Lexikon des Mittelalters: Band VI Spalte 1111
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Nevers, Grafschaft
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I. DIE ANFÄNGE
In gallorömischer Zeit gehörte das Gebiet
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Nevers (Nivernais) zur Civitas der Aeduer und wurde in der
Spätantike
als ‚civitas Nivernensium‘ der Lugdunensis IV zugeschlagen. Bis 534 war
es Teil des Burgunderreiches; im Verband des Frankenreiches teilte es
die
Geschicke des zeitweisen selbständigen, zeitweise zu Neustrien
oder
Austrien gehörenden Teilreiches Burgund.
Der ‚Pagus Nivernernsis‘ wurde seit der KAROLINGER-Zeit
von
abgesetzten ‚Amtsgrafen‘ in königlichem Auftrag verwaltet; zu
nennen
sind Hugo (841), Robert der Tapfere (865-866),
Bernhard
Plantapilosa (870-885), Wilhelm III. der Fromme von
Aquitanien,
Stifter von Cluny der die
Verwaltung des Grafenamts an
Rather delegierte.
Das Nivernais wurde zum umkämpften Streitobjekt; die Amtsgrafen
des
10. Jh. waren offenbar Stellvertreter mächtigerer Fürsten. Im
Zuge einer allmählichen Usurpation von königlichen Rechten
(Gerichtsbarkeit;
Steuereinziehung, Heeresaufgebot) vollzog sich der Übergang zur
Erblicheit.
II. HAUS UND GRAFSCHAFT NEVERS
Um 989 erhielt der ‚gloriosus miles‘ Landricus
vom Grafen von Burgund, Otto-Wilhelm,
die Grafschaft Nevers, an deren Regierung er seit 1015 seinen Sohn Rainald
beteiligte. Damit begründete er eine Dynastie, die sechs
Jahrhunderte
bestehen sollte. Rainald gewann (durch Heirat mit einer
Königs-Tochter)
die Grafschaft Auxerre, Wilhelm I. 1065 die Grafschaft
Tonnerre. Die drei Grafschaften waren bis 1270 vereinigt.
Die Erbfolge im Mannesstamm wurde 1181 mit dem Tode Wilhelms
V. unterbrochen. Für mehr als ein Jahrhundert war die
Grafschaft
in den Händen von Frauen; der König als unmittelbarer
Lehnsherr
schaltete sich in die Auswahl der Gatten ein. Infolge dieser
Entwicklung
regierten mehrere große Familien abwechselnd die Grafschaft
Nevers,
die allzuoft als “Nebenland” behandelt wurde. Agnes, die überlebende
Schwester Wilhelms V., heiratete
Peter
von Courtenay. Ihre Tochter
Mahaut
folgte (1195-1257). Durch die politische Ehe mit Herve de Donzy
wurde der Grafschaft die mächtige Baronie des Donziais einverleibt.
Yolande von Burgund (1258-1280)
heiratete in erster Ehe einen Sohn von
Ludwig
dem Heiligen, in zweiter
Ehe dann Robert von Bethune,
Grafen von Flandern. Seine Nachfolger, mit der flandrischen Politik
beschäftigt, hielten sich selten im Nivernais auf. Doch waren sie
um Aufrechterhaltung einer guten Verwaltung bemüht, um so ihre
Einkünfte
zu sichern. Mehrere Grafen von Nevers waren aktive Kreuzfahrer (Peter
von Courtenay, Herve de Donzy, Guy de Forez
und
andere); das Testament Wilhelms IV. steht am Anfang des Bistums
Bethlehem, dessen Sitz 1250 in die Nähe von Clamecy (nördlich
von Nevers) verlegt wurde.
III. DER HUNDERTJÄHRIGE KRIEG
Das geopgraphisch zwischen den englischen
Besitzungen
Südwest-Frankreichs, Burgund, dem Berry und den Gebieten der
Krondomäne
gelegene Nivernais litt unter dem Hundertjährigen Krieg. 1356-1379
wurde es als Besitzung des Grafen von Flandern, der loyal zum
französischen
König hielt, von englischen Truppen geplündert. Durch die
Heirat
der Margarete, Tochter Ludwigs III., mit Philipp
dem Kühnen, Herzog von
Burgund,
kam die Grafschaft Nevers an das Haus BURGUND,
das 1412-1435 in Gegnerschaft zum König von Frankreich stand. Das
Nivernais, das von Perrinet Gressard verteidigt wurde, war unter Karl
VII. Zielscheibe französischer Angriffe; Jeanne d'Arc nahm
St-Pierre le Moutier (1429), scheiterte aber vor La Charite. Der Friede
von Arras (1435) wurde im Nivernais mit größter
Erleichterung
aufgenommen.
Grafen von Nevers oder Nivernais kamen erst im 9.
Jahrhundert
vor; ein Graf Wilhelm von Nevers nahm am Kreuzzug von 1100
teil.
Nachdem ihr Geschlecht 1184 im Mannesstamm erloschen war, kam die
Grafschaft
Nivernais durch Heirat an Peter von Courtenay,
Lateinischer
Kaiser in Konstantinopel, und ging von den
COURTENAYS immer durch Heirat an die Häuser DONZY,
CHATILLON, BOURBON und FLANDERN über. Maragrete,
Erbtochter von Flandern,
brachte durch ihre zweite Vermählung mit
Philipp dem Kühnen von Burgund diesem
Nevers zu, welcher seinem zweiten Sohn
Anton,
der bei Azincourt fiel († 25.10.1415), Nevers übertrug. Von diesem
burgundischen Grafen von Nevers ging sie 1491 auf Engelbert von Kleve
über, dessen Vater Johann I. 1455
eine Gräfin Nevers geheiratet
hatte. König
Franz I. erhob 1538
die bisherige Grafschaft Nevers zum Herzogtum. Der erste Herzog von
Nevers
war Franz I. von Kleve. Da seine
Söhne Franz II. und
Jakob
keine Kinder hatten, erbte ihre Schwester Henriette, die Gemahlin
Ludwigs von Gonzaga-Mantua, das Herzogtum. Ihr Enkel
Karl III.
verkaufte Nevers 1659 an Kardinal
Mazarin. Dieser vererbte das Herzogtum
seinem Neffen Julien Mancini-Mazarini,
dessen Nachkommen in gerader Linie
nun den Titel der Herzöge von Nivernais führten.