Begraben: St-Denis
Ältester Sohn des 866 gegen die Normannen gefallenen
Grafen
Robert IV. der Tapfere von Paris aus seiner 2. Ehe mit der Adelheid
von Tours, Tochter von Graf Hugo
Lexikon des Mittelalters: Band VI Spalte 1353
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Odo, westfränkischer König 888-898
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+ 1./3. Januar 898
La Fere/Oise
Begraben: St-Denis
oo Theodrada
Nach dem Tod Roberts des Tapferen wurden seine
minderjährigen Söhne Odo
und Robert bei der Nachfolgeregelung
übergangen und 868 verbliebener 'honores' durch KARL
DEN KAHLEN beraubt. Erst die Fürsprache Gauzlins ebnete
Odos
Ernennung zum Grafen von Paris den Weg. 885/86 organisierten Bischof und
Graf die erfolgreiche Verteidigung der Stadt gegen die Normannen. Als Angehöriger
einer Partei, die 885 den Kaiser zur Herrschaft im W eingeladen hatte,
profilierte Odo von der kaiserlichen
Gunst, vom Zerfall monarchischer Aurorität und vom Tod führender
westfränkischer Adliger: 886 erhielt er die väterlichen Besitzungen
an der Loire (Grafschaften Angers, Tours, Blois; Orleans; Abtei St-Martin/Tours)
und vermehrte das neu entstehende Machtzentrum nach Gauzlins Tod noch um
dessen Kloster St-Germain-des-Pres, St-Denis und St-Amand. Diese herausragende
Stellung in Neustrien nutzte
Odo schon
887 zur Einflußnahme auf Teile des Episkopates. Dies war die Basis
für Odos Königswahl und seinen
gestuften Herrschaftsantritt im westfränkischen Reich. Nach der Absetzung
KARLS
III. durch seinen Neffen ARNULF
löste
sich das karolingische Großreich 888 endgültig auf, udn der
Adel wählte die Könige der Nachfolgereiche aus den eigenen Reihen.
Während sich im W eine Partei um Erzbischof Fulco von Reims zunächst
WIDO
von Spoleto (Krönung in Langres zum westfränkischen
König, Resignation und Abzug nach Italien) und dann dem ostfränkischen
Herrscher ARNULF zuwandte, erhob eine
andere Adelsfraktion Odo am 29. Februar
888 in Compiegne zum König; die Weihe spendete Erzbischof Walter von
Sens. Ein erneuter Normannensieg am 24. Juni 888 bei Montfaucon-en-Argonne
und eine persönliche Begegnung mit ARNULF
in Worms sicherten Odos Position, die
er mit einer erneuten Krönung (mit einer von ARNULF
geschickten Krone) am 13. November 888 in Reims befestigte und Anfang 889
auf einem Aquitanienfeldzug auch im S zur Geltung brachte. Nach einem Hoftag
in Orleans im Juni 889 setzte die Ausstellung erster Königsurkunden
ein.
Obwohl Odo einen
Vorrang ARNULFS akzeptierte und mit
ihm ein Frundschaftsbündnis einging, war damit die 843 geschaffene
Einheit und Selbständigkeit des westfränkischen Reiches gewahrt.
Seine Herrschaft verstand Odo in der
Kontinuität seiner karolingischen
Amtsvorgänger und zählte seine Regierungsjahre vom Tod KARLS
III. (13. Januar 888) an. Die bei der Weihe 888 abgelegte Promissio
erkannte kirchliche und adlige Rechte im Sinne eines die Herrschaft begründenden
Vertragsverhältnisses an.
Die konsequente Erweiterung der
robertinischen Besitzungen über Neustrien hinaus und die
Sicherung für die eigene Familie durch gezielte Förderung von
Odos
Bruder Robert (seit 893 marchio) sorgten
seit 892 freilich für zunehmenden adligen Widerstand, gefördert
durch Mißerfolge bei der Normannenabwehr. Am 28. Januar 893 erhob
eine oppositionelle Adelsgruppe um Fulco von Reims und Graf Heribert I.
den letzten westfränkischen
KAROLINGER Karl
'den Einfältigen' gegen
Odo
zum König und ersuchte ARNULF
um Hilfe. In langwierigen Auseinandersetzungen um die Herrschaft, in denen
ARNULF
894 Karl, 895 schließlich Odo
anerkannte, konnte sich Odo zwar weitgehend
durchsetzen, mußte aber den Verlust königlicher Autorität
und die Ausformung eigenständiger Adelsherrschaften akzeptieren. In
einem Vertrag wies
Odo 897 Karl
ein
Landgebiet und die Nachfolge im Königsamt zu, sicherte aber seinem
Bruder Robert das erhebliche Machtpotential vor allem in Neustrien. Als
Odo
ohne Erben 898 starb, war der Grundstein für die karolingische
Restitution im Königtum wie für eine robertinische
Sonderstellung
im Reich gelegt, die 922/23 Robert I.
und schließlich 987
Hugo Capetzur
Erlangung der königlichen Würde nutzten.
Literatur:
-----------
Dümmler ² III, 266ff., 315ff. - HEG I, 735-738
- G. Schneider, Erzbischof Fulco (883-900) und das Frankenreich, 1973 -
B. Schneidmüller, Karolingische Tradition und frühes Königtum,
1979, 105-121 - K. F. Werner, Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahr
1000, 1989, 446ff. - W. Kienast, Die fränkische Vasallität, 1990,
445-492 -
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Odo wuchs in den
deutschen Allodien im Wormsgau auf und stand mit dem Bruder unter der Vormundschaft
des mächtigen, berühmten Halbbruders Abt Hugo von Tours, der
französischer Regent wurde und die Brüder wieder in Besitz und
Ämter einsetzte. Odo wurde wie
schon sein Vater Graf von Paris, Graf von Aquitanien, Graf von Anjou und
Touraine und mehrfacher Laienabt und Vogt wichtiger Klöster. Nach
dem Sturz Kaiser KARLS III. DES DICKEN
durch ostfränkische Feudalherren wurde der bewährte Heerführer
Odo
aus dem Hause der ROBERTINER, der sich
bei der Belagerung von Paris durch die Normannen hervorgetan hatte, König
des westfränkischen Reiches. Nachdem Odo
in Compiegne gekrönt worden war, verfolgte er zuerst die normannischen
Eindringlinge, die er am 24.6.888 bei Montfaucon besiegte. Um seine Stellung
gegen einen noch unmündigen Sohn Ludwigs
II. des Stammlers zu sichern, erkannte er die Lehnshoheit des
ostfränkischen
Königs ARNULF von Kärnten
an.
Odo
vermochte im wesentlichen nur im Gebiet nördlich der Loire wirklichen
Einfluß auszuüben. Er versuchte die königliche Gewalt zu
festigen, was ihm unter dem Adel viele Feinde zuzog. Wegen ihrer endlosen
Intrigen verzichtete der durch Krankheit geschwächte König 898
auf sein Amt zugunsten
Karls III. des Einfältigen,
der bereits 893 von einer oppositionellen Adelsgruppe zum König erhoben
worden war.
Schieffer Rudolf:
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"Die Karolinger"
Der Graf von Paris Odo,
dessen unerschrockener Kampfesmut an seinen Vater Robert den Tapferen
gemahnte, zeichnet sich 885 bei der Abwehr der Normannen vor Paris aus.
Kaiser
KARL III. verhalf dem ROBERTINER Odo
zum weiteren Durchbruch, als er ihm zur Grafschaft Paris 886 nach dem Tode
Hugos des Abtes auch noch dessen hinterlassene Hoheitsrechte in Neustrien
und an der Loire hinzugab.
Nach der Absetzung Kaiser KARLS
III. nutzte in W-Franken der ROBERTINER
Odo seine überlegene Machtstellung von der Seine bis zur
Loire wie auch seinen frischen Kriegsruhm als Verteidiger von Paris, um
Ende Februar oder Anfang März in Compiegne die Krone zu nehmen, wohl
nur wenige Tage bevor in Langres Markgraf Wido
II. von Spoleto, eingedenk der alten Verbindungen seines Geschlechts
zum Westen, desgleichen tat. Allerdings räumte er vor Odo
schnell das Feld und verfolgte seine Ambitionen seither in Italien weiter,
während der aquitanische Süden Graf Ramnulf von Poitiers, nach
dem Tode des Bernhard Plantapilosa (885/86) der Mächtigste weit und
breit, zeitweilig ebenfalls seine Verselbständigung betrieb, sich
dann aber doch Odo unterwarf; an seinem
Hof hütete er im übrigen den 8-jährigen Karl,
Ludwigs des Stammlers postumen Sohn, der vorerst freilich von
keiner Seite ins Spiel gebracht wurde.
Im Juni 888 empfing König
ARNULF in Frankfurt eine Gruppe westfränkischer Gegner
Odos
unter dem Erzbischof Fulco von Reims, die zunächst WIDO
angehangen
hatten und nun ihm die Herrschaft bei ihnen antrugen.
ARNULF
ging nicht darauf ein und erkannte vielmehr Odo
an,
auf den ja auch KARL III. im Westen
vertraut hatte. Der ROBERTINER fand
sich, gestärkt durch einen eben errungenen Normannensieg, in Worms
zur Huldigung ein und erhielt bald darauf von ARNULF
eine Krone, mit der er, nunmehr in Reims, abermals gekrönt wurde,
was seine inneren Widersacher einstweilen zum Schweigen brachte.
König Odo, der
nach dem Gewinn allseitiger Anerkennung (888/89) seine beträchtliche
Hausmacht an Grafschaften, Kirchen und Lehen, die er formell dem Bruder
Robert
übereignet hatte, nach Kräften weiter ausbaute, zog sich
damit den wachsenden Unmut der anderen Großen zu. Seine Widersacher,
allem voran Erzbischof Fulco von Reims und der Graf Heribert von Soissons
und Meaux, durch seinen Vater Pippin
ein Enkel des geblendeten
Königs Bernhard
von Italien (+ 818), versprachen sich am meisten Wirkung davon,
nicht einen der Ihren Odo
entgegenzustellen,
sondern einen KAROLINGER: den bis dahin
als illegitim betrachteten, mittlerweile 13-jährigen Sohn Ludwigs
des Stammlers, Karl
mit
dem späteren, an sich positiv gemeinten Beinamen "der Einfältige".
Er wurde am 28.1.893, also am Jahrestag von KARLS
DES GROSSEN Tod, in Reims feierlich gekrönt und fand als
(Gegen-)König auf Anhieb starke Resonanz, die bis ins westfränkische
Burgund und nach Aquitanien reichte, aber nicht von Dauer war. Um ihm wenigstens
das Wohlwollen ARNULFS zu sichern,
appellierte Fulco in einem Schreiben geschickt an die familiäre Solidarität,
indem er seinen Abscheu vor der Tyrannei des "dem Königsstamm (stirps
regia) fremden" Odo mit der Sorge um
die Zukunft des KAROLINGER-Hauses verknüpfte,
aus dem nur noch ARNULF und eben der
junge Karl übrig und somit eng
aufeinender angwiesen seien. Tatsächlich trafen beide im Mai 894 im
Worms zusammen, wo ARNULF den Vetter
(2. Grades) als Lehnsmann annahm und seine politischen Ziele zu unterstützen
versprach. Doch ließ er bald davon ab, als Karl
nach
seiner Rückkehr gegen den wieder erstarkenden Odo
weiter rapide an Boden verlor und aus der Francia ins westliche Burgund
ausweichen mußte. ARNULF besann
sich seiner Rolle als Oberherr beider, "befahl, dass Odo
und
Karl
zu ihm kämen" (so der Annalist von Saint-Vaast), und als sich im Mai
895 nur Odo in Worms einstellte, erneuerte
er das Bündnis mit ihm, gab also die karolingische
Option im W auf.
Nachdem König Zwentibold
im
Sommer 895 zugunsten Karls des Einfältigen
in W-Franken eingegriffen hatte, kam 897 ohne sein Zutun, aber durch tätige
Vermittlung Fulcos von Reims ein Ausgleich zwischen Odo
und Karl dem Einfältigen zustande:
Der siegreiche ROBERTINER, der Schritt
für Schritt die Königsmacher des Gegners auf seine Seite gezogen
hatte, unter anderem Graf Heribert durch Überlassung der wichtigen
Grafschaft Vermandois (896), aber selber ohne legitimen Sohn geblieben
war, einigte sich mit dem unterlegenen KAROLINGER
auf gegenseitige Anerkennung ihres Königtums, gestand ihm ein beschränktes
Hoheitsgebiet (wohl um Laon) und nach seinem Tode die Anwartschaft auf
das ganze Westreich (vor dem eigenen Bruder Robert)
zu, ließ sich dafür aber die beträchtlichen Machtpositionen
seiner Fammilie von dem bisherigen Rivalen garantieren. Auf dieser Grundlage
ergab sich eine anscheinend reibungslose Wiederherstellung der karolingischen
Monarchie im Westen, als Odo am 1.1.898
in La Fere an der Oise gestorben und ganz im Stile seines Vorgänger
in Saint-Denis beigesetzt worden war.
Ehlers Joachim/Müller Heribert/Schneidmüller
Bernd: Seite 13-21
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"Die französischen Könige des Mittelalters"
ODO
888-898
Odo
geboren ca. 860, gestorben am 1.1.898 im Winterlager
La Fere-sur-Oise
Bestattung in St-Denis
Vater:
--------
Robert der Tapfere (gestorben 866)
Bruder:
---------
Robert (König 922-923)
Marchio Neustriens
Eheschließung Frühjahr/Sommer 888 mit Theotrada,
keine Kinder bezeugt
29.2.888 Königswahl und Königserhebung in St-
Corneille de Compiegne
August 888 Herrschertreffen mit König
ARNULF in Worms
13.11.888 abermalige Krönung in Reims mit einer
von ARNULF übersandten Krone
889 Ramnulf II. von Poitiers erkennt Odo an
28.1.893 Königserhebung Karls
"des Einfältigen" in Reims auf Betreiben Erzbischofs Fulco
Mai 895 zweites Herrschertreffen mit König
ARNULF in Worms
897 territoriales Arrangement mit
Karl "dem Einfältigen"
Als die "Völker Galliens" (Regino von Prüm)
am Anfang des Jahres 888 Odo zum König
wählten, werden sie sich des ambivalenten Charakters dieser Handlung
wohl kaum bewußt gewesen sein. Für den Chronisten aus Prüm
hatten sich die Reiche, über die Kaiser KARL
III. "DER DICKE" geboten hatte, in ihre Teile aufgelöst
und jeder Teil aus seinem Innern einen König gewählt. Mithin
könnte mit dem von den Völkern Galliens bewohnten Teil das 843
begründete W-Frankenreich KARLS DES KAHLEN
gemeint gewesen sein - ein respektables Reich, das nur in Hinblick auf
das einstige fränkische Großreich als "Teil" anzusehen wäre.
Aus der Fuldaer Perspektive des Fuldaer Annalisten schien Odos
Reich freilich kleiner und auf das Land bis zur Loire und die aquitanische
Provinz begrenzt gewesen zu sein. Die Fortsetzung der Fuldaer Annalen in
der Altaicher Handschrift geht noch einen Schritt weiter, wenn sie zum
Jahr 888 von "vielen kleinen Königen" redet, die in Europa oder dem
Reiche KARLS III. "aufstiegen": Markgraf
Berengar von Friaul in Italien, Rudolf
von Hoch-Burgund,
Bosos
Sohn LUDWIG in der Provence und mit
ihm konkurrierend Herzog Wido von Spoleto,
schließlich auch der erwähnte Odo,
dem Ramnulf (von Poitiers) recht bald den Anspruch streitig zu machen suchte.
Wollte man das Problem sehr pointiert fassen, so ließe
es sich zuspitzen auf die Alternativfrage, ob Odos
Reich als ein fränkisches Teilreich unter mehreren anzusprechen ist
oder als ein durchaus selbständiges Reich mit bereits französischer
Perspektive.
Die Wahl Odos provoziert
den zurückschauenden Betrachter, eine zweite Art alternativer Orientierung
herauszustellen. So läßt sich Odos
Königtum
als besondere Ausprägung einer frühmittelalterlichen Heerkönigsvorstellung
interpretieren, während andererseits Züge einer rechtlichen Einbindung
des Königs in ältere Formen eines westfränkischen Staatsverständnisses
überaus deutlich hervortreten, so dass man fast von konstitutionellen
Festlegungen sprechen kann. Beide Aspekte sind noch zu erläutern,
vor allem zu belegen, doch um der schärferen Konturierung willen ließe
sich daran festhalten, dass Odos Königtum
den Typ des Heerkönigtums mit dem des konstitutionell gebundenen verknüpft,
dass beide Typen hier zusammenkommen, obwohl sie letztlich kaum voll vereinbar
sind.
Was hatte Odo dazu
qualifiziert, dass westfränkische Große ihn zu ihrem König
wählten und erhoben? Eine Herkunft aus karolingischem
Geschlecht
konnte er jedenfalls nicht vorweisen. Sein Vater,
Robert der Tapfere,
war Graf von Tours, Blois und Anjou, der sich in Abwehrkämpfen gegen
Normannen und Bretonen bewährt hatte und in der bretonischen Mark
wie den erwähnten Grafschaften an der Loire seine Machtbasis besaß.
Er stammte wohl vom Mittelrhein und sollte als Ahnherr der nach ihm benannten
ROBERTINER
auch dereinst Stammvater der KAPETINGER
werden. Als Robert der Tapfere 866 fiel, waren seine beiden Söhne
Odo
und Robert minderjährig und wurden
von der väterlichen Herrschaft ausgeschlossen - ganz gewiß war
Odo
noch nicht 10 Jahre alt, möglicherweise
etwa 860 geboren. Seine Kindheit und Jugend sind unbekannt, ab 882 ist
sein Weg erkennbar. Selbstversändlich war der Aufstieg an des jeweiligen
Königs Gunst gebunden. 882 war
Odo
Graf von Paris; neben Gauzlin zeichnet er sich im Abwehrkampf gegen normannische
Überfälle aus, vor allem 885/86 bei der Verteidigung von Paris.
Als gleichwohl die Lage der Metropole hoffnungslos schien, bemühte
sich Odo mit Erfolg um kaiserliche
Unterstützung, die vor Ort aber kläglich versagte. Immerhin wird
dabei deutlich, dass westfränkische Große
Kaiser
KARL III. ("DEN DICKEN") ins W-Reich zur Herrschaftsübernehme
eingeladen hatten, weil sie sich so die dringend benötigte militärischen
Unterstützung erhofften. Ferner war für Odo
bedeutsam, dass KARL III. ihm die Übernahme
des väterlichen Besitzes erleichterte. Odo
verstand, diesen zusätzlich zu mehren, und verfügte bereits vor
seiner Königswahl an der Loire über die Grafschaften Angers,
Tours, Blois, Orleans und die bedeutende Abtei St-Martin in Tours; an der
Seine gebot er mindestens über die wichtigen Klöster St-Germain-des-Pres
und St-Denis, außerdem über St-Armand in Neustrien, einer weiteren
Basis seiner politischen Macht. Blickt man auf die realen Grundlagen von
Odos
politischer
Stellung, so waren diese durchaus ansehnlich, zumal militärische Kontingente
in seinen Grafschaften rekrutierbar waren. Nicht weniger wichtig war Odos
persönliche Eignung. Richer von St-Remi kennzeichnet den Königskandidaten
ausdrücklich als kampferprobten und tatkräftigen Mann, dessen
Vater Adelskrieger war. Diese Quallitäten sollte nicht einmal der
Hinweis auf den Großvater mindern, der aus dem rechtsrheinischen
Gebiet, fast möchte man sagen aus dem Ausland kam. Auch sonst läßt
Richer keinen Zweifel an
Odos militärischer
Tüchtigkeit, die sich vielfach bewährt habe. Ähnlich akzenturiert
äußert sich Abo von St-Germain, der die Belagerung von Paris
durch Normannen als Augenzeuge erlebte und das Geschehen der Jahre 885-886
in einem umfangreichen Epos nachgestaltete: Als Schutzherrn der Stadt und
künftigen Erhalter des Reiches spricht er Odo
an, rühmt ihn als Sieger und unbezwungen im Kriege. Kaiser
KARLS III. klägliches Versagen vor Paris, als er den Kampf
scheute und in schimpflicher Weise den Abzug der Normannen teuer erkaufte,
ist der bewußte Hintergrund für die Betonung von Odos
Eignung: Kein Zweifel, dass die Hoffnung seiner Wähler in der Zurückdrängung
normannischer Invasoren lag. Dabei verdient beachtet zu werden, dass die
fehlende KAROLINGER-Abkunft im Zusammenhang
mit Odos Wahl keine Erwähnung
findet, vielleicht auch längst eine nur noch sekundäre Bedeutung
hatte. Auch in anderen Dingen gab es kaum Hemmungen. Da beispielsweise
Odo die notwendigen Herrschaftszeichen fehlten, ließ er
diese aus dem Kloster St-Denis holen und sorgfältig in Listenform
quittieren. Mancher sieht bereits in der Tatsache, dass Odo
auf die Insignien zunächst keinen Zugriff hatte, Zeichen eines gewissen
Makels, konstatiert mitunter sogar einen Rechtsmangel. Solche Wertungen
sind bestimmt überzogen, und Odo
dürften sie kaum berührt haben. Er verhielt sich pragmatisch,
und weil "diese Gegenstände" benötigt wurden, setzte er durch,
dass bei der feierlichen Königserhebung, an die sich die Salbung und
Krönung anschlosssen, die Herrschaftszeichen der westfränkischen
Vorgänger zur Verfügung standen. Ort der Erhebung war St-Corneille
in Compiegne, wo Erzbischof Walter von Sens Odo
am 29. Februar zum König salbte. Zwar hatte sich eine Weihetradition
zugunsten von Reims herausgebildet, doch verstand es der Reimser Metropolit,
durch seine Gegnerschaft zum ehemaligen Grafen von Paris sich selbst auszumanövrieren.
Der Konkurrenzkampf zwischen Reims und Sens um das Recht der Königsweihe
wurde somit erneut aufgefrischt.
Kaum etwas ist über den Prozeß der politischen
Willensbildung, der zur Wahl des Grafen von Paris führte, bekannt.
Als Odos Wähler können jeweils
die Mehrzahl der westfränkischen Bischöfe und die der Großen
gelten, doch eine einhellige, gar unstrittige Zustimmung erhielt
Odo nicht. Dies zeigte bereits das Beispiel des Reimser Erzbischofs
Fulco, der zunächst für WIDO von Spoleto
eingesetzt hatte, dann aber die Nähe zum ostfränkischen König
ARNULF suchte.
Der zeitliche Abstand von vermutlich einigen Wochen zwischen
der Wahl als einem Vorgang der politischen Willensbildung mit anschließender
verbindlicher Willensbekundung und der Erhebung ließ Zeit für
umfangreiche Vorbereitungen, die man zu nutzen verstand.
Schon seit Jahrhunderten gilt den Akten der Königserhebung,
deren Vorbereitungen viel Sorgfalt und umsichtige Beachtung der Tradition
erforderten, besondere Aufmerksamkeit. Zugrunde gelegt wurden der kirchlichen
Weihe meist sogenannte Ordines, also liturgische Texte für die Gestaltung
des Weihegottesdienstes, in die Verfahrensanweisungen für Salbung
und Krönung, oft auch die zu leistenden Eide eingeschlossen wurden.
Für Odos Krönung am 29. Februar
888 enthält der Ordo neben Gebetsformeln ein förmliches Versprechen
der Bischöfe gegenüber Odo,
dessen eidliches Versprechen und schließlich einen Festgesang. Bemerkenswert
ist zunächst, dass dieser Odo in
westfränkischer Tradition steht, also der neue König, der nicht
karolingischer
Abkunft
war, grundsätzlich wie seine karolingischen
Vorgänger
angesehen, geweiht und gefeiert wurde. In dieser Tatsache ist zugleich
ein gewisses Bekenntnis zur westfränkischen Reichstradition zu sehen,
die 843 durch den Vertrag von Verdun begründet wurde. Darüber
hinaus ist Odos Promissio von 888 besonders
aufschlußreich, zumal sich auch Odo
als Nicht-KAROLINGER mit diesem Königseid
in die große westfränkische Staatstradition einordnete. Zwar
fehlen Hinweise, dass auch er wie nahezu alle Vorgänger seit KARL
DEM KAHLEN sich zum Verfassungsgefüge des Vertrages von
Coulaines vom November 843 ausdrücklich bekannt hat beziehungsweise
darauf verpflichtet worden ist, doch zielen einzelne Textpassagen seiner
Promissio deutlich in die Nähe jener berühmten Festlegung der
westfränkischen Verfassung. König KARL
DER KAHLE hatte im April 845 auf der Synode von Beauvais den
westfränkischen Bischöfen auf ihr Verlangen hin acht Grundsätze
beschworen, die P. E. Schramm "als ein Grundgesetz der nun auf sich
gestellten Westfränkischen Kirche" bezeichnete. In nahezu archaisch
anmutender Form hatte der christliche König diesen Eid vor den Bischöfen
auf sein eigenes Schwert geleistet. Sachlich bezog sich die Herrschende
Verpflichtung von 845 zweifelsfrei auf den Vertrag von Coulains, dessen
1. Kapitel die Stellung der Kirche im Reiche als tragendes Element fixiert
hatte. An die königliche Selbstverpflichtung von 845 in Beauvais knüpfte
man nun 888 an, denn aus Kapitel 1 und 6 wurden deutlich einzelne Textpassagen
übernommen. In der westfränkischen Reichstradition hatte es jenen
anderen Verpflichtungsstrang gegeben, der in unmittelbarer Anknüpfung
an Coulaines bislang sehr häufig genutzt wurde. Wenn jetzt eine sachlich
korrekte Variante gewählt wurde, lag es gewiß am Erzbischof
von Sens als Konsekrator Odos, der sich selbst gegenüber der bis dahin
prägenden Rolle des Reimser Amtskollegen profilieren wollte. Jedenfalls
bekunden die entsprechenden Passagen des Königseides eindrucksvoll,
dass sich Odo auch in dieser Hinsicht
voll in westfränkische Traditionen stellte und die Rechte der Kirche
dieses Reiches garantierte. Ergänzend zur textlichen Anlehnung an
KARL
DES KAHLEN Eid von 845 hatten sich die Redaktoren von 888 auch
auf die Eidesformulare Ludwigs des Stammlers
von 877 und Karlmanns
von 882 bezogen,
also sicherheitshalber Anschluß an jene große Traditionslinie
hergestellt, die vornehmlich Hinkmar von Reims fixiert hatte. Im Zusammenhang
mit Odos Promissio ergeben sich zusätzliche
Einblicke in die Verfassungswirklichkeit. Es läßt sich nämlich
nachweisen, dass Odo vor der Königsweihe
der Eidestext schriftlich vorgelegt wurde und dass er ihn unterschreiben
mußte. Da Odos
Königstitel
und entsprechend auch seine Unterschrift später stets Odo
rex lauteten, unter seiner Promissio jedoch nur Odo
steht, ergibt sich recht zwingend, dass der zum König gewählte,
aber noch nicht zum König geweihte Odo
seinen verbindlichen Eid vor der Krönung und Weihe geleistet haben
muß. Er unterschrieb die schriftlich fixierte Fassung und leistete
gewiß für viele hörbar dann den geforderten Eid, dessen
für seine eigene Königsherrschaft konstitutiver Charakter somit
in doppelter Hinsicht sehr deutlich wird. Mit ähnlich ablaufenden
Eidesleistungen wird man bei einigen Königserhebungen bereits vor
888 rechnen müssen, doch sind die knapp skizzierten Zusammenhänge
hier erstmals eindeutig belegbar. Sie dokumentieren überdies eindrucksvoll
die Entwicklung der Schriftlichkeit im westfränkischen Reich und die
Möglichkeit von deren rechtlicher Verbindlichkeit, während ja
sonst Eidesleistungen noch über lange Jahrhunderte ihren zwingenden
Charakter fast ausnahmslos durch den mündlichen Rechtsakt erhielten.
Überliefert ist die schriftliche Fassung von Odos
Königseid in einer Handschrift des katalanischen Klosters Ripoll.
Mit einiger Wahrscheinlichkeit war die Textvorlage als authentisches Exemplar
von König Odo selbst verschickt
worden, "um Kunde davon zu geben, dass er seine Herrschaft angetreten habe
und in rechtmäßigem Sinne führen werde" (P. E. Schramm).
Erst etwas später wird erkennbar, dass sich Odo
zugleich in dieser Form geschickt in die Politik der Mark Barcelona und
des Erzbistums Narbonne einzuschalten verstand. Damit ist zugleich angedeutet,
dass sich der neue König tatkräftig um die Festigung wie auch
Ausweitung seiner Herrschaft bemühte, keineswegs allso ein "Kleinkönig"
sein wollte. Selbst Odos Hochzeit,
die nur grob auf die Zeitspanne vom Frühjahr bis Sommer 888 zu datieren
ist, läßt des Königs politischen Ehrgeiz erkennen. Er heiratete
eine nicht näher bekannte Theotrada,
von der man allerdings weiß, dass sie nicht fränkischer Abstammung
war. Im 10. Jahrhundert hätte man in einer solchen Gattenwahl eine
besondere Akzentuierung der eigenen Herrschaftslegitimation gesehen. Aus
Anlaß dieser Hochzeit erhielten beide Eheleute Gedichte als Gabe;
sie sind keine üblichen Hochzeitsgedichte, doch spiegelt sich in ihnen
ein beachtlicher rest antiken Bildungsgutes, dem sich das Herrscherpaar
offenbar weiterhin verpflichtet fühlte, wenn auch die Textformen erkennen
lassen, dass die karolingische Kulturblüte
gegen Ende des Jahrhunderts zu verblassen begann.
Zu den spektakulären Ereignissen in Odos
erstem Königsjahr gehört eine Begegnung mit dem ostfränkischen
Herrscher ARNULF, den die Stämme
rechts des Rheins Ende November 887 zum König erhoben hatten. Ein
solches Zusammentreffen war für den W-Franken nicht unproblematisch,
politisch aber wohl zweckmäßig. Erzbischof Fulco von Reims,
der an der Spitze einer nicht unbedeutenden Adelsgruppe stand, hatte König
ARNULF nämlich die Herrschaft auch über W-Franken
angetragen und ihm seit einem ersten Treffen Ende Mai in Worms, dann auch
in Frankfurt verhandelt. Es dürfte sich bei Fulcos Initiative um eine
relativ übliche "Einladung" gehandelt haben, die zwar keine Garantie
zur Herrschaftsübernahme bedeuten konnte, aber mit ihrem Wahlcharakter
durchaus reale Chancen zur Herrschaftsübernahme bot, die von Franken-Königen
in der Regel aufgegriffen wurden. König ARNULF
tat dies jedoch nicht, er entließ vielmehr Fulco sine ullo consilio
vel consolatione - also wohl ohne nähere Begründung und ohne
vertröstende beziehungsweise hinhaltende Worte. Über ARNULFS
Motive kann man nur rätseln, doch da Verhandlungen mit Fulco bezeugt
sind und in Frankfurt zugleich eine ostfränkische Reichsversammlung
stattfand, läßt sich mit einiger Sicherheit schließen,
dass die Ablehnung der westfränkischen Einladung von ARNULFS
eigenen Wählern getragen wurde. In dieser Tatsache hat man ein Indiz
dafür gesehen, dass die rechtsrheinisch-ostfränkischhe Stämme
bewußt in einer eigenen politischen Organisationseinheit verbleiben
wollten.
Gerade in dieser kritischen Phase, als Gesandte von Odos
politischem Gegner Fulco mit dem mächtigen ostfränkischen Herrscher
verhandelten, gelangen Odo in seinem
eigenen Reich Erfolge, die bewiesen, dass er der Aufgabe des Schutzes gegenüber
äußeren Feinden gewachsen war. Denn als Odo
in den Argonnen plötzlich auf ein Normannenheer stieß, glückte
ihm am 24. Juni 888 bei Montfaucon (zwischen Aisne und Maas, in der Nähe
von Verdun) ein glanzvoller Sieg. So wurde seine eigene politische Kontaktnahme
mit König ARNULF gewiß erleichtert,
und im August 888 trafen sich beide Herrscher in Worms: Ehrenvoll wurde
der Westfranke empfangen, "bestimmte Dinge wurden von beiden Seiten zur
Zufriedenheit und auf glückliche Weise geregelt" (Ann. Fuld.), ein
Freundschaftsbund geschlossen.
Die Deutung dieser relativ vagen Nachrichten ist strittig.
Hatte Odo dem Ostfranken gehuldigt,
seine Lehnsoberherrschaft anerkannt oder sich gar in ARNULFS
Vasallität begeben? War die eigene Herrschaft durch ARNULFS
Anerkennung erst legitimiert, im Innern konsolidiert und nach außen
gefestigt? Diese und noch weitere Fragen werden sich jedoch kaum eindeutig
beantworten lassen. Immerhin scheint sicher zu sein, dass sich die Wormser
Zusammenkunft in die breit bezeugte Reihe frühmittelalterlicher Herrschertreffen
einfügt, die häufig an der Grenze stattfanden, aber ohne großen
Prestigeverlust für den Gast auch im Innern des Gastgeberreiches arrangiert
werden konnten. Für das Wormser Trffen sind solche Vorverhandlungen
bezeugt. Die zwischen beiden Königen geschlossene amicitia belegt
dann eine vertragliche Einigung, die selbstverständlich Elemente
gegenseitiger Anerkennung und Achtung enthielt, einen Interessenausgleich
umfaßt haben kann und als ein Form zwischenstaatlicher Beziehung
zu werten ist. Von einer Unterwerfung Odos unter
ARNULF
wird man jedoch nicht sprechen dürfen. Eine gewisse Suprematie des
ostfränkischen Königs ist gleichwohl unverkennbar. Odo
verpflichtete sich bei dem Wormser Treffen zusätzlich, jenen westfränkischen
Großen, die gemeinsam mit Erzbischof Fulco von Reims im Frühjahr
ARNULF
"eingeladen" hatten, Verzeihung zu gewähren, was der Durchsetzung
seines Herrschaftsanspruchs nur förderlich sein konnte. Er hatte zudem
den Rücken frei zur Abwehr der permanenten Normannengefahr.
Im Herbst 888 zog der König dann nach Reims, das
sich ihm bisher verweigert hatte. Der Annalist aus St-Vaast bei Arras berichtet
mit der Vorsichtsklausel vom Hörensagen, Gesandte ARNULFS
hätten
ihm eine Krone überbracht, mit der Odo
am 13. November 888 in der Kirche Notre-Dame zu Reims gekrönt wurde.
Eine solche Kronenübergabesendung ist relativ unüblich. Wenn
König
Odo sich mit dieser Krone krönen ließ, vermutlich
durch Erzbischof Fulco von Reims, dann war dies selbstverständlich
kein sein Königtum konstituierender Akt, wohl aber fügte sich
die feierliche Handlung in das Königsprogramm, den bisherigen politischen
Gegnern zu verzeihen und sie in den Reichsverband einzugliedern. Ohnehin
konnten Krönungen wie andere Erhebungsakte grundsätzlich wiederholt
werden.
Nachdem König Odo
im folgenden Jahre auch Ramnulf II. von Poitou zur Anerkennung seiner Herrschaftsansprüche
hatte zwingen können, war sein Königtum im W-Frankenreich recht
gefestigt, sogar unter Einschluß Aquitaniens. Sicherhertshalber hatte
er Ramnulf durch Schwur verpflichtet, sich für König
Ludwigs des Stammlers noch unmündigen Sohn Karl
("den Einfältigen") zu verbürgen. Eine Königskonkurrenz
durch diesen KAROLINGER-Sproß
war offenbar nicht auszuschließen. Und in der Tat wurde seit Herbst
892 Karls Erhebung geplant. Ihr Betreiber
war ausgerechnet Fulco von Reims, der es erreichte, dass am 28. Januar
893 der nunmehr 13-jährige Karl auf
einer Synode zu Reims gewählt, gekrönt und gesalbt wurde.
Karls Königserhebung
zwang Odo zu Gegenaktionen, dies seine
Kräfte zu zersplittern drohten. Denn noch wurde Gallien von Normannen
geplagt. Die königlichen Truppen zogen ihnen zwar beharrlich hinterher,
konnten sie jedoch nur selten zum Kampf stellen. Auch die organisatorische
Absicherung der Königsherrschaft band Energien, so geschickt man auch
karolingische Verwaltungs- und Herrschaftsstrukturen wieder aufgriff und
stärkte. Odo behauptete sich,
während Karls "des Einfältigen"
Machtplattform eher schmäler wurde. Im Hin und Her der Kämpfe,
die zeitweilig durch Waffenstillstände unterbrochen wurden, verdient
ein zweites Zusammentreffen Odos mit
ARNULF
im Mai 895 besonderes Interesse. Offenbar hatte der ostfränkische
König
Karl und
Odo zu sich geladen,
vermutlich um zwischen ihnen zu vermitteln. Doch Karls
Seite sah übergroße Risiken, und nur Odo
kam mit respektablem Gefolge nach Worms, wo eine Reichsversammlung tagte,
die dem Herrschertreffen einen repräsentativen Rahmen bot. Odo
erhielt
einen ehrenvollen Empfang, verhandelte mit ARNULF
und trennte sich von ihm in Frieden. Die wechselseitige, schon 888 begründete
Freundschaft bekräftigten beide Herrscher durch Gabentausch. Odo hatte
außer einem mit Juwelen besetzten Becher ein besonders kostbares
Geschenk mitgebracht:
KARLS DES KAHLEN
prachtvollen Codex Aureus, der sich heute in München befindet.
Da auf der Wormser Reichsversammlung vom Mai 895
ARNULFS Sohn Zwentibold zum
König von Burgund und ganz Lotharingien erhoben und gekrönt wurde,
ergaben sich für das Herrschertreffen wohl auch zwischenstaatliche
Verhandlungspunkte, über die jedoch nichts Näheres bekannt ist.
Für Odos Position gegenüber
Karl
"dem Einfältigen" wirkte sich die Wormser Begegnung ohnehin
positiv aus; es gelang, die Widerstände, die sich auf die Reimser
Kirchenprovinz konzentrierten, niederzuhalten, und schließlich erreichte
Odos Seite im Jahre 897 mit dem KAROLINGER
ein "Arrangement", das diesen Namen jedoch kaum verdient. Es wurde keine
Reichsteilung vorgenommen, auch Karl nicht nur "mit einem kleinen Stück
Land abgefunden" (Brühl), sondern Odo
billigte dem Konkurrenten einen Teil des westfränkischen Reiches zu,
der wohl mit den größeren Teil der Kirchenprovinz Reims identisch
sein dürfte (G. Schneider).
Das territoriale Arrangement bleibt gleichwohl rätselhaft.
Dass Odo söhnelos war, ist bekannt,
doch angesichts seiner für heutige Verhältnisse noch reifen Jugend
von ca. 37 Jahren kein überaus gewichtiges Argument. Vielleicht lag
es an den fortdauernden gefährlichen Einfällen normannischer
Scharen, die ihm seine Söhnelosigkeit im Falle eines plötzlichen
Todes als politisches Risiko bewußt bleiben ließen. In diese
vermuteten Zusammenhänge gehört dann jedenfalls die Nachricht,
Odo
habe kurz vor seinem Tode seine Anhänger dringend gebeten, "dass sie
Karl
("dem Einfältigen") die Treue halten möchten". Vermutlich
meinte der Annalist aus St-Vaast, der zu 897 schrieb, Odo
habe Karl "soviel vom Reich gegeben,
als ihm angenmessen schien, und noch mehr in Aussicht gestellt", gerade
diese Erbanwartschaft für den Todesfall. Dies wäre ein eindrucksvolles
Zeugnis für König Odos Haltung
zur Staatlichkeit des W-Frankenreiches. In seinem Winterlager an der Oise,
in La Fere-sur-Oise, starb König Odo am
1.
Januar 898. Seinen Leichnam überführte man nach St-Denis,
wo er ehrenvoll bestattet wurde. Der Herrschaftsübergang zu Köng
Karl vollzog sich dann reibungslos.
Auffällig ist, dass Odos
Bruder Robert im Zusammenhang der Herrschaftsnachfolge
keine nennenswerte Rolle spielte. Es hätte durchaus in fränkischer
und nicht nur karolingischer Tradition
gelegen, wenn Robert seinem Bruder
als König nachgefolgt wäre. Aber nichts deutet auf solche Überlegungen.
Dies mag überraschen, weil gerade Robert
viel später von den robertinisch
gesonnenen Großen Neustriens zum König gegen Karl
"den Einfältigen" erhoben wurde. Am 29. Juni 922 wurde
er in St-Remi vor Reims gesalbt und auch gekrönt. Als Coronator fungierte
Erzbischof Walter von Sens, der schon seinen Bruder Odo
geweiht
hatte - Walter durfte dies am traditionellen Ort der westfränkischen
Königsweihe tun, weil der in Reims zuständige Amtskollege kurz
zuvor tödlich erkrankt war. Doch auch König
Robert schaffte es nicht, seiner Familie die Königsherrschaft
im W-Reich zu erhalten. Erst Hugo und
seinen Nachkommen aus dem Hause der ROBERTINER-KAPETINGER
sollte dies 987 gelingen.
Die relativ kurze, aber doch sehr ereignisreiche Königsherrschaft
Odos
fällt in eine Zeit stürmischer Entwicklungen, eine Zeit zumal,
in der sich Europas Völker und reiche neu formierten. Aus den Trümmern
des karolingischen Großreiches entstanden neue politische Verbände,
deren Entwicklung sprunghaft verlief und zahlreiche Brüche aufwies.
Je nach der eigenen Perspektive wird man diejenigen Ereigniss und Strukturen
stärker beachten und gewichten, die das Einstige noch erkennen lassen,
oder jene, die aus der historischen Rückschau das neu sich Formierende
dokumentieren. Damit soll behutsam angedeutet werden, wie strittig die
Beurteilung der westfränkischen Könige oder Teilkönige ist,
ob sie zue Reihe französischer Könige mit einigem recht gezählt
werden können oder ob schon der Gedanke daran absurd ist.
Im Fall Odos, der
stets nur den absoluten Königstitel (Odo
rex) ohne ethnische Bereichsbezeichnung führte, scheint
kein Zweifel zu sein, dass er sich als König eines selbständigen
westfränkischen Reiches verstand und die Tradition des Reiches achtete.
Durch den Teilungsvertrag von Verdun (August 843) und den Herrschaftsvertrag
von Coulaines (November 843) war es im Innern und nach außen konstituiert
worden, hatte diesen Verfassungsrahmen auch nie vergessen. In den Augen
des lotharingischen Chronisten waren es nun "Galliens Völker", die
Odo
888 zum König wählten, und der Regensburger Fortsetzer der Fuldaer
Annalen berichtet zum Jahre 895, dass Odo rex
Galliae zum Wormser Treffen mit König
ARNULF gekommen sei. Wenn auch herrscherliche Selbstaussagen
entsprechender Art für
Odo fehlen,
so rechtfertigen die Fremdaussagen aus Lotharingien und dem O-Reich noch
deutlich genug, Odo in die gewiß
noch schwierigen Anfänge der französischen Königsreihe zu
stellen.
888
oo Theodrada von Troyes, Tochter des Grafen Aledram
- nach 890
Kinder:
Rudolf König von Aquitanien
-
Arnulf
885- 898
Literatur:
------------
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