht geschlossen
handelnde Adelsopposition, die durch die zentralistische, kostenaufwendige
Politik Philips des Schönen hervorgerufen worden war. Eine kompromißlose
Konfrontation mit diesen Kräften wäre schwerlich erfolgversprechend
gewesen, so dass die Politik der Zugeständnisse, die in zahlreichen
königlichen Urkunden für den Adel der einzelnen Regionen ihren
Niederschlag fand, als einzig möglicher Weg erscheint, eine Beruhigung
der Situation herbeizuführen. Tatsächlich hat der König
bis zu seinem Ableben eine solche Beruhigung erreicht; nur in der Grafschaft
Artois, wo die Gräfin Mathilde ungeachtet der Vermittlungsbemühungen
der königlichen Regierung Zugeständnisse ablehnte, beherrschten
opponierende Kräfte weiterhin das Feld. Natürlich beeinträchtigten
die Konzessionen die königliche Zentralisierungspolitik und bedeuteten
eine Stärkung teilweise überholter feudaler Interessen. Aber
dem damaligen Stand der staatlichen Entwicklung in großen Teilen
Europas entsprach, wie die verbreitete Ausbildung ständestaatlicher
Strukturen zeigt, durchaus die Tendenz zu stärkerer Betonung ständischer
Interessen als Gegengewicht zur fortschreitenden Zentralisation. Bedenklich
war nur, dass sich dabei in den nördlichen Regionen meist ein eindeutiges
Übergewicht des Adels gegenüber den Städten einstellte und
dies sowie die regionale Differenzierung dieser ständischen Aktivitäten
ein gemeinsames Geltendmachen berechtigter Interessen der Stände erschwerten.
Als König sowohl von Frankreich wie auch von Navarra
hinterließ Ludwig X. bei seinem
Tod eine Tochter aus einer ersten Ehe, Johanna,
und eine Witwe, die ein Kind erwartete. Sollte dieses Kind als Sohn geboren
werden, dann käme ihm nach dem französischen Thronfolgerecht
unbestritten die Nachfolge auf dem Königsthron zu. Bis zur Geburt
mußte somit eine Zwischenregelung getroffen werden, bei der von vornherein
dem älteren der beiden noch lebenden Brüder Ludwigs
X., Philipp dem Langen,
die Vorzugsrolle zufiel.