Norwich John Julius: Band II Seite 220,231-234,241-245,260-263,266
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"Byzanz. Der Aufstieg des oströmischen Reiches."

Anstatt für Hedwig von Bayern, eine Nichte König OTTOS I., entschied sich Romanos II. für die Tochter eines peloponnesischen Schankwirts, die den Namen Theophano angenommen hatte, den Prototyp einer Frau, die alles erreicht, was sie will. Sie muß eine atemberaubende Ausstrahlung gehabt haben. Man nimmt Leon Diakonus durchaus ab, dass er sie für die "liebreizendste Frau ihrer Zeit hält". Sie war außerdem ehrgeizig und kannte, soweit sich das beurteilen läßt, keine großen Skrupel; offenbar schreckte sie vor nichts zurück, auch nicht vor Mord, wie sich noch zeigen wird, um ihre Ziele durchzusetzen. Obwohl sie erst achtzehn Jahre alt war, als Romanos II. den Thron bestieg, beherrschte sie ihn vollkommen. Sie tolerierte weder Rivalinnen noch Rivalen, und dies bekamen ihre Schwiegermutter und fünf Schwägerinnen sofort zu spüren, als sie erst Kaiserin war. Helene quartierte sie in einen abgelegenen Winkel des Palastes um, wo sie im September 961 starb; die fünf Prinzesinnen mußten den Schleier nehmen. Sie schickten sich keineswegs freiwillig darein: tagelang soll der Palast von ihren Klagen widerhallt haben; vergeblich sollen Mutter Helene und Bruder Romanos für sie gebeten haben; die junge Kaiserin blieb fest. Sie soll grimmig dabeigestanden haben, als Patriarch Poleuktos die fünf jungen Frauen eigenhändig kahlschor, und entsandte sie, um das Maß voll zu machen, in fünf verschiedene Klöster. Man kann sich nur wundern über die Macht, die sie offenbar auf den ganzen Hof in einer relativ kurzen Zeit gewonnen hat.
Romanos II. war am 15. März 963 gestorben, und schon am folgenden Morgen ging das Gerücht um, Kaiserin Theophano habe ihn vergiftet. Die schöne junge Kaiserin hatte in den dreieinviertel Jahren seit Romanos' Thronbesteigung den Ruf erworben, zu allem fähig zu sein, so dass kaum jemand ihr ein solches Verbrechen nicht zugetraut hätte. Es besteht kein Grund zur Annahme, sie habe ihren Ehemann nicht geliebt; sie hatten vier gemeinsame Kinder, das jüngste, eine Tochter, hatte sie nur zwei Tage vor seinem Tod zur Welt gebracht. Solange er lebte, konnte auch sie ihre Machtstellung halten; ihre Zukunft wie auch die ihrer Kinder schien gesichert. Nun, da er tot war, schwebten alle in Gefahr. Sie selbst erholte sich noch von der Geburt; ihre beiden Söhne, Thronfolger und Mit-Kaiser Basileios und Konstantin, waren sechs beziehungsweise drei Jahre alt; das Beispiel ihres Schwiegervaters illustrierte klar genug die Gefahr, die aus einer langen Unmündigkeit von Thronfolgern entstehen konnte, vor allem wenn ein paar ehrgeizige Feldherren auf eine günstige Gelegenheit lauerten.
Vorerst brauchte sie jedoch Schutz, und zwar durch einen, der sich durchzusetzen verstand. Heimlich - Bringas hätte sie mit Sicherheit daran gehindert - sandte sie einen dringlichen Apell an Nikephoros Phokas im Osten, sogleich zurückzukehren. Mit einer kleinen Begleitmannschaft traf er Anfang April in der Hauptstadt ein. Nikephoros begab sich sogleich nach den Osterfeierlichkeiten zu seinem Heer nach Anatolien. Die geheimen Unterredungen mit der Kaiserin hatten zu einer Übereinkunft geführt, die - jedenfalls kurzfristig - sich für beide als sehr vorteilhaft erwies. Nikephoros sollte für die Rechte und den leiblichen Schutz der beiden Kindkaiser einstehen und dafür zum Kaiser ausgerufen werden und mit ihnen den Thron teilen. Am Morgen des 3. Juli 963 wurde Nikephoros von seinen Befehlshabern zum Kaiser ausgerufen und kehrte an der Spitze seiner Truppen nach Konstantinopel zurück. Am 16. August 963 zog Nikephoros nach einem Volksaufstand gegen Bringas in die Hauptstadt ein und wurde in Anwesenheit der beiden Kindskaiser zum Kaiser gekrönt.
Die erste Maßnahme, die er Theophano betreffend veranlaßte, nimmt sich auf den ersten Blick besehen merkwürdig aus, verwies er sie doch aus dem Palast und in die alte Festung im Petrion, wo sie einen Monat und vier Tage lang in einer gefängnisartigen Unterkunft ausharren mußte, während sich Nikephoros streng und asketisch, wie immer, in den kaiserlichen Gemächern einrichtete. Am 20. September aber heirateten die beiden in der Pfalz der Nea.
Es scheint unzweifelhaft, in Theophanos zeitweiliger Verbannung eine von beiden im voraus verabredet Maßnahme zur Wahrung der Form und zur Vermeidung von unerwünschtem Klatsch zu sehen, wenn auch nicht einleuchtet, warum die Kaiserin ausgerechnet an einem so unwirtlichen Ort und nicht in einem der zahlreichen Paläste in der Umgebung der Hauptstadt untergebracht wurde. Interessanter ist jedoch die Frage nach den Motiven für diese Ehe. Einige zeitgenössische Quellen, wenn auch nicht gerade die verläßlichsten, behaupten, Nikephoros sei, geblendet von der außerordentliche Erscheinung der Kaiserin, in leidenschaftlicher Liebe zu ihr entbrannt. Diese Theorie haben zahlreiche spätere Chroniken nur allzu bereitwillig übernommen; der Grund ist nicht schwer zu erraten: der Vorstellung vom rauhbeinigen, unbeugsamen alten Feldherrn, der plötzlich Kopf und Herz an die lieblichste - und lasterhafteste - Frau ihrer Zeit verliert, kann man sich nicht entziehen. Ist dies aber auch wahrscheinlich? Nikephoros war aufgrund seines Naturells und seines frömmelnden Wesens ein Asket; er hatte nach dem Tod seiner ersten Frau Keuschheit gelobt und sein ganzes Leben hindurch kaum eine Gelegenheit ausgelassen, seinen Leib noch mehr abzutöten. Hätte er sich also, so fragt man sich in anderen Studien, so leicht einwickeln lassen? Könnte es sich nicht eher um eine Übereinkunft gehandelt haben, welche die beiden gemeinsam in langen persönlichen Sitzungen ausgehandelt hatten, nach der er ihr und ihren Kindkaisern Schutz garantierte und dafür mit der Kaiserkrone belohnt wurde?
Für sie wird es sicher nichts weiter gewesen sein. Mann kann sich einfach nicht vorstellen, dass dieser außergewöhnliche und den Annehmlichkeiten des Lebens sicherlich nicht abgeneigte junge Kaiserin nach einer glücklichen, wenn auch kurzen Ehe mit dem fraglos attraktiven Romanos für einen frömmelnden Puritaner, der doppelt so alt war, wie sie, etwas anderes als Widerwillen empfunden haben könnte.
Hätte seine Frau ihm nichts bedeutet, wäre Nikephoros wohl darauf eingegangen. Sich dem Kirchenrecht bereitwillig zu unterwerfen und damit Theophano im Kloster verschwinden zu sehen, hätte ihn nicht nur wieder in den Stand göttlicher Gnade versetzt, sondern ihm außerdem einen guten Vorwand geliefert, sich einer lästigen Verpflichtung zu entledigen - wenn sie ihm denn lästig war. Doch er unterwarf sich nicht. Damit war der Kaiser exkommuniziert, das Zerwürfnis zwischen Kirche und Staat besiegelt. Aber auch diesmal gab Nikephoros nicht klein bei. Obwohl sein Seelenheil auf dem Spiel stand, wollte er Theophano nicht verlassen.
Damit ist das Stichwort gegeben für einen weiteren Auftritt der liebreizenden und für den Gang der Dinge schicksalträchtigen Kaiserin Theophano. So unwahrscheinlich es ist, dass sie - oder überhaupt eine Frau - sich von Nikephoros angezogen fühlte, so wenig kann ein Zweifel daran bestehen, dass sie sich irgendwann im Verlauf der vergangenen sechs Jahre in seinen ehemaligen Kollegen, den ausgesprochen properen Domestikos Johannes Tzimiskes verliebte. Wie heiß der drahtige, unwiderstehliche Armenier diese Leidenschaft erwiderte, ist dagegen nicht bekannt: in ihm regten sich viele andere Gefühle - Ehrgeiz, Neid, Ressentiments gegen Nikephoros, die ihn zu dem trieben, was er schließlich tat. Aber Theophano hatte sich schon früher als sehr einnehmende Persönlichkeit bewiesen, und ob er nun etwas für sie empfand oder nicht: ganz kalt können ihn ihre Umarmungen gewiß nicht gelassen haben.
Zunächst einmal galt es, ihren Ehemann davon zu überzeugen, dass er seinem früheren Freund Unrecht getan habe - ihm verdanke er doch wohl die Krone -, und ihn dazu zu bringen, den Bannspruch aufzuheben. Dies war nicht so schwierig, wie man denken könnte. Wenn sie etwas wirklich wollte, konnte sie es praktisch immer durchsetzen - vielleicht ein weiteres Anzeichen dafür, dass er sie wirklich geliebt hat, oder aber für ihre Klugheit. Auf alle Fälle erklärte er sich mit Tzimiskes' Rückkehr einverstanden, vorausgesetzt, dass er das Haus seiner Familie in Chalkedon auf der asiatischen Bosporusküste nicht verließ und nach Konstantinopel nur mit einer Sondererlaubnis kam. Für ein Liebespaar war dies natürlich alles andere als ideal, aber man traf entsprechende Vorkehrungen, und schon nach kurzer Zeit setzte der drahtige Feldherr nachts im Schutz der Dunkelheit über die Meerenge und huschte in einen entlegenen Winkel des Palastes, wo ihn die Kaiserin erwartete - und wo beide neben weniger verwerflichen Beschäftigungen sich kaltblütig mit einem Plan zur Ermordung des Ehemannes beschäftigten. Mitverschworene ließen sich unschwer finden. Am 10. Dezember 969 ermordeten die Verschwörer Kaiser Nikephoros in seinem Schlafgemach.
Wenig später schon saß Johannes Tzimiskes auf dem Thron, ihm zur Seite Theophano und ihre beiden Söhne, während seine Mitverschworenen und eine ständig anwachsende Menge von Höflingen ihm als Kaiser huldigten.
Der Patriarch knüpfte an die Krönung des Thronräubers bestimmte Bedingungen. Die erste Bedingung betraf Theophano. Das Liebespaar hatte zweifellos gehofft, dass mit dem Mord an Nikephoros nicht nur der Weg zum Thron frei werde, sondern auch ihrer Verbindung nichts mehr im Weg stehe. Dies aber, so erklärte der Patriarch streng, komme überhaupt nicht in Frage. Johannes Tzimiskes' Krönung könne im Gegenteil erst stattfinden, wenn die Kaiserin aus dem Weg geräumt sei und sich in Konstantinopel nie mehr blicken lasse.
Wie bereits angedeutet, hat Johannes Tzimiskes Theophano vielleicht niemals wirklich geliebt und sie von Anfang an lediglich als Mittel zur Verwirklichung seiner skrupellos-ehrgeizigen Pläne benutzt. Er zögerte jedenfalls keinen Augenblick, um seine Wahl zu treffen. Gedemütigt und frustriert wurde die Kaiserin auf die Insel Proti im Marmarameer verfrachtet, die bevorzugte Abstellkammer für kaiserlichen Überschuß.
Sie erschien noch ein letztes Mal in Konstantinopel: Wenige Monate später entwischte sie aus ihrem Gefängnis und suchte Zuflucht in der Hagia Sophia. Von dort wurde sie auf Befehl des Parakoimomenos Basileios gewaltsam entfernt und in ein noch entlegeneres Exil im fernen Armenien verbannt. Als einziges Entgegenkommen wurde ihr zugestanden, Johannes Tzimiskes ein letztes Mal zu sehen. Es überrascht vielleicht, dass Johannes dem Treffen zustimmte; Theophano sagte ihm lautstark und deutlich die Meinung. Dann wandte sie sich Basileios zu, der auf seiner Anwesenheit bestanden hatte. Dies hat er wohl spätestens bereut, als sie tätlich wurde: sie ging mit Fäusten auf ihn los und schlug ihn windelweich, was einiges über ihre Wut - und ihren Mut - aussagt. Erst dann gelang es seinen Dienern, sie zu entfernen.