Weller Tobias: Seite
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"Die Heiratspolitik des deutschen
Hochadels im 12. Jahrhundert."
Heinrich III. folgte seinem
Vater um 1078/79 in der Grafenwürde von Löwen nach. Er war
mit Gertrud, einer Tochter Graf Roberts des Friesen (†
1093) verheiratet [25 Vgl. Hermann von Tournai, De
restauratione, c. 17, MGH SS 14, 282. Die Eheverbindung zwischen Graf Heinrich III. und Gertrud wird auch des öfteren
anläßlich des Aufstiegs Dietrichs
von Elsaß, des Sohnes
Gertruds aus ihrer zweiten Ehe
mit Herzog Dietrich II. von
Ober-Lothringen, zum Grafen von Flandern erwähnt: Vgl. Ann.
Egmund. zu 1128, MGH SS 16, 452. Simon von St-Bertin, Gesta abb., lib.
II, c. 121, MGH SS 13, 659.].
Herzog Gottfried verfolgte
seinen Anspruch auf die Ausstattung der Clementia weiter und hatte damit
schließlich auch zeitweiligen Erfolg. Er griff nämlich in
den flandrischen Thronfolgestreit nach der Ermordung Graf Karls
ein und unterstützte den Prätendenten
Wilhelm Clito gegen
dessen Konkurrenten Dietrich von
Elsaß
[105 Dies versichert zumindest
Paul Bonenfant; vgl. Sproemberg, Clementia von Flandern 1238, Anm. 2.
Eine Durchsicht der Regestensammlung von Wauters, Table 2, kommt
zu demselben Ergebnis.]. Diese Parteinahme erfolgte unter anderem
deshalb, weil Gottfried
befürchtete, ihm werde die dos gewaltsam
entrissen, für deren Herausgabe ihn Dietrich bereits bei
König LOTHAR habe
zur Rechenschaft ziehen wollen [106
Zur Kandidatur Dietrichs von
Elsaß und den Ergebnissen des
flandrischen Thronfolgestreits 1127/28 siehe unten Seite 544f.]. Dies
läßt vermuten, daß sich der Herzog in den flandrischen Thronwirren des Besitzes
seiner Frau bemächtigt hatte, welcher nun von Dietrich
zurückgefordert wurde [108 Galbert
von Brügge, De multro, c. [120] CChCM 131, 168, bemerkt, Dietrich
von Elsaß sei mit seiner Forderung nach Herausgab der
Güter
im Recht gewesen.].
Nach Mathildes Tod ging Heinrich II. eine zweite Verbindung
mit der
ebenfalls verwitweten Laurentia/Lauritta, der Tochter
Dietrichs von Elsaß
(† 1168),
ein. Diese Eheschließung
läßt noch einmal das Aufstiegsstreben der LIMBURGER
erkennen: Dietrich hatte seit
1128 die flandrische Grafenwürde
inne; hinsichtlich seiner Herrschaftsgrundlage und seines Ansehens stand er
einem Herzog des Reiches sicherlich in nichts nach. Allerdings stammte
Laurentia nicht aus Dietrichs Ehe mit der hochedlen Sibylle von Anjou,
sondern aus seiner voraufgegangenen Verbindung mit Swanhild († 1133);
deren Familienzugehörigkeit nicht sicher zubestimmen ist [41 Vgl. hierzu unten Seite 545.].
Der älteste, nach dem Vater benannte Sohn aus der zweiten Ehe des
Lothringer-Herzogs war Dietrich von
Elsaß [59 Zu
seiner Person vgl. Pouli, Lorraine 359ff.; siehe auch die kurze
Biographie von Therese Hemptinne, Thierry d'Alsace passim.]. Er
wurde mit der Herrschaft
Bitsch ausgestattet. Das Attentat auf den kinderlosen Grafen Karl
den Guten von Flandern am 2. März 1127
eröffnete ihn jedoch neue Möglichkeiten. Als Vetter des
Ermordeten und letzter noch
lebender legitimer Enkel Roberts des Friesen
erhob er Anspruch auf die flandrische Grafenwürde, sah sich jedoch
einer Reihe weiterer Prätendeten gegenüber [60 Vgl. im folgenden Bernhardi,
Lothar 187-193; Toll, Beziehungen 49-52; Hicks, Impact 15-20; Berg,
England 319-330; Poull, Lorraine 359; Hemptinne, Thierry d'Alsace
84-88; Hollister, Henry I 318-322,325f.]. Da sich Dietrich von Elsaß als
aussichtsreichster Prätendent erwies, konzentrierte Heinrich I. von
England ab April 1128 seine finanziellen Zuwendungen auf ihn.
Ende Juli schließlich entschied eine tödliche Verwundung Wilhelm Clitos
die flandrischen Thronwirren zugunsten Dietrichs
von Elsaß.
Noch vor diesem Avancement zum Grafen von Flandern hatte Dietrich eine gewisse Swanhild geheiratet, mit der er eine
Tochter Laurentia/Lauritta hatte [61 Flandria Generosa, c. 32, MGH SS
9, 324. Comitissa etiam Suanildis,
pro cuius consanguinitatis cognatione plurima fiebant mala, obiit,
unicam tantum filiam ex comite habens nonime Laurentiam.]. Swanhilds Herkunft ist unbekannt [62 Johnen, Philipp von Elsaß
341; Poull, Lorraine 359.]. Ihr relativ seltener Name gibt der
Vermutung Raum, daß sie eine Tochter
Graf Folmars von Metz († 1111) war, dessen Mutter ebenfalls Swanhild hieß [63 Vgl. hierzu Hemptinne, Thierry
d'Alsace 83f. und 101, Anm. 4; siehe auch Parisse, Noblesse lorraine 2,
871 (Tafel 9).]. Wie zwei noch zu Lebzeiten Dietrichs in St-Berin entstandene
Quellen wissen wollen, waren er und Swanhild
miteinander verwandt [64 Vgl.
neben Anm. 61 auch Simon von St-Bertin, Gesta abb. lib. II, c.124 (De obitu Suanehildis comitissae), MGH
SS 13, 659: Uxor enim Theoderici comitis, pro qua ex
cognatione consanguinitatis idem erat occulte, obiit.], doch
scheint es deswegen nicht zu einer Trennung der Ehe gekommen zu sein,
jedenfalls taucht Suanchilda
noch 1130, wenige Jahre vor ihrem Ableben an der Seite Dietrichs auf [65 Vgl. Calmet, Lorraine 5, Preuves
173f. (= Wauters, Table 2, 154).].
Ein Jahr nach ihrem Tod († 4.
September 1133) [66 Todesdatum
nach Hemptinne, Thierry d'Alsce 84.] vermählte sich Dietrich in zweiter Ehe mit Sibylle, der Tochter Fulcos
V. von Anjou († 1143)
[67 Simon von St-Bertin, Gesta
abb., lib II, c. 124, MGH SS 13, 659. Siehe auch Johnen, Philipp von
Elsass 342; Toll, Beziehungen 51f.; Poull, Lorraine 359.]. Die
Verbindung Sibylles
mit dem flandrischen Grafen entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie.
Noch 1123 war sie eben jenem Wilhelm Clito in die Ehe
gegeben worden, gegen den Dietrich
wenige Jahre später im Streit um die flandrische Grafenwürde
lag [69 Vgl. im folgenden
Rössler, Kaiserin Mathilde 52f., 98; Hicks, Impact 9-13; Berg,
England 293ff.; Hiemtinne, Thierry d'Alsace 84.]. Heinrich I. von
England erreichte aber 1124 durch geschickte Diplomatie,
daß die päpstliche Kurie die Verbindung wegen zu naher
Verwandtschaft der Brautleute für ungültig erklärte [70 Vgl. Hicks, Impact 12f.;
Hollister, Henry I 304f.]. Dem Bericht des Ordericus Vitalis zufolge
war er auch die treibende Kraft hinter der Heirat Sibylles mit
Dietrich, den er zuvor ja schon
im Kampf um die Grafschaft protegiert hatte [71 Ordericus Vitalis, Hist. aeccl.,
lib XII, c. 45, 6, 378.], denn in seinem Dauerkonflikt mit dem kapetingischen
Königtum mußte dem Anglonormannen daran gelegen sein, mit
möglichst vielen französischen Kronvasallen auf gutem
Fuße zu stehen.
Sibylle
hatte also zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung den Status einer
Königs-Tochter inne, was in den Quellen auch hervogehoben wird.
Für Dietrich von Esaß
war dieser Umstand mit einem bträchtlichen Ansehenszuwachs
verbunden. Wahrscheinlich hat diese Verschwägerung mit der Königsfamilie von Jerusalem
auch sein Interesse am lateinischen Osten begründet. Im Laufe
seines Lebens hat er insgesamt vier Fahrten ins Heilige Land
unternommen (1138/39,1147/49,1157/59,1164/66). Offenbar beabsichtigte
er sogar zeiweise, dort eine eigene Herrschaft unter Jerusalemitaner
Lehnshoheit zu erreichten [75 Vgl.
Adrian Verhulst: Flandern, Grafschaft I, in: Lexikon des Mittelalters
Band 4 (1989) 514-518 (hier 517). Daß Dietrich, wenngleich religiöse
Motive nicht in Abrede gestellt werden sollen, auch konkrete politische
Absichten in Palästina hatte, beweist die militärische
Unterstützung, die er seinem
Schwiegervater Fulco
auf seiner Palästinafahrt 1138/39 gewährte. Während
seiner Teilnahme am Zweiten Kreuzzug scheint er bei der Belagerung von
Damaskus erwogen zu haben, die Stadt nach der Einnahme von König Balduin III. von
Jerusalem, dem Halbbruder
seiner Frau, zu Lehen zu nehmen. Ob er sich hiermit unter den
schon in Palästina ansässigen Baronen hätte durchsetzen
können, ist eine müßige Frage, da die Belagerung
erfolglos blieb (vgl. Cartellieri, Vorrang 327, 362f.; Hemptinne,
Thierry d'Alsace 98). Auf Graf
Dietrichs drittem Zug ins Heilige Land 1157/59 beabsichtigte Balduin III.,
seinem Schwager eine Herrschaft am Orontes zu verschaffen; dieses
Projekt scheiterte am Widerstand Rainalds
von Chatillon, des Fürsten
von Antiochia (vgl. Huyghebaert, Comtesse de Flandre 6).].
Jedoch ergaben sich für Dietrich
von Elsaß durch dieVermählung mit Sibylle nicht
nur Verwadtschaftsbeziehungen zu dem Königshaus von Jerusalem. Sibylles
Bruder Gottfried
war seit Juni 1128 mit der englischen
Thronerbin Mathilde († 1167), der Witwe Kaiser HEINRICHS V.,
verheiratet; Ende März 1133 gebar sie den nachmaligen König Heinrich II. († 1189). Zum Zeitpunkt der Hochzeit Dietrichs mußte seine Braut
allgemein als Schwägerin der designerten Königin von England
und Tante des präsumtiven Thronfolgers gelten.
In diese Auseinandersetzungen hat Graf
Dietrich, trotz seiner Verwandtschaft, nicht eingegriffen,
sondern eine neutrae Politik verfolgt, sieht man einmal von
geringfügigen Interventionen zugunsten seines Schwagers Gottfried von Anjou
ab. Allerdings nahm er im Dezember 1154 an der Krönung Heinrichs II.
in Westminster teil, aus dessen Hand er in der Folgezeit einige
Lehnsgüter (unter anderem Licolnshire und Suffolk) erhielt, und
unterhielt für den Rest seiner Regierungszeit weitestgehend
einvernehmliche Beziehungen zur englischen Krone.