Bengtson Hermann: Seite 15-24,26-33
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"Die Diadochen. Die Nachfolger Alexanders des Großen."

Auf seinem letzten Lager hatte der König dem Perdikkas seinen Siegelring - wahrscheinlich das Siegel für das asiatische Königreich - übergeben. Perdikkas wurde damit aus der Zahl der Würdenträger herausgehoben, wenn man in diesem Vorgang auch kaum die Bestellung eines Nachfolgers sehen darf. Für Perdikkas war dieser Vorgang von weitreichender Bedeutung; es besteht kein Zweifel, dass er sich nun als Vertreter des toten Königs betrachtete. Natürlich haben die anderen Generale nicht anerkannt.
Nach Justin schlug Perdikkas bei der Versammlung der Generale im Palast zu Babylon vor, man möge die Geburt des Kindes der Rhoxane abwarten und diesem, falls es ein Knabe sei, die Nachfolge übergeben. Meleager und Ptolemaios hatten andere Vorschläge, drangen damit nicht durch, weil ihnen die Autorität des Perdikkas im Wege stand. So beschloß die Versammlung, die Niederkunft der Rhoxane abzuwarten, und wenn das Kind ein Knabe sei, so sollten ihm als Vormünder Leonnatos, Perdikkas, Antipater und Krateros beigegeben werden. Aber das Fußvolk rief Philipp III. Arrhidaios zum König aus und wagte den offenen Aufstand. Es wandte sich gegen die Hetairenreiterei und zwangen sie mit Gewalt, die Stadt Babylon zu verlassen. Angeblich soll es auch einen Mordanschlag auf Perdikkas gegeben haben; sein Urheber sei ein Mann namens Attalos gewesen, doch überstand Perdikkas mit Geistesgegenwart die prekäre Situation, indem er dem Fußvolk offen entgegentrat und die Ordnung wiederherstellte. Perdikkas setzte sich durch und wurde allgemein als der "Führer" (dux) anerkannt. Der Konflikt wurde dadurch gelöst, dass man ein Doppelkönigtum vorschlug. Der wichtigste Mann in Babylon und überhaupt im asiatischen Reich Alexanders aber war Perdikkas. Er hatte den Rang eines Chiliarchen inne, das heißt, er war der Erste nach dem König, er war Großwesir, außerdem führte er den Befehl über die erste Hipparchie der Hetairenreiterei. Dies war die ile basilike, die vorher Hephaistion innegehabt hatte. Die Stellung galt als die vornehmste im ganzen Alexander-Heer. Doch hatte Perdikkas in Meleager einen Rivalen. Nach dem Willen der Generale war dieser dem Perdikkas als Hyparchos unterstellt, aber Perdikkas ließ ihn wegen Hochverrats vor die Heeresversammlung stellen; sie sprach ihn schuldig und ließ ihn hinrichten.
Perdikkas war jetzt der erste Mann nicht nur in Babylon, sondern in ganz Vorderasien. Auf der Massenhochzeit zu Susa hatte er, um seinem König gefällig zu sein, die Tochter des medischen Satrapen Atropates geheiratet. Ob er die Iranerin nach Alexanders Tod verstoßen hat, ist nicht bekannt. Man erfährt nur, dass Perdikkas als Schwiegersohn überall willkommen war. Zwischen Perdikkas und Ptolemaios bestand eine latente Spannung.
Unter der maßgebenden Leitung des Perdikkas schritt man in Babylon zur Neuverteilung der Satrapien. Die Absicht, die engsten Freunde des toten Königs aus Babylon zu entfernen, ist unverkennbar. Sie erhielten weit entfernte Satrapien am Rande des Reiches. Natürlich handelte man im Namen des Königs Philipp Arrhaidaios; entscheidend war aber der Wille des Perdikkas. Im übrigen erstreckten sich die Vollmachten des Perdikkas allein auf Asien. Er war Chiliarch und fühlte sich allen Satrapen in Asien vorgesetzt, was diese jedoch nicht anerkannt haben. Von entscheidender Bedeutung ist die Tatsache, dass eine Reichsverweserschaft in Babylon nicht beschlossen worden ist. Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass man sich gescheut hat, einem einzelnen zu große Vollmachten zu übertragen. Dies wäre vor allem nicht im Sinne der Satrapen gewesen, die möglichst unabhängig bleiben wollten.
Die Entwicklung der Diadochenzeit von 323 v.u.Z. bis 321 v.u.Z. steht ganz unter dem Zeichen des Perdikkas in Asien und des Antipater in Makedonien und Griechenland. Perdikkas hat seine Macht skrupellos eingesetzt. Wer sich ihm in den Weg stellte, wurde beseitigt. Die Machtfragen wurden mit Hilfe des Heeres geklärt; der Riß ging mitten durch die Makedonen hindurch; sie standen auf beiden Seiten der Kämpfenden.
Perdikkas hat die Heeresversammlung der Makedonen in Babylon überredet, die letzten Pläne Alexanders nicht auszuführen. Nach Kenntnisnahme dieser Pläne hat die makedonische Heeresversammlung in Babylon beschlossen, sie nicht auszuführen. Es ist sicher, dass die Ablehnung der letzten Pläne im Sinne des Perdikkas und seiner Freunde gewesen ist. Die Welteroberung war aufgegeben worden; die Herrschaft der Makedonen blieb auf die östliche Hälfte der Mittelmeerwelt und auf Vorderasien beschränkt. Und Perdikkas? Man wird zugeben müssen, dass er in dieser wichtigen Sache praktischen Sinn und Gefühl für das Erreichbare gezeigt hat. Perdikkas war nicht Alexander; der Chiliarch beschränkte sich auf Dinge, deren Ausführung nicht die Existenz des makedonischen Volkstums berührten.
Wo er auch konnte, hat Perdikkas die Einheit des Reiches verfochten. Er verfügte in dem Griechen Eumenes von Kardia über einen hervorragenden Mitstreiter, wenn dieser auch von den Makedonen nicht als gleichberechtigt anerkannt wurde. Als er Schwierigkeiten hatte, die ihm übertragene Satrapie Kappadokien zu übernehmen, kam ihm Perdikkas mit dem Reichsheer zu Hilfe; der persische Satrap Ariarathes erlitt eine Niederlage. Das Verhalten des Perdikkas zeigt eine gewisse Zielstrebigkeit; in seinem Handeln war er konsequent, aber auch grausam und rücksichtslos. Sein Ziel war die Erhaltung des Zustandes in Vorderasien, wie er unter Alexander gewesen war. Und dies wäre ihm wohl auch gelungen, wenn sich nicht mehrere Rivalen gegen Perdikkas verschworen hätten. Zu seinen Gegnern zählte vor allem der Satrap Antigonos, der in Phrygien herrschte. Er wurde aus seiner Satrapie verdrängt und mußte sich zu Antipater und Krateros nach Makedonien begeben. Aber Antigonos war nicht der einzige Rivale des Perdikkas. Da war noch Ptolemaios, der Satrap von Ägypten.

                 Perdikkas und Ptolemaios

Wie ist es zur Feindschaft zwischen Perdikkas und Ptolemaios gekommen? Beide Männer gehörten zu den hervorragendsten Helfern Alexanders; in seinen letzten Jahren war besonders Perdikkas hervorgetreten; dies aber hatte Ptolemaios nicht gern gesehen, und es wird niemand verwundern, wenn Ptolemaios in seinem späteren Geschichtswerk die Verdienste des Perdikkas unerwähnt gelassen hat. Perdikkas wird in der Hinrichtung des Kleomenes einen eklatanten Verstoß gegen die Beschlüsse von Babylon gesehen haben, und dies von seinem Standpunkt aus sicherlich zu Recht. Er wußte nun, was er von Ptolemaios zu erwarten hatte. Ptolemaios erscheint hier als ein Machthaber, der sich allein und ausschließlich um sein eigenes Land gekümmert hat. Die Weisungen des Perdikkas waren ihm gleichgültig. Auf keinen Fall darf man annehmen, Ptolemaios habe dem Perdikkas ein Oberaufsichtsrecht irgendeiner Art über Ägypten zugestanden. Eine weitere Verschärfung in den Beziehungen zwischen dem Chiliarchen in Babylon und dem Satrapen von Ägypten brachte der Konflikt um den Leichenwagen Alexanders. Wie es heißt, hat man zwei volle Jahre gebraucht, um ihn in Babylon zu erbauen. Perdikkas wollte den toten Alexander bei seinem Vater in Makedonien, in der alten Grablege von Aigai, beisetzen. Als sich der Leichenwagen endlich unter dem Befehl des Generals Arrhidaios in Bewegung setzte, fing Ptolemaios ihn in Syrien ab und leitete ihn nach Ägypten. In einem Grab von Memphis wurde Alexander beigesetzt; einige Jahre später überführte man den Leichnam nach Alexandria. Diesen Handstreich hat Perdikkas seinem alten Rivalen weder verziehen noch vergessen, denn Perdikkas wußte wohl, dass sich Ptolemaios damit als der wahre Erbe Alexanders legitimieren wollte. Durch dieses Verhalten des Ptolemaios waren die Beziehungen zwischen den beiden Machthabern gespannt. Aber es kamen noch mehr Übergriffe des Satrapen hinzu. Ptolemaios hatte nämlich seine Hand nach Zypern ausgestreckt, er hatte mit den Stadt-Königen von Salamis, Soloi, Paphos und Amathus Bündnisse abgeschlossen. Das Motiv war nackter Imperialismus, Perdikkas aber erhielt dadurch den entscheidenden Kriegsgrund.
Um den Rücken frei zu haben, ernannte Perdikkas den Eumenes zum bevollmächtigten Strategen von Kleinasien. Im übrigen war das Unternehmen des Perdikkas gegen das Nilland von langer Hand vorbereitet. Er rückte mit seiner Armee zunächst vor Pelusion, das östliche Eingangstor Ägyptens, um von hier aus den Übergang über den Nil zu forcieren. Aber man kannte die reißende Strömung des Flusses zu wenig; die Anlagen für den Übergang wurden durch die Wucht des Nilstromes zerstört. Wie es scheint, hatte Perdikkas keinen Experten zur Verfügung, sonst wäre dies sicher nicht passiert. Der erste Mißerfolg hatte ernste Folgen, denn schon jetzt machte sich der Abfall seiner Soldaten zu Ptolemaios bemerkbar. Er muß wohl über eine Anzahl von Freunden und Parteigängern im Heer des Perdikkas verfügt haben. Was sollte Perdikkas tun? Er führte sein Heer in einem Nachtmarsch den Nil entlang zu einem Ort, den die Quellen die "Burg der Kamele" nennen. Bei Tagesanbruch setzte er seine Truppen, zuerst die Elefanten, über den Strom, um mit dem Kampf um die Mauer zu beginnen. Aber hier, bei der "Burg der Kamele", hatte er seine Rechnung ohne Ptolemaios gemacht. Dieser hatte seine Soldaten zum Fort geschickt, um der bedrängten Besatzung zu helfen. Es entspann sich ein hitziges Gefecht. Dabei gelang es den Hypaspiten des Perdikkas, die Leitern an die Mauern zu setzen, während sich die anderen Krieger mitsamt den Elefanten damit beschäftigten, den Graben und die Brustwehr zu zerstören. Bei Diodor kann man nachlesen, dass Ptolemaios selbst, bewaffnet mit einer baumlangen Sarisse, oben auf der Brustwehr stand und sich gegen den ersten Elefanten wandte; er stach ihm die Augen aus, während er die Angreifer von der hohen Mauer hinunterwarf. Perdikkas sah sich gezwungen, seine Männer zurückzurufen. Er gestand damit ein, den Kampf um die Mauern des Forts verloren zu haben. Doch hatte er die Absicht, in Ägypten einzudringen, noch nicht aufgegeben. Bei Memphis teilt sich der Strom und bildet ein Insel; sie war das Ziel des Angriffs des Perdikkas, aber auch hier machte sich beim Übersetzen die Strömung des Flusses nachhaltig bemerkbar; die Gegend war offenbar nicht erkundet worden, so dass der Anprall der Fluten geradezu vernichtend war. Was eine Nilüberquerung in einer Furt bedeutete, darüber hatte sich im Stabe des Perdikkas offenbar niemand Gedanken gemacht. Es gab große Verluste, 2.000 Mann sollen im Strom ertrunken sein. So war der Feldzug für Perdikkas bereits gescheitert, als Ptolemaios mit seiner Streitmacht an der Übergangsstelle erschien. Im Heer des Perdikkas hatte sich eine Opposition gegen den Chiliarchen gebildet. Sie ging von Peithon aus, dem Leiter der Oberen Satrapien, von Antigenes, dem Führer der Argyraspiden, und von Seleukos. Diese hohen Offiziere, unterstützt von einer Anzahl von Reitern, griffen das Feldherrnzelt des Perdikkas an. Obwohl er energisch Widerstand leistete, wurde er im Kampf niedergemacht. Mit ihm gingen einige seiner Freunde zugrunde, und mit ihnen seine Schwester Atalante, die Gattin des Generals Attalos.
Der mißglückte Feldzug des Perdikkas im Jahre 321 v.u.Z. nach Ägypten ist ohne Zweifel ein Wendepunkt in der Geschichte des Alexander-Reiches. Mit Perdikkas war der Mann gefallen, der sich ohne jedes Schwanken immer für die Reichseinheit eingesetzt hatte.
Über Perdikkas gehen die Urteile der Historiker auseinander. Während ihn manche einfach als unfähig bezeichnen, hat ihn Gaetano De Sanctis den wahren Erben Alexanders genannt. Und für den Ausbruch des ersten Koalitionskrieges sei er nicht verantwortlich gewesen. Wir schließen uns diesem Urteil an und glauben, dass sein Tod ein schwerer Verlust für die Reichsidee gewesen ist. Er war nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet gewesen, mit seinem Heer nach Ägypten zu ziehen. Dass er dem Ptolemaios unterlegen ist, kann man auf unzweckmäßige Vorbereitung, auf die Schwierigkeit des Flußübergangs und auf die Opposition im eigenen Lager zurückführen. Vor allem hat die Propaganda der Gegenseite viel zu seinem Untergang beigetragen. Niemand wird leugnen, dass sich auch Perdikkas im Kampf um die Macht verwerflicher Mittel bedient hat. Menschenleben galten ihm wenig, aber in dieser Einstellung war er nicht anders als die anderen Diadochen. Doch bleibt die Frage, ob er auf andere Weise, mit Güte und Entgegenkommen gegenüber seinen Kontrahenten, die Einheit des Reiches hätte erhalten können. Sehr nachteilig hat sich schließlich die Tatsache ausgewirkt, dass er nur über wenige treue Freunde verfügte. Die hohen Generale neideten ihm seine Stellung; sie taten alles, um ihn zu vernichten. Und was hätte ein einziger noch so tatkräftiger Mann gegen die Schar der Feinde ausrichten können? Dazu kam, dass er als Feldherr wenig glücklich war; seine Offiziere waren nur mit halbem Herzen bei der Sache, und als es darauf ankam, haben sie ihn im Stich gelassen. Ein mitreißender Führer war er nicht, in dieser Hinsicht ist er weder mit Krateros noch mit Eumenes zu vergleichen. Und mit dem riskanten Unternehmen in Ägypten hatte er allen Kredit bei seinen Soldaten verloren. Schon bei der Satrapienverteilung von Babylon hatte er es nicht allen recht machen können, und die rigorose Behandlung der aufständischen Makedonen und Griechen in Baktrien raubte ihm vollends die Sympathien der Soldaten im Osten des Reiches. Doch sollte man darüber nicht vergessen, dass er nach Kräften versucht hat, die Einheit des Reiches zu wahren. In diesem Sinn ist er der Nachfolger Alexanders gewesen; nur hatte er es viel schwerer als der Makedonen-König in seinem kurzen Leben. Sein schroffes, unzugängliches Wesen schuf dem Perdikkas viele Feinde; sie warteten geradezu auf Mißerfolge, um sich seiner bei der ersten besten Gelegenheit entledigen zu können. Wenn bei Diodor zu lesen steht, Perdikkas habe nach dreijähriger Regierung sein Ende gefunden, es ist dies ein Irrtum. In Wirklichkeit hat Perdikkas nur zwei Jahre die Zügel in der Hand gehabt, vom Tode Alexanders am 10. Juni 323 v.u.Z. bis zu seinem Ende in Ägypten, wahrscheinlich im Sommer 321 v.u.Z. Angesichts dieser Entwicklung scheint die Frage berechtigt, ob es nicht besser gewesen wäre, wenn nicht Perdikkas, sondern Peukestas der Nachfolger Alexanders in Asien geworden wäre. Durch seinen Kontakt mit den Persern, durch seine Kenntnis der persischen Sprache wäre er wohl der gegebene Mann gewesen, die Ideen Alexanders weiterzuführen, insbesondere auch die Verschmelzung von Makedonen und Persern, eine Idee, die von den Makedonen in Babylon aufgegeben worden ist.