Einziger Sohn des Franken-Königs
Chilperich I. von Neustrien aus seiner 3. Ehe mit der Fredegunde
Lexikon des Mittelalters: Band II Spalte 1870
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Chlothar II., merowingischer König 584-629
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Sohn Chilperichs I., Königs des Reichs von Soissons, und der Fredegunde
1. oo Haldetrude
2. oo Berthetrude
3. oo Sichilde
Söhne:
Von 1
Merowech
Von 2
Dagobert I.
Von 3
Charibert II.
Die ersten Jahre des bei der Ermordung seines Vaters (584) erst drei Monate alten Chlothar II. waren geprägt vom Kampf um die Existenz seines Reiches vor allem gegenüber seinem Vetter Childebert II. von Austrasien und dessen Mutter Brunichild, zeitweise aber auch gegenüber seinem Onkel Guntram von Frankoburgund. Von vielen Großen Chilperichs verlassen, waren Chlothar II. und seine Mutter Fredegunde auf die Unterstützung des söhnelosen, um den Bestand des merowingischen Hauses besorgten Guntram angewiesen. Dessen Schutzfunktion zog Herrschaftsansprüche nach sich, die von Chlothars Seite scharf bekämpft wurden. Nach extremen Schwankungen in den gegenseitigen Beziehungen konnte Fredegunde 591 bei der Übernahme der Patenschaft für Chlothar II. durch Guntram die Stellung ihres Sohnes als Frankenkönig für einigermaßen gesichert betrachten, wenngleich Childebert II. dem gemeinsamen Onkel (592/93?) unter Ausschluß Chlothars nachfolgte. Der frühe Tod Childeberts (596) ermöglichte Chlothar II. zunächst die Besetzung von Paris und der umliegenden civitates. Gemeinsames Vorgehen von dessen Söhnen Theudebert II. und Theuderich II. führte 600 jedoch zu einer Niederlage Chlothars II., derzufolge sein Reich auf 12 pagi zwischen Seine, Oise und Meer (Beauvois, Amiens, Rouen) beschränkt wurde. Die zunehmende Feindschaft zwischen den Söhnen Childeberts begünstigte Chlothar II., der durch Neutralität bei einem Krieg Theuderichs gegen Theudebert (+ 612) den Ducatus Dentelini zurückgewann (612). Bevor Theuderich sich diesen seinerseits zurückerobern konnte, starb er (613). Einflußreiche Große unterstützten Chlothars Nachfolge in Austrien und Frankoburgund gegen Brunichilds Urenkel Sigibert II. Chlothar II. war aus fast aussichtsloser Position im Nordwesten des Frankenreiches (Neustrien) zum Alleinherrscher geworden (613). Chlothar führte die expansive Westgoten- und Langobardenpolitik seiner Vorgänger in Frankoburgund und Austrien (617 Ablösung des langobardentributs durch eine einmalige Zahlung) nicht fort, sondern befaßte sich mit der inneren Ordnung seines Reiches. Einer - bei der Größe des Reiches gebotenen - gewissen Selbständigkeit der Teilreiche trug Chlothar II. Rechnung, indem er für Frankoburgund und Austrien eigene Hausmeier einsetzte. Das Pariser Edikt von 614 diente mit den Indigenatsprinzip für Amtsträger des Königs (§ 12), der Bischöfe und der Großen (§ 19) wohl nicht in erster Linie den partikularen Bestrebungen der Großen, sondern vor allem einer größeren Rechtssicherheit, da nur so die Amtsträger bei Übergriffen haftbar gemacht werden konnten. Teilweise 623 und vollständig (Ausnahme: Exklaven in Aquitanien und der Provence) 625/26 übertrug Chlothar II. seinem Sohn Dagobert I. Austrien als Unterkönigtum und stellte ihm Pippin den Älteren als Hausmeier und Bischof Arnulf von Metz (bis ca. 626) bzw. Bischof Kunibert von Köln als geistlichen Berater zur Seite. Obwohl die Errichtung des Unterkönigtums gesamtfränkischen Interessen diente (Grenzschutz im Osten, intensivere Herrschaft nach innen), vergrößerte sie den Spielraum für Sonderentwicklungen. Der Wunsch der burgundischen Großen, nach den Tod Warnachars II. (626/627) keinem neuen Hausmeier, sondern Chlothar II. direkt unterstellt zu werden, verstärkte dagegen die Bindung zwischen Frankoburgund und Neustrien. Chlothar II. starb 629 in Paris, wo er wie in den Pfalzen der Umgebung (besonders Clichy) residiert und Reichsversammlungen abgehalten hatte. Mit Chlothars II. Unterstützung gewann die irische Mission mit ihren zahlreichen Klostergründungen bedeutenden Einfluß auf das kirchliche und kulturelle Leben im Frankenreich. Chlothars Handlungen bestätigen Fredegars (IV, 42; MGH SRM II, 142) Bild eines gebildeten, geduldigen und im Sinne der Zeit - als Förderer der Kirchen - gottesfürchtigen Königs, der gleichwohl - seit seiner Geburt im Haß gegen Brunichild und ihre Familie erzogen - zu großer Grausamkeit fähig war.
Literatur:
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E. Ewig, Die frk. Teilungen und Teilreiche (511-613),
AAMz, 1952, Nr. 9 - Ders., Die frk. Teilreiche im 7. Jh. (613-714), TZ
22, 1953, 85-144 - R. Schneider, Königswahl und Königserhebung
im FrühMA, 1972 - E. Ewig, Stud. zur merow. Dynastie (FrühMASt
VIII, 1974), 15-59 - HEG I, 339-433 [E. Ewig] -
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Nach der Ermordung seines Vaters wurde er im Alter von
vier Monaten König von Neustrien und wuchs unter den Kämpfen
seiner Mutter mit Brunhilde auf. Die
Regentschaft führte bis zu seinem Tode 592 König
Guntram und seine Mutter. Er wurde ständig von Austrasien
und Burgund (von den Cousins und Neffen) bekriegt und verlor an sie wichtige
Gebiete, zeitweise sogar Paris. Er verbündete sich mit den Westgoten
und 611 mit dem Neffen Theuderich II. von Burgund
gegen dessen Bruder Theudebert II. Er
förderte 613 die Rebellion gegen Königin
Brunhilde und ließ deren Familie ausrotten. Er wurde damit
Gesamtkönig mit Hilfe des Reichsadels und der Kirche. Auf der Synode
und Reichsversammlung von Paris 614 mußte Chlothar
II. in Gestalt des Edictum Chlotharii der Aristokratie für
ihre Unterstützung Zugeständnisse machen. Die wichtigsten dieser
Konzessionen betraf die Grafschaftsverfassung. Der König mußte
sein Recht auf die Ernennung der Grafen einschränken und zugestehen,
dass der Graf nur unter den Grundbesitzern der betreffenden Gegend ausgewählt
werden darf. Er verzichtete auf alle Langobardentribute. 623 zwang ihn
der Adel Austrasiens unter Bischof Arnulf von Metz und Pippin dem Älteren
zur Reichsteilung, womit neue Bürgerkriege begannen. Um 624 bildete
sich das Slawenreich Böhmen/Obermaingebiet unter dem fränkischen
Adligen und Kaufmann Samo (+ wohl 658),
womit die Auseinandersetzungen mit den Slawen für Jahrhunderte begannen.
Er stand besonders gegen Burgund, dessen Adel königliche Hausmeier
nicht mehr gestattete, ein Amt, das sich in Neustrien und Austrasien voll
herausbildete.
Ewig Eugen:
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"Die Merowinger"
Die neustrischen Franken hatten die mit dem Herrscherwechsel
in Austroburgund 596 verbundene erste Verwirrung genutzt, um die einst
Chilperich
unterstehenden civitates nördlich der Loire, darunter Paris,
zu besetzen. Das Blatt wendete sich jedoch nach dem Tod der Königin-Mutter
Fredegund im Jahre 597. Die Enkel Brunichilds
errangen im Jahr 600 einen entscheidenden Sieg über den nur wenig
älteren
Chlothar II. bei Dormelles
(südlich von Monterau). Das Reich Chlothars
wurde
nach dieser neustrischen Niederlage reduziert auf einige Gaue um Rouen,
Beauvais und Amiens.
Nach der Eroberung Austrasiens durch Theuderich
II. verlangte er den Preis für seine Neutralität,
wurde aber abgewiesen. Nach dem Tode Theuderichs
II. gingen die Austrasier zu Chlothar
II. über, obwohl Brunichild
ihren Urenkel Sigibert II.
zum König
ausrufen ließ. Chlothar
ließ
die alte Königin Brunichild, die
ihm übergeben worden war und der er die Schuld an allen seit 575 begangenen
Bluttaten aufbürdete, in grausamer Weise vierteilen. Er verschont
von der Familie Theuderichs nur sein
Patenkind Merowech.
Wie 585 übernahm 613 ein
MEROWINGER aus der Linie Soissons die Herrschaft im Gesamtreich.
Anders als sein Großvater Chlothar I.
hatte Chlothar jedoch zu diesem
Zeitpunkt schon einen Sohn, den noch im Kindesalter stehenden Dagobert.
So hing der Fortbestand der Dynastie, um den sich schon König
Gunthram als Senior des Hauses gesorgt hatte, von der Stabilisierung
der Herrschaft Chlothars II. ab, die
auch nach dem Sieg über die frankoburgundische Linie noch nicht
voll gesichert war.
Bei der Neuordnung hatte Chlothar
II. dem Selbstbewußtsein der austrasischen und frankoburgundischen
Adelsfaktionen Rechnung zu tragen, mit deren Hilfe er die "Monarchie" errungen
hatte. An eine Beseitigung der Teilreiche, in denen sich während der
vorausgehenden 50 Jahre ein Sonderbewußtsein der Großen entwickelt
hatte, war nicht zu denken. In Frankoburgund bestätigte Chlothar
den Hausmeier Warnachar in seinem Amt, das er ihm sogar auf Lebenszeit
garantierte. In Auster hatten Arnulf, domesticus
Theudeberts II., und Pippin der Ältere, die beiden Stammväter
der
KAROLINGER, den König von
Rouen 613 gegen Brunichild und
Sigebert
II. ins Land gerufen. Arnulf wurde 614 zum Bischof von Metz
gewählt.
Chlothar
erhob jedoch
nicht Pippin, sondern Rado zum austrasischen Hausmeier, dem noch vor 617
Chucus (Hufo) folgte. Warum der König Pippin überging, ist unklar.
Vielleicht führte die Abgrenzung Austers gegenüber dem Teilreich
von Soissons, das Chlothar wiederherstellte,
zu einer Verstimmung. Für das erneuerte väterliche Teilreich
bürgerte sich der Name Neustrien (Neu-Westreich) ein. Seinen Sitz
nahm Chlothar in Paris. Die schon von
seinem Vater Chilperich okkupierte
sedes Chlodwigs, die seit Chilperichs
Tod zu Frankoburgund gehört hatte, wurde damit zur Hauptstadt des
Gesamtreichs.
Nach Paris berief Chlothar
614 ein Reichskonzil und eine Reichsversammlung. Von der Synode, auf der
75 Bistümer aus allen Teilen des Reiches vertreten waren, kann man
auf
Größe und Bedeutung der Optimatenversammlung zurückschließen.
Die Bischöfe tagten unter der Leitung des Metropoliten von Lyon. Das
abschließend publizierte königliche Edikt vom 18. Oktober 614,
zeigt, dass Chlothar notwendig gewordene
Konzessionen an die Großen mit der Wahrung der wesentlichen Königsrechte
zu verbinden wußte.
Alles in allem erscheint das Pariser Edikt als eine Art
Grundgesetz zur Wiederherstellung von Friede und Ordnung. Der König
strebte ein Zusammenwirken mit den Großen aller Teilreiche auf einer
klar umschriebenen Rechtsbasis an, die für die Regierung genügend
Spielraum ließ.
Kritisch blieb zunächst gleichwohl noch die Lage
in Frankoburgund. Hier scheinen Brunichild
und ihre Nachkommen namentlich in gallorömischen Kreisen noch Anhänger
besessen zu haben. Zu ihnen gehörte der Metrolit Lupus von Sens, den
Chlothar
nach
Amiens verbannte, und die Äbtissin Rusticula von Arles, die angeklagt
wurde, einen geflüchteten Sohn Theuderichs
II. - wohl den seit 613 verschwundenen Childebert
- versteckt zu haben. Gefährlicher war eine nationalburgundische Verschwörung,
die ausbrach, als Chlothar im Juradukat
den dux Eudila, der wohl burgundischer Herkunft war, durch den gleichfalls
aus dem Gunthram-Reich stammenden Franken
Herpo ersetzte. Die Absetzung erschien ungerechtfertigt, da Eudila wie
Herpo frühzeitig mit dem Hausmeier Warnachar zu Chlothar
übergegangen war, weckte aber augenscheinlich auch fränkisch-burgundische
Rivalitäten. Herpo wurde von den Insassen des Juradukats umgebracht.
Hinter den Aufständischen standen der patricius Aletheus, der Bischof
Leudemund von Sitten und ein comes Herpinus aus dem Juradukat. Aletheus,
der wie Leudemund von Sitten einen ostgermanisch-burgundischen Namen führte
und sich seiner Abstammung aus dem altburgundischen Königshaus rühmte,
war wie Eudila 613 mit Warnachar zu Chlothar II.
übergegangen. Nun plante er nichts Geringeres als die Wiederherstellung
des burgundischen Königreiches. In seinem Auftrag begab sich der Bischof
von Sitten zum Königshof, der damals in Marlenheim bei Straßburg
weilte, um Chlothars Gemahlin Berthetrud
zu überreden, sich mit dem Königsschatz nach Sitten zu begeben:
Aletheus werde sie nach dem bald zu erwartenden Tod Chlothars
als Gemahlin heimführen. Der patricius wollte durch diese Heirat seinen
Anspruch auf den Thron offenbar zusätzlich absichern. Die Königin
entdeckte jedoch die Verschwörung. Aletheus wurde auf einer Reichsversammlung
zu Malay-le-Roi bei Sens abgeurteilt und hingerichtet. Leudemund von Sitten
floh nach Luxueil und wurde schließlich auf die Fürsprache des
Abtes Eustachius hin begnadigt. Auf einer Versammlung der franko-burgundischen
Großen zu Bonneuil bei Paris, an der außer dem Hausmeier Warnachar
auch die Bischöfe des Teilreichs teilnahmen, wurden 616 noch anstehende
Fragen bereinigt.
Nach dem Tod des Hausmeiers Warnachar gab der Sohn Godinus
demonstrativ seinen Anspruch auf die Nachfolge im Amt des Vaters zu erkennen,
indem er dem kirchlichen Verbot zum Trotz nach altem Brauch seine Stiefmutter
Bertha heiratete. Vor dem Zorn des Königs floh Godinus nach Toul.
Dagobert
vermittelte,
Chlothar
ging scheinbar
darauf ein, war aber insgeheim entschlossen, die Macht der Sippe Warnachars
zu brechen. Einen Hochverratsprozeß anzustrengen wagte der König
offenbar nicht aus Sorge vor inneren Wirren. So wurde Godinus unter dem
Vorwand der Vereidigung nach Neustrien gelockt und auf Chlothars
Befehl in der Nähe von Chartres erschlagen: weit genug von den Zentren
seiner Herrschaft, wo die "Hinrichtung" blutige Fehden hätte auslösen
können. Tatsächlich blieb an Saone und Rhoen alles ruhig.
Man hatte wohl nicht nur in Luxeuil den Tod des übermächtigen
Warnachar als göttliche Fügung empfunden. Als Chlothar
die
Frankoburgunder nach Troyes berief und wegen der Nachfolge Warnachars befragte,
erhielt er die Antwort, man wünsche für die Zukunft den direkten
Zugang zum König ohne die Zwischeninstanz eines Hausmeiers. Chlothar
fügte sich dem gewiß nicht ungern und gewann in den Frankoburgundern
eine loyale Gefolgschaft.
Komplikationen, wie sie in Frankoburgund auftraten, scheint
es in Auster nicht gegeben zu haben. Hier war Chlothar
II. nicht als Feind, sondern als Verbündeter führender
Männer aus dem Hofkreis Theudeberts II.
ins Land gekommen. Ihnen vertraute der Herrscher seinen Sohn
Dagobert
an, als er ihn 623 als Unterkönig über die Austrasier
einsetzte. Mit
Dagobert traten die
Ahnherren der KAROLINGER wieder in
den Vordergrund der Bühne: der Maasläder Pippin als Hausmeier,
Arnulf als geistlicher Berater des jungen Königs. Der Herrschaftsbereich
Dagoberts
umfaßte ein verkleinertes Auster, da Chlothar
die Champagne (Reims, Laon, Chalons), Teile der Diözese Toul und vielleicht
auch Verdun einbehielt. Als Dagobert
zwei Jahre später in der Pfalz Clichy bei Paris Gomatrud,
die Schwester seiner Stiefmutter Sichielda
heiratete, forderte er vom Vater das Teilreich in seinem alten Umfang.
Eine Schiedskommission, in der Arnulf von Metz als Vertrauter beider Könige
eine führende Rolle spielte, stellte Auster nördlich der Loire
in den Grenzen von 561 wieder her. Die bei der Teilung des Charibert-Reiches
567 hinzu gewonnenen Gebiete blieben ebenso wie die Exklaven südlich
der Loire im väterlichen Herrschaftsbereich. Den Ausgleich zwischen
Vater und Sohn manifestierte das Reichskonzil, das im September 626 (oder
627) in der Königspfalz Clichy tagte und - obgleich weniger glanzvoll
als das Pariser Konzil von 614 - das Gesamtreich repräsentierte.
So entstand das austrasische Teilreichkönigtum neu
als Primogenitur, während Neustrien und Frankoburgund unter dem Gesamtherrscher
vereint blieben, ohne freilich miteinander zu verschmelzen. Die damit angebahnte
Zweiteilung des MEROWINGER-Reiches
blieb zunächst Episode, da Dagobert
sich beim Tod seines Vaters im Spätjahr 629 als Gesamtherrscher
durchsetzte - erst beim Tod Dagoberts
sollte sie Realität werden.
Schneider Reinhard: Seite 113,115,132,136-141
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"Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter"
Im Herbst 584 wurde Chilperich
selbst auf seinem Hofe Chelles von Mörderhand tödlich getroffen.
Den Leichnam des Königs, den Gregor von Tours einen Nero
und Herodes seiner Zeit nannte, bestattete
man in Paris. Dorthin hatte sich die Königin-Witwe
Fredegunde mit einem Großteil
von Chilperichs Schatz geflüchtet
ud in der Hauptkirche beim Pariser Bischof Ragnemod Zuflucht gefunden.
Chilperichs verlassenes Reich empörte
sich teils (Orleans, Blois), teils liefen einige Große zu Childebert
über, während andere zu Fredegunde
zu halten schienen. Überraschenderweise hört man, daß die
Königin einen kaum erst geborenen Sohn Chilperichs
bei sich hatte. Die Überraschung löst sich allerdings etwas,
wenn man beachtet, daß Gregor bereits früher von der Geburt
eines Sohnes berichtete, bei dem es sich nur um Chlothar
II. handeln kann. Chilperich
ließ ihn auf dem Hof Vitry aufziehen, "damit", wie er sagte,
"dem Kind kein Unheil zustoße, wenn man es öffentlich sieht,
und es dadurch stirbt". Das Verbergen vor der "Öffentlichkeit" mochte
die Versuche, nach des Vaters Tod Erbansprüche geltend zu machen,
vielleicht anfangs erschwert haben. Fredegunde
aber wollte dem Säugling das väterliche Erbe auf jeden Fall retten
und mußte sich dafür Guntrams
Schutz sichern. An ihn gingen Gesandte mit einer Einladung: "Möge
mein Herr doch kommen und das Reich seines Bruders in Besitz nehmen. Ich
habe nur einen kleinen Sohn, den ich ihm in die Arme zu legen wünsche;
auch mich selbst beuge ich willig unter seine Herrschaft"!
Fredegundes
Angebot entsprach nicht nur einem durchaus üblichen Verfahren und
den Realitäten, sondern war offenbar durch Absprache mit Chilperichs
Getreuen gesichert, was aus der Formulierung accepto consilio
vor dem Absenden der Boten an König Guntram
hervorzugehen scheint. Guntram wird
angesprochen als Fredegundes gewählter
dominus, der des verstorbene Mannes Reich als dessen Bruder übernehmen,
dem kaum erst geborenen Sohn einen Schutz gewähren solle. Fredegundes
Angebot an Guntram:
me ipsam eius
humilio dicioni läßt die Einladung zur Herrschaftsübernahme
nicht unbedingt mit einem Eheangebot der Königinwitwe gekoppelt erscheinen,
schließt letzteres aber keineswegs aus.
Während so die neustrischen Pläne sich zu realisieren
begannen, weil Childebert abgewiesen
und Guntram hinhaltend in die Rolle
eines Beschützers gebracht worden war, sammelten sich die Großen
Neustriens um Chilperichs vier Monate
alten Sohn, dem sie vielleicht erst jetzt den Namen Chlothar
gaben.
Ihm sicherten sie den Anspruch auf das väterliche Erbe - eine Maßnahme,
die angesichts einer bevorstehenden langen Regentschaft dieser Adelspartei
natürlich vorrangig den eigenen Interessen diente. Über eine
förmliche Erhebung des Säuglings fehlen Nachrichten, mindestens
aber wird die überlieferte Namengebung für das Kind einer Anerkennung
seiner Thronfolge entsprochen haben und in den Zusammenhang einer förmlichen
Erhebung gehören [Auf den Namen
Chlothar
wird
das Kind Chilperichs I.erst im Jahre
591 durch seinen Oheim Guntram getauft
(Gregor X, 28 Seitze 522); aus Gregor VIII, 1 Seite 370 ergibt sich aber,
daß der Junge bereits lange vorher Chlothar
genannt
wurde.], die durch die Einforderung eines Treueides für den nominellen
Vormund Guntram und für Chlothar
selbst auf die breite Grundlage aller Untertanen in Chilperichs
Reich gestützt wurde. Fredegunde
und der neustrischen Adelspartei war ein glänzender Schachzug gelungen:
Chlothars
II. Sohnesfolge auf Chilperich
und die an politischen Möglichkeiten kaum auszuschöpfende faktische
Regentschaft der Großen des auf Selbständigkeit bedachten Neustrien
waren weitgehend gesichert. Durch den Doppeleid der Großen kam zum
Ausdruck, daß Chilperichs Reich
nicht dessen Bruder allein, sondern eben auch dem eigenen Sohn als Herren
unterstand. So fügten sich Neustrien und Chlothar
nominell
dem Schutzanspruch des Königs von Burgund, der gegenüber dem
Neffen schon als Adoptivvater figurierte, ehe er ihn überhaupt gesehen
hatte. Chlothars förmliche "Anerkennung"
durch den schon ungeduldigen Guntram
erfolgte in merkwürdiger Weise. Dreimal vergebens nach Paris zur Taufe
Chlothars
gerufen, bestand Guntram schließlich
darauf, daß ihm das Kind gezeigt werde. In dieser kritischen Phase
ließen Fredegunde und die mit
ihr im Bunde stehenden Großen Neustriens Guntrams Skepsis
durch den Eid von drei Bischöfen und 300 Adligen ausräumen: "Chlothar
II. sei von Chilperich gezeugt
worden". Gleichwohl scheint der Oheim den Neffen weder gesehen zu haben,
noch hob er ihn aus der Taufe - die über dem MEROWINGER-Haus
lastenden Schatten bewogen zu äußerster Vorsicht.
Zu häufig hatte sich schon vorher die stärkere
Geltung des Eintrittrechts der Söhne gegenüber dem Erbanspruch
anderer Angehöriger der Dynastie erwiesen, wenn auch Chlothar
II.
und seine Mutter Fredegunde
mit Waffengewalt noch im gleichen Jahr 596 - letztlich vergeblich - versuchten,
Childeberts
Söhnen das Erbe streitig zu machen.
Kurze Zeit nach seines Bruders Tod starb Theuderich
II. 613 (nach dem 23. August) bei einem Feldzug gegen Chlothar
II. in Metz. Sein Heer löste sich auf und zog nach Hause,
während Brunhilde mit vier Söhnen
Theuderichs, ihren Urenkeln, in Metz
blieb. Der sogenannte Fredegar gebraucht bei dieser Nachricht das Partizip
(Mettis) resedens, was andeutet, daß
Brunhilde
versuchte, Theuderichs Hof und
Erbe zu verwalten.
Sigibert II. wurde
tatsächlich König (613, nach dem 23. August). Als solcher trat
er auch wenig später an der Spitze seines Heeres dem ihn bedrängenden
Chlothar
II. entgegen. Auf Betreiben der austrasischen Großen kam
Chlothar
II. nach Austrasien und bezog sich in seinen Gesandtschaften
an Brunhilde ganz eindeutig auf das
Interesse der Großen. Einem iudicium Francorum electorum wollte
er die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Herrschaft überlassen
und sich ihrer Entscheidung unterwerfen. Das heißt aber, daß
der neustrische König eigene Erbansprüche nur subsidiär
geltend machte und seinen Herrschaftsanspruch über
Theuderichs
Reich vom Willen der Großen dieses regnum abhängig zu
machen gewillt war. Vergebens waren Brunhildes
Hinweise auf den Erbanspruch ihrer Urenkel, denen Theuderich
II. sein regnum hinterlassen hatte, erfolglos auch ihr Angebot,
sich selbst zurückzuziehen und den Urenkeln das väterliche Erbe
zu überlassen - was gewiß eine Regentschaft durch Austrasiens
und Burgunds Adel bedeutet hätte. Denn um beide alten regina
ging es nach TheuderichsTod, und beide
übernahm Chlothar II., nachdem
er Brunhilde und ihre Urenkel mit Ausnahme seines Patenkindes Merowech
und des entkommenen Childebert hatte
umbringen lassen. Auch für seine Mutter Fredegunde
hatte Chlothar II. grausamste Rache
geübt. Die drei Reiche Austrasien, Neustrien und Burgund waren wieder
in einer Hand vereinigt, sie wurden aber nicht aufgelöst, sondern
im Gegenteil läßt sich in gewissem Umfang eine Restaurierung
der alten Teilreichsgrenzen von 561 und 593/96 beobachten, untrübliches
Indiz dafür, daß Chlothars II.
Herrschaft über das Gesamtreich der Franken typische Züge einer
Art Personalunion trug. Warum Austrasier und Burgunder Chlothars
Herrschaft
erstrebten, läßt sich nicht ganz deutlich erkennen. Fredegars
Begründung für den Adel Burgunds, die Bischöfe und übrigen
leudes
hätten Brunhilde gefürchtet
und gehaßt, dürfte etwas einseitig sein. Bedeutsamer ist die
Tatsache, daß die Großen angesichts einer notwendigebn Regelung
der Herrschaftsnachfolge miteinander berieten und verhandelten, ehe sie
sich für Chlothar II. gegen Theuderichs
stirps regia entschieden. Unter einem Herrscher für drei Reiche,
die bezeichnenderweise ein jedes seinen eigenen Hausmeier behielten, lag
gewiß auch für die burgundischen Großen ein höheres
Maß an eigener Selbständigkeit als unter einem "Teilkönig"
des angestammten Herrscherhauses.
Schon 623 sah sich der fränkische "Gesamtherrscher"
Chlothar
II. genötigt, austrasischen Interessen durch die Einsetzung
seines Sohnes Dagobert zum König
Rechnung zu tragen. Nach dem Bericht Ps.-Fredegars machte
Chlothar
seinen Sohn zum consors regni und setzte ihn zum König über
die Austrasier ein. Seine Königsherrschaft bezog sich allerdings nur
auf den östlichen Teil Austrasiens. Offensichtlich war Dagobert
bereits erwachsen. Eine gewisse Abhängigkeit des Sohnes vom
Vater leuchtet immerhin ca. 3-4 Jahre später auf, als Dagobert
ex iusso patris nach Paris kommt und dort Gomatrude,
die Schwester von Chlothars Frau Sichilde
heiratet. Möglicherweise sah Dagobert
in einer Eheschließung mit der Schwester seiner Stiefmutter eine
Erhöhung seiner Stellung, während Chlothar
vielleicht politische Einflußmöglichkeiten für sich erblickte.
Jedenfalls kam es noch am dritten Tege der Hochzeitsfeierlichkeiten zu
einem tiefen Zerwürfnis zwischen beiden Königen, weil Dagobert
forderte, cuncta que ad regnum Austrasiorum pertinebant suae dicione vellere
recipere, und Chlothar diese Forderung
"vehement" ablehnte. Er mußte dann jedoch nachgeben und einer Schiedskommission
von 12 Franken, die von beiden Königen bestellt wurde, die Entscheidung
überlassen. Dieser gelang es in intensiven Verhandlungen pro pacis
concordia eine förmliche Versöhnung zwischen Chlothar
II. und Dagobert herzustellen.
Auf der Grundlage dieser pacificatio erhielt der Sohn mit Ausnahme
der provencalischen und der südlich der Loire gelegenen Reichsteile
das ganze regnum Austrasiorum und brachte es unter seine Herrschaftsgewalt.
Spätestens seit dieser Pariser Heirat
Dagoberts
kann von keiner Oberherrschaft des Vaters und einem Unterkönigtum
des Sohnes mehr geredet werden.
1. oo Berthetrudis
-
2. oo Sichilda
-
Kinder:
Charibert II. König von Aquitanien
um 614- vor 8.4.632 ermordet
Dagobert I.
um 608-19.1.639
Merowech
- 604 verschollen
Literatur:
-----------
Bauer Dieter R./Histand Rudolf/Kasten
Brigitte/Lorenz Sönke: Mönchtum - Kirche - Herrschaft
750-1000 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen 1998, Seite 265 - Borgolte
Michael: Geschichte der Grafschaften Alemanniens in fränkischer Zeit.
Vorträge und Forschungen Sonderband 31 Jan Thorbecke Verlag Sigmaringen
1984, Seite 21-23,245 - Dahn Felix: Die Franken. Emil Vollmer Verlag
1899 - Dahn, Felix: Die Völkerwanderung. Kaiser Verlag Klagenfurth
1997, Seite 403,420,424,429,433 - Deutsche Geschichte Band 1 Von
den Anfängen bis zur Ausbildung des Feudalismus. VEB Deutscher Verlag
der Wissenschaften Berlin 1982, Seite 242,243,260 - Ennen, Edith:
Frauen im Mittelalter. Verlag C.H. Beck München 1994, Seite 52,233
– Epperlein Siegfried: Karl der Große. VEB Deutscher Verlag
der Wissenschaften Berlin 1974, Seite 85 - Ewig, Eugen: Die Merowinger
und das Frankenreich. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin Köln 1993,
Seite 47,51,85,90,93,96, 99,104,106,112,117-126,129,132,136,139-141,161,177,180,183,199
- Geuenich, Dieter: Geschichte der Alemannen. Verlag W. Kohlhammer
Stuttgart Berlin Köln 1997, Seite 95,97,108 - Herm, Gerhard:
Karl der Große. ECON Verlag GmbH, Düsseldorf, Wien, New York
1987, Seite 30,32,42 - Hlawitschka, Eduard: Adoptionen im mittelalterlichen
Königshaus, in: Schulz Knut: Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte
des Mittelalters, Festschrift für Herbert Helbig zum 65. Geburtstag,
Köln Seite 1-32 - Jarnut, Jörg, Agilolfingerstudien.Anton
Hirsemann Verlag Stuttgart 1986, Seite 11,18,23, 33,54,66-73,75,81,102,123,126
- Kalckhoff Andreas: Karl der Große. Profile eines Herrschers.
R. Piper GmbH & Co. KG, München 1987, Seite 33 - Menghin,
Wilhelm: Die Langobarden. Konrad Theiss Verlag Stuttgart, Seite 136 - Mitteis
Heinrich: Der Staat des hohen Mittelalters. Hermann Böhlaus Nachfolger
Weimar 1974, Seite 46,52,363 - Nack Emil: Germanien. Ländern
und Völker der Germanen. Gondrom Verlag GmbH & Co. KG, Bindlach
1977, Seite 247 - Riche Pierre: Die Karolinger. Eine Familie formt
Europa. Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München 1991,
Seite 20,30 - Schieffer, Rudolf: Die Karolinger. Verlag W. Kohlhammer
Stuttgart Berlin Köln 1992, Seite 12-17 - Schneider, Reinhard:
Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter. Anton
Hirsemann Verlag Stuttgart 1972, Seite 113,115,121,125,130,132,136-141
- Werner Karl Ferdinand: Die Ursprünge Frankreichs bis zum
Jahr 1000. Deutscher Taschenbuch Verlag München 1995, Seite 344,346,352,357,377,457
-