Ältester, aber illegitimer Sohn des Franken-Königs
Chlodwig I.
Lexikon des Mittelalters: Band VIII Spalte 687
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Theuderich I., merowingischer König
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* vor 484, + Ende 533
oo Suavegotta, Tochter des burgundischen Königs Sigismund
Der älteste Sohn Chlodwigs I. aus einer vorehelichen Verbindung teilte nach dem Tod des Vaters 511 das Reich mit seinen drei Halbbrüdern und erhielt ein gutes Drittel der Francia (den Nordosten mit allen rechtsrheinischen Gebieten) sowie aus dem aquitanischen Block die Auvergne und das Limousin – den weitaus größten Anteil; Residenz wurde Reims. Bereits 508 hatte er in Chlodwigs Auftrag einen Feldzug in die Auvergne unternommen. Jetzt wurde er als einziger bereits im Mannesalter stehender Sohn "zum Garanten für den Bestand des Reiches in den Grenzen von 511" (Ewig). Seine Expansionsinteressen richteten sich auf Germanien, wo er 531 mit Chlothar I. und sächsischer Unterstützung gegen die Thüringer zog (bedeutender Sieg an der Unstrut); der thüringische König Herminafrid, 533 zum Besuch eingeladen, wurde in Zülpich durch Sturz von der Stadtmauer getötet. Theuderich I. gewann die thüringischen Gebiete an Saale, Elbe und Main; die Eroberungen nördlich der Unstrut überließ er den Sachsen gegen Tribut. Trotz massiven Drängens seiner Krieger beteiligte er sich 532 nicht am burgundischen Feldzug seiner Brüder; sein Sohn Theudebert I. aber eroberte in seinem Auftrag große Gebiete im südlichen Aquitanien. Nach Theuderichs Tod vermochte Theudebert das Erbe gegen den versuchten Zugriff seiner Onkel zu behaupten.
Quellen:
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Gregor von Tours, Hist. Fr. II, 37f.; III 1-23 (MGH SRM
I2) -
Literatur:
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E. Ewig, Die frk. Teilungen und Teilreiche (511-613),
AAMz 1952, Nr. 9, 651-674 (= Ders., Spätantikes und frk. Gallien,
I, 1976, 114-134) - Ders., Die Merowinger und das Frankenreich, 1993²,
31-36 -
Ewig Eugen:
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„Die Merowinger“
Im Frühjahr 508 beauftragte Chlodwig
seinen ältesten Sohn Theuderich,
über Albi und Rodez in die Auvergne zu marschieren und das Land zu
unterwerfen. Nach der Reichsteilung von 511, bei der alle Söhne gleichberechtigte
Erben des Vaters waren, residierte Theuderich
in
Reims, Chlodomer
in Orleans, Childebert in Paris und
Chlothar in Soissons. Die vier Residenzen
waren einander benachbart; sie lagen alle im einstigen Reich des Syagrius,
das seit 486/87 die Mitte der nördlichen Francia bildete. Jeder Bruder
erhielt also einen Anteil aus dieser Mitte. Die Wahl der Residenzen zeigt
außerdem, dass die Brüder die Herrschaft zwar teilten, aber
das Chlodwig-Reich weiter eine ideelle
Einheit im Besitz des Königshauses bildete.
Fest steht ferner, dass jeder Sohn Chlodwigs
einen Anteil sowohl an der Francia zwischen Rhein und Loire wie auch an
den eroberten Gebieten südlich der Loire erhielt. Diese auf den ersten
Blick absurde Regelung wird verständlich, wenn man bedenkt, dass jedem
Bruder als rex Francorum ein Anteil an der Francia zustand, woraus sich
- bei gleicher Berechtigung jedes Erben - automatisch eine Aufteilung der
gesamten Erbmasse in die Blöcke Francia und Aquitania ergab. Hinzu
kam vielleicht, dass die Gebiete südlich der Loire sich de facto in
der Hand der MEROWINGER befanden, aber
vor dem endgültigen Friedensschluß mit
Theoderich nicht als voll gesicherter Besitz gelten konnten.
Am besten bekannt ist der Reichsteil Theoderichs.
Er umfaßte einen Anteil am Chlodwig-Reich
von 486/87 (Reims, Chalons, Troyes, Sens; Auxerre), die gesamte Francia
rhinensis mit ihren rechtsrheinischen Annexionen, die 506 erworbene Herrschaft
über große Teile der Alamannen sowie die 508 von Theuderich
eroberten aquitanischen Gebiete (die Auvergne mit dem Velay, das Limousin
sowie die noch ungesicherten civitas Albi, Rodez und Javols).
Vom Umfang her gesehen erhielt
Theuderich den Löwenanteil: ein gutes Drittel der Francia
zwischen Rhein und Loire, mit Einschluß noch oder wieder umkämpfter
Gebiete auch ein gutes Drittel Aquitaniens; dazu beträchtliche, aber
scher abzugrenzende fränkische und alamannische Gebiete rechts des
Rheins, die zwar wirtschaftlich und kulturell kaum ins Gewicht fielen,
aber ein militärisches Kraftreservoir bildeten. Hier kann man von
einer Teilung aequa lance nicht mehr sprechen: die Abgrenzung von Theuderichs
Reichsteil beruhte allem Anschein nach auf einem politischen Kompromiß
zwischen dem ältesten Chlodwig-Sohn
einerseits und der Königin
Chrodechild mit ihren Söhnen andererseits. Dass Chlodwig
selbst seine Nachfolge geregelt habe, wird nur in einer späten, unglaubwürdigen
Quelle gesagt. Der König kann jedoch eine Vorentscheidung getroffen
haben, wenn er Theuderich, dem er 508
den Auftrag zur Eroberung der Auvergne gab, als Regenten in der Francia
rhinensis einsetzte. Es ist auch kaum ein Zufall, dass der Reichsteil Theuderichs
die Anteile der Chrodechild-Söhne
nach außen weitgehend abschirmte: der einzige voll erwachsene Sohn
Chlodwigs
wurde so zum Garanten für den Bestand des Reiches in den Grenzen von
511.
Beruhten die Modalitäten der Teilung zwischen Theuderich
und Chrodechild auf einem politischen
Kompromiß, so gilt dies nicht für die Teilung als solche. Die
Nachfolgeregelung von 511 war ja nicht auf den Ausgleich zwischen
der Königswitwe und ihrem Stiefsohn beschränkt, sondern schloß
die Aufteilung der nach der Abschichtung Theuderichs
verbliebenen zwei Drittel des Chlodwig-Reiches
unter die Chrodechild-Söhne ein.
Für sie traf Gregors Feststellung aequa lance grosso zu. Quantitative
Ungleichheiten sind nicht feststellbar. Nur qualitativ mag der jüngste
Bruder Chlothar, dem aber immerhin
das ältere salfränkische Siedlungsgebiet zwischen Somme und Kohlenwald
geschlossen zufiel, etwas schlechter abgeschnitten haben. Politisch ist
die Teilung unter den Chrodechild-Söhnen
nicht zu erklären; verständlich wird sie dagegen, wenn man eine
Übertragung des Rechtssatzes der Lex salica von der gleichberechtigten
Erbfolge der Söhne im Allod auf die Nachfolge im Reich annimmt. Das
damit in die Nachfolgeordnung eingeführte Teilungsprinzip hat trotz
zeitweilig durchbrechender Gegentendenzen die fränkisch-abendländiche
Geschichte bis ins 10. Jahrhundert hinein bestimmt und zur Ausformung der
Reiche des Hochmittelalters wesentlich beigetragen.
Theuderich, der eine
Tochter des
Burgunder-Königs Sigismund
geheiratet hatte, war den Unternehmungen seiner Halbbrüder gegen das
Burgunder-Reich ferngeblieben. Seine Interessen waren auf Germanien gerichtet,
wo die Thüringer eine dominierende Stellung einnahmen. Das Thüringer-Reich
war nach dem Tod des Königs Bisinus (Bessinus)
unter dessen Söhnen Hermenefred,
Baderich
und Berthachar geteilt worden (vor
510). Theuderich hatte in die Streitigkeiten
im thüringischen Königshaus auf seiten
Hermenefreds,
seit 510 mit Theoderichs Nichte Amalaberga
vermählt, eingegriffen, ohne jedoch daraus den erhofften Gewinn zu
erzielen. Als sich im Ostgoten-Reich nach dem Tod des großen Theoderich
(+ 526)
eine Krise anbahnte, holte er zu einem entscheidenden
Schlag aus. Er gewann die Hilfe Chlothars von
Soissons und sächsischer Gruppen,
die von der Nordseeküste nach Süden drängten. Der Neutralität
des Langobarden-Königs Wacho,
der eine Schwester Hermenefreds
geheiratet
hatte, versicherte er sich durch die Verlobung seines Sohnes Theudebert
mit
Wachos
Tochter
Wisigard.
Im Sommer 531 eröffneten die Franken den Krieg. Die Thüringer
erlitten eine schwere Niederlage an der Unstrut.
Hermenefred
wurde den Franken tributpflichtig und 533 bei einem
Besuch Theuderichs in Zülpich
von der Stadtmauer gestürzt und getötet. Seine Witwe Amalaberga
floh mit ihren Kindern 535 nach Italien, die Kinder ihres Schwagers Berthachar
fielen
in die Hände der Franken. Theuderich
überließ den verbündeten Sachsen die Lande nördlich
der Unstrut gegen einen Tribut und nahm die Gebiete an der Saale, an der
mittleren Elbe und am Main in seinen Besitz. Theuderich
war nach dem Sieg an der Unstrut vielleicht mit der Rebellion Munderichs
beschäftigt, eines fränkischen Großen der Champagne, der
Anspruch auf eine Königsherrschaft erhob. Jedenfalls blieb er im Widerspruch
zu seinen Franken, die in Burgund reiche Beute zu machen hofften, auch
jetzt dem Burgunder-Krieg fern. Seinem Heer stellte er eine entsprechende
Entschädigung in der Auvergne in Aussicht, die er einem harten Strafgericht
unterwarf. Seinen Sohn Theudebert beauftragte
er mit der Eroberung der südaquitanischen civitates, die die Goten
nach dem Tod Chlodwigs zurückgewonnen
hatten.
Theuderich I. starb
gegen Ende des Jahres 533. Der König von Reims hatte vor seinem
Tod seinen Frieden mit dem Halbbruder von Paris gemacht, doch blieb das
Verhältnis gespannt.
Schneider Reinhard: Seite 73,75-81
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„Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter“
Als Chlodwig im Jahre
511 im Alter von 45 Jahren starb, erhielten die vier Söhne
Theuderich,
Chlodomer,
Childebert
und
Chlothar sein Reich und
teilten es untereinander zu gleichen Teilen. Die Brüder treten als
Erbengemeinschaft entgegen, die das Erbe zuznächst gemeinsam übernimmt
und anschließend teilt. Dabei handelt es sich um keine Real- oder
Totteilung, sondern um eine innerhalb der Brüdergemeine erfolgende
Teilung zur gesamten Hand. Die samtherrliche Komponente wird auch in der
Folgezeit mehrfach deutlich in der Politik der vier Chlodwig-Söhne
sichtbar, äußert sich in gemeinsamen Beratungen, Feldzügen
usw. und wird ebenfalls in der gemeinsamen Verantwortung für ihre
Schwester sichtbar. Erwähnenswert bei der Herrschaftsnachfolgeregelung
von 511 ist daß Chlodwigs ältester
Sohn Theuderich aus einer unehelichen
Verbindung stammte, hier aber neben den Brüdern aus Chlodwigs
Ehe offenbar völlig gleichberechtigt als Erbe entgegentritt, während
ebenfalls festgehalten werden muß, daß Theuderichs
ältester Sohn beim Tode des Großvaters volljährig war,
bei der Erbregelung aber offenbar gänzlich unberücksichtigt blieb,
was aus erbrechtlichen Gründen, nicht aber wegen mangelnder Ideoneität
erklärt, da ihn Gregor schon zum Jahre 511 ausdrücklich als elegans
atque utilis rühmt.
Das Erbrecht deer Brüder war jetzt aber nach vollzogener
Machtentscheidung so wirkungsmächtig, daß auch der allem Anschein
nach an den Machenschaften unbeteiligte dritte Bruder, nämlich
Theuderich, aequa lance an der Erbmasse beteilgt werden
mußte.
Chlothars Bruder
Theuderich
war bei der Durchsetzung seiner eigenen thüringischen Interessen freilich
viel robuster, indem er zunächst - vergbelich - Chlothar
als Rivalen zu ermorden suchte und dann mit dem Thüringer-König
Herminafried selbst ein arglistiges Spiel trieb, das mit dessen
ominösen Tod endete, als es sich nicht bewähren wollte.
Hierzu paßt eine weitere Episode aus der Zeit der
Thüringen-Kriege. Als Theuderich in
Thüringen weilte, verbreitete sich in Clermont das Gerücht, er
sei erschlagen worden. Arcadius, einer der dortigen Senatoren, lädt
daraufhin Childebert ein, er solle
jenes Gebiet übernehmen. Von Bedenken Childeberts
vor einer damit verbundenen Anerkennung eines Wahlprinzips hört man
nichts. Childebert korrigierte seinen
Schritt erst, als sich das Gerücht als falsch herausstellte und er
sichere Kunde erhielt, Theuderich lebe
und sei auf dem Rückmarsch.
An Chlothars und
Childeberts Feldzug gegen Burgund hatte
Theuderich trotz dringlicher Aufforderung nicht teilnehmen wollen.
Überaschenderweise akzeptierten die zu seinem Herrschaftsbereich gehörenden
Franci seine Haltung nicht. Obwohl diese Franken formal Bezug auf
Theuderichs brüderliche Hilfsverpflichtung zu nehmen scheinen,
ist Beutegier ihr wahres Motiv. So gelingt es denn Theuderich
auch, die Androhung der Verlassung und Ankündigung einer freien Wahlentscheidung
für eine neue Herrschaft abzubiegen, indem er einen Beutefeldzug gegen
das treulose Clermont zu führen verspricht. Der knappen Erzählung
läßt sich entnehmen, daß die Formen von Verlassung und
Wahl selbst als politisches Druckmittel wirksam und lebendig sind, daß
ein König wie Theuderich diesbezügliche
Drohungen sehr ernst nimmt, und schließlich zeigt der von Theuderich
als
Rache-, für seine Franken aber aauch als Beutefeldzug konzipierte
Marsch auf Clermont, wie bedrohlich die oben geschilderte invitatio
des möglicherweise doch für eine stattliche Gruppe handelnden
Senators Arcadius von Theuderich noch
nachträglich eingeschätzt wird. Die beutehungrigen Krieger gehen
auf Theuderichs beschwörende Versprechungen
ein udn versprechen ihrerseits, ihm seinen Willen zu tun.
Wie es der pragmatischen und elastischen Politik der
Söhne Chlodwigs entsprach, zeigte
Theuderich gegenüber dem "König"
Munderich keine klar ablehnende Haltung, sondern verlegte sich
auf List und Täuschung, denen Munderich schließlich
zum Opfer fiel. Theuderichs erste und
offene Reaktion aber war das Angebot, Munderich
möge zu ihm kommmen. Natürlich konnte die zugesicherte Prüfung
von Munderichs Rechtsanspruch nur Vorwand
sein, daß mit diesem aber gearbeitete wurde, zeigt, daß die
königlichen Herrschaftsrechte dieser Zeit noch keinesfalls fest und
eindeutig waren und daß die Beschränkung des Königtums
auf Chlodwigs direkte Nachkommen rechtlich nicht strikt vorgegeben,
sondern Ergebnis einer historischen Entwicklung ist. Die Geschichte weiterere
Thronprätendenten kann das nur unterstreichen. Zu ihnen gehörte
vielleicht auch der Herzog der Auvergne, Sigivald, ein Verwandter Theuderichs,
den dieser umbringen ließ [Gregor III, 23 Seite 122; wie um 520 Arcadius
dürfte Sigivald Exponent auvergnatischer Selbständigkeitstendenzen
gewessen sein. Wenskus, Bemerkungen 225, vermutete in Sigivald einen Sproß
der Kölner Königsfamilie, der vor Chlodwig
gerettet werden konnte.].
oo Suavegotte von Burgund, Tochter des Königs
Sigismund
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Kinder:
Theudebert I.
um 500- 548
Theudechildis
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Literatur:
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Dahn Felix: Die Franken. Emil Vollmer Verlag 1899
- Dahn, Felix: Die Völkerwanderung. Kaiser Verlag Klagenfurth
1997, Seite 116,368, 369,371 - Deutsche Geschichte Band 1 Von den
Anfängen bis zur Ausbildung des Feudalismus. VEB Deutscher Verlag
der Wissenschaften Berlin 1982, Seite 235,236 - Ewig Eugen: Die
fränkischen Teilungen und Teilreiche (511-613). Verlag der Akademie
der Wissenschaften und der Literatur in Mainz 1952 - Ewig, Eugen:
Die Merowinger und das Frankenreich. Verlag W. Kohlhammer Stuttgart Berlin
Köln 1993, Seite 28,31-36,63,80,84,86,113 - Herm, Gerhard:
Karl der Große. ECON Verlag GmbH, Düsseldorf, Wien, New York
1987, Seite 30,86 - Hlawitschka, Eduard: Adoptionen im mittelalterlichen
Königshaus, in: Schulz Knut: Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte
des Mittelalters, Festschrift für Herbert Helbig zum 65. Geburtstag,
Köln Seite 1-32 - Jarnut, Jörg: Agilolfingerstudien. Anton
Hirsemann Stuttgart 1986, Seite 29,54,93-97,125 - Schneider, Reinhard:
Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter. Anton
Hirsemann Stuttgart 1972, Seite 73, 75-81,203 - Werner Karl Ferdinand:
Die Ursprünge Frankreichs bis zum Jahr 1000. Deutscher Taschenbuch
Verlag München 1995, Seite 327,333,335,338 - Zöllner Erich:
Geschichte der Franken bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts. Verlag C. H.
Beck München 1970, Seite 4,59,66,72,74,76,79-86,92,107,118,122,123,127,128,129,131,134,141,144,
150,153,168,173,177,185,187,249 -