Auf seinem letzten Lager hatte der König dem Perdikkas
seinen Siegelring - wahrscheinlich das Siegel für das asiatische Königreich
- übergeben. Perdikkas wurde damit aus der Zahl der Würdenträger
herausgehoben, wenn man in diesem Vorgang auch kaum die Bestellung eines
Nachfolgers sehen darf. Für Perdikkas war dieser Vorgang von
weitreichender Bedeutung; es besteht kein Zweifel, dass er sich nun als
Vertreter des toten Königs betrachtete. Natürlich haben die anderen
Generale nicht anerkannt.
Nach Justin schlug Perdikkas bei der Versammlung
der Generale im Palast zu Babylon vor, man möge die Geburt des Kindes
der Rhoxane abwarten und diesem, falls
es ein Knabe sei, die Nachfolge übergeben. Meleager und Ptolemaios
hatten andere Vorschläge, drangen damit nicht durch, weil ihnen die
Autorität des Perdikkas im Wege stand. So beschloß die
Versammlung, die Niederkunft der Rhoxane abzuwarten,
und wenn das Kind ein Knabe sei, so sollten ihm als Vormünder Leonnatos,
Perdikkas, Antipater und Krateros beigegeben werden.
Aber das Fußvolk rief Philipp III. Arrhidaios
zum König aus und wagte den offenen Aufstand. Es wandte
sich gegen die Hetairenreiterei und zwangen sie mit Gewalt, die Stadt Babylon
zu verlassen. Angeblich soll es auch einen Mordanschlag auf Perdikkas
gegeben haben; sein Urheber sei ein Mann namens Attalos gewesen,
doch überstand Perdikkas mit Geistesgegenwart die prekäre
Situation, indem er dem Fußvolk offen entgegentrat und die Ordnung
wiederherstellte. Perdikkas setzte sich durch und wurde allgemein
als der "Führer" (dux) anerkannt. Der Konflikt wurde
dadurch gelöst, dass man ein Doppelkönigtum vorschlug. Der wichtigste
Mann in Babylon und überhaupt im asiatischen Reich Alexanders
aber war Perdikkas. Er hatte den Rang eines Chiliarchen
inne, das heißt, er war der Erste nach dem König, er war Großwesir,
außerdem führte er den Befehl über die erste
Hipparchie der Hetairenreiterei. Dies war die ile basilike,
die vorher Hephaistion innegehabt hatte. Die Stellung galt als die
vornehmste im ganzen Alexander-Heer.
Doch hatte Perdikkas in Meleager einen Rivalen. Nach dem
Willen der Generale war dieser dem Perdikkas als Hyparchos
unterstellt, aber Perdikkas ließ ihn wegen Hochverrats vor
die Heeresversammlung stellen; sie sprach ihn schuldig und ließ ihn
hinrichten.
Perdikkas war jetzt der erste Mann nicht nur in
Babylon, sondern in ganz Vorderasien. Auf der Massenhochzeit zu Susa hatte
er, um seinem König gefällig zu sein, die Tochter des medischen
Satrapen Atropates geheiratet. Ob er die Iranerin nach Alexanders
Tod verstoßen hat, ist nicht bekannt. Man erfährt nur, dass
Perdikkas als Schwiegersohn überall willkommen war. Zwischen
Perdikkas und Ptolemaios bestand
eine latente Spannung.
Unter der maßgebenden Leitung des Perdikkas
schritt man in Babylon zur Neuverteilung der Satrapien. Die Absicht, die
engsten Freunde des toten Königs aus Babylon zu entfernen, ist unverkennbar.
Sie erhielten weit entfernte Satrapien am Rande des Reiches. Natürlich
handelte man im Namen des Königs Philipp
Arrhaidaios; entscheidend war aber der Wille des Perdikkas.
Im übrigen erstreckten sich die Vollmachten des Perdikkas allein
auf Asien. Er war Chiliarch und fühlte sich allen Satrapen in Asien
vorgesetzt, was diese jedoch nicht anerkannt haben. Von entscheidender
Bedeutung ist die Tatsache, dass eine Reichsverweserschaft in Babylon nicht
beschlossen worden ist. Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass
man sich gescheut hat, einem einzelnen zu große Vollmachten zu übertragen.
Dies wäre vor allem nicht im Sinne der Satrapen gewesen, die möglichst
unabhängig bleiben wollten.
Die Entwicklung der Diadochenzeit von 323 v.u.Z. bis
321 v.u.Z. steht ganz unter dem Zeichen des Perdikkas in Asien und
des Antipater in Makedonien und Griechenland. Perdikkas hat
seine Macht skrupellos eingesetzt. Wer sich ihm in den Weg stellte, wurde
beseitigt. Die Machtfragen wurden mit Hilfe des Heeres geklärt; der
Riß ging mitten durch die Makedonen hindurch; sie standen auf beiden
Seiten der Kämpfenden.
Perdikkas hat die Heeresversammlung der Makedonen
in Babylon überredet, die letzten Pläne Alexanders
nicht auszuführen. Nach Kenntnisnahme dieser Pläne
hat die makedonische Heeresversammlung in Babylon beschlossen, sie nicht
auszuführen. Es ist sicher, dass die Ablehnung der letzten Pläne
im Sinne des Perdikkas und seiner Freunde gewesen ist. Die Welteroberung
war aufgegeben worden; die Herrschaft der Makedonen blieb auf die östliche
Hälfte der Mittelmeerwelt und auf Vorderasien beschränkt. Und
Perdikkas? Man wird zugeben müssen, dass er in dieser wichtigen
Sache praktischen Sinn und Gefühl für das Erreichbare gezeigt
hat. Perdikkas war nicht Alexander;
der Chiliarch beschränkte sich auf Dinge, deren Ausführung
nicht die Existenz des makedonischen Volkstums berührten.
Wo er auch konnte, hat Perdikkas die Einheit des
Reiches verfochten. Er verfügte in dem Griechen Eumenes von Kardia
über einen hervorragenden Mitstreiter, wenn dieser auch von den Makedonen
nicht als gleichberechtigt anerkannt wurde. Als er Schwierigkeiten hatte,
die ihm übertragene Satrapie Kappadokien zu übernehmen, kam ihm
Perdikkas mit dem Reichsheer zu Hilfe; der persische Satrap Ariarathes
erlitt eine Niederlage. Das Verhalten des Perdikkas zeigt eine
gewisse Zielstrebigkeit; in seinem Handeln war er konsequent, aber
auch grausam und rücksichtslos. Sein Ziel war die Erhaltung
des Zustandes in Vorderasien, wie er unter Alexander
gewesen war. Und dies wäre ihm wohl auch gelungen, wenn sich nicht
mehrere Rivalen gegen Perdikkas verschworen hätten. Zu seinen
Gegnern zählte vor allem der Satrap Antigonos,
der in Phrygien herrschte. Er wurde aus seiner Satrapie verdrängt
und mußte sich zu Antipater und Krateros nach Makedonien
begeben. Aber Antigonos war nicht der
einzige Rivale des Perdikkas. Da war noch Ptolemaios,
der Satrap von Ägypten.
Perdikkas und Ptolemaios
Wie ist es zur Feindschaft zwischen Perdikkas und
Ptolemaios gekommen? Beide Männer
gehörten zu den hervorragendsten Helfern Alexanders;
in seinen letzten Jahren war besonders Perdikkas hervorgetreten;
dies aber hatte Ptolemaios nicht gern
gesehen, und es wird niemand verwundern, wenn Ptolemaios
in seinem späteren Geschichtswerk die Verdienste des Perdikkas
unerwähnt gelassen hat. Perdikkas wird in der Hinrichtung des
Kleomenes einen eklatanten Verstoß gegen die Beschlüsse
von Babylon gesehen haben, und dies von seinem Standpunkt aus sicherlich
zu Recht. Er wußte nun, was er von Ptolemaios
zu erwarten hatte. Ptolemaios erscheint
hier als ein Machthaber, der sich allein und ausschließlich um sein
eigenes Land gekümmert hat. Die Weisungen des Perdikkas waren
ihm gleichgültig. Auf keinen Fall darf man annehmen, Ptolemaios
habe dem Perdikkas ein Oberaufsichtsrecht irgendeiner
Art über Ägypten zugestanden. Eine weitere Verschärfung
in den Beziehungen zwischen dem Chiliarchen in Babylon und dem Satrapen
von Ägypten brachte der Konflikt um den Leichenwagen Alexanders.
Wie es heißt, hat man zwei volle Jahre gebraucht, um ihn in Babylon
zu erbauen. Perdikkas wollte den toten
Alexander bei seinem Vater in Makedonien, in der alten Grablege
von Aigai, beisetzen. Als sich der Leichenwagen endlich unter dem Befehl
des Generals Arrhidaios in Bewegung setzte, fing
Ptolemaios ihn in Syrien ab und leitete ihn nach Ägypten.
In einem Grab von Memphis wurde Alexander
beigesetzt; einige Jahre später überführte man den Leichnam
nach Alexandria. Diesen Handstreich hat Perdikkas seinem alten Rivalen
weder verziehen noch vergessen, denn Perdikkas wußte wohl,
dass sich Ptolemaios damit als der
wahre Erbe Alexanders legitimieren
wollte. Durch dieses Verhalten des Ptolemaios
waren die Beziehungen zwischen den beiden Machthabern gespannt. Aber es
kamen noch mehr Übergriffe des Satrapen hinzu. Ptolemaios
hatte nämlich seine Hand nach Zypern ausgestreckt, er hatte mit den
Stadt-Königen von Salamis, Soloi, Paphos und Amathus Bündnisse
abgeschlossen. Das Motiv war nackter Imperialismus, Perdikkas aber
erhielt dadurch den entscheidenden Kriegsgrund.
Um den Rücken frei zu haben, ernannte Perdikkas
den Eumenes zum bevollmächtigten Strategen von Kleinasien.
Im übrigen war das Unternehmen des Perdikkas gegen das Nilland
von langer Hand vorbereitet. Er rückte mit seiner Armee zunächst
vor Pelusion, das östliche Eingangstor Ägyptens, um von hier
aus den Übergang über den Nil zu forcieren. Aber man kannte die
reißende Strömung des Flusses zu wenig; die Anlagen für
den Übergang wurden durch die Wucht des Nilstromes zerstört.
Wie es scheint, hatte Perdikkas keinen Experten zur Verfügung,
sonst wäre dies sicher nicht passiert. Der erste Mißerfolg hatte
ernste Folgen, denn schon jetzt machte sich der Abfall seiner Soldaten
zu Ptolemaios bemerkbar. Er muß
wohl über eine Anzahl von Freunden und Parteigängern im Heer
des Perdikkas verfügt haben. Was sollte Perdikkas tun?
Er führte sein Heer in einem Nachtmarsch den Nil entlang zu einem
Ort, den die Quellen die "Burg der Kamele" nennen. Bei Tagesanbruch setzte
er seine Truppen, zuerst die Elefanten, über den Strom, um mit dem
Kampf um die Mauer zu beginnen. Aber hier, bei der "Burg der Kamele", hatte
er seine Rechnung ohne Ptolemaios gemacht.
Dieser hatte seine Soldaten zum Fort geschickt, um der bedrängten
Besatzung zu helfen. Es entspann sich ein hitziges Gefecht. Dabei gelang
es den Hypaspiten des Perdikkas, die Leitern an die Mauern zu setzen,
während sich die anderen Krieger mitsamt den Elefanten damit beschäftigten,
den Graben und die Brustwehr zu zerstören. Bei Diodor kann
man nachlesen, dass Ptolemaios selbst,
bewaffnet mit einer baumlangen Sarisse, oben auf der Brustwehr stand und
sich gegen den ersten Elefanten wandte; er stach ihm die Augen aus, während
er die Angreifer von der hohen Mauer hinunterwarf. Perdikkas sah
sich gezwungen, seine Männer zurückzurufen. Er gestand damit
ein, den Kampf um die Mauern des Forts verloren zu haben. Doch hatte er
die Absicht, in Ägypten einzudringen, noch nicht aufgegeben. Bei Memphis
teilt sich der Strom und bildet ein Insel; sie war das Ziel des Angriffs
des Perdikkas, aber auch hier machte sich beim Übersetzen die
Strömung des Flusses nachhaltig bemerkbar; die Gegend war offenbar
nicht erkundet worden, so dass der Anprall der Fluten geradezu vernichtend
war. Was eine Nilüberquerung in einer Furt bedeutete, darüber
hatte sich im Stabe des Perdikkas offenbar niemand Gedanken gemacht.
Es gab große Verluste, 2.000 Mann sollen im Strom ertrunken sein.
So war der Feldzug für Perdikkas bereits gescheitert, als Ptolemaios
mit seiner Streitmacht an der Übergangsstelle erschien. Im Heer des
Perdikkas hatte sich eine Opposition gegen den Chiliarchen gebildet.
Sie ging von Peithon aus, dem Leiter der Oberen Satrapien,
von Antigenes, dem Führer der Argyraspiden, und von
Seleukos. Diese hohen Offiziere, unterstützt
von einer Anzahl von Reitern, griffen das Feldherrnzelt des Perdikkas
an. Obwohl er energisch Widerstand leistete, wurde er im Kampf niedergemacht.
Mit ihm gingen einige seiner Freunde zugrunde, und mit ihnen seine Schwester
Atalante, die Gattin des Generals Attalos.
Der mißglückte Feldzug des Perdikkas
im Jahre 321 v.u.Z. nach Ägypten ist ohne Zweifel ein Wendepunkt in
der Geschichte des Alexander-Reiches.
Mit Perdikkas war der Mann gefallen, der sich ohne jedes Schwanken
immer für die Reichseinheit eingesetzt hatte.
Über Perdikkas gehen die Urteile der Historiker
auseinander. Während ihn manche einfach als unfähig bezeichnen,
hat ihn Gaetano De Sanctis den wahren Erben Alexanders
genannt. Und für den Ausbruch des ersten Koalitionskrieges sei
er nicht verantwortlich gewesen. Wir schließen uns diesem Urteil
an und glauben, dass sein Tod ein schwerer Verlust für die Reichsidee
gewesen ist. Er war nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet gewesen,
mit seinem Heer nach Ägypten zu ziehen. Dass er dem Ptolemaios
unterlegen ist, kann man auf unzweckmäßige Vorbereitung,
auf die Schwierigkeit des Flußübergangs und auf die Opposition
im eigenen Lager zurückführen. Vor allem hat die Propaganda der
Gegenseite viel zu seinem Untergang beigetragen. Niemand wird leugnen,
dass sich auch Perdikkas im Kampf um die Macht verwerflicher Mittel
bedient hat. Menschenleben galten ihm wenig, aber in dieser Einstellung
war er nicht anders als die anderen Diadochen. Doch bleibt die Frage, ob
er auf andere Weise, mit Güte und Entgegenkommen gegenüber seinen
Kontrahenten, die Einheit des Reiches hätte erhalten können.
Sehr nachteilig hat sich schließlich die Tatsache ausgewirkt, dass
er nur über wenige treue Freunde verfügte. Die hohen Generale
neideten ihm seine Stellung; sie taten alles, um ihn zu vernichten. Und
was hätte ein einziger noch so tatkräftiger Mann gegen die Schar
der Feinde ausrichten können? Dazu kam, dass er als Feldherr wenig
glücklich war; seine Offiziere waren nur mit halbem Herzen bei der
Sache, und als es darauf ankam, haben sie ihn im Stich gelassen. Ein mitreißender
Führer war er nicht, in dieser Hinsicht ist er weder mit Krateros
noch mit Eumenes zu vergleichen. Und mit dem riskanten Unternehmen
in Ägypten hatte er allen Kredit bei seinen Soldaten verloren. Schon
bei der Satrapienverteilung von Babylon hatte er es nicht allen recht machen
können, und die rigorose Behandlung der aufständischen Makedonen
und Griechen in Baktrien raubte ihm vollends die Sympathien der Soldaten
im Osten des Reiches. Doch sollte man darüber nicht vergessen, dass
er nach Kräften versucht hat, die Einheit des Reiches zu wahren. In
diesem Sinn ist er der Nachfolger Alexanders
gewesen; nur hatte er es viel schwerer als der Makedonen-König in
seinem kurzen Leben. Sein schroffes, unzugängliches Wesen
schuf dem Perdikkas viele Feinde; sie warteten geradezu auf Mißerfolge,
um sich seiner bei der ersten besten Gelegenheit entledigen zu können.
Wenn bei Diodor zu lesen steht, Perdikkas habe nach dreijähriger
Regierung sein Ende gefunden, es ist dies ein Irrtum. In Wirklichkeit hat
Perdikkas nur zwei Jahre die Zügel in der Hand gehabt, vom
Tode Alexanders am 10. Juni 323 v.u.Z.
bis zu seinem Ende in Ägypten, wahrscheinlich im Sommer 321 v.u.Z.
Angesichts dieser Entwicklung scheint die Frage berechtigt, ob es nicht
besser gewesen wäre, wenn nicht Perdikkas, sondern Peukestas
der Nachfolger Alexanders in Asien
geworden wäre. Durch seinen Kontakt mit den Persern, durch seine Kenntnis
der persischen Sprache wäre er wohl der gegebene Mann gewesen, die
Ideen Alexanders weiterzuführen,
insbesondere auch die Verschmelzung von Makedonen und Persern, eine Idee,
die von den Makedonen in Babylon aufgegeben worden ist.