Weller Tobias: Seite 443,458-459,520,544-546
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"Die Heiratspolitik des deutschen Hochadels im 12. Jahrhundert."
 
Heinrich III. folgte seinem Vater um 1078/79 in der Grafenwürde von Löwen nach. Er war mit Gertrud, einer Tochter Graf Roberts des Friesen (
1093) verheiratet [25 Vgl. Hermann von Tournai, De restauratione, c. 17, MGH SS 14, 282. Die Eheverbindung zwischen Graf Heinrich III. und Gertrud wird auch des öfteren anläßlich des Aufstiegs Dietrichs von Elsaß, des Sohnes Gertruds aus ihrer zweiten Ehe mit Herzog Dietrich II. von Ober-Lothringen, zum Grafen von Flandern erwähnt: Vgl. Ann. Egmund. zu 1128, MGH SS 16, 452. Simon von St-Bertin, Gesta abb., lib. II, c. 121, MGH SS 13, 659.].
Herzog Gottfried verfolgte seinen Anspruch auf die Ausstattung der Clementia weiter und hatte damit schließlich auch zeitweiligen Erfolg. Er griff nämlich in den flandrischen Thronfolgestreit nach der Ermordung Graf Karls ein und unterstützte den Prätendenten Wilhelm Clito gegen dessen Konkurrenten Dietrich von Elsaß [105 Dies versichert zumindest Paul Bonenfant; vgl. Sproemberg, Clementia von Flandern 1238, Anm. 2. Eine Durchsicht der Regestensammlung von Wauters,  Table 2, kommt zu demselben  Ergebnis.]. Diese Parteinahme erfolgte unter anderem deshalb, weil Gottfried befürchtete, ihm werde die dos gewaltsam entrissen, für deren Herausgabe ihn Dietrich bereits bei König LOTHAR habe zur Rechenschaft ziehen wollen [106 Zur Kandidatur Dietrichs von Elsaß und den Ergebnissen des flandrischen Thronfolgestreits 1127/28 siehe unten Seite 544f.]. Dies läßt vermuten, daß sich der Herzog in den f
landrischen Thronwirren des Besitzes seiner Frau bemächtigt hatte, welcher nun von Dietrich zurückgefordert wurde [108 Galbert von Brügge, De multro, c. [120] CChCM 131, 168, bemerkt, Dietrich von Elsaß sei mit seiner Forderung nach Herausgab der Güter im Recht gewesen.].
Nach Mathildes Tod ging Heinrich II. eine zweite Verbindung mit der ebenfalls verwitweten Laurentia/Lauritta, der Tochter Dietrichs von Elsaß (
1168), ein. Diese Eheschließung läßt noch einmal das Aufstiegsstreben der LIMBURGER erkennen: Dietrich hatte seit 1128 die flandrische Grafenwürde inne; hinsichtlich seiner Herrschaftsgrundlage und seines Ansehens stand er einem Herzog des Reiches sicherlich in nichts nach. Allerdings stammte Laurentia nicht aus Dietrichs Ehe mit der hochedlen Sibylle von Anjou, sondern aus seiner voraufgegangenen Verbindung mit Swanhild ( 1133); deren Familienzugehörigkeit nicht sicher zubestimmen ist [41 Vgl. hierzu unten Seite 545.].
Der älteste, nach dem Vater benannte Sohn aus der zweiten Ehe des Lothringer-Herzogs war Dietrich von Elsaß [59 Zu seiner Person vgl. Pouli, Lorraine 359ff.; siehe auch die kurze Biographie von Therese Hemptinne, Thierry d'Alsace passim.]. Er wurde mit der Herrschaf
t Bitsch ausgestattet. Das Attentat auf den kinderlosen Grafen Karl den Guten von Flandern am 2. März 1127 eröffnete ihn jedoch neue Möglichkeiten. Als Vetter des Ermordeten und letzter noch lebender legitimer Enkel Roberts des Friesen erhob er Anspruch auf die flandrische Grafenwürde, sah sich jedoch einer Reihe weiterer Prätendeten gegenüber [60 Vgl. im folgenden Bernhardi, Lothar 187-193; Toll, Beziehungen 49-52; Hicks, Impact 15-20; Berg, England 319-330; Poull, Lorraine 359; Hemptinne, Thierry d'Alsace 84-88; Hollister, Henry I 318-322,325f.]. Da sich Dietrich von Elsaß als aussichtsreichster Prätendent erwies, konzentrierte Heinrich I. von England ab April 1128 seine finanziellen Zuwendungen auf ihn. Ende Juli schließlich entschied eine tödliche Verwundung Wilhelm Clitos die flandrischen Thronwirren zugunsten Dietrichs von Elsaß.
Noch vor diesem Avancement zum Grafen von Flandern hatte Dietrich eine gewisse Swanhild geheiratet, mit der er eine Tochter Laurentia/Lauritta hatte [61 Flandria Generosa, c. 32, MGH SS 9, 324. Comitissa etiam Suanildis, pro cuius consanguinitatis cognatione plurima fiebant mala, obiit, unicam tantum filiam ex comite habens nonime Laurentiam.]. Swanhilds Herkunft ist unbekannt [62 Johnen, Philipp von Elsaß 341; Poull, Lorraine 359.]. Ihr relativ seltener Name gibt der Vermutung Raum, daß sie eine Tochter Graf Folmars von Metz (
1111) war, dessen Mutter ebenfalls Swanhild hieß [63 Vgl. hierzu Hemptinne, Thierry d'Alsace 83f. und 101, Anm. 4; siehe auch Parisse, Noblesse lorraine 2, 871 (Tafel 9).]. Wie zwei noch zu Lebzeiten Dietrichs in St-Berin entstandene Quellen wissen wollen, waren er und Swanhild miteinander verwandt [64 Vgl. neben Anm. 61 auch Simon von St-Bertin, Gesta abb. lib. II, c.124 (De obitu Suanehildis comitissae), MGH SS 13, 659: Uxor enim Theoderici comitis, pro qua ex cognatione consanguinitatis idem erat occulte, obiit.], doch scheint es deswegen nicht zu einer Trennung der Ehe gekommen zu sein, jedenfalls taucht Suanchilda noch 1130, wenige Jahre vor ihrem Ableben an der Seite Dietrichs auf [65 Vgl. Calmet, Lorraine 5, Preuves 173f. (= Wauters, Table 2, 154).].
Ein Jahr nach ihrem Tod (
4. September 1133) [66 Todesdatum nach Hemptinne, Thierry d'Alsce 84.] vermählte sich Dietrich in zweiter Ehe mit Sibylle, der Tochter Fulcos V. von Anjou ( 1143) [67 Simon von St-Bertin, Gesta abb., lib II, c. 124, MGH SS 13, 659. Siehe auch Johnen, Philipp von Elsass 342; Toll, Beziehungen 51f.; Poull, Lorraine 359.]. Die Verbindung Sibylles mit dem flandrischen Grafen entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie. Noch 1123 war sie eben jenem Wilhelm Clito in die Ehe gegeben worden, gegen den Dietrich wenige Jahre später im Streit um die flandrische Grafenwürde lag [69 Vgl. im folgenden Rössler, Kaiserin Mathilde 52f., 98; Hicks, Impact 9-13; Berg, England 293ff.; Hiemtinne, Thierry d'Alsace 84.]. Heinrich I. von England erreichte aber 1124 durch geschickte Diplomatie, daß die päpstliche Kurie die Verbindung wegen zu naher Verwandtschaft der Brautleute für ungültig erklärte [70 Vgl. Hicks, Impact 12f.; Hollister, Henry I 304f.]. Dem Bericht des Ordericus Vitalis zufolge war er auch die treibende Kraft hinter der Heirat Sibylles mit Dietrich, den er zuvor ja schon im Kampf um die Grafschaft protegiert hatte [71 Ordericus Vitalis, Hist. aeccl., lib XII, c. 45, 6, 378.], denn in seinem Dauerkonflikt mit dem kapetingischen Königtum mußte dem Anglonormannen daran gelegen sein, mit möglichst vielen französischen Kronvasallen auf gutem Fuße zu stehen.
Sibylle hatte also zum Zeitpunkt ihrer Eheschließung den Status einer Königs-Tochter inne, was in den Quellen auch hervogehoben wird. Für Dietrich von Esaß war dieser Umstand mit einem bträchtlichen Ansehenszuwachs verbunden. Wahrscheinlich hat diese Verschwägerung mit der Königsfamilie von Jerusalem auch sein Interesse am lateinischen Osten begründet. Im Laufe seines Lebens hat er insgesamt vier Fahrten ins Heilige Land unternommen (1138/39,1147/49,1157/59,1164/66). Offenbar beabsichtigte er sogar zeiweise, dort eine eigene Herrschaft unter Jerusalemitaner Lehnshoheit zu erreichten [75 Vgl. Adrian Verhulst: Flandern, Grafschaft I, in: Lexikon des Mittelalters Band 4 (1989) 514-518 (hier 517). Daß Dietrich, wenngleich religiöse Motive nicht in Abrede gestellt werden sollen, auch konkrete politische Absichten in Palästina hatte, beweist die militärische Unterstützung, die er seinem Schwiegervater Fulco auf seiner Palästinafahrt 1138/39 gewährte. Während seiner Teilnahme am Zweiten Kreuzzug scheint er bei der Belagerung von Damaskus erwogen zu haben, die Stadt nach der Einnahme von König Balduin III. von Jerusalem, dem Halbbruder seiner Frau, zu Lehen zu nehmen. Ob er sich hiermit unter den schon in Palästina ansässigen Baronen hätte durchsetzen können, ist eine müßige Frage, da die Belagerung erfolglos blieb (vgl. Cartellieri, Vorrang 327, 362f.; Hemptinne, Thierry d'Alsace 98). Auf Graf Dietrichs drittem Zug ins Heilige Land 1157/59 beabsichtigte Balduin III., seinem Schwager eine Herrschaft am Orontes zu verschaffen; dieses Projekt scheiterte am Widerstand Rainalds von Chatillon, des Fürsten von Antiochia (vgl. Huyghebaert, Comtesse de Flandre 6).].
Jedoch ergaben sich für Dietrich von Elsaß durch dieVermählung mit Sibylle nicht nur Verwadtschaftsbeziehungen zu dem Königshaus von Jerusalem. Sibylles Bruder Gottfried war seit Juni 1128 mit der englischen Thronerbin Mathilde (
1167), der Witwe Kaiser HEINRICHS V., verheiratet; Ende März 1133 gebar sie den nachmaligen König Heinrich II. ( 1189). Zum Zeitpunkt der Hochzeit Dietrichs mußte seine Braut allgemein als Schwägerin der designerten Königin von England und Tante des präsumtiven Thronfolgers gelten.
In diese Auseinandersetzungen hat Graf Dietrich, trotz seiner Verwandtschaft, nicht eingegriffen, sondern eine neutrae Politik verfolgt, sieht man einmal von geringfügigen Interventionen zugunsten seines Schwagers Gottfried von Anjou ab. Allerdings nahm er im Dezember 1154 an der Krönung Heinrichs II. in Westminster teil, aus dessen Hand er in der Folgezeit einige Lehnsgüter (unter anderem Licolnshire und Suffolk) erhielt, und unterhielt für den Rest seiner Regierungszeit weitestgehend einvernehmliche Beziehungen zur englischen Krone.