Schneider Reinhard: Seite 146-153,228
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„Königswahl und Königserhebung im Frühmittelalter“

Verscheidene Anzeichen sprechen für die Auflösung seiner Ehe mit Gomatrud wegen Kinderlosigkeit. Dagoberts neue Ehefrau Nanthilde schenkte ihm zunächst ebenfalls keinen Erben, und dessen Ausbleiben weitete sich ganz offensichtlich zu einer austrasischen Staatskrise aus, bis endlich Dagoberts Nebenfrau Ragnetrude doch noch einen Sohn Sigibert gebar. Den vielfach widersprüchlichen Quellen ist zu entnehmen, daß Dagobert das Kind von seinem Bruder Charibert in Orleans aus der Taufe heben ließ und es möglichst nicht in Austrasien behalten wollte. Dieses Manöver hatte nur bis kurze Zeit nach Chariberts Tod Erfolg. Im Jahre 633 mußte sich der König austrasischem Druck beugen und in die Schaffung eines austrasischen Unter-Königtums einwilligen. Wie Fredegar berichtet, kam Dagobert nach Metz, erhob seinen Sohn Sigibert zum König in Auster und gestattete ihm, Metz als seine sedes zu haben. Zunächst setzte Dagobert für den unmündigen König als Vormünder bzw. Regenten Kunibert von Köln und den ARNULFINGER Herzog Adalgisel ein und stattete den Sohn mit einem ansehnlichen Königshort aus.
Es werden also bei der Erhebung des Königs-Sohnes Sigibert zum König von Austrasien außer dem Willen bzw. Nachgeben des Königs die Willensakte eines engeren wie eines weiteren Kreises der Großen sichtbar, denn von der Mitwirkung einer allgemeinen Heerers- oder Reichsversammlung ist nichts überliefert. Sigiberts derart in Metz begründetes Königtum wird allgemein als Unter-Königtum angesprochen.
Im Gegensatz zu seinem Halbbruder Sigibert erhielt Chlodwig II. erst kurz vor dem Tod Dagoberts I. ein fränkisches Königreich und wurde in einer Versammlung in Malay-le-Roi von allen leudes Neustriens und Burgunds zum König erhoben. In Austrasien veränderte sich mit dem Tode Dagoberts relativ wenig für Sigibert, obwohl eine Reihe von Austrasiern, die Sigibert bislang noch nicht gehuldigt hatten, jetzt für Sigibert plädierten und ihm huldigten. Dabei handelte es sich um den Hausmeier Pippin und andere austrasische duces, die bis zu Dagoberts Tod an dessen Hof geweilt hatten.
Eine tatsächliche Teilung erfuhr jedoch Dagoberts Königsschatz, der nach längeren Verhandlungen zwischen Austrasien einerseits und Nesutrien/Burgund andererseits gedrittelt wurde: Aequa lanciae erhielten Sigibert, Chlodwig und die Königin Nanthilde ihre Anteile.
Der Blick wird zunächst auf das austrasische Reich gelenkt, wo König Sigibert III. am 1.2.656 verstarb. Da er jahrelang kinderlos gewesen und eine Sohnesfolge in seinem und dem Interesse anderer lag, war Sigibert auf den Vorschlag seines Hausmeiers, des PIPPINIDEN Grimoald, bereitwillig eingegangen, dessen Sohn zu adoptieren. Der adoptierte Grimoald-Sohn erhielt den MEROWINGER-Namen Childebert, wodurch ebenfalls die dem Kinde zugedachte Herrschaftsrolle ihren Ausdruck fand. Für Sigibert und besonders Grimoald komplizierte sich die derart geregelte austrasische Nachfolgefrage, als Sigibert doch noch ein eigener Sohn (Dagobert II.) geboren wurde, der natürlich vor Childebert Herrschaftsansprüche geltend machen konnte. Sigibert soll auch nach Angaben der im 11. Jahrhundert von Sigebert von Gembloux geschriebenen Vita Sigeberti Childebert nur als Erben eingesetzt haben, si ipsum contingeret sine liberis obire. Nach Dagoberts Geburt aber habe der König seine frühere testamentarische Verfügung widerrufen und den eigenen Sohn seinem Hausmeier Grimoald zur Erziehung übergeben, ut eius potentia contra omnes tutus sublimaretur in Austrasiorum regno. Diese Nachrichten decken sich zum Teil mit solchen der Herigeri gesta episcoporum Leodiensium, deren Abfassungszeit zwischen 972 und 980 angesetzt wird. Danach sah der sterbende König in seinem Hausmeier mit Recht den für die Nachfolgeentscheidung maßgeblichen Mann, dem er seinen Sohn anvertraute und den er vielleicht durch einen Treueid zusätzlich band. Trotz dieser Nachrichten bleibt eine Skepsis, ob Eransprüche eines zum Zweck der Herrschaftsnachfolgeregelung Adoptierten so eindeutig widerrufen werden konnten, zumal wenn die merowingische Namengebung den Adoptierten auch als MEROWINGER auswies. Da auch die sehr zuverlässige Vita Boniti Childebert den Adoptierten und Dagobert II. gemeinsam als Söhne Sigiberts III. anspricht, die zur Zeit der Erhebung Childerichs II. (in Austrasien 662) bereits tot waren, ergibt sich als ziemlich sicher, daß Grimoalds Sohn neben Dagobert II. Erbansprüche auf das nach Sigiberts Tod verwaiste Ost-Reich rechtens geltend machen konnte.
In einer Urkunde vom 6.9.670, die der MEROWINGER gemeinsam mit seiner Tante und Schwiegermutter Himnechilde, der Witwe Sigiberts III., und deren Tochter, seiner eigenen Ehefrau Bilichilde, ausstellte, findet sich ein Formelbeleg für beide Königinnen.