Im Herbst 584 wurde Chilperich
selbst auf seinem Hofe Chelles von Mörderhand tödlich getroffen.
Den Leichnam des Königs, den Gregor von Tours einen Nero
und Herodes seiner Zeit nannte, bestattete
man in Paris. Dorthin hatte sich die Königin-Witwe
Fredegunde mit einem Großteil von Chilperichs
Schatz geflüchtet und in der Hauptkirche beim Pariser Bischof
Ragnemod Zuflucht gefunden. Chilperichs
verlassenes Reich empörte sich teils (Orleans, Blois), teils liefen
einige Große zu Childebert über,
während andere zu Fredegunde zu
halten schienen. Überraschenderweise hört man, daß die
Königin einen kaum erst geborenen Sohn Chilperichs
bei sich hatte. Die Überraschung löst sich allerdings etwas,
wenn man beachtet, daß Gregor bereits früher von der Geburt
eines Sohnes berichtete, bei dem es sich nur um Chlothar
II. handeln kann. Chilperich ließ
ihn auf dem Hof Vitry aufziehen, "damit", wie er sagte, "dem Kind kein
Unheil zustoße, wenn man es öffentlich sieht, und es dadurch
stirbt". Das Verbergen vor der "Öffentlichkeit" mochte die Versuche,
nach des Vaters Tod Erbansprüche geltend zu machen, vielleicht anfangs
erschwert haben. Fredegunde aber wollte
dem Säugling das väterliche Erbe auf jeden Fall retten und mußte
sich dafür Guntrams Schutz sichern.
An ihn gingen Gesandte mit einer Einladung: "Möge mein Herr doch kommen
und das Reich seines Bruders in Besitz nehmen. Ich habe nur einen kleinen
Sohn, den ich ihm in die Arme zu legen wünsche; auch mich selbst beuge
ich willig unter seine Herrschaft"!
Fredegundes
Angebot entsprach nicht nur einem durchaus üblichen Verfahren und
den Realitäten, sondern war offenbar durch Absprache mit Chilperichs
Getreuen gesichert, was aus der Formulierung accepto consilio vor
dem Absenden der Boten an König
Guntram hervorzugehen scheint.
Guntram
wird angesprochen als Fredegundes gewählter
dominus, der des verstorbene Mannes Reich als dessen Bruder übernehmen,
dem kaum erst geborenen Sohn einen Schutz gewähren solle. Fredegundes
Angebot an Guntram:
me ipsam eius
humilio dicioni läßt die Einladung zur Herrschaftsübernahme
nicht unbedingt mit einem Eheangebot der Königin-Witwe gekoppelt erscheinen,
schließt letzteres aber keineswegs aus.
Während so die neustrischen Pläne sich zu realisieren
begannen, weil Childebert abgewiesen
und Guntram hinhaltend in die Rolle
eines Beschützers gebracht worden war, sammelten sich die Großen
Neustriens um Chilperichs vier Monate
alten Sohn, dem sie vielleicht erst jetzt den Namen Chlothar
gaben.
Ihm sicherten sie den Anspruch auf das väterliche Erbe - eine Maßnahme,
die angesichts einer bevorstehenden langen Regentschaft dieser Adelspartei
natürlich vorrangig den eigenen Interessen diente. Über eine
förmliche Erhebung des Säuglings fehlen Nachrichten, mindestens
aber wird die überlieferte Namengebung [283 Der Name "Chlothar"
bedeutet "berühmter Krieger", siehe Buchner II Seite 392 Anm. 2. Bei
Chlothars Taufe 591 sprach sein Pate
Guntram: 'Crescat puer et huius
sit nominis exsecuntur ac tale potentia polleat, sicut ille quondam cuius
nomen indeptus est.'] für das Kind einer Anerkennung seiner Thronfolge
entsprochen haben und in den Zusammenhang einer förmlichen Erhebung
gehören [284 Auf den Namen
Chlothar
wird
das Kind Chilperichs I. erst im Jahre
591 durch seinen Oheim Guntram getauft
(Gregor X, 28 Seitze 522); aus Gregor VIII, 1 Seite 370 ergibt sich aber,
daß der Junge bereits lange vorher Chlothar
genannt
wurde.], die durch die Einforderung eines Treueides für den nominellen
Vormund Guntram und für Chlothar
selbst
auf die breite Grundlage aller Untertanen in Chilperichs
Reich gestützt wurde. Fredegunde und
der neustrischen Adelspartei war ein glänzender Schachzug gelungen:
Chlothars
II. Sohnesfolge auf Chilperich
und die an politischen Möglichkeiten kaum auszuschöpfende faktische
Regentschaft der Großen des auf Selbständigkeit bedachten Neustrien
waren weitgehend gesichert. Durch den Doppeleid der Großen kam zum
Ausdruck, daß Chilperichs Reich
nicht dessen Bruder allein, sondern eben auch dem eigenen Sohn als Herren
unterstand. So fügten sich Neustrien und Chlothar
nominell
dem Schutzanspruch des Königs von Burgund, der gegenüber dem
Neffen schon als Adoptivvater figurierte, ehe er ihn überhaupt gesehen
hatte. Chlothars förmliche "Anerkennung"
durch den schon ungeduldigen Guntram
erfolgte in merkwürdiger Weise. Dreimal vergebens nach Paris zur Taufe
Chlothars
gerufen, bestand Guntram schließlich
darauf, daß ihm das Kind gezeigt werde. In dieser kritischen Phase
ließen Fredegunde und die mit
ihr im Bunde stehenden Großen Neustriens Guntrams
Skepsis durch den Eid von drei Bischöfen und 300 Adligen ausräumen:
"Chlothar II. sei von Chilperich
gezeugt worden". Gleichwohl scheint der Oheim den Neffen weder gesehen
zu haben, noch hob er ihn aus der Taufe - die über dem MEROWINGER-Haus
lastenden Schatten bewogen zu äußerster Vorsicht.
Zu häufig hatte sich schon vorher die stärkere
Geltung des Eintrittrechts der Söhne gegenüber dem Erbanspruch
anderer Angehöriger der Dynastie erwiesen, wenn auch Chlothar
II.
und seine Mutter Fredegunde
mit Waffengewalt noch im gleichen Jahr 596 - letztlich vergeblich - versuchten,
Childeberts
Söhnen das Erbe streitig zu machen.
Kurze Zeit nach seines Bruders Tod starb Theuderich
II. 613 (nach dem 23. August) bei einem Feldzug gegen Chlothar
II. in Metz. Sein Heer löste sich auf und zog nach Hause,
während Brunhilde mit vier Söhnen
Theuderichs,
ihren Urenkeln, in Metz blieb. Der sogenannte Fredegar gebraucht bei dieser
Nachricht das Partizip
(Mettis) resedens, was andeutet, daß
Brunhilde
versuchte,
Theuderichs
Hof
und Erbe zu verwalten.
Sigibert II. wurde
tatsächlich König (613, nach dem 23. August). Als solcher trat
er auch wenig später an der Spitze seines Heeres dem ihn bedrängenden
Chlothar
II. entgegen. Auf Betreiben der austrasischen Großen kam
Chlothar
II. nach Austrasien und bezog sich in seinen Gesandtschaften
an Brunhilde ganz eindeutig auf das
Interesse der Großen. Einem iudicium Francorum electorum wollte
er die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Herrschaft überlassen
und sich ihrer Entscheidung unterwerfen. Das heißt aber, daß
der neustrische König eigene Erbansprüche nur subsidiär
geltend machte und seinen Herrschaftsanspruch über Theuderichs
Reich vom Willen der Großen dieses regnum abhängig
zu machen gewillt war. Vergebens waren Brunhildes
Hinweise auf den Erbanspruch ihrer Urenkel, denen Theuderich
II. sein regnum hinterlassen hatte, erfolglos auch ihr Angebot,
sich selbst zurückzuziehen und den Urenkeln das väterliche Erbe
zu überlassen - was gewiß eine Regentschaft durch Austrasiens
und Burgunds Adel bedeutet hätte. Denn um beide alten regina
ging es nach Theuderichs Tod, und beide
übernahm Chlothar II., nachdem
er Brunhilde und ihre Urenkel mit Ausnahme
seines Patenkindes Merowech und des
entkommenen Childebert hatte umbringen
lassen. Auch für seine Mutter Fredegunde
hatte Chlothar II. grausamste Rache
geübt. Die drei Reiche Austrasien, Neustrien und Burgund waren wieder
in einer Hand vereinigt, sie wurden aber nicht aufgelöst, sondern
im Gegenteil läßt sich in gewissem Umfang eine Restaurierung
der alten Teilreichsgrenzen von 561 und 593/96 beobachten, untrübliches
Indiz dafür, daß Chlothars II.
Herrschaft über das Gesamtreich der Franken typische Züge einer
Art Personalunion trug. Warum Austrasier und Burgunder
Chlothars
Herrschaft
erstrebten, läßt sich nicht ganz deutlich erkennen. Fredegars
Begründung für den Adel Burgunds, die Bischöfe und übrigen
leudes
hätten
Brunhilde gefürchtet
und gehaßt, dürfte etwas einseitig sein. Bedeutsamer ist die
Tatsache, daß die Großen angesichts einer notwendigebn Regelung
der Herrschaftsnachfolge miteinander berieten und verhandelten, ehe sie
sich für Chlothar II. gegen Theuderichs
stirps regia entschieden. Unter einem Herrscher für drei Reiche,
die bezeichnenderweise ein jedes seinen eigenen Hausmeier behielten, lag
gewiß auch für die burgundischen Großen ein höheres
Maß an eigener Selbständigkeit als unter einem "Teilkönig"
des angestammten Herrscherhauses.
Schon 623 sah sich der fränkische "Gesamtherrscher"
Chlothar
II. genötigt, austrasischen Interessen durch die Einsetzung
seines Sohnes Dagobert zum König
Rechnung zu tragen. Nach dem Bericht Ps.-Fredegars machte
Chlothar
seinen Sohn zum consors regni und setzte ihn zum König über
die Austrasier ein. Seine Königsherrschaft bezog sich allerdings nur
auf den östlichen Teil Austrasiens. Offensichtlich war Dagobert
bereits erwachsen. Eine gewisse Abhängigkeit des Sohnes vom Vater
leuchtet immerhin ca. 3-4 Jahre später auf, als Dagobert
ex iusso patris nach Paris kommt und dort Gomatrude,
die Schwester von Chlothars Frau Sichilde
heiratet. Möglicherweise sah Dagobert in
einer Eheschließung mit der Schwester seiner Stiefmutter eine Erhöhung
seiner Stellung, während Chlothar
vielleicht politische Einflußmöglichkeiten für sich erblickte.
Jedenfalls kam es noch am dritten Tege der Hochzeitsfeierlichkeiten zu
einem tiefen Zerwürfnis zwischen beiden Königen, weil Dagobert
forderte, cuncta que ad regnum Austrasiorum pertinebant suae
dicione vellere recipere, und Chlothar
diese Forderung "vehement" ablehnte. Er mußte dann jedoch nachgeben
und einer Schiedskommission von 12 Franken, die von beiden Königen
bestellt wurde, die Entscheidung überlassen. Dieser gelang es in intensiven
Verhandlungen pro pacis concordia eine förmliche Versöhnung
zwischen Chlothar II. und Dagobert
herzustellen. Auf der Grundlage dieser pacificatio erhielt der Sohn
mit Ausnahme der provencalischen und der südlich der Loire gelegenen
Reichsteile das ganze regnum Austrasiorum und brachte es unter seine
Herrschaftsgewalt. Spätestens seit dieser Pariser Heirat
Dagoberts
kann von keiner Oberherrschaft des Vaters und einem Unterkönigtum
des Sohnes mehr geredet werden.