Theodora erscheint,
milde gesagt, nicht als ideale Partnerin. Ihr Vater war ein von
den Grünen im Hippodrom angestellter Bärenhalter gewesen,
ihre Mutter eine Art Zirkusartistin, vermutlich Akrobatin.
Diese Abstammung hätte bereits genügt, sie von der respektablen
Gesellschaft auszuschließen. Doch das war noch lange nicht alles.
Schon als Kind war sie mit ihrer Schwester in seichten Komödien, Farcen
und Burlesken aufgetreten: Sehr attraktiv und lebhaft, eine hervorragende
Schauspielerin. Schon bald hatte sie eine begeisterte Anhängerschaft
erworben. Es dauerte nicht lange und sie war zu Konstantinopels berühmtester
Kurtisane avanciert. Trotzdem ist es mehr als zweifelhaft, dass sie
selbst in ihren abenteuerlichsten Zeiten die Beschreibung, die Prokop
von ihr gibt, auch nur annähernd verdiente; es ist eine der schlimmsten
Schmähreden, die über eine Königin oder Kaiserin in der
gesamten Geschichte jemals verfaßt wurde:
Damals konnte sich Theodora,
für intimen Verkehr mit Männern noch nicht reif, zwar noch nicht
als Frau betätigen; doch hielt sie dies nicht ab, mit üblen Burschen
wie ein Lustknabe schmählichen Umgang zu pflegen, und dies mit Sklaven,
die ihren Herrn ins Theater begleiteten und als Nebenbeschäftigung
mit diesem günstigen Augenblick solche Schandtat begingen. Mit dieser
widernatürlichen Preisgabe ihres Körpers brachte sie ziemlich
lange Zeit in einem Bordell zu. Sobald sie erwachsen und reif war,
ging sie gleich unter die Schauspielerinnen und wurde eine gewöhnliche
Hetäre, eine "Hetäre zu Fuß", wie die Alten sagten.
Nie kannte das Weib irgendeine Scham, und niemals sah sie irgendeiner verlegen;
ohne jedes Bedenken fand sie sich zu unzüchtigen Dienstleistungen
bereit. Sie entblößte Vorder- und Hinterteil und zeigte dem
Nächstbesten unverhüllt, was Männern verborgen und unsichtbar
sein sollte. Nirgends war eine Frau jeder Art von Lust so unterworfen.
Mit zehn oder mehr jungen Männern auf der Höhe ihrer Kraft, die
selber Wollust als Tagewerk betrieben, ging sie oft zu einem gemeinschaftlichen
Mahl und schlief dann bei sämtlichen Gästen die ganze Nacht hindurch.
Wenn aber alle davon genug hatten, suchte dieses Weib noch deren Sklaven
auf, etwa dreißig an Zahl, und schlief mit jedem einzelnen von ihnen.
Auch dann bekam sie dieses Schandleben nicht satt.
Sie kleidete sich wiederholt auch im Theater vor den
Augen des ganzen Publikums aus und trat so mitten auf die Bühne. Lediglich
um die Hüfte und Brust trug sie eine Binde. Mit dieser Bekleidung
lag sie ausgestreckt rücklings auf dem Boden. Einige Bühnenarbeiter
streuten über den Schoß Gerstenkörner, und die Gänse,
die dazu abgerichtet waren, pickten sie mit ihren Schnäbeln einzeln
auf. Theodora aber schämte sich
dessen auch nicht im mindesten, im Gegenteil, man konnte den Eindruck gewinnen,
als tue sie sich darauf noch etwas zu gute.
So geht es weiter, und der scheinheilige alte Lüstling
kostet offensichtlich jedes Wort aus, das er schreibt. Ebenso eindeutig
ist diese Schilderung mit größter Vorsicht zu genießen.
Prokop haßte beide, Theodora
wie ihren Mann, und dies ist nicht die einzige Passage in seiner skurrilen
"Geheimgeschichte", in der er sich anschickt, Justinians
oder Theodoras Ruf zu zerstören.
Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er Theodora
jemals auftreten gesehen hätte, deshalb kann seine Quelle nur der
Klatsch von der Straße sein, und der war durch das Nacherzählen
bestimmt nicht ärmer geworden. Trotzdem bestehen wohl kaum Zweifel,
dass Theodora, wie es unsere Großeltern
ausgedrückt hätten, eine "Vergangenheit" hatte. Ob sie schlimmer
war, als andere, bleibt offen.
Jedenfalls begann sie sich bald nach Besserem umzusehen
und nahm sich als Liebhaber einen nicht allzu hervorragenden Beamten, den
sie nach Nord-Afrika begleitete. Dort kam es zu einem heftigen Streit.
Theodora
wurde
weggeschickt und soll sich ihre Heimreise, natürlich laut Prokop,
auf die einzige Art verdient haben, die sie kannte. Dabei gelangte sie
nach Alexandria. Es hieß, sie habe dort Kontakt zu führenden
Kirchenmännern gehabt, was einen guten Teil der ausgeprägten
monophysitischen Neigungen erklären dürfte, die sie später
an den Tag legte. Vielleicht widerfuhr ihr sogar eine besonders religiöse
Erfahrung, denn als sie nach Konstantinopel zurückkam, scheint sie
völlig verändert gewesen sein.
Ein Merkmal, das ihr ganzes kennzeichnete, war ihre starke
Bindung an die blaue Partei und ihr Haß auf die Grünen. Es hieß,
ihre Mutter habe nach dem Tod ihres Vaters, als Theodora
sechs Jahre alt war, sogleich wieder geheiratet, in der Hoffnung, ihr zweiter
Mann könne die Stelle seines Vorgängers als Bärenhalter
der Grünen übernehmen. Doch sie wurde enttäuscht: Die Stelle
wurde einem anderen Kandidaten gegeben. Am Rande der Verzweiflung sei sie
eines Tages im Zirkus erschienen, ihre drei kleinen Mädchen mit Blumenkränzen
im Haar neben sich, und habe an das versammelte Volk appelliert. Die Grünen,
von denen man eine gewisse moralische Verpflichtung gegenüber der
Witwe ihres ehemaligen Angestellten erwartet hätte, ignorierten sie.
Die Blauen aber - wahrscheinlich eher aus dem Wunsch heraus, ihre Rivalen
im schlechten erscheinen zu lassen, als aus echtem Mitleid - erbarmten
sich ihrer und boten ihr eine Stelle für ihren Mann. Von diesem Augenblick
an habe Theodoras Loyalität festegestanden
- und sie sei ihr Leben lang nicht mehr davon abgewichen.
Am 4. April 527 wurden Justinian
und Theodora zu Mit-Kaiser und
Kaiserin
gekrönt, und als der alte
Justin am 1. August starb, besaßen sie die alleinige und
unumstrittene Herrschaft über das Byzantinische Reich. Diese Mehrzahl
ist wichtig. Theodora war keine Kaisergemahlin,
die ihr Leben zurückgezogen mit ihren Hofdamen im Gynäceum verbrachte
und nur bei höchst feierlichen Anlässen mit ihrem Mann auftrat.
Justinian bestand sogar darauf, dass sie an seiner Seite regierte,
Entscheidungen traf und in seinem Namen ausführte sowie ihn in den
wichtigsten Staatsgeschäften beriet. Sie hatte es in fünf Jahren
sehr weit gebracht. Ihre künftigen öffentlichen Auftritte unterschieden
sich stark von den aus der Vergangenheit überlieferten.
Theodora erlag am
28.
Juni 548 einem Krebsleiden.